Brown, Dan – Diabolus

Die kryptografische Abteilung des US-Geheimdienstes NSA verfügt über einen geheimen Super-Computer, der in der Lage ist, binnen kürzester Zeit jeden Code zu knacken, besonders den von E-Mails. Jedenfalls bis zu dem Tag, als „Diabolus“ zum Einsatz kommt, ein mysteriöses Programm, das den Rechner offenbar überfordert: Die drei Millionen Prozessoren des zwei Milliarden teuren Ungetüms rechnen bereits achtzehn Stunden lang vergeblich an der Diabolus-Datei – und das ist richtig teuer.

Der Entwickler des Programms droht, Diabolus der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die Existenz des Super-Computers zu enthüllen. Die Mitarbeiter des Geheimdienstes müssen alle Hebel in Bewegung setzen, das drohende Desaster zu verhindern. Sie haben weniger Zeit, als sie ahnen.

_Der Autor_

Dan Brown unterrichtete Englisch, bevor er freier Schriftsteller wurde. Als Sohn eines Mathematikprofessors und einer Kirchenmusikerin wuchs er in einem Umfeld auf, in dem Wissenschaft und Religion keine Gegensätze darstellen, was sich in seinen Romanen widerspiegelt. Davon sind inzwischen vier erschienen: „Diabolus“, „Meteor“, „Illuminati“ und „Sakrileg“.

Er lebt mit seiner Frau in Neuengland und schreibt an einem Thriller über die Freimaurer in Washington, D.C., wo noch heute in der Nähe der Stadt ein Freimaurer-Monument steht, das ich mal besucht habe – sehr geheimnisvoll. Die Freimaurer sind auch auf dem Dollarschein verewigt, denn der erste US-Präsident George Washington war eines ihrer Mitglieder.

_Der Sprecher_

Detlef Bierstedt ist ein gefragter Synchronsprecher, der u. a. George Clooney und Jonathan Frakes („Star Trek“) seine Stimme leiht und mit viel Begeisterung Hörbücher interpretiert – das kann ich voll unterstreichen. Bierstedt lebt in Berlin.

Die gekürzte Romanfassung hat Dr. Arno Hoven bearbeitet, Regie führte Kerstin Kaiser.

_Handlung_

Es ist in Sevilla um elf Uhr, als auf einem Platz in einem Park der japanische Computerprogrammierer und Verschlüsselungsexperte Ensei Tankado plötzlich zusammenbricht und in den letzten Momenten seines Lebens den drei herbeieilenden Passanten seine Hand entgegenstreckt. Sie hat nur drei Finger. An einem davon steckt ein goldfarbener Ring, in den eine Inschrift eingraviert ist.

Dr. Susan Fletcher träumt gerade davon, ihren Verlobten David Becker zu heiraten, als David in aller Herrgottsfrühe anruft, um ihr geplantes Wochenend-Rendezvous abzusagen. Er müsse in Commander Strathmores Auftrag dringend weg. Er rufe sie aus dem Flieger wieder an. Flieger??

Während sie von Strathmore, dem Stellvertretenden Direktor des US-Geheimdienstes NSA (National Security Agency, auch „No such agency“ genannt) wegen eines „Notfalls“ in die Kryptografieabteilung der NSA, die sie leitet, gerufen wird, düst Becker nach Sevilla. Strathmore will sämtliche Habseligkeiten, die Ensei Tankado bei sich hatte. Als David die Leiche untersucht, bemerkt er einen hellen Streifen an einem von Tankados Finger: Ein Ring fehlt.

Zum Glück ist David als Professor für Linguistik ein Sprachgenie, das sechs Sprachen fließend beherrscht. Schnell stöbert er den alten französischen Reisekorrespondenten auf, der bei Tankado anlangte. Doch nicht er nahm den Ring an sich, sondern ein fettleibiger Deutscher in Begleitung einer rothaarigen Spanierin namens „Dewdrop“. Schon wieder ein Rätsel? Wer heißt denn in Spanien schon „Tautropfen“, und dann noch in Englisch? Beim Abklappern der Escort-Agenturen stößt David aber auf den Namen einer gewissen Rocío, was in Spanisch „Tautropfen“ bedeutet.

Durch allerlei Tricks und großen Einfallsreichtum findet er heraus, dass die Lady keine Lady ist, sondern eine abergläubische Prostituierte, die das Schmuckstück schnellstens verschenkt hat, weil es von einem Toten stammt. Die neue Empfängerin sei eine Punkerin. Zum Abschied sagt der Deutsche „Fock off and die“ – na toll, jetzt wird David auch noch beschimpft. Womit hat er das nur verdient? Und was soll an dem Ring so besonders sein?

Zu diesem Zeitpunkt hat David noch nicht bemerkt, dass hinter ihm alle seine Informanten wie die Fliegen sterben …

Unterdessen hat Dr. Susan Fletcher, 35, ganz andere Sorgen. Das Prunk- und Herzstück ihrer Kryptografischen Abteilung, der TRANSLTR, der zwei Milliarden Dollar gekostet hat, versucht seit rund achtzehn Stunden ein und dieselbe Datei zu knacken. Und das mit allen drei Millionen Prozessoren. Das kostet pro Minute nicht nur astronomisch viel Geld, sondern ist schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit. Die längste Zeit, die der TRANSLTR für eine normale Datei braucht, sind etwa sechs Minuten, bei Diagnoseprogrammen maximal drei Stunden. Etwas sehr Ungewöhnliches geht hier vor: ein Notfall?

Strathmore ist für Susan wie ein Vater und Mentor zugleich. Sie zieht sein Handeln keine Sekunde lang in Zweifel. Er hat die Datei, an der TRANSLTR arbeitet, von Ensei Tankados Webseite heruntergeladen. Laut Tankado enthält die Datei einen neuartigen Verschlüsselungscode, der sich nicht brechen lässt. Dieser Code trägt den Namen DIABOLUS. Das Einzige, was ihn öffnen könne, sei ein Private Key, ein privater Schlüssel. Strathmore vermutet insgeheim, dass Tankados Ring diesen Schlüssel enthält, vielmehr dessen Inschrift. Deshalb hat er Becker losgeschickt, den Ring zu beschaffen.

Was aber Strathmore nicht wahrhaben, sondern vielmehr vertuschen will, ist eine Tatsache, die einem der Systemsicherheitstechniker auffällt. In dieser Datei steckt nicht nur der Teufel, sondern offenbar auch ein Virus. Das ist ebenfalls ein Ding der Unmöglichkeit, denn zahlreiche ausgetüftelte Sicherheitsfilter, genannt GAUNTLET (Spießrutenlauf), sollen ein solches Eindringen verhindern. Als der Techniker erkennt, dass Strathmore GAUNTLET manuell umgangen haben muss, spitzt sich die Entwicklung dramatisch zu.

Denn für das, was Strathmore vorhat, darf es keine Zeugen geben.

Leider hat Strathmore für das, was wirklich im Innern von TRANSLTR passiert, erst Augen, als es bereits zu spät ist. Der Angriff auf die zentrale Datenbank der NSA läuft bereits …

_Mein Eindruck_

|Erfolgsrezepte|

Schon in seinem ersten Roman praktiziert Dan Brown das gleiche Erfolgsrezept wie in seinen Bestsellern „Illuminati“ und „Sakrileg“. Es ist das Prinzip der Schnitzeljagd, das von einem Rätsel durch dessen Lösung zum nächsten führt und so weiter. Das ist am besten an dem abzulesen, was David Becker unternimmt und was ihm dabei widerfährt. Zum Glück ist er ein Sprachgenie und – wie das Leben so spielt – durch das Zusammenleben mit Dr. Susan Fletcher ein wahrer Experte in Ver- und Entschlüsselung. Warum hat er nicht schon längst bei der NSA angeheuert?

Das zweite Prinzip, das Brown stets umsetzt, ist die Steigerung im Ausmaß der nur sehr allmählich sichtbar gemachten Katastrophe, auf die das Geschehen hinausläuft. Dadurch hat der Thriller nicht nur einen Showdown – den von Becker vs. Killer -, sondern auch ein richtiges Finale, mit allen Licht-, Sound- und Showeffekten, die dazugehören, um dem Leser / Hörer richtig Angst einzujagen. Folglich kann er das (Hör-)Buch gar nicht mehr weglegen, aus Angst, er könnte etwas Wichtiges verpassen. Dass er durch falsche Fährten etc. selbst ebenso getäuscht wird wie die Figuren, ist natürlich ein listiges Prinzip, dem viele Thriller folgen, um durch unerwartete Wendungen Spannung zu erzeugen.

|Rotkäppchen und der böse Wolf|

Dass stets auch ein Pärchen im Mittelpunkt steht, versteht sich fast von selbst. So haben auch die weiblichen Leser / Hörer etwas davon. Die Beziehung des Paares Becker-Fletcher steht vor einer Bewährungsprobe, als Strathmore seine quasi-väterlichen Rechte geltend macht und Susan für sich reklamiert. Da hat er sich aber geschnitten, denn er hat einen winzigen Kommunikationsfehler gemacht, der Susan die Wahrheit über ihren tollen Ersatzvater enthüllt. Der Vater ist ein Monster. In dieser Themenanordnung kommen Assoziationen an gewisse Märchen hoch, so etwa an „Rotkäppchen und der böse Wolf“, in dem sich der Wolf ja auch verkleidet, um die junge Unschuld zu erwischen.

|Die Botschaft|

Trotz dieser trivialen Erzählstrukturen bringt der Autor natürlich ein ernstes Thema zur Sprache: Wer überwacht die NSA, während sie das Volk (die Welt) überwacht? In dieser Behörde sitzen ja keine Engel an den Kontrollbildschirmen, sondern Angestellte. Diese wiederum gehorchen gewählten Vertretern des Volkes, die Interessensgruppen, genannt „Parteien“, angehören. Und wenn die Regierung wechselt, gelten dann immer noch die gleichen Grundsätze? Wohl nicht, wie die Verabschiedung des „Patriot Act“ nach dem 11. September 2001 gezeigt hat.

Doch die NSA hat nicht nur Lobredner und Präsidenten, die sie für unentbehrlich halten. Sie hat auch Kritiker, und nicht zu wenige. Im Buch wird die real existierende Electronic Frontier Foundation, kurz: EFF, genannt. Sie ist eine der letzten Verfechterinnen der Bürgerrechte in der digitalen Welt, sozusagen der David gegen den Big-Brother-Goliath. Ob die EFF wirklich aufgedeckt hat, wie sich die NSA ein Hintertürchen in einen neuen „Private Key Encryption (PKI)“-Standard verschaffen wollte, vermag ich ohne längere Recherche nicht zu sagen. Aber dass es solche Bemühungen seitens der NSA und Regierung gibt, steht außer Frage.

Als Folge wiegt sich der E-Mails versendende Bürger in Sicherheit, weil er Verschlüsselung einsetzt, während die Überwacher seinen Code mühelos durchs Hintertürchen knacken können. Und je schneller die normalen PCs werden, desto schneller geht das. (Wer will, kann auf bestimmten Webseiten selbst prüfen, wie schnell sich seine Passwörter knacken lassen – nämlich binnen Sekunden!)

Der Autor stellt lediglich zur Diskussion, was schon der alte Römer Juvenal in seinen „Satiren“ fragte: „Quis custodiet ipsos custodes?“ Wer überwacht die Wächter? Dass die Wächter – aus Eigennutz oder Vaterlandsliebe, ist im Effekt egal – über die Stränge schlagen können, demonstriert der Autor in „Diabolus“. Dass Hacker wie etwa Ensei Tankado genau diese menschliche Schwäche einkalkulieren, führt jedoch zur Katastrophe. Die NSA muss sozusagen die Hosen runterlassen, als Diabolus zuschlägt. Denn, wie die Bibel und Tankado sagen: Nur die Wahrheit macht euch frei und kann euch retten.

|“Wie war das in der Mitte?“| (Otto, der Killer in „Ein Fisch namens Wanda“)

An einer Stelle habe ich mich gefragt, ob dem Autor vielleicht doch ein blöder Fehler unterlaufen ist. Der Killer, der David in Sevilla mehr oder weniger unauffällig folgt (eher weniger, denn so viele Tote dürften schon auffallen), ist nämlich taub. Trotzdem „befragt“ er in einer Szene einen Informanten und erhält auch eine mündliche Antwort. Wie kann er sie verstehen, wenn er taub ist, fragt man sich erst einmal. Doch dann denkt man zurück an Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum, in der in einer Schlüsselszene der Bord-Computer HAL 9000 die Astronauten „belauscht“, obwohl sie in einem schalldichten, aber einsehbaren Gefährt sitzen. Des Rätsels Lösung: Sowohl HAL 9000 als auch der Killer können von den Lippen ablesen, was gesprochen wird. q.e.d.

_Der Sprecher_

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber Detlef Bierstedt gelingt es, mit seiner tiefen Stimme eine ganze Palette verschiedener Figuren so zu charakterisieren, dass man sie auseinanderhalten kann. Dass er angesichts der Vielzahl der Figuren nicht durcheinanderkommt, ist schon erstaunlich. Die beiden „jungen Leute“ David Becker und Susan Fletcher klingen ganz anders als etwa der knorrige Commander Strathmore oder der nörgelige Proll Jabba (wegen seiner Körperfülle benannt nach Jabba the Hutt aus „Star Wars“). Heiser und atemlos klingt der krank darniederliegende Franzose Pierre Clouchard in Sevilla, und wenn der Killer einmal leise spricht, läuft einem ein kalter Schauer den Rücken hinunter.

Nicht nur die Figuren erwachen zum Leben, sondern auch jede einzelne Szene erhält eine eigene Charakteristik. Da sind natürlich die vielen Szenen, in denen Rätsel auftauchen und schnellstens gelöst werden müssen – bis hin zum Finale, in dem das allergrößte Rätsel geknackt werden muss, um die Existenz der NSA zu retten. Die atemlose Hektik, die in der NSA-Zentrale jeden Augenblick in nackte Panik umzuschlagen droht – das erleben wir quasi hautnah, so wie es die Kunst des Sprechers erlaubt. Ich habe diese Szene mit dem Original verglichen und festgestellt, dass kaum eine Zeile weggelassen wurde.

Es gibt jedoch einen Bereich, auf dem Bierstedt nicht gerade glänzt: die Aussprache der Namen. Ich kenne zwar die Namen in der gedruckten Übersetzung nicht, aber welcher Übersetzer würde es wagen, Namen zu verstümmeln? Angenommen, dass die Namen in Original und Übersetzung übereinstimmen, tauchen in Bierstedts Text mehrere Unstimmigkeiten auf, die sich durch den gesamten Vortrag ziehen. Statt den Killer, der in Sevilla hinter David Becker her ist, wie im Buch „Hulohot“ zu nennen, hörte ich immer „Huhot“. Und den Systemsicherheitstechniker Phil Chatrukian nennt Bierstedt durchgehend „Tschatörkin“ – sehr seltsam. Das kann ich mir nur dadurch erklären, dass sich die Bierstedt’sche Version besser, also schneller aussprechen lässt.

Auch die Aussprache des Spanischen ist Bierstedt nicht geläufig. Der Club der Punker, in dem David strandet, heißt nicht „El brujo“ (mit Jott), sondern „Embrujo“ (mit ch statt j). Dort wird ein gewisser „Sid Vicious“ erwähnt. Damit ist natürlich der verstorbene Sänger der „Sex Pistols“ gemeint, der berühmtesten Punk-Band überhaupt. Bierstedt kennt das englische Wort „vicious“ (= bösartig) offensichtlich nicht und spricht es aus, wie man es schreibt (schauder!).

Musik gibt es auch: Spanische Gitarren stimmen anfangs auf das Geschehen in Sevilla ein, und am Schluss geleiten sie den Hörer wieder in den Alltag zurück. Hier spielt offensichtlich ein Meister des Saitenwerks.

_Unterm Strich_

Dem Buch selbst gebe ich nur eine mittlere Wertung. Für den lebhaften, spannenden Vortrag von Detlef Bierstedt aber gibt es einen Bonus. Der Thriller funktioniert so wirkungsvoll und im Grunde einfach wie alle Thriller von Dan Brown. Für Spannung, Action und unzählige unterhaltsame und zum Teil witzige Rätsel ist gesorgt, aber auch für Drama und Tragik.

Dennoch bleibt eine bedeutende Frage im Mittelpunkt, und darum ging es vielleicht – hoffentlich – dem Autor: Wer überwacht die Wächter? Wer schaut der NSA auf die Finger, während sie die Welt überwacht? Wer sagt auch mal „nein“, wenn sie ihre Kompetenzen überschreitet? Bekämen wir das überhaupt mit? Ich bezweifle, dass die NSA je in die Lage geraten wird, wie im Buch mal die Hosen runterlassen zu müssen.

|445 Minuten auf 6 CDs
Originaltitel: Digital Fortress, 1998
Übersetzt von Peter A. Schmidt|

Weitere Besprechungen der Dan-Brown-Werke bei |Buchwurm.info|:

[Diabolus 1064 (Buch)
[Meteor 155 (Buch)
[Illuminati 110 (Buch)
[Illuminati 687 (Hörbuch)
[Sakrileg 184 (Buch)