John D. MacDonald – Alptraum in Pink [Travis McGee 2]

Ermittlungen führen den Gelegenheits-Detektiv Travis McGee nach New York und in die Fänge einer Gaunerbande, die sich in einer ‚Nervenheilanstalt‘ eingerichtet hat und vor allem reiche Kunden behandelt, denen anschließend etwas zustößt … – Selbstverständlich landet McGee in seinem zweiten Abenteuer in jenem Irrenhaus, das er nicht mehr verlassen soll; der flaue Plot zieht sich in die Länge und bleibt dort hängen, wo Autor MacDonald seine Hauptfigur auflisten und kommentieren lässt, was falsch auf der Welt läuft: schwatzhaft und langweilig.

Das geschieht:

Weit weg von seinen üblichen Jagdgründen – in New York – fühlt sich Travis McGee, Freigeist und Lebenskünstler, der lieber auf seinem beim Pokerspiel gewonnenen Hausboot, der „Busted Flush“, im Hafen von Lauderdale an der Küste Floridas geblieben wäre, denkbar unbehaglich. Aber ihm ist das Geld ausgegangen, und dann ist da noch der Hilferuf von Mike Gibson, Freund und Kriegskamerad, der in Korea jene Kugel einfing, die eigentlich für McGee bestimmt war. Gibsons Tochter Nina ist nach New York gezogen. Dort hat sie sich mit dem jungen Howard Plummer verlobt. Der wurde gerade bei einem Überfall umgebracht, und die trauernde Braut fand in seinem Nachlass 10000 Dollar in bar, die ganz gewiss nicht legal dort hingeraten sind! War der Verblichene etwa ein Gauner? Hat er seinen Arbeitgeber, den schwerreichen Bankier und Finanzberater Charles McKewn Armister IV., bestohlen? Das soll McGee für den schwerkranken Gibson herausfinden.

Howard hat die 10000 Dollar offenbar rechtmäßig erworben. Aber wieso zahlte ihm Armister so viel Geld? Wieso benimmt sich der bisher so steife Finanzmagnat plötzlich so ausgelassen, verlässt Frau und Familie für Wein, Weib und Gesang und beginnt, immer mehr Geld aus seinem Geschäft abzuziehen?

Die Fäden laufen offenbar in einer mysteriösen ‚Privatklinik‘ zusammen, in der Armister nach einem Nervenzusammenbruch einige Monate verbracht hat, bevor man ihn als geheilt entließ. Nun befindet er sich im Bann seines Rechtsberaters Baynard Mulligan, der im Hintergrund die Fäden zieht. McGee versucht, über die Frauen in Mulligans Umgebung an Armister heranzukommen. Aber er unterschätzt seinen Gegner sträflich – und findet sich gefangen in einem Albtraum, der stark an Dr. Frankensteins Labor erinnert …

Wehe der Welt!

Da ist er also wieder, Travis McGee, Detektiv, Moralist und Womanizer, außerdem Held in 21 Romanen, die stets eine Farbe oder einen Farbton im Titel tragen und in den USA absoluten Kultstatus besitzen. Zahlreiche namhafte Schriftsteller nennen John D. MacDonald als Vorbild und Quelle der Inspiration. Auflagen in Millionenhöhen belegen, dass ein großes Publikum diese Bewunderung teilt.

Bloß wieso, wieso …? Was ist so besonders an Travis McGee? Das fragt sich dieser Rezensent nach der Lektüre dieses zweiten Romans der Reihe noch stärker als beim ersten Mal. An der ausgefeilten Handlung kann‘s nicht liegen, denn die ist sogar für einen über dreißig Jahre alten Thriller mehr als schlicht und über weite Strecken definitiv lahm geraten. Normalerweise stört dies bei der Lektüre nicht – wer verlangt von einem Unterhaltungsroman schon Sachlichkeit und Realismus? MacDonald wäre nicht der Erste, der sein Publikum mit blühendem Blödsinn fesselt – wenn es ihm denn gelingen würde. (Und man glaube mir – in der zweiten Hälfte wird’s wirklich krude!)

Doch über beinahe 150 Seiten scheint es MacDonald wichtiger zu sein, seinem Helden scheinbar schlaue Sprüche über den Zustand der modernen westlichen Welt in den Mund zu legen – und die haben es in sich! Schon in „Abschied in Dunkelblau“ entpuppt sich der angebliche Nonkonformist McGee (abgesehen davon, dass kein Mann mit Selbstachtung es dulden würde, als „Trav“ angesprochen zu werden) als ziemlich konservativer Charakter. Die Welt ist schlecht, und Travis McGee fühlt sich jederzeit berufen, ihr und seinem Publikum das unter die Nase zu reiben. Er selbst sieht sich freilich nicht ungern als Ritter, zwar nicht frei von Fehlern, aber doch ausgestattet mit Weitblick und attraktivem Weltschmerz.

Hilfe für arglose Frauen naht

Und niemand bedarf seiner Führung stärker als die Frauen dieser Welt! Sind sie jung und hübsch, dann fallen sie unter die Kategorie „Mädchen“ und müssen – da trotz aller zur Schau gestellten Selbstständigkeit im Grunde hilflos – beschützt werden, es sei denn, McGee fühlt sich gerade dazu aufgelegt, seine legendären Talente als Liebhaber unter Beweis zu stellen. Nach dem Beischlaf gibt‘s gratis kaffeesatzpsychologische Weisheiten vom großen Meister dazu.

Sind die Frauen alt und immer noch geil, womöglich erfolgreich und tatsächlich in der Lage, ihr Leben ohne Ritter zu meistern, kann etwas mit ihnen nicht stimmen. Kostprobe gefällig? Dr. McGee urteilt über die (zugegebenermaßen schurkische) Komplizin des bösen Mulligan wie folgt: „Ich lächelte sie an und dachte, dass sie das fieseste Stück war, das mir seit langem begegnet war. Ich konnte mir vorstellen, wie erbarmungslos sie ihre Karriere verfolgte. Und wie sie sich gleichermaßen erbarmungslos sexuelle Befriedigung verschaffte. Sie war das Produkt von einem Dutzend unerbittlich miteinander konkurrierender Büros, von gekonnter Nahkampftechnik, von gnadenlosen Intrigen. Ihr Herz war so kalt wie ein Stein auf dem Grund eines Gebirgssees …“ Und so geht das weiter – ZWEIEINHALB Seiten ohne Pause! MacDonald war zweifellos ein Schriftsteller, der mit Worten umzugehen wusste, aber hier schimmert mehr als nur ein wenig Besessenheit durch.

Schlimmer noch: Travis McGee ist nicht nur ein selbstgefälliger Snob – er ist ein übler Heuchler. Hier erläutert er Nina Gibson, wie er über die Frauen denkt: „Ich bin der Ansicht, dass sie Menschen sind. Und keine niedlichen Schmuckstücke. Ich glaube, die Ursünde besteht darin, dass Menschen einander Schmerz zufügen. Bei einer Frau zu landen, nur um des Erfolges willen, setzt einen Mann herab. Ich kann Frauen nicht achten, die keine Selbstachtung haben. McGees Glaubensgrundsatz. Deshalb bekomme ich auch keine Kreditkarte von Playboy. Ich bumse nicht mit den Bunnies.“ (S. 49).

Sind das nicht – die üblichen pathetischen Klugscheißereien lassen wir hier einmal unbeachtet – goldene, herzerfrischende Worte; besonders Jahrzehnte vor der Erfindung des Feminismus‘? Stellen wir ihnen folgenden Satz kommentarlos gegenüber: „Ich wollte wieder an Bord meiner ‚Busted Flush‘ sein …, auf meinem … Hausboot, das ich mit meiner bevorzugten Sorte reizender Mädchen bestücken konnte, mit den braun gebrannten, sorglosen, willigen Galeerensklavinnen mit salzigem Haar, sandigen Hintern, mit bierdosenöffnenden, angelnden, glücklich machenden Mädchen in ausgebleichten Stoffen und Sonnenstrahlen im Haar.“ (S. 7)

Wirr – nicht spannend

Meint MacDonald dies etwa ironisch? Wohl kaum, denn Humor oder gar Ironie sind ihm und Travis McGee absolut fremd. Stattdessen füllt sich Seite um Seite mit dröhnendem, plattem, ödem Prediger-Geschwätz und Geschwafel. Erst als sich MacDonald auf den letzten fünfzig Seiten plötzlich darauf besinnt, dass er ja eigentlichen einen Kriminalroman und keinen Bericht zur moralischen Lage der Nation schreibt, kommt die Handlung wieder in Gang.

Originell ist die Auflösung nicht, aber zeittypisch und von daher wenigstens interessant: einer dieser Sixties-Paranoia-LSD-Lobotomie-Mad-Scientist-Plots, die man auch in zahlreichen Kinofilmen dieser Zeit finden kann und die viel von der realen Furcht des gesunden, fleißigen, gottesfürchtigen Durchschnitts-Amerikaners vor Pot rauchenden Hippies, Kriegsdienstverweigerern, der freien Liebe, Rockmusik, vorlauten Journalisten, umstürzlerischen Kritikern oder oberschlauen Wissenschaftlern verrät.

Travis McGee hat dagegen sein Vaterland in Korea verteidigt! Er haut nur jene, die es wirklich verdienen! Und er wird nie müde den Frauen zu erklären, was sich ziemt! Damit hat er sich sein Leben auf der sonnigen Seite und den Neid seines zahlreichen amerikanischen Publikums, das offenbar genau davon träumt, wohl wirklich verdient. Hierzulande stellte sich dem denkenden Leser hingegen die Frage, ob das jetzt noch neunzehn Bände so weitergehen sollte. Noch ein weiterer Roman der Serie erschien, dann war Schluss mit Travis McGee, der gerade in neuer und ungekürzter Übersetzung wohl ein wenig zu zeitgenössisch war, um das moderne Publikum in den Bann zu ziehen.

Autor

John Dann MacDonald wurde am 24. Juli 1916 in Sharon, US-Staat Pennsylvania, geboren. Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Harvard University. MacDonalds beruflicher Werdegang wurde vom Militärdienst unterbrochen; den Zweiten Weltkrieg verbrachte er vor allem im Fernen Osten, wo er für den amerikanischen Geheimdienst OSS und dessen späteren Nachfolger CIA tätig war.

In diese Jahre fallen erste Schreibversuche. Nach seiner Heimkehr reihte sich MacDonald in das Heer professioneller, schlecht bezahlter Autoren ein, die Kurzgeschichten für die „Pulp Magazines“ schrieben. MacDonald war flexibel, er ‚konnte‘ Krimi, Science Fiction und Western. Als sich die Ära der Pulps dem Ende zuneigte, war MacDonald unter denen, die sich auf dem Taschenbuch-Markt etablieren konnte. Sein Romandebüt wurde 1950 der Thriller „The Brass Cupcake“ (dt. „Düstere Leidenschaften“/„Die leuchtenden Finger“). 1958 erschien „The Executioners“ (dt. „Ein Köder für die Bestie“/„Kap der Angst“), der mit großem Erfolg 1961 und 1991 verfilmt wurde.

1964 veröffentlichte MacDonald den ersten Roman um Travis McGee, einen vorgeblichen Nonkonformisten, der auf einem Boot lebt, gelegentlich Kriminalfälle übernimmt und ansonsten wortreich beschreibt, wie korrupte Politiker und Geschäftemacher das wahre Amerika zugrunde richten. 21 Travis McGee-Abenteuer gibt es, alle benannt nach einer Farbe bzw. einem Farbton des Regenbogens. Dazu kommen noch mindestens zwei McGee-Pastiches, die MacDonalds legendären Helden zur angeblichen Freude seiner Fangemeinde wieder aufleben ließen; der Leser mag angesichts von Autorennamen wie „Barth Wysong“ und „Reed Blizzard“ selbst entscheiden, ob dies wohl gelungen ist.

Ohne besondere Resonanz wurde 1970 der McGee-Roman „Darker than Amber“ mit Rod Taylor in der Titelrolle verfilmt (dt. „McGee, der Tiger“). John D. MacDonald starb am 28. Dezember 1986 an den Folgen einer Herzoperation in Milwaukee.

Taschenbuch: 206 Seiten
Originaltitel: Nightmare in Pink (Greenwich/Connecticutt : Fawcett Publications 1964)
Übersetzung: Joachim Dörr
http://www.rotbuch.de

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