Beowulf. Mit einem Essay von J.R.R. Tolkien

Von Rittern, Grendeln und Drachen

Ungeheuer, Drachen, Recken, Könige und schöne Frauen – was begehrt des Fantasyfreunds Herz mehr? Der „Beowulf“ ist eines der ersten Heldenepen aus der germanisch-nordischen Welt – und wohl eines berühmtesten Heldenepen Europas seit der Antike.

Nun sollte man meinen, dass sich diese Ausgabe auch hervorragend verkaufen müsste. Zumal auch noch ein Aufsatz zum Übersetzen des Beowulf von keinem Geringeren als Professor J.R.R. Tolkien angefügt ist. Feine Illustrationen runden den positiven Eindruck dieser Ausgabe ab.

Handlung

Grendel ist das Ungeheuer, das Nacht für Nacht die stolze Methalle Heorot des Dänenkönigs Hrothgar heimsucht und Männer futtert. Doch eines Tages landen ein Dutzend Gotenkrieger am Dänenstrande. Angeführt vom Recken machen sie Grendel den Garaus. Triumph, Jubel, Erleichterung!

Dumm nur, dass dessen Mutti den Sohnemann gar bitterlich vermisst. Die Monstermama taucht wenig später unerwartet auf und verschlingt den besten Freund und Ratgeber des Königs. Beowulf macht sich etwas beschämt auf die Socken und findet in den Bergen den See der Ungeheuer und Nixen, wohin sich das letzte Exemplar von Grendels Sorte verzogen hat.

Beowulf, einer der besten Schwimmer unter den Goten, taucht mit seinem Schwert in die Tiefe. In der Höhle des Ungeheuers findet ein aufregender zweikampf statt, bei dem der recke jedoch obsiegt. Nachdem ihn seine Freunde schon aufgegeben haben – so lange war unter Wasser verschwunden -, taucht er doch noch mit dem Kopf des Monsters auf. Zum Dank schenkt ihm die Königin einen edlen Halsschmuck.

In dem Kapitel namens „Beowulfs Tod“ folgt der Text dem Finnsburg-Fragment, das dem sonstigen Text fehlt. Hier sucht ein feuerspeiender Drache das Land der Goten heim. Ganz wie Smaug der Goldene lässt sich der Lindwurm auf dem Schatz nieder, den ein verzweifelter Gote in einer Höhle versteckt hat.

Beowulf ist mittlerweile schon 50 Jahre den Goten ein weiser König gewesen, und sein Land blüht, denn seine Feinde scheuen sein Schwert. Er weiß, dass nun seine Stunde geschlagen hat, als er sich dem Drachen zum Kampf stellt. Doch nur ein einziger Kämpfer hält zu ihm, während die anderen Fersengeld geben. Zusammen gelingt es, den Drachen zu töten, doch Beowulf hat eine tödliche Wunde davongetragen. Er macht den Recken zu seinem Nachlassverwalter und verscheidet. Die Ära des Friedens ist zu Ende.

Mein Eindruck

Oh Schreck! Schon nach den ersten 50 Zeilen greift man schon nach dem Wörterbuch, um herauszufinden, was denn um Himmels willen ein „Schwäher“ (= Schwager), ein „Oheim“ (= Onkel) oder ein „Steven“ (= Schiffsbug) sein mag. Das Rätsel dieser seltsamen Übersetzung durch Georg Paysen Petersen liegt darin, dass der Verlag nun der Ansicht Tolkiens folgt, dass der Übersetzer sowohl den hohen epischen Ton zu berücksichtigen habe als auch die bereits vom Beowulf-Verfasser intendierte veraltete Wortwahl. Das ist dem Übersetzer hundertprozentig gelungen. Sein Werk erschien bereits 1901, also zur Blütezeit des deutschtümelnden Nationalismus unter Willem Zwo. Seine Zeitgenossen hatten sicherlich noch das gesamte antiquierte Vokabular drauf, doch wir aus dem neuen Jahrtausend müssen da schon schlaue Wörterbücher zu Rate ziehen.

Das ist noch nicht alles! Wie man vielleicht aus dunklen Deutschstunden weiß, fuhren die ollen Germanen voll auf den Stabreim ab. Sie banden also Kind und Kegel, Land und Leute ständig zusammen, um die berühmt-berüchtigte Alliteration zustandezubringen, als wär’s das höchste der Gefühle. Nun dürfen Sie dreimal raten, wie der Übersetzer den Stabreim im Beowulf realisiert hat. Es mag zwar wie Prosa aussehen, aber es ist astreiner Stabreim. Hinzukommen die epischen Verse, die zu jeder Gelegenheit eingestreut werden.

Der Essay

Tolkien war die unbestrittene Oxforder Autorität in Sachen Altenglisch, Angelsächsisch und Isländisch. Mit Fug und Recht tritt er daher volkstümelnden und inakkuraten Übersetzungen des „Beowulf“ entgegen, übersetzte ihn aber selbst nicht in einem Buch – das tat er wahrscheinlich täglich am College. Seine haltung, wie oben angedeutet, recht konservativ und versucht so den Absichten des Beowulf-Autors und dessen Stand, den Skalden, gerecht zu werden. Zudem erfährt der Leser einiges Wissenswerte über poetische Ausdrücke wie die ‚kenningar‘ des Isländischen.- Den Essay-Teil über das Versmaß hat der Verlags weggelassen. Das wäre wohl zuviel des Guten gewesen.

Unterm Strich

Der „Beowulf“ ist sicherlich großartige Fantasy, doch der Weg zum Genuss des Epos ist gewiss nicht einfach. Diese neue Beowulf-Ausgabe ist sicherlich von literaturhistorischem Wert und mag auch den einen oder anderen Tolkienfreund ansprechen. Doch im Jahr, da die Verfilmung des „Herrn der Ringe“ ins Kino kommt und alle Marketingmanager auf Weihnachten schielen, scheint mir der „Beowulf“ kein Beitrag zu sein, den man leicht allen Tolkienfans in die Hand drücken kann.

Und auch wenn Tolkien draufsteht, so ist doch ein Tolkien drin, der nicht der Erzähler, sondern der Sprachprofessor ist. Gut beraten ist mit dessen Essay also, wer Altenglisch oder zumindest Mediävistik studiert hat. Der Essay stammt von 1940 und erschien zuerst 1987 auf Deutsch in dem Band „Die Ungeheuer und ihre Kritiker“.

Sieht so auch, als hätte hier ein Lektor den Spagat versucht: zwischen Tolkien-Fandom, antikem Heldenepos und moderner Sprachwissenschaft. Dieses Buch muss seine Leserschaft erst noch erobern, wenn es sie überhaupt findet. Dafür spricht auch der stattliche Preis, der für einen so schmalen Band (142 Seiten) sehr hoch erscheint. Aber dafür bekommt man die Illustration exklusiv.

Ich selbst empfand die Lektüre des Epos als relativ ungetrübte Freude. Das liegt daran, dass ich sowohl Altanglist, Mediävist als auch Tolkienfan bin, also Vertreter einer raren Spezies.

Gebunden: 143 Seiten.
O-Titel: Beowulf.The Monsters and Their Critics.
Aus dem Englischen von Wolfgang Krege (Tolkien) und Georg Paysen Petersen.
ISBN-13: 978-3608932331

www.klett-cotta.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)