John D. MacDonald – Abschied in Dunkelblau [Travis McGee 1]

Bootseigner Travis McGee fahndet für eine betrogene Frau nach dem gestohlenen Familienerbe. Er gerät an einen mörderischen Heiratsschwindler, der es gar nicht schätzt, dass ihm jemand die Tour vermasselt, und soll auf dem Grund des Ozeans enden … – Der erste Band einer insgesamt 21-bändige Serie ist ein solide geplotteter Thriller und einem reizvoll angeknacksten Helden, der eigentlich ein Ritter und stets bereit ist, schönen Frauen zu helfen; leider neigt McGee zum Philosophieren, und was einst beinahe Literaturqualität erreichte, klingt heute platt und peinlich: ein zwiespältiges, immerhin endlich ungekürztes Vergnügen.

Das geschieht:

Travis McGee, Freigeist und Lebenskünstler, ist meist auf seinem Hausboot „Busted Flush“ im Hafen von Lauderdale an der Küste Floridas anzutreffen. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich damit, Dinge zurück zu holen, die seine Klienten ‚verloren‘ haben. Aktuell ist es ein Säckchen voller Diamanten – Früchte einer erfolgreichen Schmugglerlaufbahn -, die Sergeant David Berry reich gemacht, aber letztlich kein Glück gebracht haben. Nachdem er einen Offizier erschlug, bekam Berry vor Gericht lebenslänglich, doch zuvor gelang es ihm, die Juwelen auf dem Gundstück seiner ahnungslosen Familie zu verstecken.

Berry starb als Häftling, doch kurz vor seinem Tod weihte er seinem letzten Zellengenossen Ambrose „Junior“ Allen in dieses Geheimnis ein. Aus der Haft entlassen, machte sich Allen an Berrys Tochter Catherine heran. Gerissen und brutal, aber ein genialer Manipulator, zog er die Frau gewaltsam in seinen Bann, bis er Daddys Schatz gefunden hatte und umgehend verschwunden war.

Nun ist er zurück, hat sich ein teures Boot gekauft und wirft mit Geld um sich. Catherine, die mit leeren Händen und einem kleinen Kind dasteht und sich ihren Lebensunterhalt als Tänzerin verdienen muss, will ihren Anteil davon. Zur Polizei kann sie verständlicherweise nicht gehen. Travis McGee sagt zu, sich ihrer Sache anzunehmen. Er nimmt Allens Spur auf, der seine Spielchen inzwischen mit der vermögenden Lois Atkinson getrieben hat, was diese an den Rand des Wahnsinns brachte. McGee nimmt sie auf und pflegt sie gesund.

Als er Allen schließlich findet, ist dieser dabei, sich ein neues weibliches Opfer zu suchen. McGee stellt Allen eine Falle; er täuscht einen Einbruch auf dessen Schiff vor, wo er die geraubten Diamanten vermutet, und beobachtet den Dieb, als dieser zurückkehrt, erschrocken nach dem Rest der Beute sieht und dabei das eigentliche Versteck offenbart. Als McGee später die Juwelen an sich nehmen will, wird er von Allen gestellt, übel zusammengeschlagen und entführt, doch der Detektiv kann und wird sich wehren …

Mann mit simplen aber ehernen Regeln

„Wenn X etwas Wertvolles hat und Y daherkommt und es ihm wegnimmt, und wenn es überhaupt keine Möglichkeit auf dieser Welt gibt, wie X das wieder zurückkriegen kann, dann kommst du ins Spiel und handelst mit X aus, daß du es zurückholst und die Hälfte davon behältst. Und dann … lebst du einfach von dieser Hälfte, bis sie fast weg ist.“ Mit diesen einfachen, aber treffenden Worten beschreibt Chook McCall ihren Freund Travis McGee, die letzte Hoffnung für jene, die sich nicht auf die Hilfe des Gesetzes verlassen können, wenn ihnen etwas abhandengekommen ist.

McGee, der sich selbst als „großen, braungebrannten, schlaksigen Bootsnarren, blaßäugigen, drahthaarigen Mädchenaufreißer, Jäger kleiner Raubfische, Strandläufer, Gintrinker, Witzereißer, Atheist, knöcherigen, narbenüberzogenen Außenseiter und Dorn im Fleisch jeder ordentlichen Gesellschaft“ bezeichnet, liebt sein freies Leben im warmen Florida, sein schmuckes Hausboot, das er beim Pokern gewonnen hat, und seinen zum Pick-up umgebauten Rolls Royce-Oldtimer.

Freilich ist er nicht so oberflächlich oder abgebrüht, wie er sich selbst gern gibt. Tatsächlich ist Travis McGee sogar ein später Nachfahre der mittelalterlichen Ritter und zieht öfter, als er zugeben mag, der Gerechtigkeit willen in den Kampf, der ihm außer der Ehre höchstens einige Beulen und Wunden einbringt. Aber das ist ihm gleichgültig, denn für Travis McGee zählt, dass er sich selbst stets im Spiegel anschauen kann. Freilich achtet er sorgfältig darauf, diese Seite verborgen zu halten, denn die Welt ist schlecht und nicht freundlich zu den Schwachen, das hat ihn die eigene Vergangenheit (die in diesem ersten Band der Serie nur angesprochen und erst im weiteren Verlauf der Serie ausgeführt wird) gelehrt.

Leser-Vorbild im Rahmen des Schicklichen

Travis McGee genießt in den USA absoluten Kultstatus. Außer dem notorischen Honorar-Lobhudler Stephen King nennen ihn und seinen geistigen Vater John D. MacDonald (1916-1987) zahlreiche namhafte Schriftsteller-Kollegen als Vorbild und Quelle der Inspiration. Auflagen in Millionenhöhen belegen, dass ein großes Publikum ihre Bewunderung teilt. Durch einen Ozean und fast viele Jahrzehnte von Travis McGee getrennt, fällt es ein schwer, dies nachzuvollziehen.

Nüchtern betrachtet stellen die McGee-Bücher grundsolide konstruierte und erzählte Kriminalromane dar, die indes nicht unbedingt aus der Flut ähnlicher Thriller emporragen. Das war 1964, als Travis McGee auf der Bildfläche erschien, anders. Ein Mann mit Grundsätzen, der das Leben zu genießen weiß, ohne sich an der allgemeinen Jagd nach dem schnellen Dollar zu beteiligen oder sich den üblichen gesellschaftlichen Normen, die wohl jedermann manchmal als bedrückende Fesseln begreift, zu unterwerfen: Für den Durchschnitts-Amerikaner muss dieses Profil wohl unwiderstehlich gewesen sein.

Inzwischen hat Travis McGee so viele männliche und weibliche Nachfahren bekommen, dass er aus heutiger Sicht nichts Besonderes mehr darstellt. Nostalgie tritt an die Stelle von Verehrung, und das ist auch gut so, denn bei näherer Betrachtung erweist sich John MacDonalds scheinbar so unkonventioneller Held als ziemlich konservativer Charakter. „Wir leben in den Jahren des ‚Playboy‘ … Angeblich soll es von anbetungswürdig amoralischen Häschen … nur so wimmeln … Und sie sind tatsächlich in mehr als ausreichenden Mengen vorhanden und verfügbar, aber es haftet ihnen eine sonderbare Reizlosigkeit an. Frauen, die sich nicht in acht nehmen und nichts auf sich halten, können auch für niemand anderen von großem Nutzen sein. Sie werden zu kleinen, hübschen Annehmlichkeiten – wie etwa Gästehandtücher.“

Freidenker mit Hang zu konservativen Ansichten

(Binsen-) Weisheiten wie diese finden sich reichlich, denn Travis McGee ist definitiv weder ein Kind der James-Bond-Sixties, noch ein Vorbote der Flower-Power-Ära, sondern ein Moralist und manchmal sogar ein moralinsaurer Spießer, der trotz hehrer Grundsätze nichts dabei findet, eines jener „Häschen“ ins Bett zu locken, wenn der böse Trieb ihn martert, um sich anschließend voller Selbstekel für solche Schwäche zu geißeln, bevor er sich wieder in den reinen Minnekampf stürzt für jene Frauen, die es wert sind.

Mit Vorsicht zu genießen sind auch McGees/MacDonalds sonstige Kommentare zum Leben im Allgemeinen und im Speziellen, denn auf einen gelungenen, weil originellen Aperçu kommen zuverlässig mindestens vier missglückte, weil sentimental-kitschige oder altmodisch-belehrende Plattitüden: John D. MacDonald ist nicht Raymond Chandler oder Dashiell Hammett und mit ihrem Talent zum staubtrockenen Einzeiler gesegnet.

In Deutschland erschienen die McGee-Romane in der für Krimis hierzulande üblichen rüden ‚Bearbeitung‘. Bis in die frühen 1980iger Jahre war es üblich, ‚triviale‘ Literatur in vorgegebene Formate (meist 128, 144, 160 Seiten) zu pressen. Wenn die Originaltexte zu lang waren, wurden eben gekürzt. Unter den Tisch fielen dabei in der Regel die ‚ruhigen‘ Szenen, in denen nicht verfolgt, geschossen oder (in Maßen) geliebt wurde, zumal diese den dummen deutschen Leser – wäre er klüger, würde er doch sicher zu ‚richtiger‘, d. h. erbaulicher und bildender Literatur greifen? – ohnehin nur verwirrten.

Missglückte Wiederkehr

Ende 20. Jahrhunderts machte der Rotbuch daran, den ‚echten‘, d. h. ungekürzten Travis McGee dem deutschen Publikum vorzustellen. Die Resonanz hielt sich in Grenzen, das Projekt kam über drei Bände nicht hinaus. Der offenkundig doch nicht so tumbe Leser hatte offenbar rasch erkannt, dass ihn hier keine echte (Wieder-) Entdeckung erwartete.

Trotz dieser Einschränkungen, die auch auf zeitgenössische Moralvorstellungen zurückgehen, bereitet die Lektüre außerhalb der pseudo-philosophischen Ergüsse durchaus Vergnügen. Travis McGee mag heute eine anachronistische (und milde lächerliche) Figur aus einer längst versunkenen Epoche sein, aber die Geschichte, in die ihn sein Schöpfer verwickelt, funktioniert. Sie wird flott und flüssig erzählt und kommt nach kaum mehr als 200 Seiten zu einem überzeugenden Ende – und das ist die schmerzlich vermisste Handwerkskunst einer goldenen Vergangenheit, in der ein Krimi nicht über 400, 500 oder mehr Seiten ausgewalzt werden musste!

Autor

John Dann MacDonald wurde am 24. Juli 1916 in Sharon, US-Staat Pennsylvania, geboren. Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Harvard University. MacDonalds beruflicher Werdegang wurde vom Militärdienst unterbrochen; den Zweiten Weltkrieg verbrachte er vor allem im Fernen Osten, wo er für den amerikanischen Geheimdienst OSS und dessen späteren Nachfolger CIA tätig war.

In diese Jahre fallen erste Schreibversuche. Nach seiner Heimkehr reihte sich MacDonald in das Heer professioneller, schlecht bezahlter Autoren ein, die Kurzgeschichten für die „Pulp Magazines“ schrieben. MacDonald war flexibel, er ‚konnte‘ Krimi, Science Fiction und Western. Als sich die Ära der Pulps dem Ende zuneigte, war MacDonald unter denen, die sich auf dem Taschenbuch-Markt etablieren konnte. Sein Romandebüt wurde 1950 der Thriller „The Brass Cupcake“ (dt. „Düstere Leidenschaften“/„Die leuchtenden Finger“). 1958 erschien „The Executioners“ (dt. „Ein Köder für die Bestie“/„Kap der Angst“), der mit großem Erfolg 1961 und 1991 verfilmt wurde.

1964 veröffentlichte MacDonald den ersten Roman um Travis McGee, einen vorgeblichen Nonkonformisten, der auf einem Boot lebt, gelegentlich Kriminalfälle übernimmt und ansonsten wortreich beschreibt, wie korrupte Politiker und Geschäftemacher das wahre Amerika zugrunde richten. 21 Travis McGee-Abenteuer gibt es, alle benannt nach einer Farbe bzw. einem Farbton des Regenbogens. Dazu kommen noch mindestens zwei McGee-Pastiches, die MacDonalds legendären Helden zur angeblichen Freude seiner Fangemeinde wieder aufleben ließen; der Leser mag angesichts von Autorennamen wie „Barth Wysong“ und „Reed Blizzard“ selbst entscheiden, ob dies wohl gelungen ist.

Ohne besondere Resonanz wurde 1970 der McGee-Roman „Darker than Amber“ mit Rod Taylor in der Titelrolle verfilmt (dt. „McGee, der Tiger“). John D. MacDonald starb am 28. Dezember 1986 an den Folgen einer Herzoperation in Milwaukee.

Taschenbuch: 214 Seiten
Originaltitel: The Deep Blue Good-By (Greenwich/Connecticutt : Fawcett Publications 1964)
Übersetzung: Joachim Dürr
http://www.rotbuch.de

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