Dave Barry – Die Achse des Blöden. Eine politische Evolutionstheorie der USA

US-Politik als Entertainment

Kaum zu glauben, aber nach Umfragen seriöser Meinungsforschungsinstitute halten mehr als 54 % aller Amerikaner die United States Constitution für ein (erfolgloses) Eishockey-Team. Mit anderen Worten: Kaum ein Amerikaner hat seine Verfassung je gelesen. Obwohl sie ihm doch u. a. das Recht einräumt, unwichtige Post ungeöffnet wegzuschmeißen. Dave Barry dagegen kennt die Verfassung. Und er weiß auch, was es mit der amerikanischen Politik insgesamt auf sich hat: Worum ging es bei der Boston Tea Party wirklich? Was ist der Unterschied zwischen einem Chief Secretary und einem Chief Chief Secretary? Wie wird man Präsident? Und was bestimmt die Geschicke der amerikanischen Nation wirklich? (Verlagsinfo)

Der Autor

Verlagsinfo: Dave Barry, Pulitzer-Preisträger und in den USA einer der bekanntesten Zeitungs-Kolumnisten [beim „Miami Herald“] und Satiriker, hat zahlreiche völlig unsachliche Sachbücher veröffentlicht. „Die Achse des Blöden“, erschienen im |Eichborn|-Verlag, stand im Sommer 2003 mehrere Wochen lang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.“ (Komisch, habe nichts davon bemerkt.)

Der ebenfalls bei |Bastei-Lübbe| veröffentlichte Roman „Jede Menge Ärger “ („Big Trouble“) wurde von Barry Sonnenfeld, dem wir solche „Meisterwerke“ wie „Men in Black“ verdanken, verfilmt.

Inhalte

Eigentlich geht es nur um ein einziges Thema: das politische System der Vereinigten Staaten. Dessen wilde Auswüchse waren kürzlich im TV zu besichtigen, mal mehr, mal weniger komisch. Dabei macht sich der Autor anheischig, eine „politische Evolutionstheorie der USA“ aufzustellen. Nun denn, es gibt vermutlich schlechteren Zeitvertreib.

Das Titelbild ist bereits Programm: Die Köpfe der Präsidenten am Mount Rushmore sind die Konterfeis von Ronald Reagan, George Bush, George W. Bush und, äh, ja, doch, Mickey Mouse. George W. schaut zu seinem Daddy hoch. Aber anscheinend hat er diesmal alles richtig gemacht: Er wurde verewigt. Die Frage ist noch, ob die Einbeziehung von Mickey Mouse die restlichen Präsidenten ehrt – oder verspottet.

Was wäre für eine „politischen Evolutionstheorie“ besser als Anfang geeignet als der Anfang? Der Anfang der Evolution ebenso wie der Anfang der Politik. Denn noch heute fragen sich gewisse Leute, wozu man überhaupt Regierungen erfunden hat, wenn sie doch bloß Unsummen an Steuergeldern verschlingen, es mit der Wirtschaft aber trotzdem bergab geht. (Gute Frage, nächste Frage.) Barrys Antwort lautet – um mehrere Ecken herum interpretiert – so: „Um uns vor den wilden Zucchini zu schützen!“

Wildgewordene Zucchini sind in der Tat eine permanente Bedrohung, nicht nur der westlichen Demokratie, der Freiheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit, sondern des gesamten menschlichen Lebens. Ist das vorstellbar? Nein, allein schon der Gedanke tut weh, und deshalb kommen Zucchini bei Barry als „running gag“ nur in Bildform vor, aber das ständig (bei Nichtgefallen bitte die Augen verbinden).

Nun ist klar, dass jede Regierung ein geringeres Übel als wildgewordene Zucchini darstellt. Man kann also beruhigt über Regierungsformen reden, in Sonderheit natürlich über die US-amerikanische. Im zweiten Kapitel geht es dann schon ums Eingemachte (nicht was ihr denkt!): die Gründung der USA zwecks Verwaltung der Jungkühe. Ähnlich erhellend ist auch die „Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten“ in der unvergleichlichen Prosa eines gewissen Francis „Scott“ Key, der alle Ideale aufzählt, auf die diese stolze Nation gegründet ist:

„Während es uns, dem Volke, im Jammertal des menschlichen Daseins nicht geziemt zu fragen: ‚Was tut dieses Scheißland eigentlich für mich?‘, sondern ganz im Gegenteil, obzwar wir nichts zu fürchten haben als die Furcht selbst, auf dass die Regierung des Volkes, vom Volke und für das Volk, möge eine einig Nation sein, vor Gott, der da wohnt im Himmel, da auch wir vergeben den Unbefugten, und schwören, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, bis dass der Tod uns scheide, auf Lebenszeit oder nach 75 000 Meilen, je nachdem welcher Schadensfall zuerst eintritt, Amen.“ (S. 42)

Im Folgenden musste natürlich nicht nur die Unabhängigkeit in zwei Kriegen gegen die bösen, bösen Briten erkämpft werden, sondern es war auch eine Nation zu gründen und eine – jawohl, ihr habt es erraten! – Regierung mitsamt komplettem System gebildet werden. Leider ist der „ideelle Gesamtentwurf“ dafür nur unter dem Titel „Moby Dick“ bekannt, weshalb die meisten davon nur die Filmversionen kennen. „Wie erst kürzlich durch eine Gallup-Umfrage herauskam, kennen nur die allerwenigsten der Amerikaner das, was als die ‚Konstitution‘ bezeichnet wird, also die Verfassung. Die meisten haben sie nie gelesen, und 54 % der Befragten meinten, es könne sich um ein Hockeyteam handeln.“ (S. 44)

Doch in genau dieser Konstitution steht Grundlegendes für den Fortbestand der Regierung, so etwa in Abschnitt 7 des Artikels II: „Der Präsident wird Praktikanten beschäftigen, für den Fall, dass er mal eine Pizza oder dergleichen braucht.“ Die bekannteste dieser Praktikantinnen ist unter dem Namen ‚Monica Lewinsky‘ bekannt geworden. Wie gesagt, geht es um grundlegende Bedürfnisse. Artikel VI ist daher der Gigantischen Zucchini gewidmet.

In Kapitel 3 (keine Angst, es sind nur 7,5, wegen 7a und 7b) beschäftigt sich der Autor mit dem Widerspruch, der sich stets aus Regierungen ergibt: Wenn doch die Landbevölkerung im Zuge der Verstädterung seit 1800 stetig abgenommen hat, wieso ist dann das Budget des Landwirtschaftsministeriums stetig gewachsen? Bis zur heutigen astronomischen Summe von 50 Milliarden Dollar!? Das Bildungsministerium gibt mit 40 Milliarden nur unwesentlich weniger Geld aus, doch bekanntermaßen ist der Bildungsstandard seit seiner Gründung nicht gerade in den Himmel geschossen. Eher das Gegenteil. (Merke: Die Dummheit der Amerikaner lässt sich in der Menge ihrer Tattoos pro Nase messen. Lassen sich deshalb so viele Briten ihre Tattoos entfernen?) Ähnliches ließe sich für das Verteidigungsministerium sagen, und zwar selbst dann, wenn gerade kein lukrativer Krieg geführt wird.

Der Grund für die ständig steigenden Staatsausgaben sind Barry zufolge die „Bedürfnisse des Volkes“. Oh ja, diese sehen nämlich so aus, dass mächtige Lobbyisten in den Heimatstaaten der Volksvertreter dafür sorgen, dass die Staatsausgaben – sagen wir, für einen Flugzeugträger – dort landen, wo man sie braucht: in den Heimatstaaten, wo das Schiff bzw. seine Bauteile gebaut werden soll. Und solche Lobbys gibt es für alles und jedes, sogar für Zahnseide.

Kapitel 4 beinhaltet einen „Rundgang durch Washington, D.C.“, und seine „wunderbare Welt der Gänge und Korridore“. So wie Mekka und die Ka’aba das obligatorische Reiseziel im Leben eines Muslimen sind, so sollte auch jeder rechtschaffene Ami einmal die Mall, das Kapitol, das Weiße Haus und die Sicherheitscodes für die Atomraketen im Pentagon gesehen haben. Letztere bekommt man als Kopie in die Hand gedrückt. Ein kleines Souvenir.

„Muppets in Maßanzügen“ gibt es im 5. Kapitel zu besichtigen, wenn es um die Wahl des Präsidenten geht. Dabei wird anhand des Beispiels des demokratischen Senators Gary Hart (1984, Colorado) deutlich, dass es nicht um so etwas Nebulöses wie politische „Positionen“ geht. Nein, der Mann muss einfach nur gut aussehen – wie ein Muppet etwa. Doch obwohl Hart supergut aussah, machte nicht er das Rennen, sondern schon wieder Reagan, weiß der Geier, wieso. „Er wirkte einfach wie ein netter Typ“ (S. 118). Genau wie Clinton. Zu Anfang.

„Wenn wir keinen Erfolg haben, riskieren wir einen Misserfolg.“ Diese unsterblichen Worte von George „dem ersten“ Bushs Vizepräsidenten Quayle erinnern an gewisse Fussballspieler in Deutschland, die „nicht nur keinen Erfalg haben, sondern nun auch noch Pech“. Das sind niederschmetternde Erkenntnisse von größter Tragweite, die leider unter der Informationsflut, die die Lewinsky-Affäre lostrat, hoffnungslos untergingen. „Die Bush-Quayle-Administration war ein einziges Schlaraffenland für uns Humoristen“, gesteht der Autor. „Dennoch übertraf keiner der Clowns im Weißen Haus den Lachfaktor, den uns die acht himmlischen Jahre der Clinton-Administration bescherten.“

Ein paar praktische Vorschläge für bessere Wahlkämpfe:

1. Um den verlogenen Wahlkämpfern mehr „Ehrlichkeit zu injizieren“, verabreiche man ihnen Wahrheitsserum (= Natriumpentothal, äh, oder Natriumpentathol – die Übersetzung ist sich da selbst nicht so ganz einig; S. 127-32);

2. Die Kandidaten sollen Sponsorenlogos tragen, wie jeder Formel-1-Rennfahrer;

3. Die TV-Debatte der Kandidaten muss interessanter werden: „Eine sichere Methode, die Einschaltquote dafür zu erhöhen, wäre die Einrichtung einer kostenlosen Telefonnummer, mit der man seinen Favoriten wählt und der Verlierer vor laufender Kamera eliminiert wird.“ (S. 133)

In den letzten drei Kapiteln können wir anhand witziger Beispiele verfolgen, wie ein Wahlkampf abläuft und der Präsident „gemacht“ wird. Der Kandidat könnte beispielsweise versprechen, den Spaniern das ihnen abgekaufte Florida wieder zurückzugeben, oder Louisiana den Franzosen, oder Alaska den Russen (alles ehrlich bezahlte Territorien!).

Es kommt nicht von ungefähr, dass der Autor sich auf Florida, den Sunshine State, konzentriert: Erstens kennt er sich hier aus, weil er für den „Miami Herald“ schreibt, und zweitens wurde hier die Wahl 2000 entschieden. Theoretisch. Praktisch wurde sie vor Gericht entschieden. Macht aber nix. Die Witze sind trotzdem gut. Besonders die, in denen keine Riesenzucchini vorkommen.

Mein Eindruck

Die Riesenzucchini. In einem deutschen Satirebuch hätten sie nichts zu suchen. In einem amerikanischen Satirebuch wie diesem dienen sie als Feigenblatt, nach dem Motto: Seht her, der Hofnarr, er faselt von Riesenzucchini. Also kann seine Kritik ja nicht so ernst gemeint sein, oder?

Wer aber genauer hinsieht, und all die sprachlichen Faxen, Hampeleien und irrwitzigen Vorschläge beiseite schiebt oder durchschaut, findet allerdings eine ziemlich geharnischte Kritik des politischen Systems der USA. Man kann sich darüber streiten, ob es sich überhaupt um ein System handelt und nicht etwa um reine Vetternwirtschaft, die durch eine Oligarchie zementiert wurde. Aber immerhin gibt es noch Gesetze, auf die sich der Bürger berufen kann (auch wenn nach dem Patriot Act die Freiheit, sich auf irgendetwas zu berufen, beträchtlich eingeschränkt wurde – besonders der Kreis derjenigen, die sich berufen dürfen).

Natürlich darf der Vergleich mit Michael Moores „Stupid white men“ nicht fehlen. Und der Vergleich fällt für Barry wenig schmeichelhaft aus. Er erteilt nur wenig Informationen darüber, um welche Summen und Größenordnungen (Riesenzucchini!) es geht, noch irgendwelche Ratschläge, es sei denn, er entwertet sie gleich wieder (durch die Erwähnung von Riesenzucchini).

Am besten gefielen mir diejenigen Abschnitte, in denen Barry am ernstesten ist. So etwa bei der Schilderung der Lobbytätigkeit für einen neuen, völlig unnötigen Flugzeugträger. Da dieses Buch offensichtlich vor dem 11. September geschrieben wurde, durfte Barry seine Kritik auch ohne weiteres anbringen. Danach hätte man ihm wohl vorgeworfen, die Sicherheitsinteressen der Nation im „War against Terror“ zu untergraben. Hier in Europa sehen wir das bekanntlich nicht so eng, und so wurde sein Buch denn auch 2003 im |Eichborn|-Verlag verlegt. Michael Moore hatte schon gute Vorarbeit geleistet.

Auch die drei letzten Kapitel, die um die Wahlvorgänge in Miami und Florida kreisen, sind recht lebendig geschildert: Hier kennt sich der Autor aus und plaudert ab und zu mal aus dem Nähkästchen. Das sind durchaus absurd klingende Anekdoten, die er da kolportiert. Eine nähere Erläuterung würde hier aber zu weit führen.

Die Übersetzung

Nur an einer Stelle kam ich etwas ins Schleudern, als ich mich auf Seite 158 fragte, was denn in Florida unter einem „Hirtenhund“ zu verstehen sei. Bekanntlich sind diese Tiere vor allem in ländlichen Gebieten des hohen Nordens anzutreffen. Dann kam mir die Erleuchtung: Es handelt sich um die allzu wörtliche Übersetzung der englischen Entsprechung für „Deutscher Schäferhund“. Und diese lieben Tierchen sind bekanntlich immer und überall anzutreffen.

Es gibt noch weitere Beispiele dafür, dass die Übersetzerin Edith Beleites manchmal haarscharf daneben schießt. Der O-Titel wenigstens, der uns Deutschen völlig witzlos erscheinen würde, wurde angemessen ersetzt. „Achse des Blöden“ ist eine – hoffentlich witzige – Verballhornung der berühmten „Achse des Bösen“, die des Öfteren von Reagan und den Bushs proklamiert wurde. Ein weiteres Schreckgespenst, mit dem sie die Ängste und Ausgabenfreudigkeit der Bevölkerung in die gewünschte Richtung steuern konnten.

Unterm Strich

Dave Barry erklärt die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika sowie deren politischen Systems, als wäre das alles eine nette, aber völlig aus dem Ruder gelaufene Abenteuerreise. Ich fühlte mich stellenweise in den Zeichentrickfilm à la „South Park“ zurückversetzt, den Michael Moore in der Mitte seines genialen Dokufilms „Bowling for Columbine“ platziert hat. Und genau wie dieser erhebt er auch keinerlei Anspruch auf – politische oder sonstige – Korrektheit. Wie der O-Titel „Dave Barry Hits Below the Beltway“ schon besagt, zielt der Autor (angeblich) unter die Gürtellinie. (Der „Beltway“ ist Washingtons Ringautobahn.)

Alles in allem finde ich Barrys Buch viel zu harmlos, um es mit Michael Moores „Stupid White Men“ aufnehmen zu können. Durch die Erwähnung der notorischen Riesenzucchini verniedlicht Barry seine durchaus harte Kritik am System selbst. Eine „politische Evolutionstheorie“ konnte ich nicht entdecken, jedenfalls keine ernstzunehmende. Barry, der Hofnarr? Leider ja, denn zum Till Eulenspiegel reicht es keineswegs.

O-Titel: Dave Barry Hits Below the Beltway
218 Seiten
ISBN-13: 978-3404605422

https://www.luebbe.de