Jussi Adler-Olsen – Erwartung. Der Marco-Effekt (Sonderdezernat Q, 5. Fall)

Showdown in Christiania

Der 15-jährige Marco ist Mitglied eines Clans, an dessen Spitze sein Onkel, der eiskalte, zynische Zola, steht. Zola verdient ein Vermögen damit, die Mitglieder seines Clans in die Kriminalität zu zwingen. Marco ist klug, fleißig, und er verabscheut sein Leben, das aus Bettelei, Taschendiebstahl und Einbruch besteht. Und er verabscheut seinen Onkel, der in der Kopenhagener Unterwelt ein mächtiges Middleware unterhält.

Als Marco eines Tages entdeckt, dass die Familie ihn zum Krüppel machen will, bleibt ihm als einziger Ausweg die Flucht. Dabei stößt er im Wald auf eine Männerleiche und wird hineingezogen in ein Verbrechen ungeheuren Ausmaßes…

Die Suche nach dem Mörder führt Carl, Assad, Rose und Gordon, den Neuen im Sonderdezernat Q, mitten hinein in einen Fall, in dem es um Korruption und schwere Verbrechen auf Regierungsebene geht und der sich bis nach Afrika ausdehnt… (Verlagsinfo)

Der Autor

Jussi Adler-Olsen wurde am 2. August 1950 unter dem bürgerlichen Namen Carl Valdemar Jussi Henry Adler-Olsen in Kopenhagen geboren. Er studierte Medizin, Soziologie, Politische Geschichte und Film und arbeitete anschließend in den verschiedensten Berufen. 1995 begann er mit dem Schreiben und landete bereits mit seinen ersten Büchern unter anderem in Schweden, Spanien und Südamerika auf den Bestsellerlisten, mit der Serie um das Sonderdezernat Q erlangte er seinen internationalen Durchbruch. Seine Bücher wurden in über 40 Länder verkauft.

In Deutschland kam Jussi Adler-Olsen mit dem ersten Fall für Carl Mørck, >ErbarmenFlaskepost fra PErlösungErbarmen< auf Platz 2 der besten Kriminalromane des Jahres 2010 aus aller Welt.

Die Romane von Jussi Adler-Olsen

Sonderdezernat Q

1) Erbarmen. Die Frau im Bunker
2) Schändung: Die Fasanentöter
3) Erlösung: Flaschenpost von P
4) Verachtung: Akte 64
5) Erwartung: Der Marco-Effekt
6) Verheißung
7) Selfies
8) Opfer 2117 (kommt im Oktober 2019)

Andere:

1) Das Alphabethaus
2) Das Washington-Dekret
3) Takeover
4) Miese kleine Morde

Handlung

Carl Mørck ist im Frühjahr 2011 aus Rotterdam zurückgekehrt, um einer Bande von Kriminellen auf die Spur zu kommen, die ihre Gegner mit Dampfnagler erledigt. Solch ein Dampfnaglergeschoss hätte um ein Haar auch ihn erwischt, als (im ersten Band) seinerzeit in Amager mit zwei Kollegen in eine Falle geriet. Einen Kollegen tötete der Angreifer sofort, und Hardy, der auf Carl fiel und ihn deckte, ist heute vom Hals abwärts gelähmt – und wird in Carls Wohnzimmer von einem Schwulenpärchen gepflegt.

Veränderungen

Carl, der alles andere als schwul ist, hat in Rotterdam für seine Angebetete Mona Ibsen einen Diamantring gekauft. Den will er ihr demnächst verehren, obwohl er selbst noch mit Vigga verheiratet ist. Die beiden Schwulen entdecken das Samtsäckchen natürlich sofort. In letzter Sekunde kann er es ihren neugierigen Fingern entreißen. Es war eh ein beschissener Tag, seitdem Marcus Jacobsen, sein Vorgesetzter und Chef der Mordkommission, preisgab, das er noch diesen Freitag in Pension gehe werde – bevor die Regierung auch hier die Axt anlegen würde. Einen Nachfolger hat er auch schon: Lars Björne, der extra deshalb aus Afghanistan zurückgerufen wurde.

Trostpflaster

Zum Abschied hat Jacobsen Carl einen Auftrag gegeben. Ein scheinbar simpler Fall von Brandstiftung auf einem Hausboot in Kopenhagen, wobei eine Frau namens Minna Viklund in den Flammen umkam, bevor das Boot sank. Das Hausboot gehört Sverre Anweiler, einem schwedisch-russischen Kriminellen, der zeitweilig untergetaucht war und jetzt von einer Videokamera erfasst worden ist. neben ihm ist eine hochgewachsene Frau zu sehen. Wer könnte sie sein?

Carl macht sich mit Rose auf Spurensuche und führt eine Hausbefragung in jenem bürgerlichen Viertel durch, wo die Videoaufnahme entstand. Dabei zeigt sich, dass manche Wohnungen geteilt und getauscht wurden. Schließlich werden sie fündig, doch nur eine resolute Putzfrau öffnet ihnen. Als Rose beginnt, Carl als ihren „Assistenten“ zu titulieren, platzt ihm die Hutschnur. Dass sie schizophren ist (siehe Band 3) und aussieht wie ein Punk, reicht ihm eh schon. Er glaubt nicht, dass sie mit ihren eigenen Methoden erfolgreich sein wird. Da irrt er sich gewaltig.

Marco

Marco ist aus einer Gang von Kleinkriminellen geflohen, denn die wollten aus ihm einen Krüppel machen. Dann würde seine Einnahmen als Bettler steigen, hofft der Clanchef Zola. Doch seit Zola alle Verwandtschaftsbeziehungen aufgekündigt und sich quasi zum Gott erhoben hat, verabscheut Marco ihn. Weil er weiß, dass sein Leben verwirkt ist, versteckt er sich im Wald in einem Erdloch, in dem er sich mit Tannenzweigen tarnt. Der Trick gelingt, aber dann entdeckt der Junge, worauf er gelegen hat: auf der Leiche eines Mannes. Der Tote hat keinerlei Papiere bei sich und sein Aussehen ist nur undeutlich auszumachen. Aber Marco nimmt den afrikanisch aussehenden Anhänger vom Handgelenk an sich, quasi als Andenken, und schlägt sich durch.

Im Frühjahr 2011 ist Marco ein angesehener Plakatkleber in Österbro, einem Viertel von Kopenhagen. Als er die Schicht alter Plakate abkratzt, entdeckt er eine Vermisstenmeldung: Es ist der Mann aus dem Loch im Wald. Jetzt hat er einen Namen: William Stark. Und ein Stiefkind suchte ihn seinerzeit verzweifelt. Aber wer war William Stark? Als Marco abgelenkt ist, entdeckt ihn einer seiner Verfolger. Nur indem er sich fallen lässt und sich aus seiner Jacke schält, kann er dem Griff entkommen und in der Nachbarschaft untertauchen. Doch jetzt hat der Feind sein Handy, auf dem die Nummern seiner Kunden und seines Zuhauses gespeichert sind. Marcos Welt, in der er so viele Pläne schmiedete, bricht binnen Stunden zusammen…

Die Verbindung

Rose ruft Carl von jenem Platz in Österbro an, wo die Litfaßsäule steht, an der Marco zuletzt arbeitete. Sie hat sich über die verlassene Leiter gewundert und sie erklettert. So kam sie an die private Vermisstenanzeige zu William Stark. Die bringt sie nun ins Sonderdezernat Q, denn dieses ist für solche „Cold Cases“ ja zuständig. Den Fall Anweiler hat sie eh schon fast gelöst – mithilfe jener Putzfrau und ihrer Auftraggeberin, der Eigentümerin der Wohnung, wo sich Anweiler zeitweilig aufhielt. Hier liegt eindeutig kein Versicherungsbetrug vor: Das Boot war zum Zeitpunkt des Brandes bereits verkauft. Assad riecht ebenfalls, dass an diesem Brand etwas oberfaul ist. Nach seiner schweren Verletzung im vorherigen Fall („Verachtung“) muss er sich zwar immer noch erholen, macht sich aber gleich an die Arbeit.

Der Untergang des Hauses Stark

Der Mann aus dem Loch im Wald, das war William Stark, gesucht von seiner chronisch kranken Tochter Tilde. Stark arbeitete zu Lebzeiten für seinen Chef Eriksen im Außenministerium, nicht ahnend, dass Eriksen mit zwei anderen Aufsichtsratsmitgliedern einer dänischen Bank den drohenden Bankrott abwendet, indem er Gelder der Entwicklungshilfe veruntreut. Leider muss bei diesem miesen Deal einer der Sündenbock sein, und das war William Stark. Doch Eriksen ahnt, dass Stark sich rückversichert und Daten zurückgehalten hat. Kaum hat er seinen Verdacht an seine Komplizen weitergegeben, kriegen auch die kalte Füße.

Doch diesmal bekommt nicht nur der unfähige Zola den Auftrag, das Haus Stark auf den Kopf zu stellen, sondern auch jene afrikanische Seilschaft, die einer Bandenchefin aus der Elfenbeinküste untersteht. Und ihre Helder sind keine Taschendiebe, sondern Kindersoldaten, eiskalte Killer, die ihrer Chefin unbedingten Gehorsam schulden. Als Marco im Hause Stark aufkreuzt, läuft er den falschen Leuten über den Weg…

Mein Eindruck

Das Buch beginnt in Kamerun mit einem Mord, und es endet in Venezuela mit einem Mord. Dazwischen prangert der Autor in einem verschlungenen Plot die raffgierigen Banker Dänemarks nicht nur der Korruption an, denn lange Zeit sieht es so aus, als würde der ehemalige Generalkonsul für Kamerun auch Todeskommandos befehligen und in Marsch setzen. Dass dies sich schließlich als Finte der Afrikaner erweist, entlastet die besitzende Klasse des Landes keineswegs.

Im Gegenteil: Jeder ist sich selbst der Nächste, und das zeigt sich in der Szene am Flughafen deutlich: Eriksen verlangt von seinem Komplizen die Aktien, die dieser eigentlich aus dem niederländischen Inselstaat Curacao mitbringen wollte. Einen rüderen Ton wird man unter „Ehrenmännern“ selten zu lesen bekommen. Kein Wunder, dass Eriksen keinen Finger später krumm macht, um seine Komplizen zu retten. Ganz im Gegenteil: Sobald er die Aktien hat, macht er sich von dannen, nicht ohne zuvor alle Spuren verwischt zu haben.

Marcos Flucht

Marco kommt aus der untersten Gesellschaftsschicht, ja, er gehört eigentlich gar nicht zur dänischen Gesellschaft. Aber sein Ziel besteht darin, einer von den Dänen zu sein, und sein Weg dorthin soll ehrenhaft sein. Das macht ihn zwangsläufig zu Zolas Feind. Und Marcos Wissen über William Starks Tod bedroht die „Ehrenmänner“, die sich nur zu gern der Hilfe Zolas bedienen, um die Gefahr zu beseitigen. Da dies nicht ausreicht, werden auch Balten und Osteuropäer aktiviert, schließlich sogar die Afrikaner. Ganz Kopenhagen scheint an einer Menschenjagd beteiligt zu sein: auf einen halbwüchsigen Jungen.

Showdown

Marcos Flucht endet erst in Christiania, der Freistatt, die für alternativen Lebensstil, intensiven Haschkonsum und ihre Abneigung gegen jede Art von Polizei bekannt ist. Ausgerechnet hier soll sich Marco den Afrikanern im Austausch gegen die gekidnappte Tilde Stark ausliefern. Nicht, wenn es nach Carl & Co. geht! Denen hat sich Marco anvertraut, der von Tildes Mutter zur Polizei geschleppt worden war.

Christiania war früher, als Carl Mørck noch ein frisch aus Jütland importierter Dorfpolizist war, sein Revier. Er kennt jede Ecke. So fällt es ihm nicht schwer, seine Leute zu postieren. Doch die Afrikaner machen ihm einen Strich durch die Rechnung, und es kommt zu einem heftigen Showdown mitten in der Freistadt. Carl kommt nur um Haaresbreite mit dem Leben davon.

Liebe, Sex, Humor

Was wäre ein ordentlicher Thriller nicht ohne etwas Abwechslung? Wie so häufig befindet sich Carl Mørck des öfteren in Liebesnöten, denn Mona Ibsen, seine Angebetete, hat ihm plötzlich die kalte Schulter gezeigt. Jagt ein anderer in seinem Revier? Dass sich der Neue in Dezernat Q, Gordon T. Taylor, sexuell mit Rose vergnügt, bestärkt Carl Mørck nur in seinem finsteren Verdacht.

Ob ihm wohl die attraktive Bibliothekarin Lisbeth seinen Liebeskummer vertreiben kann? Ironisch ist hingegen, dass sowohl Lisbeth als auch Gordon den jeweiligen Verdächtigen durch ihren Diensteifer vorwarnen und so Carl Mørcks Arbeit zunichtemachen. Dass Carl und Co. ihre eigene Art von Gerechtigkeit praktizieren, die nicht immer dem Buchstaben des Gesetzes folgt, fand ich sehr sympathisch. Upps, ein Feuerchen im Garten? So ein Pech aber auch, dass dabei ein paar wichtige, belastende Dokumente in Rauch aufgingen…

Die Übersetzung

Die Übersetzung fand ich sehr gelungen, denn sie nutzt viele umgangssprachliche Wendungen, die die Figuren dem Leser näherbringen. Aufgrund der internationalen Herkunft der Sprecher drücken sie sich sehr unterschiedlich aus.

Schade fand ich aber, dass das Buch keine Landkarte enthält. Da ständig irgendwelche Ortsnamen genannt werden, muss der Leser ständig im Internet nachschlagen, wo sich denn nun welche Insel oder Stadt befindet. Dänemark scheint nur aus Inseln zu bestehen – eine Folge des seit der letzten Eiszeit ständig gestiegenen Meeresspiegels.

Druckfehler sind mir keine aufgefallen.

Unterm Strich

Obwohl es sich um einen Thriller und ein Buch von Adler-Olsen handelt, bin ich doch in der Mitte ausgestiegen. Das lag zum einen an dem alternativen Mittelpunkt der Handlung, der bei Marco liegt. Dass dieser ständig gejagt wird, ist zwar ein Running Gag, aber auch dieser Trick läuft sich tot – bis die Afrikaner ernstmachen. Zum anderen lag es auch daran, dass Carl Mørck rund 120 Seiten lang mit einem anderen Fall beschäftigt ist, bis die Lösung zum Greifen nahe ist. Wo also ist die Spannung abgeblieben, frage ich mich in der Mitte?

Glücklicherweise lassen die „Ehrenmänner“ nach dem Mord an William Stark nichts anbrennen und verstärken sukzessive den Druck in der Jagd auf Marco. Gleichzeitig drehen sie gegeneinander krumme Dinger, bis es zu folgenschweren Entgleisungen kommt. Die letzten 200 Seiten konnte ich nicht mehr beiseitelegen – nur den Showdown hob ich mir für einen anderen Tag auf. Es hat sich gelohnt: Wer wacher ist, kann dem verworrenen Geschehen in den Gassen von Christiania besser folgen. Und den actionreichen Showdown mit wachen Sinnen genießen.

Hinweis

Dem Nachwort des Autors ist zu entnehmen, dass Adlerolsen.dep die Pygmäen vom Stamm der Baka, die am Buchanfang auftreten, in ihrer Kindheit unterstützt, damit sie eine Schuldausbildung bekommen können.

Taschenbuch: 568 Seiten
Originaltitel: Marco effekten, 2012;
Aus dem Dänischen von Hannes Thiess.
ISBN-13: 9783423216203

www.dtv.de

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