McCarthy, Cormac – Kein Land für alte Männer

Man darf sich natürlich fragen, ob der in Amerika längst zu den prominentesten Bestseller-Autoren zählende Cormac McCarthy hierzulande so markant hätte Fuß fassen können, hätten sich die renommierten Coen-Brüder sich nicht seines vielleicht stärksten Buches angenommen und für ihren Streifen 2008 mehrere Oscars eingeheimst. Insgesamt vier der beliebten Trophäen behielt der Film für sich, darunter auch diejenige für das beste adaptierte Drehbuch – ein Verdienst, der in erster Linie McCarthy zuzuschreiben ist, dessen pessimistische, ja fast schon völlig verzweifelte moderne Western-Story geradezu danach geschrien hat, auf die Leinwand gebracht zu werden. Wie so viele potenzielle Leser, hat auch der Rezensent sich erst mit dem Kinofilm beschäftigt und posthum den zugehörigen Roman gelesen. Macht dies überhaupt Sinn, mag man sich da fragen. Doch die unglaublich dichte Atmosphäre und dieser verträumt-abwesende, hoffnungslose Weltblick, den McCarthy hier über sein Medium, den Sherriff, nach außen trägt, beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja.

_Story:_

Eigentlich müsste Llewlyn Moss der glücklichste Mann der Welt sein; eher zufällig entdeckt er mitten in der Wüste einen Koffer, in dem sich ganze 2,4 Millionen US-Dollar verbergen. Doch der Anschein täuscht, denn in der Umgebung jenes Koffers befinden sich neun Leichen, eine zerstörte Heroin-Ladung, mehrere von Kugeln durchsiebte Wagen und eine Blutspur ins Nirgendwo. Dennoch beschließt Moss den Koffer an sich zu nehmen und das Risiko einzugehen, plötzlich zwischen die Fronten eines Drogenkrieges zu geraten. Als ihm die Gefahr bewusst wird, kehrt er zum Schauplatz des Verbrechens zurück, um seine Spuren zu verwischen – ein Fehler, denn vor Ort wartet bereits der skrupellose Killer Anton Chigurh, der sofort nach Moss‘ Leben trachtet und fortan alles daran setzt, den unbeteiligten Nutznießer um die Ecke zu bringen. Mit letzter Kraft gelingt Moss die erneute Flucht. Doch von nun an ist er an keinem Ort mehr sicher; nicht nur Chigurh schwört Rache, sondern auch die am gescheiterten Deal beteiligten Oberhäupter der Drogenmafia geben keine Ruhe mehr, bis Moss endgültig der Lebensatem ausgehaucht wird. Sheriff Bell, der seit Längerem mit der Verbrechensrate in seiner Provinz überfordert ist, beschreibt schließlich, wie sich das Leben im Wilden Westen verändert hat – und wie die Gewalt in der Nähe zur mexikanischen grenze ein Maß angenommen hat, welches jeglichen menschlichen Charakterzug aus den Augen verliert.

_Persönlicher Eindruck:_

Grundsätzlich ist „Kein Land für alte Männer“ ein sehr verstörendes Werk, da es sich immer wieder freizügig über die Grenzen der Genres hinwegsetzt, welchen es rein inhaltlich prinzipiell angehören könnte, darüber hinaus aber auch mit so vielen Kontrasten die Prioritäten verschiebt, dass man zwischenzeitlich nie so recht weiß, was man nun von McCarthys Geschichte halten mag.

Wie gehabt beginnt alles sehr spektakulär: Hauptakteur Moss macht den Fund seines Lebens und schaufelt sich durch seine zeitweilige Gier sein eigenes Grab. Doch es ist nicht nur dieser spannungsgeladene, selbstsüchtige Trip, den der Protagonist einschlägt, es ist vor allem das Szenario, in welches er hier eintaucht, das schließlich so einprägsam und erschreckend ist. Der Autor beschreibt sehr ausführlich, welche Spuren der Bandenkrieg hinterlassen hat, in den Moss hier unfreiwillig eintaucht. Kleinste Details sind maßgeblich, schaffen somit aber auch diese sehr spezielle Atmosphäre, die auch im Film zu spüren ist, die jedoch an dieser Stelle oftmals noch über die eigene Vorstellungskraft hinausgeht. Insofern ist es sicher schade, dass man immer wieder die Bilder der Kinoproduktion vor Augen hat – denn McCarthy spielt hier sehr deutlich mit den düsteren Fantasien und lässt die Gewalt auf eine zunächst banal-oberflächlich anmutende Art und Weise, dann aber mit eben jenen verstörenden Ambitionen aufflammen, die sich im Laufe des Buches immer wieder zu Wort melden.

Insofern hat der Autor von der ersten Seite an die Zügel fest in der Hand und eröffnet sich selber das Potenzial, die Story in alle erdenklichen Richtungen zu lenken: Wilde Verfolgungsjagden, brutale Schießereien, ein klassisches Road Movie, ein moderner Western: „Kein Land für alte Männer“ bedient sich sehr gierig in den einzelnen Segmenten, nutzt sie jedoch letzten Endes nur zur Ausschmückung des sehr pessimistischen Dramas, welches schließlich aus der Perspektive des ortsansässigen Sheriffs erzählt wird. Während Moss auf der Flucht die Hölle durchlebt und seine Häscher sich die Action auf sehr aggressive Art und Weise gegenseitig zuspielen, berichtet der prinzipientreue Beamte vom gesellschaftlichen Wandel, von der Macht des Kartells, von den grausamen Verbrechen, die zur Normalität geworden sind und schließlich auch von Unterdrückung, Erpressung und Intrigen, die nicht nur seine Provinz, sondern auf weite Sicht die ganze Menschheit spalten. Es sind philosophische Aspekte, die hier herangezogen werden und die auch sehr konkret zum Nachdenken anregen, auf diesem Weg aber schließlich auch über das hinausgehen, was der Film in seiner eher temporeichen Präsentation offenbaren konnte. Dass die Vorlage und die Adaption deswegen weit auseinanderliegen, bleibt jedoch ein Trugschluss – es ist lediglich so, dass hier noch viel mehr zwischen den Zeilen steht, die generelle Ausrichtung deswegen auch ein wenig auseinanderdriftet und der Tiefgang, jenes letzte Bisschen, hier noch besser herausgearbeitet werden kann, als es im dialogreichen, aber letzten Endes doch etwas stärker auf die Action ausgerichteten Kinostreifen.

Damit wäre die eingangs angeregte Diskussion über die Notwendigkeit, dieses Buch alsn Zusatzlektüre anzuschaffen, ebenfalls geklärt. „Kein Land für alte Männer“ betont zusätzliche Aspekte, legt den Schwerpunkt ein wenig anders und nimmt sich ein wenig mehr Zeit für die Charaktere, vor allem aber für die Person des Sheriffs. Die Wechsel zwischen der Hetzjagd auf Moss und den persönlichen Geschichten von Bell wirken hier noch nachhaltiger und lassen dem Buch daher im direkten Vergleich auch die Nase vorne behalten. Und eine solche Aussage zu einem Streifen zu treffen, der völlig zu Recht vier Oscars einfahren konnte, spricht wohl Bände im Bezug darauf, wie brillant McCarthys literarische Arbeit tatsächlich ist. Denn ganz unabhängig vom Erfolg von „No Country For Old Men“ – diese Geschichte sollte man unbedingt gelesen haben!

|Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Originaltitel: No Country For Old Men
ISBN-13: 978-3498045029|

_Cormac McCarthy bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Straße“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3648
[„Die Abendröte im Westen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4349

Schreibe einen Kommentar