Gilbert, David – Normalen, Die

Wenn man sich anschaut, mit wem die englischsprachige Presse David Gilbert nach seinem Debütroman „Die Normalen“ so alles in eine Schublade gestopft hat, dann fallen eine Menge großer Namen: Douglas Coupland, Bret Easton Ellis, T.C. Boyle, Don Delillo und noch einige andere mehr. Coupland selbst ist ein erklärter Fan von Gilbert, und Gilbert höchstselbst wurde die Ehre zuteil, für Don Delillos „Endzone“ das Drehbuch zu schreiben. Gilbert ist also ein Autor, der schon mit Erscheinen seines Debütromans für Furore sorgt und auch von den Kollegen seiner Zunft Respekt erntet. Grund genug, David Gilberts vielgepriesenen Debütroman einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Hauptfigur der Geschichte ist Billy Schine. Billy treibt ziellos durchs Leben. Er hat einen brillanten Harvard-Abschluss, ohne jemals etwas daraus gemacht zu haben. Er sitzt seine Zeit mehr oder weniger leidenschaftslos in einer Zeitarbeitsfirma ab, in einem Job, für den er hoffnungslos überqualifiziert ist. Das Verhältnis zu seiner Freundin Sally dümpelt ähnlich antriebslos vor sich hin. Obendrein ist Billy noch hochverschuldet, weil er sich mit seinem Harvard-Studium finanziell verhoben hat.

Billy entzieht sich gerne der Welt, bleibt gerne in den eigenen vier Wände und macht, wenn es um Krankheiten geht, aus einer Fliege einen Elefanten. Er liebt das Kranksein und die Bettruhe, aber natürlich nur, weil er sich bester Gesundheit erfreut und noch nie wirklich ernsthaft krank war. Doch Billys Leben kann nicht ewig so unmotiviert vor sich hin plätschern. Das merkt Billy, als die Geldeintreiber Ragnar & Sons einen zunehmend raueren Ton anschlagen und Billy in seiner Phantasie deren Schlägertrupp schon vor seiner Wohnungstür sieht.

Doch dann bietet sich Billy eine fantastische Gelegenheit, für einige Zeit abzutauchen. Er meldet sich beim Pharmakonzern Hargrove Anderson Medical als freiwillige Versuchsperson für einen Medikamententest. Zwei Wochen in einem hochgesicherten Medizinlabor mit Unterkunft, Vollverpflegung und 2.000,- Dollar Vergütung. Da lässt Billy sich gerne mal für vierzehn Tage mit einem atypischen Psychopharmakon zur Behandlung von Schizophrenie voll pumpen.

Wie Billy schon bald feststellt, ist er nicht der Einzige, der in der Klinik dem wirklichen Leben aus dem Weg zu gehen versucht. Was Billy in diesen vierzehn Tagen erlebt, ist sowohl schräg als auch absonderlich, tragikomisch und erschütternd …

Mit „Die Normalen“ ist David Gilbert ein wirklich erfrischender Debütroman geglückt, der bei Freunden moderner amerikanischer Literatur noch einigen Zuspruch finden dürfte. So leidenschaftslos Billy auf den Leser auch wirken mag, das bunte Treiben, das Gilbert anhand seiner Hauptfigur in den abgeriegelten Trakten der Versuchsklinik beschreibt, hält für den Leser so einiges bereit und ist durchaus mitreißend erzählt. Es ist sowohl die komische Seite des Lebens, die sich hier offenbart, als auch die tragische.

Es sind einige faszinierende Widersprüchlichkeiten des Lebens, die mit Billys Betreten der Versuchsklinik zutage treten. Auf der einen Seite ist seine Teilnahme an der Studie ein Versuch, sich dem Leben zu entziehen, auf der anderer Seite fordert er es auf provokante Art heraus. Einerseits zeigt er mit dem Verlassen seiner verfahrenen Lebenssituation den Ehrgeiz, sein Leben neu zu ordnen, andererseits setzt er sich mit seiner Teilnahme am Medikamententest in ebenso großem Maße einer gesundheitlichen Gefahr aus. Für Billy, den Hypochonder, ist der Klinikaufenthalt gleichzeitig eine Erfahrung, die er auf seine Art genießen kann. Er kann krank feiern, ohne krank zu sein.

Hinter den Türen trifft Billy auf eine ganze Reihe skurriler Figuren, die in erheblichem Maße zum Unterhaltungswert des Romans beitragen. Da wäre Lannigan, der überdrehte Schauspieler und Zimmergenosse von Billy, da wäre Do, der eigentümliche Hinterwäldler, die beiden aggressiven Cousins Ossap und Dullick, der abgehalfterte Trinker Rodney, der merkwürdige Frank, für den Schusswunden der größte Kick sind, und nicht zuletzt die geheimnisvolle Gretchen, die als einzige Frau in der Männerrunde stets faszinierend für Billy bleibt und zu der er ein ganz besonderes Verhältnis hegt.

Gilbert nutzt die Abgeschiedenheit seiner Hauptfigur vom Rest der Welt obendrein zu einem Blick auf die Gesellschaft insgesamt. Billys Nabel zur Welt ist der Fernseher, über den er an all dem teilhaben kann, was die Nation bewegt. Insbesondere das Spektakel und der Massenkult um einen Gehirntumorpatienten, dessen Gehirnscan dem Grabtuch von Turin ähnelt, wird stetig verfolgt und treibt immer absurdere Blüten. Gilbert erzählt seine Geschichte mit einem Blick für die Absurditäten der heutigen Gesellschaft und würzt sie mit einer großen Prise Ironie. Billy bleibt der stetige Beobachter, den kaum ein Ereignis aus seiner Lethargie zu reißen vermag. Das lässt das Absurde noch absurder erscheinen.

Die Versuchsreihe, an der Billy teilnimmt, das ganze Versuchsprozedere, das ständige Rätseln darüber, wer ein Placebo verabreicht bekommet und wer das wirkliche Medikament, das ständige Lauern auf Nebenwirkungen bei sich und anderen Probanden, dominiert die Schilderungen über das Leben in der Klinik. Billy erduldet all das weitestgehend teilnahmslos. Während um ihn herum so langsam alle verrückt zu werden scheinen, wirkt Billy wie ein ruhender, gleichgültiger Polt der Beständigkeit. Als solcher, herausgelöst aus Familie, Leben und Gesellschaft, eignet er sich hervorragend für Gilberts gesellschaftliche Betrachtungen und ironische Seitenhiebe.

Die Konstruktion der Geschichte ist gut durchdacht und geht voll und ganz auf, was den Roman besonders reizvoll macht. Nachdem sich der Leser an der Skurrilität der Welt der Versuchsklinik und der Testperson ergötzt hat, mischt Gilbert eine zunehmend tragische Komponente in die Geschichte. Billy versucht mit seinem Aufenthalt, der Welt und seinem Leben zu entrinnen, aber das Leben, das er draußen zurückzulassen glaubt, holt ihn schließlich ein und nimmt eine durchaus tragische und gleichsam glaubwürdige Wendung.

Zusammen mit Gilberts bravouröser und erfrischender Erzählart ergibt diese wohl überlegte Konstruktion der Geschichte einen wirklich stimmigen Roman. Gilberts Beschreibungen treffen den Nagel auf den Kopf und individuelle, absolut treffende Wortschöpfungen sind das Sahnehäubchen, mit dem Gilbert seine augenzwinkernde Erzählweise garniert.

Gilbert überzeichnet immer wieder, insbesondere bei der Beschreibung seiner teils grotesken Figuren innerhalb der Klinik, ohne dass diese Überzeichnung zu einem Makel wird. Die ganze Situation des Medikamententests, der ganze Alltag der Versuchskaninchen ist schließlich für sich genommen absurd genug, um diese Überzeichnung tragen zu können, und da die Schilderung nicht ins Lächerliche abdriftet, trägt sie obendrein erheblich zum Unterhaltungswert des Romans bei.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass David Gilbert mit „Die Normalen“ einen absolut lesenswerten Debütroman abgeliefert hat. Sein Stil ist flott und erfrischend, seine Schilderung gleichsam komisch wie tragisch. Gilbert hat einen Roman geschaffen, der trotz der Kuriosität seiner Handlung auch einen treffenden Blick auf Leben und Gesellschaft wirft. „Die Normalen“ dürfte all diejenigen erfreuen, die auch Douglas Coupland, T.C. Boyle und Jeffrey Eugenides schon mit Begeisterung gelesen haben.

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