C. J. Cherryh – Das Schiff der Chanur (Chanur-Zyklus 1)

Kampf um die Menschen: Weltraumschlacht der Aliens

Mit diesem ersten Band ihres fünfbändigen „Chanur“-Zyklus‘ schuf Cherryh ein neues Universum, das aber an das bekannte Union-Allianz-Universum (siehe unten) anschloss. Hier tummeln sich nicht weniger als sechs neue Alienspezies, die meisten davon raumfahrend und Handel treibend. Die actionreiche Serie war die kommerziell vielleicht erfolgreichste Schöpfung unter den über 70 Büchern Cherryhs und katapultierte die Autorin in die SF-Bestsellerlisten.


Die Autorin

Caroline Janice Cherryh, geboren 1942 in St. Louis, ist von Haus aus Historikerin und lebt im US-Bundesstaat Washington. Sie erhielt schon 1980 ihren ersten Science Fiction-Preis für ihre umwerfende Novelle „Kassandra“***. 1983 folgte der erste HUGO Award für „Pells Stern“, später ein weiterer für „Cyteen“. Beide Romane gehören zu ihrem Allianz-Union- bzw. PELL-Zyklus, der eine Future History darstellt, wie sie schon von anderen Größen des Science-Fiction-Feldes geschaffen wurde, darunter Robert A. Heinlein oder Isaac Asimov.
***: Die Story ist jetzt im Sammelband „The Short Fiction of C.J. Cherryh“ (Januar 2004) zu finden.

Wichtige Romane und Trilogien des Allianz-Union- bzw. PELL-Zyklus‘:

„Downbelow Station“ („Pells Stern“ 4887): PELL 1
„Merchanter’s Luck“ („Kauffahrers Glück“ 1195): PELL 2
„40.000 in Gehenna“ (dito): PELL 3
„Rimrunners“ („Yeager): PELL 4
„Heavy Time“ („Schwerkraftzeit“): PELL 5
„Hellburner“ („Höllenfeuer“): PELL 6
„Finity’s End“ („Pells Ruf“): PELL 7
„Tripoint“ (dito): PELL 8
„Cyteen“ (3 Romane im Sammelband „Geklont“)
„Serpent’s Reach“ („Der Biss der Schlange“)
„Cuckoo’s Egg“ („Das Kuckucksei“)

Der CHANUR-Zyklus:

1) Das Schiff der Chanur (1981)
2) Das Unternehmen der Chanur (1984)
3) Die Kif schlagen zurück (1985)
4) Die Heimkehr der Chanur (1986)
5) Chanurs Legat (1994)

Hintergrund

Schon eine ganze Weile sind die löwengestaltigen, tapferen Hani-Handelsfahrer vom Clan der Chanur in den Weiten des besiedelten Raums unterwegs, geführt von ihrer Kapitänin, der listenreichen Pyanfar Chanur. Die Chanur sind die wichtigste Händlerfamilie vom Planeten Anuurn. Die Hani sind matriarchalisch organisiert, und junge Männer werden gemeinhin als potentiell wahnsinnig betrachtet. Deshalb hat Pyanfar ihren Gatten Khym Mahn auf Anuurn zurückgelassen.

Im Pakt-Universum sind die Sektoren der sechs bekannten Spezies (siehe unten) fein säuberlich aufgeteilt. Der Pakt-Raum grenzt an den Menschen-Raum, der vom Union-Allianz-Konflikt beherrscht wird. Im Union-Allianz-Universum spielen etliche der wichtigsten Science-Fiction-Romane Cherryhs, darunter „Pells Stern“ (Downbelow Station) und „Cyteen“ (s. o.)

Wer mehr über dieses Pakt-Universum erfahren möchte, findet in Band 2 des ersten Chanur-Zyklus‘, „Das Unternehmen der Chanur“ (Heyne SF Nr. 06/4264) einen Anhang, in dem die Autorin alles Wissenswerte über die einzelnen Spezies des Pakt-Raumes und insbesondere die Hani zusammengetragen hat.

Die Spezies des Paktes

Hani: Löwengestaltige, tapfer, schlau, matriarchalisch, Heimatwelt Anuurn

Kif: große krokodilgestaltige Ammoniakatmer, verschlagen, gierig, aggressiv, rivalisierend, besessen von Besitz und Ansehen, sehr sprachgewandt, Heimatwelt Akkht; ein Shogun-Fürst wird von ihnen „Hakikkt“ genannt, ein sehr gefährlicher Kif

Mahendo’sat: schlanke Künstler und Wissenschaftler, Mystiker und neugierige Sammler, Heimatwelt Iji, Sprache Chiso

Stsho: fragile Händler von der Heimatwelt Llyene, trisexuelle Hermaphroditen, heimlichtuerisch, deshalb sehr beunruhigt über die Entdeckung des Menschen-Raumes in ihrem Rücken

T’ca: sehr geheimnisvolle schlangenartige Methanatmer, die durch Harmonien kommunizieren und in Matrizen denken, friedliebende Bergleute und Händler, alliert mit Chi und Knnn

Chi: neongelbe Stockähnliche, die häufig T’ca begleiten, Fortpflanzung durch Zellteilung, Geschlechter unklar

Knnn: sehen aus wie Haarknoten mit Spinnenbeinen, Methanatmer, Bergleute und Händler wie die T’ca, fliegen unmöglich erscheinende Schiffskurse und haben die einzigartige Fähigkeit, andere Schiffe „mitzureißen“ – wohin auch immer!

Zur Fortbewegung

Wenn ich von „Sprüngen“ rede, dann sind damit Sprünge eines Raumschiffs gemeint, das von einem Massepunkt zu einem anderen Massepunkt wie auf einem Trampolin springen kann. Theoretisch ist dazu eine minimale Absprunggeschwindigkeit und ein Sprungfeld notwendig, erzeugt vom Schiffsantrieb. Die Sprünge können mehrere Lichtjahre weit sein und mitunter Tage dauern. Wer also weiter oder schneller „springen“ kann, fährt einen Vorsprung heraus. Das passiert Pyanfar, als sie über Anuurn ankommt: Akukkakk ist schon da – es ist das Spiel von Hase und Igel. Am schnellsten springen die Knnn. Sie können sogar andere zwingen, mit ihnen zu springen – echt unheimlich. Wo immer die Knnn auftauchen, werden sie daher misstrauisch beäugt …

Handlung

Die löwenartigen Hani befahren Gebiete der Hani und der Mahendo’sat. Ihre Handelsschiffe sind ausschließlich von Frauen „bemannt“, die demselben Familienclan angehören – ähnlich wie bei den menschlichen Kauffahrern. Auch auf „Chanurs Stolz“ ist das so, die von Pyanfar vom Clan der Chanur kommandiert wird, einer verheirateten Lady mit seidigem Pelz, aber messerscharfen Krallen und einem ebenso scharfen Verstand. Sie ist schon in fortgeschrittenem Alter und denkt häufig an ihren Gefährten Khym Mahn und ihre zwei Kinder daheim auf Anuurn. Ständig muss sie sich mit ihrer Nichte Hilfy, der Tochter ihres Bruders Keran, herumschlagen. Diese jungen Leute heutzutage!

Auf der Treffpunkt-Station

Pyanfar ist eine edle Hani im Kapitänsrang, und sie kennt eine Menge anderer Rassen, wie die Stsho, die Kif, die Knnn, aber ein Wesen wie dieser Eindringling auf ihrem Schiff ist ihr noch nie begegnet. Es ist bleich, schmutzig, pelzlos bis auf ein Büschel auf dem Kopf und stößt unverständliche Kehllaute aus. Aber weil es Zeichen schreiben kann, muss es eindeutig intelligent sein. Es erkennt eine Waffe und könnte sie womöglich benutzen.

Auf der neutralen Treffpunkt-Station, die von den Stsho geleitet wird, lässt Pyanfar subtil nach dem Schiff suchen, von dem dieses Wesen geflohen sein muss. Denn das könnte eine Menge Ärger bedeuten. Und Ärger ist bekanntlich schlecht fürs Geschäft. Wie sich herausstellt, ist das Wesen von einem Kif-Frachter geflohen und in einem unbewachten Augenblick in die Luftschleuse der „Stolz“ eingedrungen. Der Anführer der Kif, Akukkakk, fordert seinen Besitz“ zurück, doch Pyanfar sagt nein: Sie kann Jif nicht leiden. Weil die Kif ihre Crew angreifen, muss Pyanfar einen Alarmstart riskieren. Verfolgt von Kif, wirft sie ihre Ladung ab und springt ins nächste System: Urtur.

Im Urtur-System

Vorerst versteckt sich Pyanfars Schiff im Randbereich des Urtur-System der Mahendo’sat, getarnt durch Felsbrocken und viel Staub. Aber wie lange noch geht das gut? Das Alien, so ergeben erste Verhöre, gehört einer raumfahrenden Rasse an, die jenseits der Sektoren von Kif und Knnn lebt. Sie nennt sich selbst „die Menschen“. Nach den ersten Sprachlektionen erfährt Pyanfar, dass der Mensch „Tully“ heißt. Woher er kommt, gibt er nicht preis, denn er will seine Rasse nicht gefährden.

Tully stammt von einem Schiff, nicht von einer Welt. Und er fiel dem großen Hakkikt Akukkakk in die Hände, der ihn folterte, um sich an seiner Angst zu weiden und mehr Informationen zu erhalten. Pyanfar kann es Tully nicht verdenken, dass er entkommen wollte. Er sagt, er habe bei den Hani weniger Angst gespürt, deshalb drang er in ihr Schiff ein. Pyanfar macht ihm klar, dass er den Tod anderer Hani, der Handur, auf Treffpunkt verursacht habe; sie selbst musste ihre Ladung absprengen, um den nächsten Stern Urtur erreichen zu können.

Tully sieht ein, dass er in ihrer Schuld steht, und bietet ihr an, für sie wie ein gewöhnliches Besatzungsmitglied zu arbeiten. Und er vertraut ihr ein Geheimnis an: Er will sich an Akukkakk für das, was er ihm und seinen drei ermordeten Gefährten angetan hat, rächen. Sie macht ihm klar, dass dieser Hakkikt von seiner Jagd auf das entflohene „Schoßtier“ niemals ablassen wird und ihn solange sucht, bis er ihn gefunden hat. Denn Tully zu verlieren, käme einem Gesichtsverlust gleich und würde Akukkakks sämtliche Rivalen auf den Plan rufen. Diese würden ihm dann den Garaus machen. Klar, dass der Hakikkt dies keinesfalls riskieren will. Er muss Tully um jeden Preis wiederhaben.

Während Pyanfars Versteckspiel mit den Kifjägern sammeln sich andere Rassen wie die spinnenartigen Knnn, die schlanken Stsho und die schlangenartigen T’ca im Urtur-Raum. Hier wird es richtiggehend eng. Sie sind wohl ebenfalls am Besitz des Menschen interessiert, bedeutet er doch potentiell riesige Gewinne aus dem Erstkontakt mit einer handeltreibenden Fremdrasse. Das Gleichgewicht der Machtverhältnisse ist empfindlich gestört, und es kommt zu erheblichem Aufruhr. Dass die Stsho auf ihrer Treffpunkt-Station es zuließen, dass die Kif mit einem Menschen-Alien über die Docks spazierten, kommt Pyanfar mit einem Mal höchst verdächtig vor. Die Stsho werden doch nicht etwa Verräter geworden sein und ihre Neutralität aufgegeben haben? Falls doch, stecken alle Hani in mächtigen Schwierigkeiten.

Die Kirdu-Station

Mit einem Köder als Ablenkungsmanöver trickst Pyanfar die Kif aus und springt aus dem Urtur-System. Die Kirdu-Station gehört den Mahendo’sat, mit denen die Hani auf gutem Fuß stehen. Es scheint auch noch keine Kif in diesem System zu geben. Nur ein rätselhafter Knnn fliegt gleich nach Pyanfar ins System ein. Zeit für eine Verschnaufpause?

Mitnichten! Die Mahedo’sat sind sehr beunruhigt über Pynafars ungebührlich schnelles Eindringen in ihren Raum. Und sie bringt jede Menge Ärger mit sich, darunter auch ein Alien. Dieser „Mensch“, den sie als ihr neues Besatzungsmitglied deklariert, wird von allen neugierig beäugt. Um Geld für nötige Reparaturen an ihrem Schiff zu bekommen, schließt sie mit keinem geringeren als dem stolzen Stationsmeister einen Deal ab: Sie gibt ihm das Übersetzungsband des „Menschen“. Damit hintergeht sie zwar das Vertrauen Tullys, hat aber nun bei den Mahedo’sat einen Stein im Brett. Diese können nämlich jetzt selbst Handel mit den neuen Aliens aufnehmen und sind nicht den Kif ausgeliefert, die diesen Handel monopolisieren wollten.

Nach einer Reparatur der Schäden und einer Begegnung mit anderen Hani vom Tahar-Clan akzeptiert Pyanfar die Eskorte durch den schlitzohrigen, goldzahnigen Mahendosat Ismehanan, der sie schon auf Treffpunkt vor den Kif warnte. Er wusste etwas über Akukkakks Pläne, hat es aber nicht verraten, der Bastard! Aber er ahnt, dass die Kif etwas planen. Zusammen mit Goldzahn und seinem Partner Jik, die beide bewaffnet sind, rast Pyanfar in das Heimatsystem Anuurn zurück. Dort wartet schon Akukkakk auf sie …

Mein Eindruck

In diesem Roman stellt die Autorin die gewohnte Rangfolge auf den Kopf, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Von den Autoren des Goldenen Zeitalters der Science-Fiction (1939-1944) waren es die amerikanischen SF-Leser gewohnt, dass irgendein menschlicher Protagonist im Mittelpunkt des Geschehens stand, und die Alien spielten immer die Rolle des Feindes oder zumindest die eines seltsamen Gegenübers, sollte der Kontakt friedlich verlaufen (z. B. in Stanley Weinbaums „Mars-Odyssee“).

Armselige Menschlein

In den „Chanur“-Romanen ist der Mensch jedoch das Alien: ein Außenseiter, schwächlich und hilfsbedürftig, ohne Sternkarten, mit langsamem Schiffsantrieb, noch dazu ein Opfer der aggressiven Kif. Aber selbst ein solch armseliges Geschöpf wie ein Mensch birgt ein unendliches Potential in sich: Mit dieser Rasse lässt sich profitabler Handel treiben – der Menschenraum ist ein zusätzlicher Absatzraum für Hani- und Mahendosat-Güter (während die Kif darin bloß eine Art Sportfeld sehen, das sie erobern können).

Diese Konstellation spiegelt die Lage der Supermacht USA nach dem Ende des Vietnamkrieges und der Iranischen Revolution wider: Nun sind die Menschen – also Amis – auf Kooperation und Freunde angewiesen, um wachsen und gedeihen zu können. Leider dauerte dieses Tauwetter nur bis zum Amtsantritt von Ronald Reagan, der die Ausgaben für die Rüstung massiv erhöhte.

Frauen dürfen mitspielen

Eine weitere Umkehrung des Althergebrachten hatte schon in den siebziger Jahren stattgefunden, wurde in der SF aber stets nur auf Menschen angewandt: Die Protagonisten sind jetzt weiblich! Man denke etwa an Lt. Ellen Ripley, die das Alien fertigmacht. Dass auch die Aliens weiblich und trotzdem dominant sein können, zeigte Cherryh mit ihren Chanur. Weil die Männchen der Hani zu aggressiv und territorial sind (was bei Löwenartigen nicht verwundert), eignen sich nur die toleranten Weibchen für den Dienst an Bord eines Schiffes. Was nicht heißen soll, dass sie sich ihrer Haut nicht erwehren könnten!

Lady Pyanfar ist ein Lt. Ellen Ripley in einer Alien-Haut, stolz auf ihre Erfahrung, ihre Rasse und ihre Mannschaft. Sie will und kann sich gegenüber den anderen fünf Rassen des Pakt-Raumes behaupten und durchsetzen. Im letzten Viertel dieses Romans muss sie sich sogar gegen feindliche Clans durchsetzen und führt eine entsprechende Rettungsaktion auf dem Boden von Anuurn an, um die Chanur-Holding vor der Übernahme zu bewahren. Verrat unter Hani ist also nicht unbekannt.

Entwicklungen

Im Roman entwickeln sich die Randfiguren unter dem Druck der Ereignisse rasch weiter. Hilfy, ihre Nichte, reift zur Frau heran und wird mit einem goldenen Ohrring geehrt. Tully entwickelt sich von einer verfolgten, ausgehungerten Kreatur zu einem vollwertigen Besatzungsmitglied. Durch seine Übersetzung des Hani ins Menschliche (vermutlich Englisch) liefert er Pyanfar eine wertvolle Ware, mit der sich sowohl mit den Mahendosat von Kirdu als auch mit den Mahendosat Goldzahn und Jik Geschäfte machen kann. Fortan haben die Hani zusammen mit ihren Verbündeten, den Mahendosat, eine Allianz gegen die Kif, um den Menschen, die jenseits des Kif-Raums leben, zu helfen. So lassen sich die Kif von beiden Seiten in die Zange nehmen – was dann auch in Band 2 und 3 des Zyklus passiert.

Kif, die „bad guys“

Die Kif sind ganz klar die Schurken in diesem Stück. Mit ihrem schwarzen Pelz, den grauen Gesichtern und der Krokodilschnauze sind sie nicht gerade ansehnlich (dazu gibt es in Band 2 wunderbare Illustrationen). Dass der Hakikkt Akukkakk sich wie ein Shogun aufführt, erinnert an mittelalterliche japanische Geschichten, wie sie in den achtziger Jahren sehr in Mode waren (siehe Eric Lustbader und Marc Olden). Der Leser unterschätzt solche Gestalten also nicht.

Raumschlacht

Im Roman zeigt sich, wozu Akukkakk fähig ist: Er überfällt die Gaohn-Station, die den Verkehr über Anuurn regelt, und beschießt etliche Hani und Mahendosat. Diesem Überfall schließt sich eine regelrechte Weltraumschlacht, die mit einem affenartigen Tempo abläuft – und Pyanfar mit Tully mittendrin. Hier zeigen die geheimnisvollen Knnn, was sie drauf haben und auf welcher Seite sie wirklich stehen. Mehr soll nicht verraten werden.

Intrigen

Bei Cherryh, der Historikern, hat jede beschriebene Rasse ihre eigene Motivation und Mentalität und erscheint daher höchst glaubhaft. Die Politik der einzelnen Rassen und ihre Intrigen sind mitunter höchst kompliziert, so dass ich Mühe hatte, den Überblick zu behalten. Wir müssen uns einfach immer nur an Pyanfars Blickwinkel halten, um die richtige Einschätzung zu treffen: Wenn sich die Stsho verdächtig verhalten, haben sie sich wohl mit den Kif verbündet. Wenn sich der Tahar-Clan verdächtig verhält und schließlich sogar offen Chanur herausfordert, haben sie sich auf die Seite der Kif gestellt – was für ein elender Verrat!

Realismus

Schon in Ridley Scotts „Alien“-Film wurde das Leben an Bord eines Raumschiffs als versiffter Alltag geschildert, ganz so, als wären diese Typen auf einer Bohrinsel tätig und nicht auf einem Raumfrachter. Noch realistischer, aber martialischer ist James Camerons Darstellung in „Aliens II – Die Rückkehr“, wieder mit Sigourney Weaver als Lt. Ellen Ripley. Auch hier ist der Alltag im All schmutzig, beschwerlich und alles andere als ruhmreich.

Die technisch-physikalischen Bedingungen in Cherryhs Allianz-Union-Universum fand ich schon immer glaubhafter als bei anderen Autoren, da es hier halbwegs mit rechten Dingen zugeht: mit Raumsprüngen und unterbrochener, das heißt zeitversetzter Kommunikation. Wenn gesprungen wird, dann nur unter äußerster Belastung der Physis – ein Mensch wie Tully muss sogar Medikamente nehmen, um das zu verkraften. Diese Randbedingungen spielen eine unterschwellige, aber wichtige Rolle im Verhalten aller Beteiligten – und das trägt sicherlich auch zur Erhöhung der Spannung bei.

Sprache

Realismus an Bord bedeutet aber auch eine entsprechende Sprache. Der unbedarfte Leser – und beim ersten Lesen vor 30 Jahren war ich unbedarft – stolpert über Abkürzungen wie Op, Kom, Comp, Dock und Deck. „Op“ bedeutet „Operations“, also die Brücke. „Kom“ steht für „Kommunikation“, „Comp“ natürlich für Computer bzw. Berechnung. Dieser Realismus ist weit weg von geschleckten Umgebungen wie an Bord der Enterprise oder einem „Star Wars“-Sternenschiff, wo alles militärisch zugeht. Pyanfar hingegen ist eine Zivilistin, wenn auch ihr Schiff bewaffnet ist. Sie freut sich, wenn sie in der Kombüse mit den anderen Crewmitgliedern einen „Gfi“ trinken kann, was wohl eine Art Kaffee ist.

Erzählstil

Im Gegensatz zu einigen Fantasyromanen unter den Cherryh-Büchern ist hier ihr Stil hoch verdichtet. Er ist an „Downbelow Station“ und „Cyteen“ orientiert. Wer also querliest, wird eine Menge übersehen. Das sollte man tunlichst unterlassen, denn jede Zeile zählt. Szenenwechsel sind häufig und werden nicht vorbereitet. Diesen unterkühlten Techno-Stil hat Cherryh inzwischen völlig abgelegt.

In der Atevi-Reihe, die Cherryh seit Jahren fortführt, ist ihr damaliger „Tully“ in die Rolle des Diplomaten geschlüpft, bewegt sich aber immer noch unter jeder Menge zwielichtiger Aliens. Aber statt sich auf eine Seite zu schlagen und die Knarre in die Hand zu nehmen, wie Tully es tut, setzt sich Brent Cameron so ziemlich zwischen alle Stühle, was seine Lage sicherlich nicht einfach macht. Aber aus einer Kriegerfigur ist ein Diplomat geworden, was ich wesentlich sympathischer finde.

Die Übersetzung

Die Übersetzung durch Thomas Schichtel ist gespickt mit Fehlern. Von ganz „normalen“ Flüchtigkeitsfehlern mal abgesehen gibt es auch echte Falschübersetzungen. So etwa auf Seite 59, wo von „76 Schlüsseln“ einer Tastatur die Rede ist. Man fasst sich an den Kopf – von was sonst als von Tasten kann die Rede sein?!

Auf Seite 67 vergrätzte mich der Stil durch sein Kleben am Original. Wer würde im Deutschen sagen. „Was noch mehr war …“? Besser sollte man einfach „darüber hinaus“ sagen oder „obendrein“.

Was ist von einem Wort wie „Anliegenheit“ auf Seite 159 zu halten? Ganz einfach: Um die Zeile auf die richtige Länge zu bringen, fügte der Übersetzer einfach „-heit“ an das korrekte „Anliegen“ an.

„Eine Stationsbeamte“ tritt auf Seite 242 auf. Man rätselt, was damit gemeint sein könnte – DER Stationsbeamte oder DIE StationsbeamtIN? Letzteres ist plausibler.

Auf Seite 247 heißt ein Satz: „Ist die Stationsleitung von Gaohn] willens, diesen Zug der Kif] zu tolerieren?“ Besser und verständlicher klingt „Antrag“ als sinngemäße Übersetzung von „move“, was nämlich auch „Antrag in einem Verfahren“ bedeutet.

Auf Seite 278 gibt es einen ähnlich rätselhaften Satz: „Wir haben jetzt eine KANTE, die wir vorher nicht hatten.“ Nun, vermutlich ist nicht von Hand- oder Flügelkanten die Rede, sondern schlicht und ergreifend von einem VORTEIL. Ein Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch sollte eben auch amerikanischen Jargon kennen: „to have an edge over someone“ bedeutet „einen Vorteil über jemanden haben“.

Eine totale Entgleisung gibt es dann auf Seite 299 zu „bewundern“, wo es heißt: „Eine fremdartige Stimme war über Kom zu herein …“. Das Stichwort „Kom“ für „Kommunikation“ liefert den wichtigsten Hinweis: Statt „herein“ sollte es richtig „hören“ heißen.

Was mich jedoch am meisten und vor allem permanent ärgerte, war das Wörtchen „Huch“ – wohlgemerkt ohne Ausrufezeichen. Es klingt unscheinbar, hat aber eine verstörende Wirkung auf den Leser. Wen man im Deutschen „huch“ sagt, dann ist dies ein Ausruf des angstvollen, negativen Erstaunens und nicht etwa der Freude oder Skepsis. Doch das „huch“ im Roman ist ein ganz anderes, denn es kommt vom amerikanischen „huh“, was ungefähr „na, so was“ oder „na ja“ bedeutet. Ich will gar nicht anfangen, wie oft dieses Wörtchen falsch eingesetzt wird, aber auf Seite 316 ist wohl das unpassendste Auftreten zu finden: „Was hat die Welt Anuurn] unten dir Khym] schon zu bieten? Eine Freistätte? Huch.“ Der Leser merkt gleich, dass hier was nicht stimmt.

Illustrationen

Wie fast alle Cherryh-Bücher bei Heyne wurde auch dieser Band mit schönen Illustrationen von John Stewart versehen. Diese sind allesamt Strichzeichnungen, ohne Farbe, versteht sich – Farbe auf Hochglanzpapier wäre viel zu teuer. Die detailreichen Zeichnungen zeigen etliche Aliens, ein paar Szenen im Raum und schließlich Angriff eines männlichen Hani.

Allerdings gibt es hier noch keine Sternenkarte mit den Räumen des Pakt-Raumes. Diese findet sich erst in Band 2. Wer sich in Band 1 orientieren will, braucht also unbedingt auch Band 2!

Unterm Strich

Namen wie Akukkakk, Hinukki oder Ismehanan mögen so manchem Leser wie lästige Zungenbrecher erscheinen. Sie sind aber noch gar nichts gegen die Namen, die in der Trilogie über die Sterbenden Sonnen zu finden sind. Die Autorin fordert – mit Recht, wie ich finde – eine gewisse Bereitschaft vom Leser, sich mit der wahrhaftigen Fremdartigkeit ihrer Figuren auseinanderzusetzen. Und warum sollten ausgerechnet Namen dabei eine Ausnahme bilden? Sollen die Aliens alle Joe oder Esmeralda heißen? Wohl kaum.

Dieser geistige Aufwand ist der Preis, den jeder Leser für einen Cherryh-Roman zahlen muss. Und ich habe bei meinen Besuchen im Cherryh-Universum immer einen reellen Gegenwert für meinen Eintrittspreis erhalten.

Die gesamte „Chanur“-Serie steht auf einem Niveau mit Cherryhs Morgaine- und Sterbende-Sonnen-Zyklen – ein erstklassiger Einstieg in ihren realistischen, schnellen und unterkühlten Erzählstil und in ihr Aliianz-Union-Universum. Außerdem ist der bislang fünfbändige „Chanur“-Zyklus einer ihrer spannendsten und actionreichsten. Schade, dass es der Heyne-Verlag immer noch nicht geschafft hat, einen Sammelband davon – möglichst mit korrigierter Übersetzung – auf die Beine zu stellen.

Taschenbuch: 318 Seite
Originaltitel: The Pride of Chanur (1982)
Aus dem US-Englischen übertragen von Thomas Schichtel
www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)