Emily St. John Mandel – Das Meer der endlosen Ruhe

Werden wir die Erde vermissen?
Die Menschheit kommt nicht zur Ruhe. 1912 wird Edwin St. Andrew, Adelsspross aus England mit einer ketzerischen Haltung zum britischen Imperialismus, in die britische Kolonie Kanada exiliert und sucht dort sein Glück. 2203 bricht die berühmte Schriftstellerin Olive Llewellyn eine weltweite Lesereise ab, um zurück zu ihrer Familie auf den nun kolonialisierten Mond zu fliegen, als erste Meldungen über eine Pandemie laut werden. 2401, es gibt inzwischen Kolonien auf den Monden des Saturns, soll Gaspery-Jacques Roberts durch die Zeit reisen, um einer Anomalie nachzugehen, die vermuten lässt, dass die gesamte Geschichte der Menschheit nichts weiter ist als eine Simulation.

(Verlagsinfo) 

Wow. Werden wir die Erde vermissen? Wir kolonisieren den Mond, das Sonnensystem und auch ferne Kolonien. Zeitreise-Mission. Pandemie? Da wird ein Mix der großen Fragen der Science Fiction auf dem Klappentext vorgestellt, und der Roman hat nur 288 Seiten. Kann das gut gehen?

Emily St. John Mandel gewann mit ihrem Roman „Das Licht der letzten Tage“ diverse Preise, er wurde von HBO umgesetzt und auch ihr nächster Roman erhielt eine Serienadaptation. Sie lebt in New York City und hat eine Tochter.

Im vorliegenden Roman streift die Autorin mit kurzen Kapiteln das Leben von zwei Figuren: Zur Zeit der amerikanischen Kolonisierung begleiten wir einen verlorenen Erben eines englischen Adelshauses bis zu einem Moment der Verworrenheit, die wir aus seiner Sicht nicht einordnen können. Die Schriftstellerin in einhundertjähriger Zukunft begleiten wir auf ihrer irdischen Lesereise und erfahren schlaglichtartig vom Stress, den immer gleichen Fragen und den austauschbaren Momenten, bis sie in einer Situation eine für sie normale Umgebung wahrnimmt und beschreibt, die wir mit dem vergangenen Moment verbinden können.

Der Hauptcharakter tritt in diesen Phasen in kurzen Momenten in Erscheinung, wird erst in der verbleibenden Romanzeit direkt begleitet und beobachtet. Hier sehen wir einen zukünftigen Menschen, in dessen Zeit die fernen Kolonien erblühen, während die Mondkolonien bereits zu zerfallen scheinen. Die Prämisse des Romans, nämlich die Frage, ob wir in einer Simulation leben, wird gestellt und schwebt im Hintergrund über den Ereignissen.
Der Protagonist zeigt sich entgegen aller Regeln als menschlicher Charakter und kommt dem befremdlichen Phänomen, das diese drei Geschichten verbindet, auf die Spur. Seine Lösung schließlich ist ebenso einfach wie erbaulich, und die Antwort der Autorin auf die Frage nach dem Leben und dem Sinn darin ist es auch.

Wer als Leser zu sehr nach einer futuristischen Lektüre sucht mit den Fragen der Kolonisierung ferner Welten und den Konflikten, die sich daraus für die irdischen Menschen ergeben mögen, wird in diesem Roman nicht fündig werden. Dieses große, mit wenigen Bildern skizzierte Setting ist eine Voraussetzung für die drei Handlungsstränge und die Verflechtung von Pandemie, existenzieller Sehnsucht und technischer Grundlage, so scheint es, und weniger notwendiger Teil der Erzählung an sich. Keinesfalls jedoch ist es der Zweck und das Ziel des Buches. Hierfür wären die Einzelheiten zu oberflächlich erarbeitet, es gibt zu wenig an Neuem, an futuristischen Lebensvorstellungen, die der Literatur etwas hinzufügen würden. Sind es die Einzelheiten der Zeitreisen, der Paradoxa, der Gefahren dieser Vorstellung, oder die Endzeitstimmung nach Pandemien, oder aber der Aufbruch in ferne Welten – hier geht die Autorin keinesfalls neue Wege, sondern nutzt das vorhandene Wissen als Farbe für ihre Skizze der Welt, die für uns umso leichter vorstellbar ist, da wir bereits von ihr lasen.

Vor diesem Hintergrund wird dann die tatsächliche Frage aufgeworfen, nämlich die einzige von Bestand. Was wir im Vorfeld gefragt wurden mittels Klappentext, nämlich, ob wir die Erde vermissen würden, können wir nach der Lektüre kaum beantworten, denn weder ist dies die Frage, die die Autorin stellt, noch sucht sie hier nach einer Antwort. Wir erleben Ausschnitte, die uns dies vermuten lassen, allerdings sind wir auf der Suche nach einer anderen Antwort, und hier dreht uns die Autorin eine lange Nase und fragt uns, welche Rolle eine sichere Antwort spielen sollte. Ihre eigene Antwort ist ganz klar: Das Leben ist.

DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Ullstein Hardcover, 288 Seiten
Originaltitel ‏ : ‎ The Sea of Tranquility
ISBN: 9783550202155
Erschienen am  27. Juli 2023

Das Buch beim Verlag

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