Arthur Conan Doyle – Der Hund der Baskervilles [Sherlock Holmes]

Für ein vor Jahrhunderten begangenes Unrecht wird das Geschlecht der Baskervilles von einem mörderischen Geisterhund gejagt. Nun soll der berühmte Detektiv Sherlock Holmes den Spuk bannen. Mit seinem treuen Gefährten Dr. Watson macht er sich auf in das Moor von Devonshire, wo des Nachts freilich nicht nur der Hund umgeht … – Berühmtester und mit Abstand bester der vier Holmes-Romane, gelungen in der Handlung, spannend, atmosphärisch unerhört dicht: jede Zeile mit Recht ein Klassiker des Kriminalromans.

Das geschieht:

Unter mysteriösen Umständen starb Sir Charles Baskerville, ein Landadliger aus der Grafschaft Devonshire. Offenbar hat ihn der schwarze Geisterhund geholt, der nach einer alten Legende die Familie heimsucht, nachdem ein böser Urahn einst eine holde Maid zu Tode brachte. Nun übernimmt sein Neffe Sir Henry, der letzte Baskerville, das Erbe. Einen alten Freund treibt die Sorge, es könne ihm wie dem Onkel ergehen, nach London in die Baker Street Nr. 221b, wo der berühmte Meisterdetektiv Sherlock Holmes auf einen Fall wie diesen nur gewartet hat.

Sir Henry wird überwacht. Eine anonyme Warnung trifft ein, er solle sich vom Moor fernhalten, gleich zwei einzelne Schuhe werden ihm gestohlen, ein düsterer Verfolger gibt sich als Sherlock Holmes aus. Der fühlt sich herausgefordert. Allerdings binden ihn wichtige Geschäfte in London. So schlägt Dr. Watsons große Stunde: Der Freund, Assistent und Chronist des Detektivs soll Sir Henry nach Devonshire begleiten, dort über sein Leben wachen und vor allem für Holmes recherchieren. Geschmeichelt schlägt Watson ein und reist direkt in das Abenteuer seines Lebens.

Baskerville Hall ist ein verwunschener Ort, einsam inmitten des tückischen Grimpenmoors gelegen. Ein falscher Schritt lässt den unvorsichtigen Wanderer sogleich versinken. Gar nicht weit entfernt steht das berüchtigte Zuchthaus Dartmoor. Gerade ist dort der verrückte Serienmörder Seldon ausgebrochen und hält sich im Sumpf verborgen. Watson überrascht das Dienerpaar Barrymore, das nachts heimliche Signale ins Moor schickt. Er lernt Naturforscher Stapleton und seine schwermütige Schwester kennen. Watson raucht bald der Schädel. Wo bleibt Sherlock Holmes? Die Situation in Devonshire spitzt sich zu, als Watson einen weiteren Unbekannten entdeckt, der Baskerville Hall nicht aus den Augen lässt. Den wird er fangen, schwört er sich, legt sich auf die Lauer – und erlebt eine weitere Überraschung …

Rückkehr durch die Hintertür

Der dritte der Sherlock Holmes-Romane ist nicht nur der berühmteste, sondern sicherlich auch der beste. Während Arthur Conan Doyle mit „Studie in Scharlachrot“ (1888) und „Das Zeichen der Vier“ (1890) noch den langen Atem vermissen ließ, seinen Detektiv außerhalb der Kurzgeschichte agieren zu lassen, fand er jetzt endlich eine Möglichkeit, ihn über die volle Distanz eines Romans zu beschäftigen. Also keine endlosen Rückblenden und Nebenhandlungen mehr, die den Leser nicht wirklich interessieren, sondern Holmes pur, und das in einer Geschichte, die es in sich hat.

Vielleicht liegt es daran, dass Doyle ursprünglich Sherlock Holmes gar nicht auftreten lassen wollte. Kein Wunder, hatte er sich doch des Detektivs 1893 durch einen Sturz in die Reichenbach-Wasserfälle entledigt, um sich endlich der ‚ernsthaften‘ Literatur widmen zu können. Im Jahre 1901 machte der Autor Urlaub in Cromer, Norfolk. Bertram Fletcher Robinson, ein junger Journalist, der sich mit Doyle angefreundet hatte, erzählte ihm die Legende von einem unheimlichen Geisterhund, der in dieser Gegend sein Unwesen treiben sollte. Das setzte in Doyles Kopf einige Räder in Bewegung. Er beschloss, zusammen mit Robinson eine romantisch-schaurige Geschichte zu verfassen, die sich um einen alten Fluch auf eine Familie drehte, die ihr Domizil ausgerechnet am Rande eines finsteren Moors aufgeschlagen hatte.

Doyle, der sonst eher schnell als sorgfältig arbeitete, investierte in seine Recherchen deutlich mehr Aufwand als sonst. Noch 1901 besuchte er die Familie Robinson auf deren Landsitz in Devon. (Dort arbeitete ein junger Hausdiener namens Henry Baskerville!) Von hier starteten Doyle und Robinson eine Reihe von Erkundungsfahrten ins nahe Dartmoor. In den nächsten Wochen legte das Duo die Orte ihres zunächst möglicherweise als Gemeinschaftsarbeit geplanten Romans fest. Für die pittoreske Vergangenheit, die im Grimpenmoor jeden Fußbreit mit einer seltsamen Anekdote belegt, bedienten sich Doyle und Robinson aus den Werken des Reverends Sabine Baring-Gould (1834-1924). Hier entlieh Doyle auch die bedrückend schwermütige Atmosphäre, die er über die Geschichte vom Hund der Baskervilles legte.

Das Moor der Seele

Diese schrieb Doyle schließlich allein. Lange hat ihm die Kritik nachweisen wollen, als Autor von Robinson vertreten worden zu sein oder diesen um seine Mitautorenschaft betrogen zu haben. Tatsächlich ist „Der Hund der Baskervilles“ Doyles ureigenes Werk, in das er viel Herzblut investierte. Noch heute ist seine Schilderung des Moors der Stempel, der einer eigentlich recht prosaischen, kargen Landschaft aufgeprägt wurde, die dadurch ein dramatisches, symbolträchtiges Image gewann: das wilde Moor als Spiegelbild der primitiven Seiten der menschlichen Seele, bewohnt von dunklen Gestalten aus dem Schattenreich.

Wer konnte einen solchen Höllenpfuhl nicht nur betreten, sondern ihn zähmen und zivilisieren? Doyle kam schon bald darauf, dass es dafür eigentlich schon einen Idealkandidaten gab: Sherlock Holmes! Also kündigte er dessen Rückkehr an – und war Profi genug, sein ursprünglich für diesen Roman mit dem „Strand“-Magazin vereinbartes Honorar verdoppeln zu lassen. Die Herausgeber waren klug beraten, auf diese Forderung einzugehen. Sie mussten zum ersten Mal in der Geschichte sieben Auflagen ihres Magazins drucken, solange Holmes und Watson den Hund der Baskervilles jagten.

Kritiker bemängelten schon damals die Fadenscheinigkeit des Plots. Allzu intensiv darf man wirklich nicht darüber nachdenken, wie realistisch (oder zuverlässig) es beispielsweise ist, bei einem verwickelten Erbbetrug auf die Unterstützung eines mit Phosphor angemalten Hundes zu setzen. Aber lässt man sich auf die Geschichte ein, erlebt man noch heute eine höllisch spannende, wunderbar nostalgische Zeitreise zurück in eine wahrlich archaische Epoche.

Der Meister und sein Doktor

Sieben Jahre waren sie fort, doch sofort sind sie präsenter denn je: Sherlock Holmes und Dr. Watson beherrschen die Szene, sobald sie diese betreten; ersterer sogar, obwohl (oder weil) er sich auf einige wenige, aber gut getimte und klug inszenierte Auftritte beschränkt. Selten wird so deutlich wie im „Hund der Baskervilles“, dass Holmes und Watson ein Team bilden. Obwohl der gute Doktor jegliche kriminalistische Genialität nachhaltig vermissen lässt, schlägt er sich, scheinbar auf sich allein gestellt, mehr als wacker. Aktiv und agil durchstreift er das Moor und lernt es langsam aber sicher und stellvertretend für seine Leser kennen. Doyle war ein besserer Autor, als ihm oft zugestanden wurden, weil er ja ‚nur‘ Unterhaltung schrieb. Freilich wusste er genau, dass der Spuk von Baskerville rasch zerstoben wäre, hätte er sogleich Sherlock Holmes darauf angesetzt. Watson war leichtsinnig oder naiv (im positiven Sinne) genug, das Mysterium zu wahren. Erst später stößt Holmes dazu und bringt die eingeleiteten Verwicklungen zur finalen Auflösung.

Dieser Sherlock Holmes zeigt sich im „Hund der Baskervilles“ auf der Höhe seiner Fähigkeiten. Dabei erleben wir ihn von einer bisher nur behaupteten, ansonsten unbekannten Seite: Schon früher hatte Watson erwähnt, dass sein Freund durchaus weite Reisen unternahm, wenn es einen exotischen Fall zu klären galt. Nun verlässt Holmes sein geliebtes London tatsächlich, und siehe da: Er entwickelt glaubhaft echte Offroad-Qualitäten.

Auch die übrigen Figuren sind unsterblich geworden. Niemand, der (oder die) den „Hund der Baskervilles“ gelesen hat, vergisst den unglücklichen Seldon, den düsteren Stapleton oder die gramgebeugten Barrymores: Gestalten wie aus dem klassischen Horror-Roman, die ausgezeichnet ins Grimpenmoor passen und dessen fremdartige Bedrohlichkeit unterstreichen.

Zur Geschichte hinter der Geschichte

Die Geschichte des Romans „Der Hund der Baskervilles“ wird hier nach dem gleichnamigen Kapitel aus Christopher Fraylings wunderbarem Sachbuch „Nightmare – The Birth of Horror“ erzählt (dt. „Alpträume – Die Ursprünge des Horrors“, erschienen im Vgs-Verlag).

Sherlock Holmes ist längst auch im Internet allgegenwärtig. Als Einstieg eignet sich beispielsweise der „Sherlock Holmes Wiki“ (http://de.sherlockholmes.wikia.com).

P. S.: 1923 kehrte Sherlock Holmes – inzwischen ein verheirateter Mann – ins Dartmoor zurück, nachdem sich dort erneut ein Spuk-Hund zeigte. So jedenfalls erzählte es uns 1998 Laurie R. King in dem (leidlich unterhaltsamen) Roman „The Moor“ (dt. „Das Moor von Baskerville“). Wenn etwas an dieser Fortsetzung verblüfft, dann höchstens, dass sie so lange auf sich warten ließ.)

P. P. S.: Es heißt übrigens seit Doyle immer „Der Hund der Baskervilles“ und nicht „Der Hund von Baskerville“!

Der Hund in Film & Fernsehen (ein Überblick)

Wie „Dracula“ oder „Frankenstein“ gehört „Der Hund der Baskervilles“ zu den Stoffen, die immer wieder verfilmt wurden und werden. Eine erste Fassung entstand unter der Regie von Erwin Fichtner schon 1909 in Deutschland, wo man Sherlock Holmes ebenso schätzte wie in England. 1914/15 folgte eine vierteilige, actionreiche Fassung, die Richard Oswald (1880-1963) mit Alwin Neuß (1879-1935) als Sherlock Holmes inszenierte.

Die berühmteste Version entstand 1939. Der Legende nach kündigte Darryl Zanuck, Herr des 20th-Century-Fox-Studios, dem Schauspieler Basil Rathbone (1892-1967) an, ihn als ‚besten‘ Sherlock Holmes ins Kino zu bringen. Rathbone übernahm die Rolle mit Leib und Seele. Er war ein Holmes nach dem Geschmack des Publikums: britisch in Sprache und Auftreten, gleichzeitig jedoch amerikanisch aktiv und zupackend – kein „armchair detective“, sondern ein geistig wie körperlich gleichermaßen dynamischer Ermittler. An seiner Seite stand Nigel Bruce (1895-1953), der die Rolle des „comic relief“ übernahm: ein gemütlicher, geistig schlichter, von Holmes stets leicht zu beeindruckender aber gleichzeitig zuverlässiger und herzensguter Watson, der für erholsame Momente der Komik sorgte und den Holmes weit überragen und umso strahlender leuchten konnte.

„The Hound of the Baskervilles” war ein großzügig budgetierter Film. Die Fox verfügte über einen reichen Fundus ‚europäischer‘ Kulissenbauten, die sich leicht variiert eindrucksvoll einsetzen ließen. Hinter der Kamera standen Profis einer Filmindustrie dem Höhepunkt ihrer Geschichte. Neben Rathbone und Bruce spielten talentierte Vertragsschauspieler und Jungstars wie Lionel Atwill (1885-1946), John Carradine (1906-1988) oder Wendy Barrie (1912-1978), und die 140 Pfund schwere Dogge Chief verlieh dem Geisterhund die nötige Präsenz. Der Erfolg von „The Hound of the Baskervilles“ führte zur Fortsetzung. Bis 1946 entstanden mehrere kostengünstig hergestellte B-Movies mit dem bewährten Team.

1959 geriet die Besetzung der Holmes-Rolle in der Neuverfilmung von „The Hound of the Baskervilles“ mit Peter Cushing (1913-1994) zu einem ähnlichen Glücksgriff. Cushing gehört in die Reihe der Holmes-Darsteller, die für diese Figur geboren zu sein schienen. Er lieh einem gleichzeitig nachdenklichen und notfalls sehr agilen Detektiv seine hagere Gestalt. In Cushings raubvogelhaften Gesichtszügen spiegelt sich ein Holmes wider, der unterdrückt leidenschaftlich und beinahe unerbittlich wirkt.

Im Fernsehen trieb der böse Hund ebenfalls mehrfach sein Unwesen. Selbstverständlich verzichtete auch die Erfolgsserie „Sherlock“ (ab 2010) mit Benedict Cumberbatch als Holmes und Martin Freeman als Watson nicht auf ihn.

Autor

Arthur Conan Doyle wurde 1859 im schottischen Edinburgh geboren. Hier studierte er Medizin, heiratete 1884 seine erste Gattin und ließ sich im folgenden Jahr als praktizierender Arzt in Hampshire nieder. Parallel dazu begann er als Schriftsteller zu arbeiten. Mit „A Study in Scarlet“, veröffentlicht zunächst in „Beeton Christmas Annual“, einem der zahllosen Magazine der viktorianischen Epoche, begann noch recht bescheiden eine echte Weltkarriere. Erst die zweite Holmes-Geschichte „The Sign of the Four“ (1890, dt. „Das Zeichen der Vier“) und die ab 1891 im „Strand Magazine“ in Serie veröffentlichtem Sherlock Holmes-Kurzgeschichten brachten den Durchbruch.

Damit wollte es Doyle eigentlich bewenden lassen. Inzwischen verfasste er voluminöse historische Romane, die ihm wesentlich bedeutender erschienen als seine Detektivgeschichten. Deshalb ließ er Holmes 1893 im Kampf gegen Professor Moriarty sterben. Doch die untröstliche Leserschaft forderte seine Wiederauferstehung, die sich Doyle mit einem echten Bestseller-Honorar versüßen ließ. Holmes= Rückkehr war spektakulär: 1902 erlebte er in „The Hound of the Baskervilles“ (dt. „Der Hund der Baskervilles“) sein sicherlich berühmtestes Abenteuer, 1903 schlossen sich neue Kurzgeschichten im „Strand Magazine“ an (1905 gesammelt in „The Return of Sherlock Holmes“, dt. „Die Rückkehr des Sherlock Holmes“).

Während des Burenkrieges (1899-1902) diente Doyle als Arzt in einem Feldlazarett. Seine Erfahrungen schrieb er in „The War in South Africa“ nieder und zeigte sich dabei als konservativer Verteidiger der britischen Großmachtpolitik. Die Belohnung folgte 1902, als Doyle zum Ritter geschlagen wurde. Der Versuch, den Ruhm in politisches Kapital umzumünzen – 1900 und 1906 kandidierte Sir Arthur für das britische Parlament – scheiterte. Mit bemerkenswertem Erfolg konzentrierte sich Doyle nunmehr auf seine schriftstellerische Karriere. Nach dem Tod seines Sohnes Kingsley, der im I. Weltkrieg fiel, wandte er sich außerdem dem Spiritismus zu. Mit Sherlock Holmes hatte er sich ausgesöhnt und nutzte dessen außerordentliche Publikumswirksamkeit: der Meisterdetektiv sicherte ihm ein geregeltes Auskommen. Bis 1927 verfasste Doyle immer neue Holmes-Geschichten.

Obwohl seine Gesundheit in den späten 1920er Jahren zunehmend verfiel, blieb Sir Arthur Conan Doyle schriftstellerisch bis zuletzt außerordentlich aktiv. Tief betrauert starb er am 7. Juli 1930 in seinem Haus in Windlesham, Sussex. Dorthin hatte sich auch Sherlock Holmes als Pensionär zurückgezogen, um Bienenzüchter zu werden. So schloss sich schließlich der Kreis.

Taschenbuch: 240 Seiten
Originaltitel: The Hound of the Baskervilles (in: The Strand Magazine August 1901 bis April 1902; als Buch: London : G. Newnes Ltd 1902)
Übersetzung: Henning Ahrens
http://www.fischerverlage.de

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