Arthur Conan Doyle – Die Abenteuer des Sherlock Holmes

Sherlock Holmes ermittelt; er jagt keineswegs ausschließlich Verbrecher, sondern löst generell Rätsel aller Art, wobei er problemlos als Detektiv, Richter und Vollstrecker in Personalunion auftreten kann … – Erste und wohl beste Sammlung von Kurzgeschichten um Sherlock Holmes und Dr. Watson; ein Füllhorn klassischer und spannender Fälle, die sich noch heute fabelhaft lesen.

Inhalt:

– Ein Skandal in Böhmen (A Scandal in Bohemia, Juli 1891): Der große Frauenfeind Sherlock Holmes wird bekehrt – von der schönen Abenteurerin Irene Adler, die den genialen Meisterdetektiv mit seinen eigenen Waffen schlägt.

– Die Liga der Rotschöpfe (The Red-Headed League, August 1891): Viel Aufwand um einen fuchshaarigen Pfandleiher treibt ein trickreicher Räuber, aber Spürhund Sherlock Holmes treibt ihn aus seinem Bau.

– Eine Frage der Identität (A Case of Identity, September 1891): Der Bräutigam einer jungen Frau ist verschwunden, doch eigentlich hat es ihn nie gegeben, wie Sherlock Holmes rasch erkennt.

– Das Rätsel von Boscombe Valley (The Boscombe Valley Mystery, Oktober 1891): Den alten Goldsucher haben seine Jahre in Australien hartherzig gemacht, jetzt wurde ihm im trauten England der Schädel eingeschlagen – vom eigenen Sohn? Sherlock Holmes verfolgte eine andere Spur, die tief in die Vergangenheit reicht.

– Die fünf Orangenkerne (The Five Orange Pips, November 1891): Der böse Geizhals hätte wissen müssen, dass auch Queen Victorias England keinen Schutz bietet, will man ausgerechnet den Ku-Klux-Klan erpressen.

– Der Mann mit der entstellten Lippe (The Man with the Twisted Lip, Dezember 1891): Mr. St. Clair kennt eine geniale, aber peinliche Methode, viel Geld zu verdienen, sodass er den Tod der Schande vorzuziehen scheint, als man ihm auf die Schliche kommt – bis Sherlock Holmes die Tragödie mit einem feuchten Schwamm zu ihrem guten Ende bringt.

– Der blaue Karfunkel (The Adventure of the Blue Carbuncle, Januar 1891): Sherlock Holmes verfolgt die Spur einer Gans, die zwar keine goldenen Eier legt, aber einen wertvollen Diamanten verschluckt hat.

– Das gesprenkelte Band (The Adventure of the Speckled Band, Februar 1892): Seine Kenntnis allerlei Giftgetiers nutzt ein lumpiger Stiefvater, um das Familienvermögen zu schützen, aber Sherlock Holmes dreht den Spieß buchstäblich um.

– Der Daumen des Ingenieurs (The Adventure of the Engeneer’s Thumb, März 1892): Ein vom Glück ohnehin nicht verfolgter Ingenieur wird durch einen Arbeitsauftrag um den Lohn und einen Teil seiner Hand gebracht. Sherlock Holmes bringt Licht in die mysteriöse Angelegenheit, doch das blinde Schicksal ist dieses Mal schneller als die Gerechtigkeit.

– Der adlige Junggeselle (The Adventure of the Noble Bachelor, April 1892): Die Liebe ist stärker als blaues Blut – und ausgerechnet Sherlock Holmes soll ihr zum Sieg verhelfen.

– Die Beryll-Krone (The Adventure of the Beryl-Coronet, Mai 1892): Der missratene Sohn scheint seinen gramgebeugten Vater bestohlen zu haben, aber Sherlock Holmes ermittelt, welchen verschlungenen Weg ein verschwundenes Schmuckstück tatsächlich nahm.

– Die Blutbuchen (The Adventure of the Copper Beeches, Juni 1892): Rätsel, Entführung, bedrohte Unschuld – ein Fall ganz nach Sherlock Holmes‘ Geschmack, doch als er auf der Bildfläche erscheint, hat er sich längst selbst gelöst.

Zwölf krimihistorische Volltreffer

Diese erste Sammlung klassischer Sherlock Holmes-Kurzgeschichten gilt der Literaturkritik und vielen Lesern als die mit Abstand beste. Das kommt nicht von ungefähr: Arthur Conan Doyle hatte seinen Helden, den er mit „Studie in Scharlachrot“ (1888) und „Das Zeichen der Vier“ (1890) vorzüglich eingeführt hatte, erstens voll im Griff und zweitens noch nicht über, sondern seinen Spaß daran, diese Figur mit ihren bemerkenswerten Fähigkeiten und Marotten auszuloten. Dazu kam – für Doyle stets wichtig – die Verlockung einer guten Entlohnung, die das „Strand Magazine“ ihm dafür bot, das allmählich sehr beliebt werdende Duo Holmes & Watson in einer Serie von zwölf Stories auftreten zu lassen, von denen monatlich je eine erscheinen würde.

Also gab Doyle sein Bestes, und da er als Unterhaltungs-Schriftsteller ein absoluter Profi war, konnte sich das Ergebnis sehen lassen. Der wahre Sherlockist kennt natürlich sämtliche 56 Kurzgeschichten (und vier Romane) in- und auswendig, aber selbst der Gelegenheitsleser erkennt, dass die „Abenteuer des Sherlock Holmes“ sämtlich Klassiker sind. Vermutlich ist es einfacher, jene Sammlungen älterer Detektivgeschichten aufzulisten, in denen „Das gesprenkelte Band“ oder „Der blaue Karfunkel“ NICHT auftauchen.

Dies ist der wahre, der unverfälschte (und noch Kokain fixende) Sherlock Holmes, nicht verwässert wie die späten Stories, die von Doyle in weitem zeitlichen Abstand zum nostalgisch vernebelten London Queen Victorias und vor allem um des Geldes geschrieben wurden.

Das Verbrechen als zwischenmenschliches Element

Liest man die Holmes-Geschichten nicht in der (ihnen nachträglich aufgepfropften) chronologischen Reihenfolge, sondern so, wie Doyle sie verfasste, lassen sich interessante Entdeckungen machen. So erstaunt der Anteil der Fälle, die man gar nicht als Krimis definieren könnte. „Ein Skandal in Böhmen“, „Eine Frage der Identität“, „Der Mann mit der entstellten Lippe“, „Der blaue Karfunkel“ oder „Der adlige Junggeselle“ beschäftigen sich höchstens am Rande mit ‚echten‘ Verbrechen. Sherlock Holmes erscheint hier weniger als Detektiv, sondern als letzte Instanz in allgemein rätselhaften Angelegenheiten.

Oft wird im Finale nicht einmal ein Schurke gestellt, und falls doch, lässt ihn Holmes womöglich wieder laufen bzw. liefert ihn einer höheren Gerechtigkeit aus. Ihm geht es nicht primär um den Sieg der (offiziellen) Gerechtigkeit oder gar Geld und Ruhm (obwohl er ersteres nicht ausschlägt und letzteren durchaus schätzt), sondern um sein ureigenes Steckenpferd, die Deduktion. Damit meint er die durch ihn zur Kunst erhobene Fähigkeit, Spuren und Indizien zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen, das eine Geschichte erzählt, die ansonsten verborgen bliebe.

Unter diesen Umständen ist es für Holmes, aber auch für Watson und für die Leser nebensächlich, ob der Detektiv einem Monarchen aus der Patsche hilft oder ‚nur‘ einem verarmten, vom Leben gebeutelten Jedermann wieder zu seiner Weihnachtsgans verhilft. Gerade diese Episode brachte unverhofft jenen Kitzel, nach dem Holmes süchtig ist: Überraschungen bilden den Stoff, aus dem seine Träume sind. Besagten Lesern geht es ebenso, und Arthur Conan Doyle gibt ihnen, was sie sich wünschen. Aus heutiger Sicht mögen einige Wendungen nicht mehr verblüffen, aber die Welt hat sich halt weitergedreht und trägt nun eine deutlich abgebrühtere Generation.

Der Aha-Effekt steht über der Glaubwürdigkeit

Möchte man Doyle trotzdem einen Vorwurf machen, richtet sich dieser ausgerechnet an den kriminalistischen Plots, die doch eigentlich das A und O einer ‚typischen‘ Detektivgeschichte ausmachen. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass wohl keine der komplizierten Intrigen und Todesfallen funktionieren dürften, die zu klären sich Holmes solche Mühe gibt. Nur ein Beispiel: Wie realistisch ist es wohl, eine bekanntlich recht hirnschwache, vor allem aber stocktaube Schlange mit Flötentönen und Milchgenuss zur unfehlbaren Mordmaschine zu dressieren („Das gesprenkelte Band“)?

Der Punkt ist aber, dass Pedanten und Ketzer nichts in der Welt des Sherlock Holmes verloren haben. Arthur Conan Doyle selbst vertrat in diesem Zusammenhang eine sehr gesunde Meinung: „Aber was Details betrifft, bin ich nie ängstlich gewesen, und manchmal muss man einfach gebieterisch sein“ (aus „Memories und Adventures“, 1924). So gewinnt man sicher keinen Literatur-Nobelpreis, aber viele treue Leser, die ein flottes Garn über angeblichen Realismus stellen. Für allzu intensive Recherchen blieb dem überaus produktiven Doyle ohnehin nur wenig Zeit, denn er musste regelmäßig liefern.

Bei seinem dritten Auftritt hat sich der Welt erster „beratender Detektiv“ endgültig im selbst gewählten Metier etabliert. Holmes‘ überragende Fähigkeiten haben sich „auf drei Kontinenten“ herumgesprochen, wie Watson rühmt – bemerkenswert eigentlich für einen Kriminalisten, der sich besser ein wenig abseits der Öffentlichkeit halten sollte. Aber da ist Holmes‘ Eitelkeit, die Watson keineswegs verschweigt. In diesem Zusammenhang muss auch seine Selbstherrlichkeit gesehen werden: Holmes behält sich durchaus vor, aus eigenem Ermessen zu richten. Einen Schurken lässt er laufen, wenn er es für richtig hält, statt ihn der Polizei zu übergeben, und einmal (in „Das gesprenkelte Band“) nimmt er den Tod des Täters sogar wissentlich in Kauf: „Auf diese Weise bin ich zweifellos indirekt für Dr. Grimesby Roylotts Tod verantwortlich geworden, aber in kann nicht behaupten, daß dies mein Gewissen sehr bedrücken wird.“

Ein gut dosiertes Quantum Menschlichkeit

Aufsehen vermeiden – das ist die Tugend des viktorianischen Herrn, der sich aber auch die wahre Lady verpflichtet fühlt. Immer wieder erleben wir, dass Holmes zu Rate gezogen wird, wenn es gilt, die schon damals unerwünschte Aufmerksamkeit der Presse zu vermeiden. Das akzeptiert er, weil er in beruhigend hoher Position in der zeitgenössischen Gesellschaft verankert ist. Aber Holmes steht nicht über den Konventionen, und er ist nicht darüber erhaben, erbost zu sein, wenn ihn ein adliger Laffe oder sogar ein eingebildeter König kaum verhohlen als besseren Dienstboten behandeln. In solchen Momenten mag ihm schmerzlich zu Bewusstsein kommen, dass er eben nicht dem Idealbild des müßiggängerischen, feingeistigen Gentleman entspricht, den primär der Sportsgeist zu seinem Tun treibt.

Als Ermittler ist er längst nicht so unfehlbar wie ihm dies die Literaturkritik gern vorhält. In „Die fünf Orangenkerne“ oder „Der Daumen des Ingenieurs“ bleibt Holmes sogar erfolglos. Das nimmt er allerdings mit Humor und der Gelassenheit des Profis: Es werden andere Fälle kommen – und Holmes ist lernfähig: „Er pflegte sich einstmals über weibliche Schauheit lustig zu machen, aber seither habe ich derlei nicht mehr bei ihm gehört“ („Ein Skandal in Böhmen“).

Watson bleibt es überlassen, unter den trügerischen Panzer der „Denkmaschine“ zu schauen. Erneut stellt sich heraus, dass der bodenständige Doktor Holmes ein echter, nach seiner Heirat oft schmerzlich vermisster Freund ist. Dem Detektiv ist es menschlich nicht gegeben, es in Worte zu fassen, aber seine Taten sprechen Bände: Wieso sonst ist er stets in einen Fall verwickelt, der die Unterstützung des Doktors unbedingt erforderlich macht, sobald diesen der Zufall über Holmes‘ Schwelle treibt? Watson scheint das durchaus zu wissen, und er sorgt sich um den Freund. In „Die Blutbuchen“ versucht er ihn sogar mit einer Klientin zu verkuppeln und ist betrübt, als Holmes darauf nicht anspringen mag. Auch der viktorianische Leser liebte bereits die Seifenoper, und Doyle hatte auch hier die Nase im Wind. So leistete er fabelhafte Arbeit, und wir lesen sich die in diesem Band versammelten Geschichten mehr als ein Jahrhundert nach ihrer Entstehung mit demselben Genuss, den die Käufer des „Strand“ einst verspürt haben müssen.

Autor

Arthur Conan Doyle wurde 1859 im schottischen Edinburgh geboren. Hier studierte er Medizin, heiratete 1884 seine erste Gattin und ließ sich im folgenden Jahr als praktizierender Arzt in Hampshire nieder. Parallel dazu begann er als Schriftsteller zu arbeiten. Mit „A Study in Scarlet“, veröffentlicht zunächst im „Beeton Christmas Annual“, einem der zahllosen Magazine der viktorianischen Epoche, begann noch recht bescheiden eine echte Weltkarriere. Erst die zweite Holmes-Geschichte „The Sign of the Four“ (1890, dt. „Das Zeichen der Vier“) und die 1891/92 im „Strand Magazine“ in Serie veröffentlichtem „Abenteuer“ brachten den Durchbruch.

Damit wollte es Doyle eigentlich bewenden lassen. Inzwischen verfasste er voluminöse historische Romane, die ihm bedeutender erschienen als seine Detektivgeschichten. Deshalb ließ er Holmes nach einer zweiten Story-Serie 1893 im Kampf gegen Professor Moriarty sterben. Die untröstliche Leserschaft forderte seine Wiederauferstehung, die sich Doyle mit einem Bestseller-Honorar versüßen ließ. Holmes‘ Rückkehr war spektakulär: 1902 erlebte er in „The Hound of the Baskervilles“ (dt. „Der Hund der Baskervilles“) sein sicherlich berühmtestes Abenteuer, 1903 schlossen sich neue Kurzgeschichten im „Strand Magazine“ an (1905 gesammelt in „The Return of Sherlock Holmes“, dt. „Die Rückkehr des Sherlock Holmes“).

Während des Burenkrieges (1899-1902) diente Doyle als Arzt in einem Feldlazarett. Seine Erfahrung schrieb er in „The War in South Africa“ nieder und zeigte sich dabei als konservativer Verfechter der britischen Großmachtpolitik. Die Belohnung folgte 1902, als Doyle zum Ritter geschlagen wurde. Der Versuch, den Ruhm in politisches Kapital umzumünzen – 1900 und 1906 kandidierte Sir Arthur für das britische Parlament – scheiterte. Mit bemerkenswertem Erfolg konzentrierte sich Doyle nunmehr auf seine schriftstellerische Karriere. Nach dem Tod seines Sohnes Kingsley – er fiel im Ersten Weltkrieg – wandte er sich außerdem dem Spiritismus zu. Mit Sherlock Holmes hatte er sich ausgesöhnt und nutzte dessen Publikumswirksamkeit – der Meisterdetektiv sicherte ihm ein geregeltes Auskommen. Bis 1927 verfasste Doyle immer neue Holmes-Geschichten.

Obwohl seine Gesundheit in den späten 1920er Jahren nachließ, blieb Sir Arthur Conan Doyle schriftstellerisch bis zuletzt aktiv. Tief betrauert starb er am 7. Juli 1930 in seinem Haus in Windlesham, Sussex. Dorthin hatte sich auch Sherlock Holmes als Pensionär zurückgezogen, um Bienenzüchter zu werden; so schloss sich schließlich der Kreis.

Taschenbuch: 366 Seiten
Originaltitel: The Adventures of Sherlock Holmes (im Magazin: The Strand Magazine Juli 1891 bis Juni 1892; als Buch: London : George Newnes, Ltd. 1892)
Übersetzung: Henning Ahrens
https://www.fischerverlage.de

eBook: 1159 KB (Kindle)
ISBN-13: 978-3-1040-3615-1
https://www.fischerverlage.de

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