Mary Higgins Clark – Hab Acht auf meine Schritte

Mary Higgins Clark hat sich schon seit langem einen Namen als Grand Dame der Spannungsliteratur gemacht, ihre erfolgreichen Romane zeichnen sich meist durch ausgeklügelte Plots mit psychologischem Hintergrund aus, die sich vom oft anzutreffenden Mittelmaß erfreulich abheben. Auch in ihrem aktuellen Thriller „Hab Acht auf meine Schritte“ versetzt Mary Higgins Clark sich und ihre Leser in die Rolle eines unschuldigen Opfers, mit dem es mitzufühlen gilt. In den letzten 25 Jahren hat die berühmte Autorin über 20 Kriminalromane veröffentlicht, die überwiegend zu internationalen Bestsellern avancierten.

Home Sweet Home

Der erfolgreiche Anwalt Alex Nolan hat sich eine ganz besondere Geburtstagsüberraschung für seine geliebte Frau Celia ausgedacht, nämlich ein wunderschönes Haus in Mendham, in dem die beiden mit ihrem kleinen Sohn Jack fortan wohnen sollen. Doch was Alex nicht weiß, ist, dass Celia dort einen Teil ihrer Kindheit verbracht und in diesem Haus versehentlich ihre Mutter erschossen hat. Damals hieß Celia noch Liza Barton und lebte mit ihrer Mutter Audrey und deren zweitem Mann Ted unter einem Dach.

Im Prolog erfahren wir, wie die damals Zehnjährige Liza eines Nachts erwacht und einen Streit zwischen ihrer Mutter und Ted mit anhören muss. In dem Glauben, ihre Mutter schützen zu können, holt Liza die Pistole aus dem Nachtschrank ihrer Mutter und richtet sie auf Ted. Der jedoch lacht das kleine Mädchen aus und schubst Audrey in die Richtung ihrer Tochter. Unbeabsichtigt löst sich ein Schuss und Audrey sinkt zu Boden.

24 Jahre später wird Celia von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Schon am Tag des Einzuges in ihr ehemaliges Elternhaus findet die Familie Nolan ihr neues Zuhause mit Sprüchen beschmiert vor, denn die Einwohner von Mendham haben nicht vergessen, welches Unglück sich in diesem Haus abgespielt hat. Die Immobilienmaklerin Georgette Grove ist entsetzt, fürchtet sie doch um ihren Deal, da sie Alex nicht deutlich genug gemacht hat, welches Haus er sich als Geschenk für seine Frau ausgesucht hat. Als Wiedergutmachung bietet sie Celia ein anderes Haus an. Als diese jedoch zur Hausbesichtigung kommt, entdeckt sie im Keller des Farmhauses die ermordete Georgette. In Panik flüchtet Celia nach Hause und alarmiert erst dort die Polizei. Es dauert nicht lange, bis ein weiterer Mord geschieht und der Verdacht bald auf Celia fällt, die sich mehr als auffällig verhält. Celia jedoch kann sich niemandem anvertrauen, denn nicht einmal ihr Mann Alex kennt ihre dunkle Vergangenheit …

Tempo, Tempo, Tempo

Mary Higgins Clark verliert nicht viel Zeit in ihrem Roman „Hab Acht auf meine Schritte“. Zunächst macht sie uns im Prolog kurz mit Liza Bartons Vergangenheit bekannt und gibt uns hierbei schon entscheidende Hinweise. In Mendham ist zunächst nicht bekannt, dass es sich bei der neuen Einwohnerin Celia Nolan um die kleine Liza handelt, die vor 24 Jahren des Mordes an ihrer Mutter angeklagt und aus Mangeln an Beweisen freigesprochen wurde. In der ersten Szene in der Gegenwart der Romanhandlung erleben wir Celias Entsetzen hautnah mit; plötzlich steht sie wieder in ihrem Elternhaus und soll sich über dieses Geburtstagsgeschenk freuen. Das Schicksal scheint es nicht gut mit ihr zu meinen. Schon der Einzug der Familie Nolan wird durch Schmierereien am neuen Haus und eine hässliche Puppe, die eine Pistole in der Hand hält, überschattet. Die Klatschpresse läuft auf und Celia fällt in Ohnmacht, weil sie die Situation nicht länger erträgt. Der Roman beginnt temporeich und lässt uns kaum Zeit zum Durchatmen, auch der erste Leichenfund lässt nicht lange auf sich warten. Mary Higgins Clark schafft es von Anfang an, ihre Leser an das Buch zu fesseln; anschließend stellt sie uns nach und nach neue Romanfiguren vor, die wir zunächst meist nicht einordnen können. Allmählich streut die Autorin Hinweise ein, die uns das Mitraten ermöglichen und die langsam die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Personen deutlicher werden lassen. Selbstverständlich lockt Mary Higgins Clark uns dabei auf die eine oder andere falsche Spur, doch wenn man etwas Krimi-erfahren ist, so wird man einige falsche Fährten schnell entlarven.

Im Laufe der Erzählung beginnt Celia Nolan, sich genauer an die Nacht zu erinnern, in der ihre Mutter gestorben ist. Erst weiß sie nur, dass ihre Mutter und Ted einen Streit hatten, später fallen Celia Satzfetzen ein, doch erst hundert Seiten vor Schluss hat sie das letzte Puzzleteilchen gefunden, um die Rätsel zu lösen, die die Mordnacht ihr aufgegeben haben. Der Krimifreund wird allerdings angesichts des erinnerten Satzes nicht überrascht sein, da dieser sich schon vorher recht klar abgezeichnet hat – er hätte kaum anders lauten können. So verpufft an dieser Stelle viel Spannung, die Higgins Clark vorher sorgfältig aufgebaut hat.

Schnell ahnt der Leser, welchen Verlauf der Roman nehmen muss und welche Personen etwas zu verbergen haben, es ist also offensichtlich, dass uns am Ende noch eine dicke Überraschung erwarten wird. Und so ist es auch; Mary Higgins Clark baut eine Wendung ein, mit der wir nicht gerechnet haben, die mir persönlich aber sehr gekünstelt erscheint. Zwar werden alle Fragen aufgeklärt und auch alle Zusammenhänge dargestellt, doch weiß diese Wendung nicht aus sich selbst heraus zu überzeugen.

An einigen Stellen ist die Geschichte darüber hinaus recht vorhersehbar. So erfährt Celia Nolan im Laufe der Zeit entscheidende Dinge über den Tod ihres Vaters und es ist klar, dass ihr durch dieses Wissens Lebensgefahr droht, weil ein psychopathischer Killer durch Mendham läuft, der genau die Personen auf dem Kieker hat, die in diese Geschichte verwickelt sind. So wundert es uns schließlich nicht, dass ein wichtiger Zeuge ermordet aufgefunden wird und dass auch Celia nicht ganz ungeschoren davonkommen wird. Hier nervt es schon mal, wenn Celia mit ihrem Wissen zur Polizei geht und diese sich aber kaum um ihren Schutz kümmert, obwohl doch jeder ahnen müsste, was nun kommen mag …

High Society

Mary Higgins Clark bedient sich in diesem Roman Figuren, wie wir sie im alltäglichen Leben wohl nicht kennen lernen werden. Celia Nolan hat nicht nur einige Leichen im Keller ihrer dunklen Vergangenheit, sondern sie ist darüber hinaus eine gut aussehende und erfolgreiche Innenarchitektin, die es dennoch geschafft hat, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Ihr erster Ehemann ist an einer schweren Krankheit gestorben und hat ihr ein millionenschweres Erbe hinterlassen, das sie finanziell mehr als ausreichend abgesichert hat. Aber auch ihr neuer Ehemann ist gut situiert, gebildet und überaus attraktiv. Bei ihnen beiden scheint es sich um ein absolutes Traumpaar zu handeln.

Aber auch Ted Cartwright, mit dem Celias Mutter in zweiter Ehe verheiratet war, ist schwerreich und besitzt eine eigene Reihe von Luxushäusern, die nun fertig gestellt sind und zum Verkauf stehen. Ted ist in Mendham sehr angesehen und logiert häufig im bekannten Reitclub der Stadt. Im Clinch liegt er allerdings mit der durchsetzungsstarken Georgette Grove, die ein Grundstück besitzt, das Ted ihr unbedingt abkaufen möchte, um dort weitere Geschäfte zu bauen. Doch Georgette möchte es für kein Geld der Welt verkaufen, sondern lieber der Stadt schenken, obwohl ihre Immobilienfirma in größeren finanziellen Schwierigkeiten steckt.

Die Figuren in „Hab Acht auf meine Schritte“ wirken wie Schablonen aus einem Märchenbuch; in einer bekannten Daily Soap auf ARD könnte ich sie mir gut vorstellen, wo eigentlich auch alle auftauchenden Personen reich und adelig sind. Authentisch wirken diese Menschen allerdings nicht, was eine Identifikation mit der gebeutelten Celia durchaus erschwert.

Alltagspsychologie

Der angekündigte psychologische Tiefgang ist leider eher mit der Lupe zu suchen. Zwar muss Celia Nolan schwere Schicksalsschläge verkraften und hat jahrelange psychologische Therapie hinter sich, doch hält sich Mary Higgins Clark mit seelenklempnerischen Ausführungen sonst stark zurück. Celia ist panisch und manchmal auch paranoid, häufig nimmt sie Schlaftabletten, um die Nacht durchschlafen zu können. Die Zeichen eines psychischen Problems sind also da, sie werden allerdings kaum sinnvoll thematisiert. Auch finde ich Celias Verhalten oft wenig nachvollziehbar. Wieso zum Beispiel schafft sie es nicht, ihrem Mann die Wahrheit über ihre Vergangenheit zu sagen, selbst wenn sie ihrem ersten Ehemann am Sterbebett versprochen hat, dies nie zu tun?! Die Geschichte ist zwar aus Celias Sicht erzählt, dennoch bleibt ihr seelisches Befinden doch stark im Hintergrund.

Unterm Strich hat Mary Higgins Clark einen grundsoliden Thriller vorgelegt, der nahezu durchweg zu unterhalten weiß und auch sehr spannend geschrieben ist. Dennoch gelingt ihr keine glaubwürdige Figurenzeichnung und auch die finale Wendung erscheint zu konstruiert. Psychologischen Tiefgang lässt das Buch deutlich vermissen, auf diesem Gebiet gibt es wahrlich ausgefeiltere Romane. Insgesamt hebt sich „Hab Acht auf meine Schritte“ leider kaum vom Mittelmaß ab und wird bei mir wohl schnell in Vergessenheit geraten, auch wenn ich das Buch gerne gelesen habe. Zu den Klassikern wird dieses Buch sicher nie zählen, aber als kurzweilige Unterhaltung funktioniert es dennoch gut.

Gebundene Ausgabe: 448 Seiten
Originaltitel: No Place Like Home
Aus dem Amerikanischen von Andreas Gressmann
www.heyne.de