Krimidebüt: John Rebus gegen den Edinburgher Würger
Zwei junge Mädchen wurden bereits in Edinburgh verschleppt und umgebracht, wenn auch ohne sexuellen Missbrauch. Als das dritte verschwindet, fühlt sich Inspektor John Rebus an seine eigene Tochter erinnert, die er mit seiner geschiedenen Frau Rhona hat. Rebus erhält als einziger Cop in Edinburgh rätselhafte Botschaften aus jeweils einer Phrase, aber stets mit einem Knoten oder einem kleinen Kreuz aus Zündhölzern versehen. Es ist klar, dass nur er diesen Fall lösen kann… (Verlagsinfo)
Der Autor
Sir Ian Rankin, geboren 1960, gehört zu den wichtigsten Krimischriftstellern der britischen Insel. Er war u.a. Alkoholtester“, Schweinehirte, Musikjournalist und Punkmusiker, bevor er sich dem Schreiben zuwandte. Sein Inspektor Rebus macht die schottische Hauptstadt Edinburgh nun schon in zahlreichen Abenteuern sicherer – soweit man ihn lässt!
Für „Die Kinder des Todes“ wurde Rankin mit dem Deutschen Krimipreis 2005 ausgezeichnet. Die englische Königin verlieh ihm für seine Verdienste um die Literatur den „Order of the British Empire“. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh. Er schrieb auch andere Romane, u.a. unter dem Pseudonym Jack Harvey. Mehr Info: www.ianrankin.net.
Die Rebus-Romane & -Stories:
(1987) Verborgene Muster (Knots & Crosses) – TB-Nr. 44607
(1991) Das zweite Zeichen (Hide & Seek) – TB-Nr. 44608
(1992) Wolfsmale (Wolfman/Tooth and Nail) – TB-Nr. 44609
(1992) Ehrensache (Strip Jack) – TB-Nr. 45014
(1993) Verschlüsselte Wahrheit (The Black Book) – TB Nr. 45015
(1994) Blutschuld (Mortal Causes) – TB Nr. 45016
(1995) Ein eisiger Tod (Let it Bleed) – TB Nr. 45428
(1997) Das Souvenir des Mörders (Black & Blue) – TB Nr. 44604
(1998) Die Sünden der Väter (The Hanging Garden) – TB Nr. 45429
(1999) Die Seelen der Toten (Dead Souls) – TB Nr. 44610
(2000) Der kalte Hauch der Nacht (Set in Darkness) – TB Nr. 45387
(2001) Puppenspiel (The Falls) – TB Nr. 45636
(2002) Die Tore der Finsternis (Resurrection Men) – TB Nr. 45833
(2003) Die Kinder des Todes (A Question of Blood) – TB Nr. 46314
(2004) So soll er sterben (Fleshmarket Close) – TB Nr. 46440
(2006) Im Namen der Toten (The Naming of the Dead) – TB 46941
(2007) Ein Rest von Schuld (Exit Music) – TB 46940
(2012) Mädchengrab (Standing in Another Man’s Grave) – TB 48091
(2013) Schlafende Hunde (Saints of the Shadow Bible)
(2015) Das Gesetz des Sterbens (Even Dogs in the Wild) – TB 48691
(2016) Rather Be the Devil
Darüber hinaus gibt es zwei Sammlungen mit Rebus-Kurzgeschichten:
– Eindeutig Mord. Zwölf Fälle für John Rebus (A Good Hanging & Other Stories) – TB Nr. 45604
– Der Tod ist erst der Anfang (Beggars Banquet) – TB 45605
Handlung
Inspektor John Rebus kommt gerade aus dem Urlaub zurück. Er war am Grab seines Vaters in Fife und hat dort auch seinen Bruder Michael besucht, der mit einer Hypnose-Show durchs Land zieht – ziemlich schräg, wie Rebus findet. Und was ist dieser merkwürdige Geruch in Michaels Haus, und wie hat er den dicken BMW bloß bezahlt? Wie auch immer: Es gibt gleich am ersten Tag im Hauptquartier der Kripo von Edinburgh den totalen Horror.
Jemand hat das zweite Mädchen umgebracht und auf einem Grundstück unbemerkt abgelegt. Schon am nächsten Tag trifft die Meldung vom verschwinden eines dritten Mädchens ein. Der Täter hat es offenbar sehr eilig. Rebus‘ Boss Anderson bringt alle auf Trab, und das bedeutet: Nachtarbeit, etwas, das Rebus hasst. Sein Kollege und Zechkumpan Jack Morton muss dafür sämtliche Häuser rund um die Fundorte abklappern. Auch nicht gerade beneidenswert, findet Rebus.
Er selbst grübelt vergeblich über die anonymen Briefe, die er erhält. „Die Hinweise sind überall“ und „Man lese zwischen den Zeiten“, versehen mit Knoten aus Schnur und Kreuzchen aus Zündhölzern. Was soll man davon halten, fragt er sich, vielleicht ein Scherz. Doch der Absender kennt seine persönliche Adresse, und das findet Rebus beunruhigend.
Beschattet
Er ahnt nicht, dass er von einem Mitglied der Sensationspresse auf Schritt und Tritt beobachtet wird. Jim Stevens, seines Zeichens Investigativreporter einer Edinburgher Tageszeitung, beobachtet Michael Rebus bei der Übergabe von Rauschgift. Man muss nicht Einstein heißen, um auch Michaels Bruder zu verdächtigen. Hat Rebus etwa Dreck am Stecken, hängt im Drogengeschäft mit drin?
Jim Stevens versucht die Presseverbindungsfrau der Kripo Gill Templer zu warnen, doch die Andeutung war wohl etwas zu obskur, denn Gill wird Rebus‘ neue Freundin. Auf diese Weise entdeckt sie, dass er seit geraumer zeit anonyme Briefe erhält, die genau dann eintreffen, bevor wieder ein Opfer des Edinburgher Würger verschwindet. Wie konnte ihm dieser Zusammenhang denn NICHT auffallen? Rebus schämt sich in Grund und Boden. Ja, wie nur?
Reise in die Vergangenheit
Immer wieder hat sich Rebus darüber gewundert, dass ihm sein Verstand in letzter Zeit einen Streich spielte. Aber unter dem Leistungsdruck, den Anderson ausübte, verdrängte er diesen „Anfälle“. Doch jetzt kommt er nicht mehr um das Problem herum. Des Rätsels Lösung ist in der Vergangenheit vergraben. Um seine eigene mentale Blockade zu umgehen, lässt er sich von Michael hypnotisieren. Dieser führt sein Bewusstsein in jene Zeit, als Rebus bei der Army und bei den Spezialeinsatzkräften (SAS) war. So entdeckt er, wer hinter den Mädchenmorden stecken muss…
In einem Gespräch mit einem Englischprofessor wird er mit der Nase darauf gestoßen, dass die vier getöteten Mädchen keineswegs in zufälliger Reihenfolge ausgewählt wurden. Die Anfangsbuchstaben ihrer Vor- und Zunamen ergeben, in richtiger Reihenfolge angeordnet, einen weiteren Namen. Einen Namen, den Rebus nur allzugut kennt und der ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt. Von Anfang ist die Mordserie nur auf ein Ziel ausgerichtet gewesen – auf ihn selbst…
Mein Eindruck
Eine Ermittlung ist der Versuch des Polizisten, Erkenntnis zu erlangen. Doch wie soll John Rebus zur Erkenntnis gelangen, wenn sich die Hälfte seines Verstandes weigert, die verdrängte Vergangenheit zuzulassen? So wirkt Rebus praktisch blind. Nur ein radikaler Durchbruch durch die Hypnose und die Reise in die Vergangenheit erlaubt es ihm, das schreckliche Geschehen bei der SAS zuzulassen und zu interpretieren.
((Achtung, Spoiler!))
Es geschah bei der Ausbildung zu einem speziellen Undercover-Auftrag bei der IRA, dass John Rebus mit seinem besten Kumpel Gordon Reeve immer neuen fiesen Tricks unterworfen wurde. Sie dienten dazu, ihn zu brechen, so dass er alles über sich verriet. Er ließ sich nicht brechen. Doch die gemeinsame Unterbringung mit Gordon erwies sich für John tödlichste Falle.
Denn er und Gordon spielten nicht nur Knoten- und Kreuzchen-Spiele und erzählten sich Geschichten, sie schlossen auch Blutsbrüderschaft – bis Gordon ihm einen Kuss geben wollte. Da machte John nicht mehr mit – und schon öffente sich die Tür ihrer Zelle. Der Leiter des Programms sagte, John habe bestanden und könne gehen. John ließ Gordon, seinen neuen Blutsbruder, im Stich…
An diesem Bruch seiner Loyalität gegenüber Freunden, den die Ausbildungsleitung provozierte, wäre John beinahe zerbrochen. Um dieser Gefahr zu begegnen, schottete er diesen beschämenden Teil seines Lebens ab, ließ sich aber als Ausgleich einen gutdotierten Posten bei der Polizei verschaffen. Nun ist Gordon Reeve zurückgekehrt, um seine Rache an John zu vollenden. Doch wo konnte er sich all die Jahre über verstecken und wo fand er seine jungen Opfer?
Anders als viele spätere Rebus-Romane nutzt der Autor in seinem Rebus-Debüt (aber beileibe nicht seinem ersten Krimi) zahlreiche Perspektiven, um das Geschehen zu erzählen. Dazu gehören auch die Erlebnisse von Gill Templer und Jim Stevens. Insbesondere Stevens trägt wichtige Aspekte zur Ermittlung gegen den Edinburgh-Würger bei, nämlich eine Reflexion der öffentlichen Meinung und wie diese von den Medien gesteuert wird.
Stevens ist es auch, der durch seine Ermittlung gegen Michael Rebus unseren Helden ins Zwielicht rückt. Was, wenn John wirklich Dreck am Stecken hätte? Würde dies nicht seine Wirkungslosigkeit bei der Ermittlung erklären? Stevens schreckt keineswegs davor zurück, die Cops übers Ohr zu hauen und sich gegenüber Michael selbst als Ermittler auszugeben (mit einer Karte von einem Sportklub). Merke: Hier wird mit harten Bandagen gekämpft. Als John Rebus dies herausfindet, fällt seine Reaktion entsprechend hart aus.
Showdown
Die Story hat auch viel mit der Vergangenheit von Edinburgh zu tun. Die alte Königsstadt unter der massigen Burg birgt vordergründig eine Menge Postkartenansichten für die Touris. Doch im Untergrund verbergen sich unglaublich blutige Geschichten, so etwa die von den Leichendieben Burke & Hare und Deacon Brodie, dem Vorbild für Jekyll & Hyde.
Für einige Jahrzehnte war zudem Armut behördlich verboten, so dass Bettler usw. in die Katakomben unter der Stadt gehen und dort ihr elendes Dasein fristen mussten. (Dazu gibt es heute gruselige Stadtführungen.) In diesen Gewölben findet der Showdown statt. Actionfreunde kommen hier endlich auf ihre Kosten.
Unterm Strich
Wenn ich über die lange Reihe der Inspektor-Rebus-Krimis zurückblicke, so erweist sich der Debüt als eine Art Fingerübung zu dem, was noch kommen soll. Als nächster Roman der Reihe, den ich las, ist „Strip Jack / Ehrensache“ (Nr. 4) zu nennen. Dort ist Rebus ebenso furchtlos und zynisch, aber weitaus weniger angreifbar als im Debüt.
Der Autor macht in „Knots & Crosses“ den Fehler, seinen Helden zu demontieren. Rebus ist ein schlechter Polizist, weil sich sein eigener Verstand weigert, gewisse Aspekte zu beachten und Zusammenhänge herzustellen. Dadurch bringt er seine eigene Tochter in Lebensgefahr. Er muss erst einmal mit seiner militärischen Vergangenheit ins Reine kommen, bevor er den Täter jagen kann.
Ob er auch ein schlechter Vater, Gatte und Lover ist, sollten sich die weiblichen Leser ein Urteil bilden. Aber merkwürdig ist es schon, dass er in seiner ersten Liebesnacht mit einer Pub-Bekanntschaft einfach das Bewusstsein verliert und im Krankenhaus wieder aufwacht.
Der Buchteil mit der Reise in die Vergangenheit ist dicht und fesselnd geschrieben, gerade so, als hätte der ehemalige „Alkoholtester“, Schweinehirte, Musikjournalist und Punkmusiker Ian Rankin selbst beim Barras gedient. Dieses Kapitel ist eine Art psychologischer Thriller in einer Nussschale. Hier wird auch die Sache mit den Knoten, Kreuzen und dem Kreuzchenspiel Tic-tac-toe erklärt. (Der O-Titel ist ein Wortspiel mit „noughts & crosses“, den Nullen und Kreuzchen des Spiels.)
Die letzten 50 Seiten dieser Taschenbuchausgabe sind echt spannend. Die Handlung steuert schnurstracks auf den Showdown mit dem Täter zu. Und dieser findet in den grusligen Gewölben der alten Stadt statt. Dass Rebus überlebt, darf aus den Fortsetzungen geschlossen werden.
Alles in allem bieten nur die letzten 70 Seiten wirklich fesselnd, als Rebus seine verdrängte Vergangenheit konfrontiert und den Täter jagt. Bis dahin muss sich der Leser, der sich in Edinburgh schon ein wenig auskennen sollte, gedulden. Aber komische und erotische Szenen lockern die Warterei auf. Inzwischen kann man sich schon mal seinen eigenen Reim auf die Ermittlung machen. Zuweilen wirkt die Geschichte, als ginge es dem Autor weniger um die Ermittlung als vielmehr um ein Porträt der Stadt, der Polizei und des Polizisten Rebus.
Hardcover: 272 Seiten
Originaltitel: Knots and Crosses, 1987
Aus dem Englischen von Ellen Schlootz
ISBN-13: 4026411397337
www.weltbild.de
Der Autor vergibt: