Ursula K. Le Guin – Das Wunschtal. Jugend-Fantasy


Hand in Hand durch Wunderland

„Das Wunschtal“ (The Beginning Place) ist ein relativ früher Fantasyroman der Autorin Ursula K. Le Guin aus dem Jahr 1980. Doch auch hier findet man die gleiche hohe Qualität des Erzählens wie in ihren preisgekrönten und verfilmten Erdsee-Romanen. Allerdings ist die Geschichte selbst wenig bewegend und alles andere als actionreich.

Die Autorin

In Kalifornien als Tochter eines Kulturanthropologen geboren, studierte Ursula Kroeber Le Guin am Radcliffe College und an der Columbia University, lebt aber seit 1962 als freie Schriftstellerin in Portland, Oregon, wo sie an der Uni lehrt. 1962 erschien ihre erste Story („April in Paris“) und 1966 ihr erster Roman, „Rocannons Welt“. Die ersten Romane zeigen bereits Le Guins Verfahren, eine Geschichte über einer (mythologischen) Grundstruktur um bestimmte Metaphern herum anzulegen.

Viele ihrer Geschichten und Romane spielen in einem fiktiven Universum, dem der Ekumen (dt. „Ökumene“). Botschafter und Agenten tauchen auf, die neue Welten für die Planetenliga der Ekumen gewinnen sollen, so etwa in ihrem berühmten Roman „Die linke Hand der Dunkelheit“. In der Fantasy ragt ihr „Erdsee“-Zyklus über die Masse der Produktion turmhoch hinaus. Erst 2002 erhielt sie für ihren neuesten Erdsee-Roman den World Fantasy Award.

Wiederholt wurde Le Guin mit den wichtigsten Preisen der Science Fiction, der Fantasy, aber auch des Mainstream ausgezeichnet. „Sie gehört zu den führenden und formenden Kräften der Science Fiction in den 70er Jahren, und sie fand (als eine der wenigen AutorInnen) auch außerhalb der Science Fiction breite Anerkennung.“ (Reclams Science Fiction Lexikon, 1982) So erhielt sie beispielsweise den National Book Award der USA. Sie starb 2018 mit 88 Jahren in Portland, Oregon. So manches ihrer Bücher harrt noch der Übersetzung.

Handlung

Die Geschichte beginnt in der amerikanischen Gegenwart, tritt dann über in ein Fantasyland und kehrt wieder zurück. Ganz einfach, denkt man.

Es geht um zwei junge Heranwachsende. Der schüchterne Hugh fühlt sich bei seiner Arbeit im Supermarkt und in seinem freudlosen Heim, wo er mit seiner Mutter in einer anonymen Straße einer anonymen Betonstadt lebt, nicht wohl und sucht etwas Neues: das Abenteuer.

Er stößt auf einen noch nicht einbetonierten Bachlauf, den ein Auwald säumt. Er erkundet das geheimnisvolle Zwielicht, das den Übergang in ein anderes Land bietet – bis er eines Tages auf einen anderen Gast dieser Randzone stößt: Irene.

Zunächst will natürlich der eine den anderen von seinem vermeintlich angestammten Platz vertreiben, doch dann raufen sie sich zusammen, als Irene ihr Geheimnis preisgibt: Sie hat einen Weg in eine andere Dimension gefunden. Jenes Land Ain betreten sie gemeinsam. Und wie es scheint, wartet dort eine schwierige Aufgabe auf sie. Denn Ain, das Land der klaren Flüsse und unberührten Wälder, stirbt.

Sie gelangen nach einem mühevollen Aufstieg in die Stadt Tembreabrezi, die auf dem Gipfel eines breiten Berges liegt. Dies scheint ein Ort des Friedens zu sein, an dem sie sich niederlassen können. Doch der Schein trügt: Ein unheimliches Wesen (über das ich nicht mehr verraten möchte) sucht die Menschen Ains heim und verwüstet das Land.

Die Bewohner Tembreabrezis übertragen den beiden „Ausländern“ eine Aufgabe, die diese erschreckt: Die Wahl zwischen der gefahrvollen Rettung des perfekten Landes und der Aufgabe ihres eigenen bisherigen Lebens, ja vielleicht sogar ihres Lebens an sich, erfüllt Hugh und Irene mit Furcht und Entsetzen.

Doch natürlich tun sie, was getan werden muss. Alles andere würde den Verrat ihrer eigenen Träume und Sehnsüchte bedeuten. Und schließlich gibt es so etwas wie Verantwortung. Und diese gilt nicht nur dem Land Ain, sondern auch ihnen beiden: Sie sind jetzt ein Team, und vielleicht sogar mehr…

Mein Eindruck

„Das Wunschtal“ (The beginning place) ist eine Mischung aus ökologischem Gedankengut, dem klassischen Übergang ins Feenland und der klassischen Heldentat – nur dass diesmal die Helden ganz gewöhnliche Jugendliche aus unserer Zeit sind und nicht irgendein heroischer König Artus. Le Guin machte damit vor, was Barbara Hambly, Marion Zimmer Bradley und Legionen von AutorInnen nach ihnen nachahmten: Der Übergang vom Hier und jetzt in eine andere Dimension, wo es gilt, sich zu bewähren, zu transformieren und möglichst viele Abenteuer zu bestehen.

Hugh und Irene bestehen nur ein Abenteuer, und auch das nur mit knapper Not. Zurückgekehrt in die hiesige Dimension sind sie zu etwas anderem verwandelt: Nicht mehr Einzelwesen, sondern ein Paar. Helden zwar, doch nicht in unserer Welt. Eine beglückende Erfahrung: Sie habe nicht nur ihre Träume und Wünsche verteidigt, sondern dabei etwas ganz Neues und Unerwartetes hinzugewonnen: Liebe zueinander und Wertschätzung. Das Land Ain ist also wirklich ein „beginning place“: Ein Ort des Anfangs.

Auf die Ökologie übertragen bedeutet dies: Wer das perfekte Land der klaren Flüsse und unberührten Wälder (Gaia) erhalten und retten will, muss auch bereit sein, Opfer dafür zu bringen, bis hin zum letzten, größten Opfer: dem eigenen Leben. Dann aber erwirbt man auch das Recht, dort zu leben.

Unterm Strich

Jeder Heranwachsende dürfte dieses schön erzählte Abenteuer gerne lesen. Die Autorin legt dabei weitaus mehr Gewicht auf die Schilderung, wie sich die Beziehung zwischen den Hauptfiguren verändert, als auf die Darstellung des anderen Landes. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, blieb Ain seltsam blass in meiner Erinnerung, und selbst an den Höhepunkt kann ich mich kaum noch erinnern.

Großartige Heldenaction darf man hier jedenfalls nicht erwarten, und Ströme von Blut schon gleich gar nicht. Le Guin, so mein Verdacht, war noch nie ein Fan von Jump-and-Run-Games. keineswegs zufällig steht dem Buch ein Zitat des großen argentinischen Phantasten Jorge Luis Borges voran.

Taschenbuch: 206 Seiten
Originaltitel: The beginning place, 1980
Aus dem Englischen von Hilde Linnert
ISBN-13: 9783453213852;

www.heyne.de

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