Bela B. Felsenheimer – Scharnow

Scharnow ist über(all).

In Scharnow, einem Dorf nördlich von Berlin, ist der Hund begraben. Scheinbar. Tatsächlich wird hier gerade die Welt gewendet: Schützen liegen auf der Lauer, um die Agenten einer Universalmacht zu vernichten, mordlustige Bücher richten blutige Verheerung an, und mittendrin hat ein Pakt der Glücklichen plötzlich kein Bier mehr.
Wenn sich dann ein syrischer Praktikant für ein Mangamädchen stark macht, ist auch die Liebe nicht weit. Und was ist eigentlich mit den beiden homosexuellen Eichhörnchen? (Verlagsinfo)

Inhalt und Eindrücke:

Ein Literaturblogger, in dessen Wohnung sich merkwürdige Dinge abspielen, seit er ein Buch mit dem ungewöhnlichen Titel „Horror Vacui“ ausgepackt hat. Statt fällige Rezensionen zu verfassen, will er sich die Zeit nach dem Frühstück mit einem Porno vertreiben und denkt dabei an seine Nachbarin Susanne. Sieht die Darstellerin ihr nicht auch verdammt ähnlich? Blogger Wassmann wird aber bedauerlicherweise nicht mehr in den Genuss kommen, herauszufinden, womit die Nachbarin ihr Geld verdient – denn das Buch holt zum Angriff aus und wenig später wird die Polizei zu diesem rätselhaften Fall eines mutmaßlichen Freitodes ermitteln und dazu die Nachbarn in dem Plattenbau „Silo“ befragen.

Der junge Syrer Hamid macht ein Praktikum in Scharnows einzigem Supermarkt Billkauf. Wenn er nicht dort ist, hilft er seinem Onkel in dessen Kiosk und Internetcafé. Ein Typ namens Trotsky, der in eben diesem Internetcafé offenbar dubiose Seiten aufruft und wenig später beim Arzt eine niederschmetternde Diagnose erhält, die Erstaunliches mit ihm anstellt.
Das 17-jährige Mädchen Nami aus Berlin, das eigentlich nur die Oma in Scharnow besuchen will, dabei aber vielversprechende Bekanntschaft mit Hamid macht. Der Pakt der Glücklichen – wie sich die Gruppe um Kalle, der eigentlich Karl Friedrich Spanger heißt, selber nennt. Vier Typen in einer Zweck-WG, deren Interesse nicht über den Konsum von Alkohol und indizierten Filmen hinausgeht und die ihre speziellen Regeln in einem Manifest schriftlich festgehalten haben.
Dann ist da auch noch Sylvia, Ex-Frau des Güllemilliardäres Felix Pathé und inzwischen Kassiererin im Billkauf-Supermarkt, außerdem der Bund skeptischer Bürger (BsB), eine Gemeinschaft von Verschwörungstheoretikern, die einen Anschlag planen, um die sogenannten Weltenlenker empfindlich zu treffen.
Haben auch Sie schon den Überblick verloren bei so vielen Protagonisten? Zum Glück hat Felsenheimer zu Beginn des Romanes ein Personenverzeichnis spendiert. Zunächst von mir überblättert, musste ich später zuweilen nochmal nachschlagen. Wobei die Zusammenhänge im Laufe der Geschichte zumindest klarer werden.

Jedenfalls eskaliert plötzlich alles in Scharnow und der nahen Kreisstadt Sahsenheim : Der Supermarkt in Scharnow wird Opfer eines Überfalles – vier Typen, die nackt und nur mit Papiertüten als Masken und mit Fleischgabeln bewaffnet ihre Beute in Form von Alkohol, Chips und Zigaretten machen. Komisch, dass sie der Kassiererin Sylvia Pathé so verdächtig bekannt vorkommen. Und was macht das mysteriöse Buch jetzt im Zeitschriftenregal des Supermarktes?

Dorfpolizist Dietmar Senger hat unterdessen jedoch andere Sorgen: nachdem er den Todesfall eines Literaturbloggers im Silo untersucht hat, ruft auch noch die Polizeihauptwache aus Sahsenheim nach Verstärkung, weil sich dort gerade merkwürdige Dinge ereignen. Aus akutem Personalmangel sieht Senger sich gezwungen, auf Reservepolizisten zurückzugreifen, denn wie sonst sollte er allein die vier Supermarkträuber überwältigen? Letztlich geht aber doch alles ganz anders aus, als geplant…

Scharnow ist in mehrere Teile gegliedert: Rund um den „Tag X“, an dem sich die Ereignisse in dem kleinen Provinznest beinahe überschlagen, unterbricht Bela B. Felsenheimer die Geschichte mit Zwischenspielen, wie er es nennt. Das Zwischenspiel, in dem von einem Jungen erzählt wird, wirkt zunächst etwas zusammenhanglos. Genauso wie Zwischenspiel zum „telepathischen Zirkus“ soll sich jedoch der Gesamtzusammenhang bei weiterer Lektüre erschließen.
Die letzten Teile sind mit „Scharnow – Erster Tag danach“, „Scharnow – Zweiter und dritter Tag danach“ sowie „Scharnow – 14 Tage später“ betitelt und bestehen jeweils aus mehreren kurzen Kapiteln.

Vorne und hinten im Einband findet sich eine Übersichtsskizze mit den wichtigsten Schauplätzen in Scharnow. Die Umschlaggestaltung ist farbenfroh und greift mit einem fliegenden Mann (vorne) und zwei Eichhörnchen (hinten) Teile der Geschichte auf.
Die Seitenkanten sind durchweg schwarz gefärbt und ein guter Kontrast zum weißen Einband.

Mein Fazit:

Von fliegenden Menschen und von Büchern, die ein Eigenleben führen. Von zugemauerten Küchen, um den Müllgestank in der Wohnung zu minimieren und von braven Haustieren, die in Wahrheit viel mächtiger sind. Es dürfte schwierig sein, einen vergleichbaren Roman zu finden, wenngleich ich mich durchaus an Douglas Couplands Bücher erinnert fühlte, nur dass diese überwiegend in den 90iger Jahren spielen. Stellt man sich Scharnow als Film vor, liegt unweigerlich ein Vergleich mit Tarantino nahe.

Wenn Sie bereit sind, sich auf skurrilen Klamauk, Wortwitz und allerlei Fantastereien einzulassen und nicht immer alles (bier)ernst sehen, wird Ihnen der Ausflug nach Scharnow sicher gefallen.
Das Erstlingswerk von Ärzte-Musiker Bela B. Felsenheimer ist kurzweilig, total verrückt, überraschend, originell, reichlich schräg und in jedem Fall ein richtig witziges Lesevergnügen.
Charismatisch wie der Autor selbst und erfrischend anders – aus dem einigermaßen offenen Ende könnte sogar noch mehr werden?!

Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
ISBN-13: 978-3453271364

www.heyne-hardcore.de

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