Ian Rankin – Hide & Seek / Das zweite Zeichen (Inspector John Rebus 2)

Dr. Jekyll & Mr. Hyde lassen grüßen

Ein Junkie liegt tot in einem besetzten Haus in einer Edinburgher Vorstadt. Seine halbnackte Leiche ist wie der Gottessohn am Kreuz drapiert, doch an der Wand sind Hexereisymbole zu entdecken: ein Pentagramm in zwei Kreisen. Neben dem Schlafsack entdeckt Inspector John Rebus Fotos des Schlosses und von einem fröhlichen Mädchen, von dem jede Spur fehlt.

Je mehr Rebus an dem Firnis aus Gleichgültigkeit, Täuschung, Betrug und Verfall kratzt, sieht der Tod des Junkies wie Mord aus, und dagegen hat Rebus entschieden etwas.

Der Autor

Sir Ian Rankin gehört zu den wichtigsten Krimischriftstellern der britischen Insel. Sein Inspektor Rebus macht die schottische Hauptstadt Edinburgh nun schon in zahlreichen Abenteuern sicherer – sofern man ihn lässt!

Für „Die Kinder des Todes“ wurde Rankin mit dem Deutschen Krimipreis 2005 ausgezeichnet. Die englische Königin verlieh ihm für seine Verdienste um die Literatur den „Order of the British Empire“. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh. Er schrieb auch andere Romane, u.a. unter dem Pseudonym Jack Harvey. Mehr Info: www.ianrankin.net .

Die John-Rebus-Romane

• 1987 Knots and Crosses
o Verborgene Muster, dt. von Ellen Schlootz, München: Goldmann 2000; ISBN 3-442-44607-4
• 1991 Hide and Seek
o Das zweite Zeichen, dt. von Ellen Schlootz, München: Goldmann 2001; ISBN 3-442-44608-2
• 1992 Tooth and Nail, auch als: Wolfman
o Wolfsmale, dt. von Ellen Schlootz, München: Goldmann 2001; ISBN 3-442-44609-0
• 1992 Strip Jack
o Ehrensache, dt. von Ellen Schlootz, München: Goldmann 2002; ISBN 3-442-45014-4
• 1993 The Black Book
o Verschlüsselte Wahrheit, dt. von Ellen Schlootz, München: Goldmann 2002; ISBN 3-442-45015-2
• 1993 Mortal Causes
o Blutschuld, dt. von Giovanni Bandini, München: Goldmann 2003; ISBN 3-442-45016-0
• 1995 Let it Bleed
o Ein eisiger Tod, dt. von Giovanni und Ditte Bandini, München: Goldmann 2004; ISBN 3-442-45428-X
• 1997 Black and Blue
o Das Souvenir des Mörders, dt. von Giovanni Bandini, München: Goldmann 2005; ISBN 3-442-44604-X
• 1998 The Hanging Garden
o Die Sünden der Väter, dt. von Giovanni Bandini, München: Goldmann 2006; ISBN 3-442-45429-8
• 1999 Dead Souls
o Die Seelen der Toten, dt. von Giovanni Bandini, München: Goldmann 2006; ISBN 3-442-44610-4
• 2000 Set in Darkness
o Der kalte Hauch der Nacht, dt. von Christian Quatmann, München: Goldmann 2001; ISBN 3-442-54521-8
• 2001 The Falls
o Puppenspiel, dt. von Christian Quatmann, München: Goldmann 2002; ISBN 3-442-45636-3
• 2002 Resurrection Men
o Die Tore der Finsternis, dt. von Claus Varrelmann und Annette von der Weppen, München: Goldmann 2003; ISBN 3-442-45833-1
• 2003 A Question of Blood
o Die Kinder des Todes, dt. von Claus Varrelmann, München: Goldmann 2004; ISBN 3-442-54550-1
• 2004 Fleshmarket Close
o So soll er sterben, dt. von Heike Steffen und Claus Varrelmann, München: Goldmann 2005; ISBN 3-442-54550-1
• 2006 The Naming of the Dead
o Im Namen der Toten, dt. von Juliane Gräbener-Müller, München: Goldmann 2007; ISBN 3-442-54606-0
• 2007 Exit Music
o Ein Rest von Schuld, dt. von Giovanni und Ditte Bandini, München: Manhattan 2008; ISBN 978-3-442-54639-8
• 2012 Standing in Another Man’s Grave
o Mädchengrab, dt. von Conny Lösch, München: Manhattan 2013; ISBN 978-3-442-54722-7.
• 2013 Saints of the Shadow Bible
o Schlafende Hunde, dt. von Conny Lösch, München: Manhattan 2014. ISBN 978-3-442-54723-4.
• 2015 Even Dogs in the Wild
o Das Gesetz des Sterbens, dt. von Conny Lösch, München: Manhattan 2016, ISBN 978-3-442-54772-2.
• 2017 Rather be the Devil
o Ein kalter Ort zum Sterben, dt. von Conny Lösch, München: Goldmann 2017, ISBN 978-3442314614
• 2018 In a House of Lies
o 2019 Ein Haus voller Lügen, dt. von Conny Lösch, München: Goldmann 2019, ISBN 978-3-442-31525-3
• 2020 A Song for the Dark Times

Die Jack-Harvey-Romane:

1) Blood Hunt
2) Witch Hunt
3) Bleeding Hearts

Andere Romane

1) Watchman
2) The Flood
3) Westwind

Handlung

Detective Inspector John Rebus muss für seinen alkoholabhängigen Kollegen Tony McCall, der eigentlich Dienst hätte, einspringen – mitten in der Nacht. Ein Junkie liegt in einem besetzten Haus in einer Edinburgher Vorstadt. Seine halbnackte Leiche ist wie der Gottessohn am Kreuz drapiert, doch an der Wand sind Hexereisymbole zu entdecken: ein Pentagramm in zwei Kreisen. Neben dem Schlafsack entdeckt Rebus qualitätsvolle Fotos des Schlosses und von einem fröhlichen Mädchen, von dem jede Spur fehlt.

Okkultes

Eben dieses Mädchen ruft ihn am nächsten Tag auf dem Revier an. Sie nennt sich Tracy und berichtet, wie sie Ronnie in seinem besetzten Haus verlassen hat. Er sagte, „sie“ hätten ihn ermordet und sie solle sich verstecken. Es gibt eine Unstimmigkeit. Als sie ihn verließ, befand er sich oben im ersten Stock in seinem Schlafzimmer, doch gefunden wurde er von zwei Cops unten im Wohnzimmer. Rebus geht mit Tony McCall zurück zum Tatort. Das okkulte Pentagramm an der Wand wurde vervollständigt und oben an der Decke steht der Schriftzug: „Hello Ronnie!“ Er nimmt die Mädchenfotos und die Aufnahmen vom Schloss an sich, McCall findet mehr Stoff, den sie ins Labor schicken. Auf der Treppe sitzt Rebus etwas blitzen: Es ist die eine Hälfte einer Krawattennadel, wie sie Streifenpolizisten zu tragen pflegen. Und nirgendwo eine Spur von Ronnies Kamera.

Gift

Rebus macht den Mann ausfindig, der sich mit dem okkulten Zeugs befasst, ein Psychologiestudent namens Charlie, Charlie stammt aus einer der besten Familien Schottlands, macht jetzt aber einen auf Aussteiger. Er hat Ronnies Kamera ebenso geklaut wie den Inhalt der meisten öffentlichen Büchereien der Stadt: Sei Zimmer in einem der anderen besetzten Häuser im Stadtteil Pilmuir ist bis an die Decke mit überfälligen Druckerzeugnissen angefüllt. Und war der Spruch „Hallo Ronnie!“ nicht witzig, fragt er.

Der Stoff stellt sich als 95 Prozent Rattengift heraus. Ist das der Grund, warum Ronnie McGrath sagte: „Sie haben mich umgebracht“, fragt er die zurückgekehrte Tracy. Nein, er sagte das, bevor er seine letzte Dosis von dem injizierte, was er für Heroin hielt. Aber wie verdiente er das Geld für den Stoff, fragt Rebus, wenn Ronnie doch, wie Tracy erzählt, keine Fotos an die Redaktionen verkaufen konnte. Er muss es selbst verdient haben, zum Beispiel auf dem heimlichen Homo-Strich auf der Calton Street. Dort sind auch all die Schwulenbars.

Unter Beobachtung

Tracy darf für eine Nacht bleiben und kriegt zum Abschied einen Zehner (immerhin an die 30 D-Mark). Sie fühle sich verfolgt. Und tatsächlich: Draußen vor dem Haus sitzen zwei Typen in einem alten Ford Escort. Die improvisierte Verfolgung der beiden geht zwar in die Hose, weil Rebus barfuß ist, aber einen erkennt er deutlich: Es sind Streifenpolizisten. Welcher Vorgesetzte hat sie auf Tracy angesetzt? Oder arbeiten sie für jemand anderen?

Mission der Ehrenmänner

Superintendent Watson betraut Rebus, den „Experten“ des Ronnie-Falls, mit der Leitung einer Anti-Drogen-Kampagne, die von den reichsten Geschäftsleuten Edinburghs gesponsert werde. Diese Honoratioren lernt Rebus bei einem Mittagessen im exklusivsten Restaurant der Stadt kennen: Einer ist Transportunternehmer, einer Casinobesitzer und einer Immobilienmakler. Ein Gentleman in Seidenanzug, der den Casinobetreiber kennt, schaut kurz vorbei, begleitet von einem fast noch minderjährigen asiatischen Mädchen. Er ist ein Anwalt, natürlich, und der bestverdienende Kerl in der erlauchten Runde. Und Watson sieht geschmeichelt aus, dass dieser Herr ihn beim Namen kennt.

Holmes

Rebus kommt gerade noch rechtzeitig aufs Revier, um den Cop zu empfangen, den er auf Datenfang geschickt hat. Brian Holmes ist sehr angetan von dem leutseligen (und ziemlich beschickerten) Kripo-Beamten, dem er wertvolle Infos liefern kann. So wird Rebus klar, woher die Prellungen und Blutergüsse an Ronnies Körper rühren: In der Schwulenprostitution gibt es offenbar auch Freier, die auf sadistische Praktiken stehen – und das bringt natürlich mehr Kohle. Holmes hat auch den Fotografen namens Jimmy Hutton ausfindig gemacht, der Ronnies Fotos geklaut und an die Zeitungen verkauft hat: Der betreibt ein Studie für männliche und weibliche Aktfotos. Holmes kann es nicht lassen, seinerseits ein Foto zu klauen: eine nackte Tracy, die in die Kamera lächelt. Aber dieses Foto entdeckt nur Holmes‘ Freundin Nell, er selbst zeigt es Rebus (noch) nicht. Aus Trotz: Rebus hatte ihn am Ende der kleinen Berichterstattung als „sein Schuhleder“ beleidigt.

Calton Street

Der höchste Punkt der Stadt liegt am Calton Hill, einer hohen Klippe direkt neben dem Calton-Friedhof, wo der Philosoph David Hume begraben liegt. Hier gelingt es Rebus, einen jungen Stricher nach Ronnie auszufragen. Zu seiner Verblüffung sitzt im nächsten Auto, einem nagelneuen Jaguar XJS, einer der vier Honoratioren, mit denen er wenige Tage zuvor essen war – mit einem fremden Kopf in seinem Schoß…

Mein Eindruck

Rankins zweiter Rebus-Roman ist eine Variation auf Robert Louis Stevensons Klassiker „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde„. Jedem Kapitel ist ein Zitat aus der Novelle von 1895 vorangestellt, erkennbar an dem gedrechselten Englisch des späten 19. Jahrhundert. Diesen als Mr. Hyde verewigten Verbrecher hat es in Edinburgh tatsächlich gegeben, und der Autor hält mit dieser verbürgten Tatsache nicht hinterm Berg: Deacon Brodie war tagsüber ein rechtschaffener Bürger und wurde nachts zum Einbrecher und Räuber. Als ehemaliger Journalist hat Rankin seine Quellen akkurat recherchiert.

Die Pointe besteht nun darin, dass es die Dr. Jekylls seiner Heimatstadt sind, die sich in Mr. Hydes verwandeln und dies auch in einem neuen Klub tun, der sich hinter dem Casino verbirgt. Dort hat sich Ronnie in illegalen Faustkämpfen à la „Fight Club“ seine massiven Prellungen geholt. Aber als er dann heimlich Fotos von den Fights machte, war sein Leben verwirkt: Rattengift bereitete ihm ein vorzeitiges Ende. Die Kardinalfrage, die sich nun alle Beteiligten stellen: Wo hat Ronnie seine Fotos versteckt? Eine wahre Schnitzeljagd hebt an. Hier darf nicht verraten werden, wer der glückliche Finder sein wird.

Nur eines ist klar: Früher oder später werden Rebus die vier Ehrenmänner und seine Vorgesetzten nicht davon abhalten können, den neuen Fight Club ausfindig zu machen. Mit einer konzertierten Aktion gelingt es ihm, unbemerkt in den verbotenen Bereich einzudringen und sich umzusehen – hier hat jemand zu Erpressungszwecken kompromittierende Fotos durch Einwegspiegel gemacht. Und flugs sieht sich Rebus in einer Falle zwischen all diesen Spiegeln gefangen…

Zuviel fremdes Geld

Der Grund, so scheint es, für diese illegalen Spiele und Freuden sind die Unmengen von Geld, die aus London in den Norden drängen. Die Neureichen des südlichen Speckgürtels kaufen sich in Schottland alles, was noch halbwegs erschwinglich ist: Schlösser, Anwesen, Adelstitel, Schiffe und Grundstücke sowieso. Dafür erwarten sie allerdings auch das Niveau an Unterhaltung, das sie aus der Hauptstadt gewohnt sind: illegale Klubs, Pokerrunde, Stricher beiderlei Geschlechts – und Drogen. Unmengen davon, denn die Connections dafür gibt es inzwischen ebenfalls. Rebus ist nicht entsetzt darüber, nur wütend. Aber sein Schöpfer, der macht gern den Leser entsetzt UND wütend.

Unterm Strich

In „Hide & Seek“, seinem zweiten Rebus-Krimi, geht Rankin noch auf Nummer sicher. Er outet sich mehrfach als Edinburgher und als Schotte, nicht nur weil sein Held sämtliche Viertel und Bars der Stadt kennt, sondern auch, weil er sich ausgerechnet Stevensons bekanntesten Roman als Folie ausgesucht hat. Vor deren Hintergrund, der allgemein bekannt sein dürfte, schält er eine Zwiebelschale nach der anderen, um schließlich das verrottete Herz der Bürgerschaft freizulegen. Ein Herz, das wohlgemerkt vor allem von den Leuten aus London korrumpiert worden sei. Naja, der Widerstand war ja nicht gerade hart und heldenhaft, sondern eher von umarmender Natur.

Kollateralschäden

Natürlich hat es bei dieser mehr oder freundlichen Übernahme Opfer gegeben. Nicht nur hoffnungsvolle Studierende beiderlei Geschlechts – Ronnie, Charlie, Neil und Tracy – kommen unter die Räder der Unmoral, sondern auch etliche wackere Polizisten, die eigentlich auf sie hätten aufpassen sollen. Auch solche Cops, zu denen Rebus vertrauen gehabt hat. Seine Enttäuschung ist entsprechend groß, seine Wut auf die „sassenachs“ (dem alten gälischen Wort für die „Sachsen“ aus dem Süden) aus dem Süden aber noch größer.

Hinweis

Im nächsten Fall, der Rebus in die Metropole führt, wütet er ohne jegliche Samthandschuhe so lange, bis auch dort einige ehrenwerte Köpfe rollen, bildlich gesprochen. Dieser Roman trägt gleich zwei Titel. Der alte lautet „The Wolfman“ nach dem Serienmörder, und später „Tooth & Nail“. Der deutsche Titel „Wolfsmale“ klingt ein wenig irreführend und reißerisch, denn schließlich ist es der „Wolf“, der hier von Rebus zur Strecke gebracht wird. Und Rotkäppchen hat sich der Leser sicherlich auch anders vorgestellt. In Band 4 „Strip Jack“ bzw. „Ehrensache“ knöpft sich Rebus einen weiteren schottischen Ehrenmann vor, aber diesmal eine Ebene höher: in der Politik.

Taschenbuch: 261 Seiten
Originaltitel: Hide & Seek, 1990; 12. Auflage 2002
ISBN-13: 9780752809410

www.orionbooks.co.uk

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