Jenn Lyons – Der Untergang der Könige (Drachengesänge 1)

Drachengesänge

Band 1: „Der Untergang der Könige“
Band 2: „The Name of All Things“ (noch ohne dt. Titel)

Kihrin sitzt in einem Kerker mit einem Ungeheuer als Bewachung. Seine Aussichten sind ziemlich trübe, und eigentlich will er einfach nur seine Ruhe, aber Klaue, seiner Wächterin, ist langweilig. Ziemlich nachdrücklich überredet sie ihn dazu, ihr seine Geschichte zu erzählen. Nicht, dass sie sie nicht längst kennen würde …!

Schon der Erzählrahmen dieses Buches ist ungewöhnlich. Die Handlung verläuft in zwei Zeitschienen, die sich abwechseln. Die eine erzählt Kihrin, die andere erzählt Klaue – weil Kihrin ihrer Meinung nach seine Erzählung nicht ganz am Anfang begonnen hat. Dazu kommt noch eine Stimme aus dem Off, die beide Erzählungen immer wieder kommentiert. Am Anfang fand ich das extrem lästig, weil diese Einwürfe nicht nur ziemlich häufig waren, sondern auch nicht immer unbedingt besonders relevant, und den Erzählfluß ziemlich störten. Zum Glück wurde das nach einiger Zeit besser.

Trotzdem fand ich es nicht immer einfach, der Geschichte zu folgen. Das lag nicht nur daran, dass einige Leute in der Vergangenheit offenbar ihre Identität gewechselt haben, teilweise mehrfach! Es war auch so, dass manches von dem, was der Leser erfährt, sich später als halbwahr herausstellt. Völlig falsch wäre einfacher gewesen. Einiges ist auch immer noch unvollständig, vor allem, wenn es darum geht, was in der Zeit vor Kihrins Geschichte passiert ist. Was auch schon wieder irreführen ist, denn Kihrins Geschichte begann noch viel früher, lange vor seiner Geburt. Und in einer Welt, in der Menschen nach ihrem Tod normalerweise wiedergeboren werden … Ihr versteht, was ich meine!

Dass Jenn Lyons den Leser außerdem in einer wahren Flut verschiedenster Völkerschaften ertränkt, von denen nur die wenigsten genauer beschrieben werden, hat es auch nicht übersichtlicher gemacht. Irgendwann ging ich dazu über, sie alle zu überlesen, bis die Autorin zumindest ein wenig genauer auf sie einging, was bisher nur für die Vané und ein klein wenig für die Morgag gilt.

Auch mit den Figuren hatte ich manchmal so meine Probleme.

Am unkompliziertesten fand ich noch Kihrin. Bei allem, was man im Laufe der Geschichte über ihn erfährt, scheint sein Charakter sich im Grunde nicht verändert zu haben. Kihrin besitzt alle Eigenschaften eines Helden wie Loyalität, Verantwortungsbewusstsein, Zähigkeit und Mut, abgesehen davon ist er neugierig und hat gelegentlich eine zu große Klappe.

Bei allen anderen Charakteren kann man nie sicher sein, als was sie sich innerhalb der nächsten paar Seiten entpuppen. Teraeth ist ein Attentäter und kann magische Illusionen erschaffen. Er ist Kihrins Freund und Verbündeter, aber ansonsten werde ich nicht recht schlau aus ihm. Auch seine Mutter Kaemezra lässt sich nicht in die Karten schauen. Am sympathischsten nach Kihrin war noch Tyentso, sie ist ein bisschen grob, aber immer ehrlich. Tishar kam leider zu wenig vor.

Ich würde nicht sagen, dass die Charakterzeichnung in diesem Buch schlecht war. Sie war nur …. anders! Außer Kihrin lernt man im Grunde kaum jemanden wirklich kennen. Die Figuren leben davon, dass sie alle mehr sind, als man denkt. Dieses Mehr kommt immer schön häppchenweise, wobei man letztlich die jeweilige Person nicht unbedingt besser kennt. Die Autorin entwickelt eher die Identitäten ihrer Personen als ihre Eigenschaften. Abgesehen von den Schuften, die bleiben Schufte.

Das alles klingt jetzt, als hätte ich mich gerade durch ein völlig wirres Buch gequält. Stimmt nicht! Das Buch ist überhaupt nicht wirr, sondern akribisch durchgeplant bis zum Showdown. Die vielen Verschachtelungen machen es vielleicht ein wenig unübersichtlich, tragen aber durchaus zum Aufbau der Spannung bei. Und die hat am Ende noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Da ist noch jede Menge Potential für die Fortsetzungen vorhanden. Außerdem sorgen die vielen Winkelzüge auch für die eine oder andere Überraschung. Dieses Buch war nicht mal für eine Sekunde langweilig.

Unterm Strich war „Der Untergang der Könige“ eine sehr fesselnde Lektüre. Die vielen Geheimnisse und Rätsel, gespickt mit unerwarteten Enthüllungen und sonstigen Überraschungen, haben das Buch interessant gehalten, obwohl es kaum Action gibt. Mit dazu beigetragen hat sicherlich die Kürze der Kapitel, nach denen jedes Mal die Erzählperspektive wechselte, sodass man quasi in einer Cliffhanger-Dauerschleife steckte. Die Autorin hat gerade genug Fragen beantwortet, um Frustration zu vermeiden, aber genügend unbeantwortet gelassen, um die Neugier wachzuhalten, wozu auch die vielen Andeutungen über Kihrins Vergangenheit beitragen. Ich bin wirklich gespannt auf den nächsten Band.

Jenn Lyons hat als Illustratorin und in der Videospiel-Branche gearbeitet, ehe sie eine Auszeit nahm, um ihr Romandebut „Der Untergang der Könige“ zu schreiben. Während der erste Band ins Deutsche übersetzt wurde, schrieb sie kurzerhand den zweiten Band des Zyklus, der unter dem Titel „The Name of All Things“ Ende Oktober diesen Jahres erscheinen wird.

Gebundene Ausgabe 863 Seiten
Originaltitel: „The Ruin of Kings“
Deutsch von Urban Hofstetter und Michael Pfingstl
ISBN-13: 978-3-608-96341-0

https://jennlyons.com/index.html
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