Kim Wilkins – Das magische Buch

Das geschieht:

London 1867: Der junge Christian tritt in den Dienst des geheimnisvollen Privatgelehrten Peter Owling, dem er bei seinen wissenschaftlichen Experimenten zur Hand gehen soll. Christians Freude schlägt in Entsetzen um, als sich sein scheinbarer Gönner als Magier und Satanist entpuppt. Owling ist besessen von der Suche nach dem Ewigen Leben. Um es zu erlangen, ist es erforderlich, Satan persönlich zu beschwören. Wie dies zu geschehen hat, wird im „Grimoire“, dem sagenhaften Buch der Zaubersprüche, beschrieben, das Owling sich aus dunklen Quellen verschaffen konnte.

Der Zauberlehrling scheint allerdings ein altes Sprichwort nicht zu kennen: Wer mit dem Teufel essen will, braucht einen langen Löffel! Owlings große Beschwörung endet in einer Katastrophe; der Möchtegern-Magier und Christian kommen auf entsetzliche Weise um. Der Owlingsche Nachlass wird über die ganze Welt verstreut. Das Grimoire landet in der britischen Kolonie Australien.

Melbourne 1998: Lucien Humberstone, Leiter des gleichnamigen Colleges, ist ein moderner Nachfahre des gescheiterten Peter Owling. Er hat von der Macht des Grimoires erfahren und setzt mit den Mitgliedern seines magischen Zirkels alles daran, sich in seinen Besitz zu setzen. Der vor 130 Jahren umgekommene Christian versucht, Humberstone aus dem Jenseits zu stoppen. Drei Literaturstudenten geraten in den Sog der Ereignisse. Holly empfängt im Schlaf Christians Botschaften aus dem Geisterreich. Prudence lebt unter dem Zwang, die Geheimnisse ihrer Mitmenschen aufzudecken. Justin driftet zwischen den beiden Frauen hin und her und erwehrt sich zusätzlich der Avancen seiner Tante.

Die Vergangenheit dieser drei Menschen weist mindestens einen dunklen Punkt auf, den sie sorgfältig voreinander zu verbergen trachten. Ausgerechnet dieses zerrissene Trio muss lernen, einander zu vertrauen, denn nur so kann es verhindern, was der ehrgeizige Humberstone zu riskieren bereit ist: Der Zauber des Grimoires wird die Pforten der Hölle aufstoßen, und die Dunkelheit wird Besitz von dieser Welt ergreifen …

Es spukt auf klassische Weise

„Das magische Buch“ ist ein guter, alt(modisch)er Gruselroman, der Satan in der Hölle und nicht im Aufsichtsrat eines modernen Weltkonzerns ortet. Zauberbücher, Teufelsanbeter, okkulte Praktiken, Geister und Dämonen: Wilson bringt das gesamte Arsenal des klassischen Horrors zum Einsatz, und sie tut es in offensichtlicher Kenntnis der alten Meister. Der Magier Humberstone erinnert an literarische Vorbilder wie M. R. James‘ Dr. Karswell („Casting the Runes“, 1910) oder W. Somerset Maughams „The Magican“ (1908). Diese orientierten sich wiederum an realen Personen wie den Kabbalisten Eliphas Levi (1810-75) und natürlich den „bösesten Menschen auf Erden“: Aleister Crowley (1875-1947). Als „Magicker“ ungleich erfolgloser denn als Bürgerschreck (der das Pech hatte, Jahrzehnte vor dem Aufkommen des Privatfernsehens und daher vergessen und in Armut zu sterben), ist Crowleys seltsames Leben noch heute ein Quelle künstlerischer Inspiration.

In die Freude, endlich einmal von besessenen Kleinkindern, Traumdämonen oder nicht tot zu kriegenden Massenmördern verschont zu bleiben, mischt sich während der Lektüre leise Wehmut. Sie entsteht angesichts einer wenig überzeugenden Figurenzeichnung. Natürlich ist es positiv, wenn als Hauptfiguren ‚normale‘ Menschen mit wenig heldenhaften Zügen und nicht (schon wieder) antiseptische College-Boys und -Girls auftreten, die gerade im Horrorfilm längst zum Klischee geronnen sind.

Doch Holly, Prudence und Jonas wecken bei der Lektüre wenig Mitgefühl, sondern bald Verdruss. Zu einem guten Teil geht dies auf stilistische Schwächen der Autorin zurück: Da gibt es einige angstvoll aufgerissene Augen, hämmernde Herzen und fest zusammengepresste Münder zu viel, und angesichts des ständigen Stirnrunzelns dürften die drei Geisterjäger unter dauerhaften Kopfschmerzen leiden.

Sicher ist sicher – oder überflüssig

Allzu offensichtlich wird beschrieben bzw. unterstrichen, was aus dem Dialog bereits hervorgeht oder unwichtig ist. Ständige Doppelungen sind mitverantwortlich für den Umfang dieses Romans, dessen Geschichte ihn nicht über die volle Distanz tragen kann. Dazu kommt Wilkins‘ allzu großes Interesse an den diversen erotischen Abenteuer ihrer Helden, die diesen Tragik und Tiefe verleihen sollen, zur Handlung indes nur bedingt beitragen. Hier sollte man vielleicht nicht zu streng urteilen: Nicht nur der triviale, sondern auch der populärunterhaltende Roman lebt von Sex & Crime.

Ob und in welchem Maße der Übersetzer für die hausbackene Sprache verantwortlich ist, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Entlastet wird dieser durch Passagen, die – selbst wenn sie schlecht übersetzt sein sollten – definitiv auf die Autorin zurückgehen und arge Schwierigkeiten mit der Meisterung der Materie vermuten lassen. Dies gilt im Ganzen wie im Detail. So übertreibt es Wilkins mit dem Bemühen, den Kampf Gut gegen Böse ‚logisch‘ zu entwickeln. Sie geht gar zu ernst an ihr Thema heran, das doch bei Licht betrachtet nur reine Unterhaltung bieten kann.

Wilkins fehlt die geniale Mischung aus Ehrfurcht vor der Kunst des Trivialen (die es durchaus gibt) und der Unbefangenheit, das Abseitige und Groteske schlicht als gegeben vorauszusetzen und in den Dienst der Handlung zu stellen. Sie zeichnet beispielsweise den (einst viel gescholtenen, heute rehabilitierten) Stephen King aus.

Das Phantastische ernst zu nehmen und doch damit zu spielen, ist Kim Wilkins nicht gegeben. Satan und seine Dämonen wirken bei ihr wie aus einer alten Kinderbibel entsprungen; sie sind plakativ hässlich und stellen ihre Bosheit mit der schmierenkomödiantischen Wonne eines Stummfilm-Bösewichts zur Schau. Dadurch wirken sie gewiss nicht beeindruckend oder gar beängstigend, sondern bald lächerlich. So bleibt „Das magische Buch“ unterm Strich ein solider, nicht wirklich beeindruckender aber durchaus unterhaltsamer „parapsychologischer Thriller“ (so das Cover).

Autorin

Kim Wilkins wurde am 22. Dezember 1970 in London geboren. Die Familie zog in ihrer Jugend nach Australien. Dort wuchs Wilkins auf und studierte an der University of Queensland Literatur. Seit 2006 Dr. Wilkins, lehrt sie heute an der genannten Einrichtung kreatives Schreiben.

Noch während ihres Studiums veröffentlichte Wilkins ihren ersten Roman, den Mystery-Thriller The Infernal (1997; dt. Das Teufelsmal), für den sie mit zwei „Aurealis Awards“ in den Kategorien Horror und Fantasy ausgezeichnet wurde. In den nächsten Jahren folgten in rascher Folge weitere Gruselgeschichten. Außerdem verfasste Wilkins Jugendromane (Gina-Champion-Serie) und Kinderbücher (Sunken-Kingdom-Serie). Unter dem Pseudonym Kimberley Freeman schreibt Wilkins seit einigen Jahren (Liebes-) Romane über starke Frauen, die sich gegen sture Kerle u. a. Schicksalsschläge durchsetzen.

Mit ihrer Familie lebt Kim Wilkins in Brisbane.

Taschenbuch: 622 Seiten
Originaltitel: Grimoire (Sidney : Random House Australia 1999)
Übersetzung: Thomas Hag
www.randomhouse.de/heyne
fantasticthoughts.wordpress.com [Hexebart’s Well]
kimberleyfreeman.com

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