Roald Dahl – Kuschelmuschel. Vier erotische Überraschungen

Surprise d’amour: Das Ende des Karnickelsex

Diese haarsträubenden Abenteuergeschichten aus dem Garten der Lüste berichten von:

1) Onkel Oswald, dem unwiderstehlichen Charmeur, der inmitten der Wüste Sinai ein Liebesabenteuer erlebt, das ihm außer Freuden auch nachträgliche Schrecken bringt;

2) Vic, der einen perfekten Partnertausch inszeniert (ohne Wissen der beteiligten aber hocherfreuten Ehefrauen) und „am Morgen danach“ eine gänzlich unerwartete Überraschung erlebt;

3) Anna, die nicht ungestraft auf eine Jugendfreundschaft zurückblickt;

4) Noch einmal von Onkel Oswald, der die Herstellung eines neuen Duftwassers fördert, das uralte, durch die Zivilisation verschüttete Instinkte wieder zu paradiesischer Blüte erweckt.

Der Autor

Roald Dahl wurde am 13. September 1916 in Llandaff bei Cardiff in Wales als Sohn norwegischer Eltern geboren. Sein Vater war Schiffsausrüster. Der 1916 geborene Dahl schrieb sich schon als Achtjähriger im Tagebuch seinen Schulfrust von der Seele. Nach dem Besuch der Public School Repton absolvierte Dahl eine kaufmännische Lehre bei der Shell Oil Company in London, die ihn 1936 nach Tanganijka schickte. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs meldete er sich freiwillig und wurde Pilot der Royal Air Force. Im Alter von 23 Jahren flog er als Pilot Kriegseinsätze und wurde über der Libyschen Wüste abgeschossen. Mit einem Bericht über diesen Absturz begann seine Schriftstellerkarriere.

Nach einer schweren Verwundung wurde er bis Kriegsende als stellvertretender Luftwaffenattaché an die britische Botschaft in Washington versetzt. Anschließend lebte Dahl abwechselnd in den USA und in England als Drehbuchautor, Publizist und freier Schriftsteller. Roald Dahl starb am 21. November 1990 in der Nähe von London.

Als Vater von fünf Kindern wusste Roald Dahl sehr genau, was kleine Leser fasziniert – und wurde als Kinderbuchautor weltbekannt. Er baute seine Kindheit in die Geschichten ein, ersann skurrile Dinge wie fliegende Pfirsiche. In „Charlie und die Schokoladenfabrik“ erinnert er sich an Cadburys, in der Nähe seiner Schule gelegen. Mit der Figur der Großmutter in „Hexen hexen“ setzte er seiner aus Norwegen stammenden Mutter und ihren Trollgeschichten ein Denkmal.

Die Erzählungen

1) Der Besucher (The Visitor)

Onkel Oswald Cornelius verschlägt es anno 1946 in die Wüste Sinai. Was heißt „verschlägt“, würde er fragen: Hier gibt es die prächtigsten Skorpione der Welt! Neben ein paar anderen exzentrischen Hobbys gehört auch das Sammeln von Skorpionen zu seinen Leidenschaften. Eine andere ist das Jagen und Sammeln von schönen Frauen. Zu seinem Erstaunen kann er mitten in der Wüste das eine mit dem anderen verknüpfen.

Auf der Fahrt von Kairo (wo ihn die gedungenen Schergen einer schönen Frau verfolgten) nach Jerusalem braucht sein Luxuswagen eine Verschnaufpause – und Benzin. Der Tankstellenbesitzer Omar, eine höchst dubiose Kreatur, wie Oswald scheint, entdeckt zudem, dass der Keilriemen gerissen ist. Damit wäre Oswald höchstens noch ein oder zwei Kilometer weit gekommen. Oder hat Omar den Riemen zerschnitten? Wie auch immer: Omar muss telefonieren, um einen Ersatzriemen aus Ismailia kommen zu lassen – am nächsten Tag, so Allah will. Doch statt des Riemens trifft ein Besucher ein…

…und zwar in einem Rolls-Royce, stellen Oswalds entzückte Augen fest. Na, das wird ein Stelldichein unter Reichen, freut er sich, und wahrhaftig: Der vornehm angezogene und mit besten Manieren versehene Araber Abdul Aziz heißt Oswald in der hiesigen Wüste willkommen und lädt ihn auf sein Schloss ein, wo schon Königin und Prinzessin warten würden. Hat Oswald etwas an den Ohren? Aber nein, es ist, wie Abdul Aziz gesagt hat: Da erhebt sich unter einem steilen Berggipfel ein schneeweißes Schloss, komplett mit Garten und Swimmingpool. Die Königin, pardon, die schöne Gattin des Gastgebers begrüßt den Besucher. Das Feuer ihrer Erfahrung zieht den Jäger in Oswald magisch ein, und ein kleiner, diskreter Fingerdruck verspricht das Paradies.

Aber da ist auch noch die Prinzessin. Das Mädchen räkelt sich im Badeanzug am Pool und liest ein Buch. Oswalds Nüstern zittern: Soviel frische Unschuld und weibliches Entzücken an einem Ort – da fällt die Auswahl in der Tat schwer! Hier heißt es, eine ausgeklügelte Strategie zu ersinnen, die den doppelten Erfolg gewährleistet. Doch der Rest seines Aufenthaltes verläuft etwas anders, als sich das Oswalds Strategenhirn hätte einfallen lassen…

Mein Eindruck

Die Pointe kommt auf der letzten Seite, wie es sich gehört. Bis dahin scheint alles nach Oswalds Wunsch verlaufen zu sein: ein angenehmes Dinner, bei dem er seine Silberzunge wirken lassen konnte; eine Liebesnacht mit einem unerkannten weiblichen Wesen und ein angenehmes Erwachen. Er weiß, er hat sein weibliches gegenüber mit einem Liebesbiss markiert, würde es also wiedererkennen. Doch Madame und ihr süßes Früchtchen tragen beide Schals! Es ist also eine Verschwörung im Gange. Doch zu welchem Zweck?

Erst kurz vor Erreichen der bewussten Tankstelle und seines reparierten Wagens erfährt Oswald von seinem syrischen Gastgeber – und alle Syrer sind extrem eifersüchtig – dass Abdul Aziz noch eine Tochter hat, die er aus einem ganz bestimmten Grund verstecken muss…

Die Moral von der Geschicht? Betrüge eifersüchtige Syrer nicht. Wildere nicht in fremden Revieren. Und lege dir endlich mal eine eigene Frau zu.

2) Wildwechsel (The Great Switcheroo)

Victor ist von seiner vollbusigen Frau Mary gelangweilt, aber Jerrys Frau Samantha ist zweifellos ein steiler Zahn. Dumm nur, dass Jerry Rainbow sein bester Freund und sein Nachbar ist. bei einer Party kommt ihm ein verwegener, um nicht zu verboten guter Gedanke: Was wäre, wenn sie beide ihre Ehefrauen für eine Nacht tauschen würden? Die Damen müssten, ja, dürfen davon nichts mitbekommen. Nachdem er und Jerry bereits ordentlich getankt haben, verklickert Vic Jerry seine Idee als die eines Freundes, der sie ihm empfohlen hätte. Es dauert eine Weile, aber er kann Jerry schließlich überzeugen.

Doch bekanntlich steckt der Teufel im Detail. Wie sollen sie verhindern, dass ihre jeweilige Angetraute merkt, dass ein anderer Mann sie gerade beglückt? Schließlich sind die beiden dickste Freundinnen und haben womöglich schon intime Details ausgetauscht. Vic überzeugt Jerry, dass auch dies kein Hexenwerk sein muss, denn „sein Freund“ habe ihm gezeigt, was zu beachten ist. Der Ablauf ist entscheidend, dazu hervorragende Ortskenntnisse und schließlich, als pièce de résistance, die individuelle Sexualpraxis des jeweils anderen. Wie sich bald zeigt, ist dies der Knackpunkt: Vic macht es schnell, Jerry nimmt sich unendlich viel Zeit. Als Jerry ihn darob kritisiert, fühlt er sich beleidigt. Aber es kommt noch dicker.

In der Nacht X zur Nullzeit: Alles klappt wie am Schnürchen, nur dass Vic vergisst, die langsame Methode von Jerry anzuwenden und von einer Tigerin geritten wird. Jerry macht es bei Mary genauso wie immer: langsam. Das Ergebnis: Mary ist, wie sie Vic am anderen Morgen gesteht, zum ersten Mal so richtig gekommen! Sie liebt ihren Göttergatten! Mit sehr gemischten Gefühlen beobachtet Vic, wie Jerry mit triumphierenden Schritten zu Samantha schreitet…

Mein Eindruck

Dieses Experiment im Swinging hat zwar funktioniert, ist aber dennoch irgendwie nach hinten losgegangen. Da hilft nur, flexibel zu bleiben und mit der Strömung zu schwimmen. Kaninchensex ist bei Vic und Mary künftig mega-out. Sehr interessant sind Vics philosophische Betrachtungen über die verräterische Rolle der Unterlippe. Augen können lügen, ein Lächeln ja sowieso, aber die Unterlippe, von einer lechzenden Zunge geleckt, lügt nie. Zumindest in der Theorie. Es käme auf einen praktischen Versuch an.

3) Der letzte Akt (The Last Act)

Anna Cooper verliert ihren Mann Ed nach 23 Jahren glücklicher Ehe durch einen Verkehrsunfall. Sie ist etwa 41 Jahre alt, und als sie 18 war, ließ sie für ihn den ebenso vielversprechenden Medizinstudenten Conrad Kreuger sitzen. Zunächst ist Anna am Boden zerstört und selbstmordgefährdet. Erst nach vier Monaten Therapie darf sie wieder nach Hause, wo ihre drei erwachsenen Kinder sie betreuen. Doch die zwei Töchter heiraten und der Sohn beginnt sein Studium in Yale. Anna ist einsam und plant ihren Freitod. Der Tag X soll Eds Geburtstag sein.

Da platzt ihr Freundin Elizabeth Paoletti in ihr Leben. Sie will Anna als Krankenvertretung während einer Grippe welle: Sie sei ihre letzte Rettung, also lässt sich Anna breitschlagen, in Liz‘ Adoptionsagentur zu arbeiten. Wie sich herausstellt, ist es ein Vollzeitjob, der sie völlig fordert – und sie ausfüllt. Nach etwa zwei Jahren macht sie das immer noch. Sie muss nach Dallas, Texas, um ein Adoptionskind vor dem Verstoßenwerden zu bewahren.

Aber die texanischen Anwälte behandeln sie von oben herab, die Stadt macht ihr Angst. Was sie braucht, ist menschliche Wärme. Da schießt ihr der Gedanke in den Sinn, Conrad, ihren Verflossenen, anzurufen. Obwohl er eine florierende Praxis führt, sagt er sofort zu. Das sollte sie eigentlich vorwarnen, aber Anna ist dafür viel zu unerfahren.

Conrad war schon immer etwas formell, und nun, in der Hotelbar, lässt er auch noch seine medizinische Kompetenz strahlen. Es liegt wohl daran, dass er Frauenarzt ist, dass er sich um ihre Fortpflanzungsfähigkeit sorgt. Diese Mentholzigaretten, der Gin, all das sei nicht gut für sie. Aber sie haut drei Martinis weg, und danach beginnt ihr Geist zu schweben. Also bringt er sie auf ihr Zimmer.

Seine Methode ist einfach, aber gründlich und wirkungsvoll. Anna kommt ordentlich in Fahrt und wird scharf wie eine Rasierklinge. Leider braucht er eine Ewigkeit fürs Ausziehen, und ihre Leidenschaft wird frustriert. Als er dann mit ihr zusammen ist, stößt er auf ein unvermutetes Hindernis…

Mein Eindruck

Diese Erzählung zeichnet sich durch eine ausgefeilte Psychologie aus. Sowohl in Anna als auch in Conrad kann man sich gut hineinversetzen. Doch die überraschende Wendung kommt zum Erstaunen beider einher mit Verwunderung, Angst und Schrecken. Aus dem erhofften siebten Himmel wird unversehens die Hölle. Der Leser muss sich selbst ausrechnen, welche Motive Conrad zu dieser Handlungsweise treiben. Ist es wirklich nur der Wunsch nach Vergeltung für das Verlassenwerden vor 23 Jahren – oder steckt mehr dahinter?

4) Bitch (Bitch)

Onkel Oswalds XXIII. Buch seiner Memoiren enthält die Geschichte seiner vielleicht größten Erfindung: „Bitch“, das Super-Parfum. Wie sein Chemiker, der Olfaktologe Henri Biotte, es beschreibt, schaltet es sämtliche Kontrollen im männlichen Hirn aus, sobald die Parfummoleküle auf die Rezeptoren des achten Geruchssinns treffen: die für hemmungslosen Sex. Oswald Cornelius geht nach der beredten Verkaufsrede Henri Biottes eine Partnerschaft ein, die ihm die Hälfte der Produktion und des Umsatzes zusichert.

Zunächst fasst er die Entwicklung des Parfums als eine Spielerei auf, die in seinen permanenten sexuellen Abenteuern „einigen Spaß“ bereiten könnte. Doch als ihn Biotte in sein Pariser Labor zitiert und dabei zu höchsten Sicherheitsmaßnahmen zwingt, ahnt Oswald ein wenig von der Urgewalt dieses Stoffes, den er freizusetzen im Begriff ist. Als befände er sich in einer Pandemie, muss er Nasenstöpsel und eine Chirurgenmaske tragen, bevor das Experiment losgeht.

Schon in einem Abstand von zwei Metern setzt das Gehirn des Boxers, den Biotte engagiert hat, völlig aus. Simone, Biottes mit „Bitch“ besprühte Laborassistentin, hat kaum Zeit, auf den Angriff des Boxers zu reagieren. Der Rest ist Geschichte und dauert doch nicht weniger als sechseinhalb Minuten. Danach kann sich der Boxer an nichts erinnern – was er hier tut, warum er splitternackt ist und warum die junge Frau in Panik aus dem Zimmer rast.

Restlos überzeugt lässt sich Oswald einen Kubikzentimeter von „Bitch“ aushändigen. Er hat einen Plan für dessen Verwendung. Leider hat er nicht an Simone gedacht. Sie ist völlig begeistert von „Bitch“ und will noch einmal. Als sie es nicht kriegt, besorgt sie sich heimlich den Rest der spärlichen Produktion – volle neun Kubikzentimeter – und besprüht sich damit, bevor sie zu Biotte ins Zimmer tritt.

Die Reaktion ist die gleiche, hält aber leider nicht lange an: Biotte verstirbt schon nach einer Minute wegen seines Herzfehlers. Er hat nicht einmal die Formel für „Bitch“ niederschreiben können. Das bedeutet, dass Oswald die letzte verbleibende Quantität des Super-Parfums besitzt. Das Objekt seines Anschlags mit „Bitch“ ist kein Geringerer als der Präsident der USA, den er auf den Tod nicht ausstehen kann…

Mein Eindruck

Der Anschlag gelingt – allerdings nicht an der Zielperson. Auch Onkel Oswald ist überrascht, was „Bitch“ anrichten kann und erfährt es am eigenen Leib. Glücklicherweise befindet er sich während dieser erschütternden Erfahrung, die ihn mit kosmischem Bewusstsein erfüllt (auch Shakespeare wird bemüht), in einem diskreten Hotelzimmer statt auf offener Bühne.

Und sein Gegenüber ist nicht gerade die hässlichste aller Frauen, sondern mit dem gewaltigsten Busen ausgestattet, den Oswald – der schon etliche Brüste bewundern durfte – gesehen hat. Der Leser kann nur um ihren gesundheitlichen Zustand bangen, als Oswald, wie jener Boxer über die arme Simone, sich auf sie stürzt. Hätte er sich doch rechtzeitig ein paar Nasenstöpsel eingesteckt oder wenigstens an die Tücken einer Sicherheitsnadel gedacht…

Textfehler

S. 178: „Sie sah i[h]n lächeln.“ Das H fehlt.

S. 228: „Walldorf Astoria“. Denn sonst wird das Astoria immer als „Waldorf“ geschrieben, also ohne Doppel-L.

Unterm Strich

Diese witzigen und hintersinnigen Erzählungen berichten von den vielfältigen Möglichkeiten, die die Welt des Sexus bietet. Sei es in der Wüste des Sinai, im schicksten Paris, irgendwo in Dallas, Texas, oder in einem amerikanischen Vorort. Sobald sich Männlein und Weiblein mit eindeutigen Absichten begegnen, werden die Regeln der Vernunft außer Kraft gesetzt und die Tücke des Objekts bestimmt den weiteren Verlauf der Begegnung. Bestes Beispiel ist die vorzeitige Freisetzung des Super-Parfums „Bitch“ in einem Hotelzimmer.

Durchweg ist es der Planer, der die Tücken in seinem Plan unterschätzt und zum Opfer wird. „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen“, lautet das Gesetz von Dr. Murphy. Victor wird das Opfer seiner eigenen Natur, die er im Bett mit der Frau seines Freundes nicht unterdrücken kann. Anna hätte sich niemals mit ihrer sitzengelassenen Jugendliebe treffen dürfen, denn Conrads Absichten sind alles andere als lauter und menschenfreundlich. Und Oswald fühlt sich zweimal als seines Glückes Schmied, während doch er es ist, der geschmiedet wird, und nicht nur vom Schicksal. Tja, wenn Menschen einen Plan machen, lachen die Götter.

In sprachlicher und stilistischer Hinsicht sind diese vier Erzählungen Spitzenklasse. Es gibt kaum etwas Unterhaltsameres im Fach Prosa, ausgenommen vielleicht Roald Dahls Kurzgeschichten in der Reihe „Küsschen, Küsschen / Noch mehr Küsschen“.

Hardcover: 239 Seiten
Originaltitel: Switch Bitch, 1974
Aus dem Englischen von Jürgen Abel, Werner Gronwald und Gisela Stege.
ISBN-13: 978-3499232558

www.rowohlt.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)