Tregubova, Elena – Mutanten des Kreml, Die

Dass es um Demokratie und Pressefreiheit in Russland derzeit nicht sonderlich gut bestellt ist, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin im Jahr 2000 hat der Staat einen Großteil der Presse wieder unter seine Kontrolle gebracht – teils direkt, teils durch Tochterfirmen und Holdings staatlicher oder unter Staatsbeteiligung laufender Konzerne.

Den Journalisten bläst in Russland ein rauer Wind entgegen, zumindest immer dann, wenn sie die Dinge beim Namen nennen und Putins Politik kritisieren. Sein Engagement hat schon so mancher Journalist mit den Leben bezahlt. Der Mord an Anna Politkowskaja, die vor allem Putins Tschetschenienpolitik kritisiert hat, ist da nur ein prominentes Beispiel. Laut dem |Committee to Protect Journalists| wurden seit 2000 mindestens 13 Journalisten ermordet und es gab unzählige Übergriffe und Gewalttaten gegen Journalisten. Verurteilungen gab es dazu bislang keine – alle Gewalttäter sind ungeschoren davongekommen.

In diesen Statistiken taucht auch Elena Tregubova auf, und dass sie nicht auf der Liste der Toten zu finden ist, verdankt sie nur dem Umstand, dass sie außerordentlich großes Glück hatte und unverletzt blieb, als nach Veröffentlichung ihres Kreml-kritischen Buches vor ihrer Wohnungstür eine Bombe explodierte. So hat sie „nur“ die öffentlichen Diffamierungen und Repressalien, die ständige Bedrohung ihres Lebens und den Verlust ihres Jobs als Journalistin für die russische Zeitung |Kommersant| zu beklagen.

2003 veröffentlichte Tregubova in Russland ihr Buch „Bajki Kremljowskogo Diggera“ („Geschichten eines Kreml-Diggers“) und schob kurze Zeit später den Nachfolgeband „Abschied eines Kreml-Diggers“ nach, in dem sie die Erlebnisse rund um die Veröffentlichung ihres ersten Buches festhält. In Deutschland sind beide Bücher in einer zusammengefassten Ausgabe unter dem Titel „Die Mutanten des Kreml“ erschienen.

Elena Tregubova, die 1973 geboren wurde, arbeitete fünf Jahre lang als Kreml-Korrespondentin für den |Kommersant|, bevor sie infolge des Skandals um ihr Buch rausgeworfen wurde. Ihre journalistische Tätigkeit begann in den Neunzigern, damals noch unter Jelzin, der sich stets offen gegenüber der Presse zeigte. Zusammen mit anderen Journalisten begleitete sie Jelzin auf seinen Reisen und denkt noch heute fast wehmütig an die Zeiten des großväterlichen Führungsstils Jelzins zurück, der die Presse schätzte und ihre Freiheit respektierte.

Obwohl ihre Erinnerungen an die Jelzin-Zeit etwas den Anschein erwecken, als würde Tregubova sie teilweise ein wenig zu sehr durch die rosarote Brille sehen, so dokumentiert sie dennoch auch Jelzins Ende detailgetreu: der Aufstieg des Oligarchentums, die in Jelzins Hintergrund die Fäden ziehende Jelzin-Tochter Tatjana Djatschenko und der stetig labiler werdende Gesundheitszustand Jelzins.

Schon während Jelzins Amtszeit interessiert Tregubova sich für Putin. Sie beobachtet ihn, als noch niemand den unscheinbaren ehemaligen Chef des FSB auf dem Zettel hatte. Sie berichtet von einem denkwürdigen Sushi-Essen, zu dem Putin sie einlud, beschreibt die Wirkung dieses Mannes und hat spätestens seit seinem steilen politischen Aufstieg in die engeren Kreml-Kreise Ende der Neunziger ein stetig kritisches Auge auf ihn geworfen.

Mit dem Amtsantritt Putins beobachtet sie dann eine stetige Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen. Der Kreml beginnt die Arbeit der Presse indirekt, teils aber auch durchaus direkt zu beeinflussen. Mehrfach verliert Tregubova ihre Akkreditierung für den Kreml. Wer nicht das schreibt, was der Kreml lesen will, der wird eben auch in der Ausübung seiner Tätigkeit behindert.

Lebensgefährlich wird es für Tregubova dann, als ihr erstes Buch in Russland erscheint. Der Kreml reagiert wütend, Tregubova verliert ihren Job und schließlich explodiert die Bombe vor ihrer Wohnungstür. Die Journalistin überlebt nur deshalb, weil sie etwas später aus ihrer Wohnung kommt, als die Täter erwartet hatten, und verdankt ihr Überleben somit einzig ihrer, wie sie es selbst nennt, „pathologischen Unpünktlichkeit“.

„Die Mutanten des Kreml“ ist ein Dokument des Niedergangs des freien Journalismus in Russland unter Putin. Das Bild, das Tregubova vom heutigen politischen Russland skizziert, ist niederschmetternd. Die Pressefreiheit ist praktisch ausgehebelt, die oppositionelle Presse wurde konsequent vernichtet und die großen landesweiten Medien wie die Fernsehsender NTW oder TNT unterstehen inzwischen staatlichen Konzernen wie Gazprom.

Die Presse nimmt diese restriktiven Maßnahmen zur Untergrabung ihrer Freiheit scheinbar widerstandslos hin. Nur wenige Medien und Journalisten wehren sich, und wer aufbegehrt, der hat mit erheblichen Repressalien zu rechnen. Auch Elena Tregubova hatte sichtliche Schwierigkeiten, ihr Buch überhaupt an den Mann zu bringen. Letztlich erschien es in einem bolschewistisch geprägten Verlagshaus, das Tregubovas Buch ursprünglich eigentlich nicht veröffentlichen wollte, weil der Verleger von Tregubova den Eindruck einer „verwestlichten Jet-Set-Schnepfe“ hatte, die nicht ins Verlagsprofil passt.

Auch die zunehmend nationalistischen Töne im russischen Politikalltag, der latent geschürte Rassenhass im Zuge des Tschetschenienkrieges, der dazu führt, dass Kaukasier im Alltag immer wieder Vorurteilen und fremdenfeindlichen Übergriffen ausgesetzt sind, sind ein wichtiges Thema für Elena Tregubova.

Tregubova spricht die Dinge an, wie sie sind, und dass dabei nicht einfach nur irgendein zeitkritisches Dokument herausgekommen ist, ist wohl Tregubovas unverfälschtem persönlichen Stil zuzuschreiben. Sie analysiert nicht einfach nüchtern die Lage in ihrem Land, sondern beurteilt alles von ihrem persönlichen Erfahrungshorizont aus. Sie beschreibt, wie es ihr persönlich seit Putins Amtsantritt ergangen ist, und das macht sie in einem äußerst liebenswerten Plauderton.

Sie schreckt nicht vor harter Kritik zurück und schildert eindrucksvoll, wie in Russland Pressefreiheit und Demokratie vor die Hunde gehen, bewahrt aber bei aller Härte des Stoffes stets einen leichtfüßigen Erzählton, der auch immer wieder vor Selbstironie sprüht. Sie erzählt mitreißend, spannend und immer wieder auch mit einem Augenzwinkern gegenüber ihrer eigenen Person. So entsteht eine Art „Pop-Politthriller“, der zu fesseln weiß und vermutlich auch deswegen in Russland zum Bestseller wurde.

Auch die Hörbuchfassung des |Hoffmann und Campe|-Verlags versprüht den Charme der Elena Tregubova. Als Sprecherin wurde Sandra Borgmann verpflichtet, die man als Rosalie aus der TV-Serie „Berlin, Berlin“ kennt. Sie füllt den Text wunderbar mit Leben und manövriert souverän durch das Meer unaussprechlicher russischer Namen. Gerade auch vor dem Hintergrund dieser hervorragenden Leseleistung ist es schade, dass das Buch für die Hörbuchfassung gekürzt wurde. 225 Minuten sind für ein Hörbuch noch keine Länge, und ich hätte gerne das komplette Buch in dieser Form genossen.

Bleibt unterm Strich ein durchweg positiver Eindruck von „Die Mutanten des Kreml“. Zwar kann man Elena Tregubova sicherlich vorhalten, dass sie die Zeit Jelzins in etwas zu rosigen Farben malt, aber ansonsten ist ihr Buch ein wichtiges und mutiges Werk, das ein persönliches und dadurch umso eindringlicheres Bild des heutigen Russland skizziert. Auch die Lesung von Sandra Borgmann ist äußerst gelungen, wenngleich man sich wünscht, der Text wäre für die Hörbuchfassung nicht gekürzt worden.

Elena Tregubova ist indes übrigens untergetaucht. Eigentlich hätte sie im Dezember zur Lesereise nach Deutschland kommen sollen, aber die hat sie in letzter Minute abgesagt. Der |Tropen|-Verlag, in dem die Buchfassung von „Die Mutanten des Kreml“ erschienen ist, hat seitdem keinen Kontakt mehr mit ihr aufnehmen können.

http://www.hoffmann-und-campe.de

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