Martin Lechner – Nach fünfhundertzwanzig Weltmeertagen

Die Handlung:

Wie Wellen sind diese Erzählungen zusammengefügt. Sie reichen sich Worte, Bilder oder Stimmungen weiter, fließen ineinander und stehen doch für sich. Es sind ebenso unheimliche wie übermütige Erzählungen. Sie handeln von verzweifelten Seen und Knien zum Verlieben, von dunkel erinnerten Filmen und blitzhaft erhellten Städten, von lautlos zerplatzenden Blutblasen und längst verrauchten Sommerlichkeiten. So verschieden sie sind, eines ist ihnen gemeinsam. Sie alle versuchen, vorzustoßen in jene Gewässer, in denen das Verstehen sich befremdet und womöglich neu entzündet. Das geschieht mit Witz genauso wie mit Finsternissen und immer mit Sätzen, deren Fluss ergreift, was sich anders nicht begreifen lässt. (Verlagsinfo)

Inhalt und Einrücke:

Nach dem witzigen Debütroman „Kleine Kassa“ wartete ich gespannt auf das neue Werk von Martin Lechner. Die Erzählungen unter dem Titel „Nach fünfhundertzwanzig Weltmeertagen“ kommen in einem schmalen gebundenen Büchlein mit interessanter Umschlaggestaltung daher: Eine surreal anmutende Schwarzweißfotografie mit einem vorwitzig drein schauendem Jungen, der aus einer Art Dach herauslugt. Im Hintergrund Meeresboden bei Niedrigwasser mit prilartigen Flüsschen, ganz in der Ferne die See und ein größeres Schiff. Ein ungewöhnliches Bild, das doch irgendwie neugierig machte. Umso überraschter war ich beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses: Ganze 63 (!) Erzählungen hält Lechner hier auf gerade einmal 192 Seiten bereit und natürlich hat jede Erzählung ihre eigene Überschrift! Auf der Suche nach einer gewissen Systematik wurde ich bei den gewählten Überschriften zwar nicht fündig. Es gibt Abschnitte, die nach Städten benannt sind wie etwa „Mainz“, „Genua“, „Chemnitz“ und „Zürich“. Auch Namen wie „Pierre“ und „Marie“ tauchen auf und einige Überschriften bestehen aus einem einfachen Substantiv und dem dazugehörigen Artikel. „Der Finger“, „Die Tante“ oder „Das Ohr“ klingen zugegeben erstmal nicht übermäßig aufregend oder vielversprechend. Glaubt man dem Inhaltsverzeichnis, gibt es aber auch Erzählungen, die überschrieben sind mit „Der Verkrustete“ oder „Lange Kurznachricht“ und zumindest schon so etwas wie ein Grinsen über mein Gesicht huschen ließen.

Die Erzählungen sind genau so unterschiedlich wie ihre Überschriften. Meist wechseln sich kürzere bis ganz kurze mit längeren Kapiteln ab. Die kürzeste Erzählung besteht tatsächlich aus nur einem Satz, während die längeren Erzählungen es auf bis zu 8 Seiten bringen.

Und der Inhalt? Ganz bewusst nähere ich mich diesem erst zögerlich, denn ich muss sagen, dass ich beim Lesen zunächst verwirrt war. Eine so klare äußerliche Gliederung und Struktur würde entsprechende Inhalte bereit halten, dessen war ich mir fast schon sicher. Während ich noch neugierig darüber nachsann, wer oder was denn nun die 520 Weltmeertage hinter sich gebracht hatte, gab es stattdessen eine Erzählung aus Sicht eines Sees. Nein, Sie haben sich nicht verlesen. Und seien Sie bitte mal ehrlich: Haben Sie sich denn einmal nur gefragt, wie Sie als Spaziergänger aus Perspektive des Sees aussehen oder was der See gerade über Ihr Geplapper am seinem Rand denkt? Nein? Ich auch nicht, zugegeben. Auch nicht aus Sicht eines Duschvorhanges, der in „Das Ende“ zugibt, dass es ihm gar nicht unangenehm ist, sich an den Hintern einer Frau zu schmiegen. Bevor die nicht aufzuhaltende Myzelbildung sein Schicksal besiegelt – und damit ein ständig wiederkehrendes Feuchtraumszenario durchspielt. Noch witziger aber „Das Nasenhaar“. Die Erzählung ist tatsächlich eine meiner Lieblingserzählungen in Lechners neuem Werk. Nur zehn Sätze kurz und dennoch eine wahnwitzige, kaskadenartige Geschichte, nicht ohne ein gewisses Maß an Dramatik und irgendwie sogar mit einer Botschaft.

Nicht dass nun aber der Eindruck entsteht, die Erzählungen wären durchweg alberne Blödeleien. Es gibt wirklich auch traurige, verstörende und nachdenklich machende Geschichten bzw. Kapitel in dem Buch. Allen gemeinsam ist aber der bald schon einmalige Stil Lechners: nicht enden wollende, aneinander gereihte Sätze drohen den Leser mit vielfältigen Ideen und eigentümlichen Eindrücken vom eigentlichen Weg der Handlung abzubringen. Vielleicht scheint es aber auch nur so, denn die Handlung ist möglicherweise eigentlich Nebensache und hier eher der Weg das Ziel.

Mein Fazit:

Ich gebe zu, dass mir nicht alle Erzählungen aus „Nach fünfhundertzwanzig Weltmeertagen“ gut gefallen haben. Gelegentlich war ich wie bereits erwähnt, auch verwundert bis konsterniert über das Gelesene. Vielleicht hatte ich zu sehr darauf gehofft, dass die Erzählungen irgendwie logisch aufeinander aufbauen würden wie in einem Roman. Oder mich gefragt, ob ich etwas Entscheidendes übersehen oder nicht verstanden hätte. Dennoch wird belohnt, wer sich auf das Buch einlässt, denn viele andere Erzählungen dieses Bandes konnten durch Originalität, Witz und eigentümlichen Sprachstil dafür absolut punkten. Lechner jongliert nur so mit den Worten, dass es dem Leser fast schwindlig wird und sein enormer Einfallsreichtum hat mich beeindruckt. Sicher kein Band für den Mainstream, sondern eher für das Regal mit den interessanten Entdeckungen bestimmt!

Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
ISBN-13: 978-3701716661

www.residenzverlag.at

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Trailer zum Buch: