Carlos Ruiz Zafón – Der Schatten des Windes

Carlos Ruiz Zafóns Roman „Der Schatten des Windes“ erklomm vor einigen Jahren die deutschen Bestsellerlisten. In seinem groß angelegten Panorama (immerhin umfasst der Roman fast 600 Seiten) widmet sich der Autor der Liebe zu Büchern, zu Frauen und zu verzwickten Rätseln und lädt den Leser ein, sich auf den Seiten dieses wunderbaren Schmökers für ein paar Stunden zu verlieren. „Der Hörverlag“ hat nun eine vom WDR produzierte Hörspielfassung vom „Schatten des Windes“ herausgebracht. Und da man sowohl vom WDR als auch vom |Hörverlag| eigentlich nur Gutes gewohnt ist, sollte auch dieses aufwendig und liebevoll produzierte Hörspiel ein Volltreffer sein. Doch auch die professionelle Hörspielbearbeitung eines Bestsellers kann offensichtlich einige Stolpersteine bieten, denn so ganz mag „Der Schatten des Windes“ in der Hörfassung nicht zu überzeugen.

Hauptfigur und Ich-Erzähler ist Daniel Sempere, den sein Vater – ein Buchhändler – in seiner Jugend zum „Friedhof der Vergessenen Bücher“ mitnimmt. In den verwinkelten Regalreihen dieses geheimnisvollen Bücherfriedhofs ruhen all die zwischen Buchdeckel gepressten Worte, die keinen Menschen mehr interessieren: vergessene Bücher eben. Es ist Tradition, dass man bei seinem ersten Besuch dieses außergewöhnlichen Friedhofs ein Buch aus den Massen aussucht und es quasi adoptiert. Daniels Wahl fällt auf „Der Schatten des Windes“, einen Roman des völlig unbekannten Autors Julián Carax.

Daniel liest das Buch und ist begeistert. Er will mehr wissen über diesen Carax. Lebt er noch? Hat er noch mehr Romane geschrieben? Er stellt Nachforschungen an und erfährt, dass Carax tot ist und irgendjemand alle Bestände von Carax‘ Büchern aufkauft und verbrennt. Auch Daniel wird von dieser Person auf sein Exemplar vom „Schatten des Windes“ angesprochen. Und bevor er sich’s versieht, versucht er, das Geheimnis um Carax‘ Lieben und Leben zu ergründen, seine eigene Haut zu retten und das Herz der schönen Bea zu gewinnen.

Zafóns Roman schwelgt in verschiedenen Erzählebenen und zelebriert die Liebe zu Büchern. Für Bibliophile ist „Der Schatten des Windes“ ein kleines Juwel. Sie werden kein Problem damit haben, sich in Daniels Charakter wiederzufinden, der geradezu obsessiv versucht, alles über Carax herauszufinden. Er taucht regelrecht ein in die Welt von Carax‘ Romanen – etwas, das sich garantiert schon jeder Leser das ein oder andere Mal gewünscht hat.

„Der Schatten des Windes“ lebt von diesen unterschiedlichen Erzählebenen, vom weiten Panorama und den zahlreichen Charakteren. Daher ist es umso bedauernswerter, dass für das nur zwei CDs umfassende Hörspiel starke Kürzungen vorgenommen werden mussten. Für den Kenner des Romans mag dies besonders schmerzlich sein, doch auch für den unbedarften Hörer werden diese Kürzungen bald mehr als deutlich.

Die straffe Konzeption des Hörspiels macht es fast unmöglich, in den Erzählungen von Nebencharakteren oder dem Erkunden von Nebenschauplätzen (offensichtlich eines der Hauptanliegen des Romans) zu schwelgen. Es passiert einfach zu viel auf zu wenig Raum, da bleibt dem Hörer keine Zeit zu verweilen und eine Szene oder gelungene Wendung (und davon gibt es reichlich, Zafón ist ein wahrer Wortkünstler) zu genießen. Der Versuch, möglichst viel relevante Information auf diese zwei Hörspiel-CDs zu pressen, macht „Der Schatten des Windes“ zu einer so dichten Erzählung, dass man als Hörer sofort den Faden der verschachtelten Handlung verliert, sobald man ein paar Minuten unaufmerksam war.

Das gleiche Schicksal ereilt viele der Charaktere. Auf der Suche nach der Lösung des Rätsels um Carax trifft Daniel viele Personen – alte Weggefährten, Freunde, Kollegen und Geliebte des Autors. Jede dieser Personen hat ihre eigene Geschichte zu erzählen, doch auch hier haben starke Kürzungen stattgefunden. Da diese Personen wirklich nur noch dazu dienen, Daniel Informationen zu liefern, verlieren sie ihren ganz eigenen Charme. So erfährt man kaum etwas über Daniels Vater oder Daniels Verbündeten Fermín, der kaum mehr ist als ein Stichwortgeber. Auch die Liebesgeschichte zwischen Daniel und Beatrice ist auf das Nötigste reduziert. Sie wurde skizziert, sodass der Hörer weiß, was er von den beiden Figuren zu erwarten hat. Doch die Skizze lässt naturgemäß Farbtiefe und Details vermissen, und so wirkt die Liebesgeschichte kaum lebendig.

Diesen Schwächen steht ein ansonsten professionell gemachtes Hörspiel gegenüber. Die Sprecher sind allesamt überzeugend, allen voran Matthias Schweighöfer (als Daniel) und Michael Habeck (als Fermín). Gerade Letzerer erweist sich als glückliche Wahl für den gewitzten und findigen Fermín, und es ist auch Habecks Interpretation des Charakters, die beim Hörer Lust darauf macht, mehr über die Vergangenheit Fermíns zu erfahren. Auch Musik und Sound unterstreichen die Handlung in gelungener Weise, und man bekommt einen leisen Eindruck vom Barcelona der 1950er Jahre.

Die starken Kürzungen führen allerdings dazu, dass das Hörspiel wirkt wie ein Appetithappen. Als Hörer bekommt man einen Teil vom „Schatten des Windes“ präsentiert, doch die Erkenntnis, dass viele Details und Erzählstränge fehlen, bleibt immer im Bewusstsein. Das ist mehr als schade, denn schließlich hätte es nichts weiter als mehr Zeit bedurft, um dieses Hörspiel zu einer wirklich überzeugenden Adaption des Romans zu machen. So lässt die Hörspielbearbeitung den Leser/Hörer leider hungrig zurück. Man verspürt Lust auf mehr – auf die ganzen geballten 600 Seiten von Zafóns Erzählkraft, die im Hörspiel zwar immer wieder anklingen, aber leider nie ihre volle Wirkkraft entfalten.

2 CDs
Laufzeit: 154 Min.
Besprochene Auflage: Februar 2009
www.hoerverlag.de