Dieter Wessels (Hg.) – Classic Science Fiction Stories. Fremdsprachentexte

Die Klassik der SF dauerte nur 30 Jahre

In der englischen Originalsprache enthält dieser Auswahlband Erzählungen von Isaac Asimov, E.F. Russell, Philip K. Dick, Robert A. Heinlein, John Wyndham, Harlan Ellison, John Wyndham, Alfred bester, J.G. Ballard und Harry Harrison – allesamt Autoren der ersten Liga, aber es sind keine weiblichen Vertreter darunter und auch keine Nicht-Angelsachsen.

Das Besondere an dieser Ausgabe ist die Kurzcharakteristik zum jeweiligen Autor und – das ist rar – eine Interpretationshilfe zur jeweiligen Erzählung. Mittelgute Englischkenntnisse sind für die Lektüre natürlich Bedingung, aber viele neue Vokabeln werden in Fußnoten erklärt.

Hier findet man unter anderem:

1) Die Story von dem Roboter, der für den Mond gebaut wurde und nun auf einem irdischen Schrottplatz landet – mit unerwarteten Folgen;
2) Die Story von dem Roboter, der sich für einen Menschen hält, aber in Wahrheit ein Infiltrant der Aliens ist;
3) Die Story von dem Flottenkommandanten, den ein kleines Mädchen zum Weinen bringt;
4) Die Story von der übervölkerten Welt, auf der zwei Glückspilze noch eine unbelegte Besenkammer finden; und weitere.

Der Herausgeber

Dieter Wessels hat bei Reclam die zwei Heftchen „Science Fiction Stories I“ und „Science Fiction Stories II“ veröffentlicht, aus deren Inhalten der vorliegende Band besteht.

Die Erzählungen

1) Isaac Asimov: Robot AL-76 Goes Astray (1941)

Roboter AL-76 sollte eigentlich auf den Mond geschickt werden, für den er konstruiert und programmiert worden ist, um dort mit einem Desintegrator Berge zu abzubauen. Doch AL-76 ist irgendwo außerhalb seiner Fabrik verloren gegangen. Er sucht den Mond, findet aber nur in Panik schreiende Kreaturen vor, die vor ihm davon laufen. Kein Wunder, denn er ist über vier Meter hoch.

Während die Ingenieure von United States Robot and Mechanical Men Corp. noch nach ihm fahnden lassen, stolpert er auf den Schrottplatz von Randolph Payne. Randy ist zwar verheiratet, aber den Profit, den er beim Reparieren defekter Elektrogeräte einstreicht, braucht er nicht bei seinem Hausdrachen angeben, und das ist ihm ganz recht. Nach ein paar Schrecksekunden merkt er, dass man sich mit diesem Metallmonster recht vernünftig unterhalten kann. Außerdem ist er wegen der drei Robotergesetze völlig ungefährlich. Und als er im Radio hört, dass eine Belohnung auf das Ding ausgesetzt, wird er noch ein wenig freundlicher. Sein Freund Al könne sich alles nehmen, was er brauche, um sich einen Desintegrator zu bauen.

Leider wird sein Anruf bei der Herstellerfirma zunächst nicht ernstgenommen, so dass er niedergeschlagen auf seinen Schrottplatz zurückkehrt. Dort ist der „Disinto“ bereits fertig, sagt sein Freund Al, alles war er noch brauche, seien zwei kleine Batterien. Null problemo! Mit dieser Energiequelle versehen, bläst der Desintegrator kurz mal sämtliche Bäume am Park sowie die Spitze eines nahen Berges weg. Nicht schlecht für den Anfang, findet Randolph. Da erspäht er im Gebüsch eine anrückende Armee von Cops und meint zu seinem Kumpel, er solle lieber mal die Beweisstücke vernichten…

Mein Eindruck

Zuerst erzielt die Story einen netten V-Effekt: Der Roboter befindet sich auf dem falschen Planeten und interpretiert alles, was ihm begegnet, als fehlerhaft. Auf dem Schrottplatz macht er, wofür er programmiert wurde: Wer keinen Disinto hat, baut sich selber einen, quasi im Robinson-Stil. Dieses unerlaubte Beweisstück muss er wieder zerstören, bevor er dafür bestraft, denn Disintos auf der Erde sind ja nicht erlaubt. Kaum haben sie AL-76 abgeschaltet und zerlegt, ärgern sich die Ingenieure: AL-76 hatte es geschafft, mit nur zwei Haushaltbatterien einen Berg zu zerstören, wofür sie bislang Unmengen von Energie gebraucht hatten. Wie gewonnen, so zerronnen.

Bemerkenswert an der frühen Asimov-Story, die 1942 erschien, ist die Tatsache, dass der Roboter menschlicher als seine Schöpfer erscheint. Er folgt zwar einem Programm für den Mondeinsatz und natürlich den drei Robotergesetzen, ist aber fähig zu menschlicher Interaktion und vor allem zu ungewöhnlicher Kreativität. Der Kontrast stellt seine Schöpfer in ein neues, nicht gerade positives Licht.

2) Eric Frank Russell: I Am Nothing (1952)

Staatsführer und Admiral David Korman von der Morcine-Raumflotte stellt den Bewohnern des Planeten Lani ein Ultimatum: Unterwerfung oder Zerstörung. Er liebt es, Stärke zu demonstrieren und anderen seinen Willen aufzuzwingen. Seinem Commander befiehlt er, dass sein Sohn Reed Korman als erster landen solle, denn das sei gut für die Moral der Truppe – und als PR auf der Erde. Einen schwachen Protest von wegen „niedriger Dienstgrad“ wischt er beiseite.

David ist mit Mary verheiratet, die alles tut, was er befielt. Sie sagt wie ein Roboter „Ja, David“ und „Nein, David“ oder „Was meinst du, David?“. Es wurmt ihn daher, dass sie es ist, der sein Sohn Briefe schreibt. Eines Tages kommt ein erstaunlicher Brief, den sie ihm gehorsam vorlegt: Sein Sohn hat sich eine einheimische Lani-Frau angelacht und gedenkt, sie in die Heimat, also nach Morcine, zu schicken. David erwartet das Schlimmste, doch auf das Mädchen, dass dann in sein Büro geführt wird, ist er nicht gefasst.

Die magersüchtige, hohläugige Kreatur namens Tatiana Hurst sagt nie etwas, als ob sie stumm wäre. Auf so ein Wesen kann man nicht einbrüllen, das wird ihm klar. Auf eine Empfehlung lässt er sie psychologisch untersuchen. Das Ergebnis ist ein sehr interessanter Brief. Darin steht: „Ich bin nichts, ich bin niemand.“ Und der Rest schildert die Gräuel, denen sie ausgesetzt war. Etwas Unbekanntes beginnt sich in Davids Seele zu regen. Was kann es nur sein?

Mein Eindruck

Der Leser würde zunächst Raumschlachten und Bodenkämpfe erwarten, aber nichts liegt dem Autor ferner. Die Kämpfe sind nur als Illustration der TV-Propaganda von Morcine zu sehen. Stattdessen findet ein psychologischer Kampf statt. Ungleicher könnten die Beteiligten nicht sein: ein mageres, hohläugiges Flüchtlingskind und ein allmächtiger Admiral, ein richtiges Alpha-Männchen. Seine Frau Mary tritt nur selten und ihr Sohn Reed nie persönlich auf. Öffentliche und private Szenen wechseln einander ab, um so einen Gegensatz zu bilden, der Kormans Charakter und Rolle beleuchtet.

Die Story wird in der Literaturkritik als Beispiel für Militarismus herangezogen, doch ihr Ansatz geht noch weiter, finde ich. Nicht nur der Krieg und die Militärhierarchie entmenschlichen Leute wie Korman, sondern auch die fehlende Emotionalität an sich. Ihnen geht jedes Mitgefühl ab, sie können sich nicht in andere hineinversetzen. In dieser humanen Hinsicht sind sie selbst „ein Niemand, ein Nichts“. Korman erkennt dies schließlich, weiß aber, dass er selbst von seinem Vater, der ebenfalls Militär war, so geformt worden ist. Erst das Mitgefühl, das Tatiana ihm erweist, bringt seine harte Schale zum Schmelzen.

3) Philip K. Dick: Impostor (1953)

Der Ingenieur Spence Olham arbeitet seit Jahr und Tag unbescholten an einem geheimen Projekt der Regierung mit, das eine Waffe entwickelt, mit denen sich die feindlichen Aliens vernichten lassen, die die Erde belagern. Die Erde wird nur durch eine Blase geschützt, deren Natur nicht weiter beschrieben wird.

An diesem Morgen verabschiedet sich Spence von seiner lieben Frau Mary, die ihn darüber informiert, dass ihr Lieblingsausflugsziel Sutton Woods niedergebrannt sei. Dieses Infobit wird später noch sehr wichtig für ihn. wird Er wird auf der Fahrt zur Arbeit vom Sicherheitsdienst verhaftet und sofort zum Mond geflogen, um ihn dort zu eliminieren. Die Anklage laut: Er sei in Wahrheit ein Roboter, ein Hochstapler, ein Alien-Agent, der sich als Spence Olham ausgebe, mit dessen Aussehen und Erinnerungen, doch mit einer Bombe in seinem Roboterkörper, um das Projekt zu vernichten. Ausgelöst werde die Zündung durch die Phrase in einem posthypnotischen Befehl. Daher fürchten sie jedes Wort, dass er äußert.

Olham kann dem Sicherheitspolizisten Peters und seinem Tod durch eine Finte in letzter Sekunde entkommen und rast zur Erde, um seine Unschuld zu beweisen, denn er kann sich nicht erinnern, jemals etwas anders gewesen zu sein als eben der Mensch Spence Olham, verheiratet mit Mary Olham. Marys Gesichtsausdruck verrät ihm zu Hause rechtzeitig, dass die Polizei ihn bereits erwartet, und er kann entkommen. Da fällt ihm ein, wo das Raumschiff seines Doppelgängers abgestürzt sein könnte: in Sutton Woods. Warum sonst hätte der Wald Feuer fangen sollen? Dort entscheidet sich sein Schicksal. Leider erleben er und seine Verfolger eine böse Überraschung, „die man noch bis zum Alpha Centauri sehen kann“…

Mein Eindruck

Die bei den Dick-Fans sehr beliebte Story, die vielfach nachgedruckt wurde, ist spannend wie ein Agententhriller oder ein Noir-Krimi. Ungewöhnlich daran ist die Perspektive, aus das mysteriöse Geschehen erzählt wird. Spence Olham ist der Chronist und scheint als Mensch doch ein zuverlässiger Berichterstatter zu sein. Er steht doch auf der Seite von Amerika, oder? Er muss seiner eigenen Spur folgen, um die Wahrheit herauszufinden, doch die Geheimdienstleute versuchen ihn daran zu hindern. Wie paranoid müssen die eigentlich sein, fragt sich der Leser.

Erst am Wrack des abgestürzten Landefahrzeugs scheint sich die Wahrheit herauszustellen, doch Peters kann keinen Beweis für Spences Schuld finden. Sein Kollege Nelson, Spences alter Schulfreund, schaut jedoch genauer hin und findet den Beweis fürs Gegenteil. Dies wiederum löst die Auslöserphrase aus, mit der der feindliche Roboter „Spence Olham“ die Bombe zündet. Man sieht, die Story ist von Anfang an sehr ironisch angelegt, aber in ihrer Paranoia vor kommunistischer Unterwanderung sehr typisch für ihre Entstehungszeit. Der Autor kritisiert die Kriterien für einen „subversiven Agenten“. Fazit: Jeder von uns kann einer sein.

Diese Story wurde mit Gary Sinise („Forrest Gump“) in der Hauptrolle verfilmt, allerdings nicht sonderlich erfolgreich: Der Streifen kam nie in unsere Kinos.-

4) Robert A. Heinlein: Sky Lift (1953)

Weltraumpilot Joe Appleby hat einen Urlaubsschein für einen Besuch auf der Erde, doch aus dem geplanten Urlaub wird nichts. Er ist immer noch auf der Terra-Station, als ein Notruf von Proserpina, der Pluto-Station, eintrifft. Dort sei eine Krankheit ausgebrochen, und nur frisches Blutkonserven könnten verhindern, dass mehrere hundert Menschen auf der Station sterben.

Da die Terra-Station vom US-Militär (von wem auch sonst?) geleitet wird, befiehlt der Commander, dass ein Raketenboot mit zwei Piloten schnellmöglich das Blut zu Proserpina transportiert. Der Haken: Um so viele Leben wie möglich zu retten, muss die Beschleunigung auf einem Großteil der Strecke bei unmenschlichen 3,5 Ge liegen, also dem Dreieinhalbfachen der Erdschwerkraft. Appleby wird unter den „Freiwilligen“ ausgewählt, Captain Klueger zu begleiten. Sie werden in Schutzanzüge gesteckt und in Geltanks eingepackt, die sie davor bewahren, dass ihre Knochen brechen.

Für vier Milliarden Meilen rasen die beiden Piloten an der Grenze ihrer körperlichen Belastbarkeit durch das Sonnensystem. Weder Kometen noch Asteroiden wagen es, ihre Weg zu kreuzen. Am Ende kommen ein Toter und ein Halbtoter bei Station Proserpina an, aber wenigstens das Blut ist okay…

Mein Eindruck

Der Plot ist denkbar simpel: eine Hilfs- und Rettungsmission von A nach B. Was die Spannung steigert, sind die gewaltigen Hindernisse, die sich der Durchführung entgegenstellen. Zwar ist diesmal kein Nitroglyzerin wie in „Lohn der Angst“ zu transportieren, sondern nur Blutkonserven, doch diesmal ist der Fahrer selbst das Hindernis: Der menschliche Körper ist nicht für 3,5 Ge ausgelegt, und das Bewusstsein erst recht nicht. Immer wieder muss Joe das Log konsultieren, um herauszufinden, was überhaupt los ist, was in der Vergangenheit geschehen ist und wer wann welche Befehle gegeben hat. Denn sein eigenes Gedächtnis verweigert ihm den Dienst.

Die Action hält sich also in Grenzen, ganz egal, was der Herausgeber in seinem Kommentar meint. Dennoch steigt die Spannung ob der Frage, ob die Menschen überhaupt ankommen (sie sind die letzte Hoffnung, denn eine vorab geschickte Robotersonde hat das Rendezvous der Himmelskörper verpasst) und in welchem Zustand sie ankommen. Im Epilog stellt sich heraus, dass Joe Appleby nach nur zehn Tagen bereits ein alter Mann ist, der auf der Erde eine Physiotherapie für Geriatrie-Patienten braucht. Der Hyper-G-Flug hat seinen Alterungsprozess um das Vielfache beschleunigt.

Heinlein war selbst beim Militär und lernte Ingenieurwissenschaft. Er erfand die Waldos. Daher wird selbst der gewiefte SF-Kenner mit Heinleins vielen technischen Ausdrücken aus der Fliegersprache, der Astronomie und der Raumfahrt seine Probleme haben. Deshalb sind die Vokabeln eine wertvolle Hilfestellung beim Verständnis des ebenso technischen wie sehr anschaulichen Textes.

5) John Wyndham: Opposite Number (1954)

Peter Ruddle lebt in einer Kleinstadt, die stolz auf ihre Universität ist. Hier hat er bis vor wenigen Jahren am Institut des inzwischen verstorbenen Dr. Whetstone gearbeitet. Das Ziel von dessen Experimenten war die Möglichkeit der Zeitreise. Doch bei einem Streit vor zwei Jahren trennte sich Peter nicht nur vom Institut, sondern auch von Jean, Whetstones Tochter, die er eigentlich heiraten wollte. Heute sieht er sie wieder.

Jean geht durch die Korridore der Uni, als gehören sie hierher, dabei weiß Peter, dass sie inzwischen mit Freddie Tallboy verheiratet ist. Aber der Mann an der Seite der heutigen Jean ist nicht Freddie. Als er den beiden in die Mensa der Uni folgt, entdeckt er zu seiner Bestürzung, dass es sich bei Jeans Begleiter um ihn selbst handelt. Die Verwunderung ist groß, doch bevor die Gerüchteküche explodiert, kann die beiden in das Hinterzimmers eines Restaurants lotsen. Hier können sie sich aussprechen.

Offenbar sind die beiden das Ergebnis eines Zeitexperiments des alten Whetstone.. Dessen These lautete, dass jeder Moment, der an der Wellenfront der Ereignisse stattfindet, unzählige Parallelwelten entstehen und vergehen lässt. Peters Doppelgänger und Jean sind die alternative Version jenes Moments vor zwei Jahren: Für sie fand der Streit nicht statt. Und dass Peter jetzt mit dieser ordinären Miss Tenter verheiratet ist, empört Jean.

Aber es gibt eine winzige Chance, alles in die rechten Bahnen zu lotsen…

Mein Eindruck

Diese Zeitreisestory ist völlig anders als die von H.G. Wells. Wo bei Wells die Linearität des Zeitstrangs den Reisenden zum Beobachten verdammt, erlaubt die Vorstellung einer Wellenfront voller Alternativen – wie sie der Quantentheorie entspricht – , dass die Reisenden zu Beteiligten werden, die den Ablauf der „Zeit“ verändern können, ja, sogar korrigieren. Das Reizvolle an dieser Geschichte ist nicht nur die wie bei Shakespeare zu findende spielerische Phantasie mit den Beziehungen (Time is out of joint“, heißt es in „Hamlet“), sondern auch der Kontrast zwischen kleinstädtischer Überwachungsmentalität – Peter wird mehrfach zweifelnd und tadelnd angeschaut – und der Abstraktionsebene der Wissenschaft, die diese Enge konterkariert. Ich könnte mir diese Geschichte gut als Radiospiel der 1950er Jahre vorstellen, denn sie lässt keinen Zuhörer bzw. Leser kalt.

6) Harlan Ellison: Deeper Than the Darkness (1957)

Im Kreisgefängnis von Pawnee, Kansas, sitzt ein ungewöhnlicher Gefangener. Gunnderson, 38 Jahre alt, ist angeblich ein Brandstifter. Schließlich hat er angeblich einen Wald abgefackelt. Er ist jedoch der erste, der diese Tatsache gegenüber den Geheimpolizisten der Zentralregierung bedauert. Der Vertreter der Mindees, also Psi-Begabten, untersuchen den Häftling: Er ist tatsächlich ebenfalls Psi-begabt: Er ist ein Firestarter oder Pyrotiker. Um nicht erneut einen Brand zu entfachen, hat er sich in sein Innerstes zurückgezogen. Das ist bedauerlich, denn sein Land braucht ihn jetzt. Es führt Krieg gegen die Aliens aus dem Delgart-System, das die Sonne Omalo umgibt.

Nach mehreren „motivierenden“ Unterredungen mit dem Gedankenleser und seinem Begleiter, dem Geistzerstörer, übergeben sie ihn dem Weltraumkommando SpaceCom. Dieses bringt durch den Hyperraum ihn nach Alpha Centauri, was offenbar nicht weit entfernt von der Sonne Omalo liegt. Dort erst erfährt Gunnderson, was er hier draußen eigentlich soll: „Wir wollen, dass Sie Omalo in eine Supernova verwandeln.“

Nun, nicht jeden Tag erhält man den Befehl, eine ganze Spezies auszulöschen. Während sich alles in Gunnderson gegen dieses Ansinnen stemmt, versucht er, zeit zu gewinnen. Seine Begleiter sind frustriert: Der Gedankenleser (Mindee) findet in Gunndersons Geist nichts, das er lesen könnte. Und der Geistzerstörer (Blaster) wird von einer geistigen Barriere in Gunndersons Geist blockiert. Der Mann ist jetzt unangreifbar – und macht sich auch gleich vom Acker, indem er sich ein Beiboot schnappt und von dannen düst. Aber wohin will er nur hier draußen, wo nur der Feind lauert?

Mein Eindruck

Mit dieser Erzählung liefert der Autor, wie schon viele Male vor ihm Philip K. Dick, einen Kommentar auf die geistigen Vorgänge in den USA während des Kalten Krieges. Hinzukam dann auch noch die Kommunistenhatz des Senators McCarthy, bei der jeder Drehbuchautor – wie Ellison – in Hollywood Farbe bekennen sollte. Welche Lösung lässt Ellison seinen Helden in dieser scheinbaren Zwickmühle wählen?

Nun, er macht Gunnderson zu einer Art Supermensch, ohne dessen Fähigkeiten irgendwie zu begründen. Ihm kommt es darauf an zu zeigen, welche Alternative sein Held wählt: Gunnderson landet auf der recht friedlichen Welt der Delgarts, die verblüffend an Tolkiens idyllisches Auenland erinnert. Hier singt er inkognito seine anrührenden Balladen, begleitet von dem (mittlerweile hundert Jahre alten) Instrument Theremin (benannt nach seinem russischen Erfinder). Die Vermutung, es könne sich bei dem Wanderer um unseren Firestarter handeln, wird erst in der letzten Zeile bestätigt. Das soll wohl die Pointe sein. Sie ist völlig unglaubwürdig.

7) Alfred Bester: Out of this World (1964)

Howard Campbell ist Leiter eines Büros an der New Yorker Madison Avenue. Vermutlich ist Leiter einer PR-Agentur, denn an der Madison Avenue ist die Werbeindustrie konzentriert. Eines Tages bekommt er einen Anruf von einer gewissen Patsy, die eine gewisse Janet sprechen will. Da Howard, obwohl verheiratet, viel für junge Frauen übrighat, legt er nicht auf, obwohl Patsy offensichtlich falsch verbunden ist. Als sie immer anruft und nach janet fragt, schlägt er schließlich ein Rendezvous an der Rockefeller Plaza vor. Patsy taucht nie auf, was ihn ärgert. Auch die zweite Verabredung vor dem Tiffany Building platzt. Jetzt wird Howard wütend.

Aber Patsy ist genauso wütend. Zusammen kommen sie dem Grund dafür auf die Spur, dass sie einander verfehlt haben. Und als sie behauptet, seine Nummer sei gar nicht gelistet und das Fräulein vom Amt – alle Anrufe müssen durch die Vermittlungszentrale – behauptet, auch Patsys Anschluss sei nicht gelistet, wird die Sache immer sonderbarer. Bis Patsy Shimabara nebenbei erwähnt, dass Manhattan ein Bombenkrater sei und alle verstrahlten Flüchtlinge in den angrenzenden Stadtvierteln in Camps leben würden – nach dem Abwurf der A-Bombe und der japanischen Invasion…

Mein Eindruck

Howard erklärt das Phänomen der gekreuzten Telefonleitungen damit, dass sich zwei Parallelwelten verknüpft haben. Patsy lebt in der Schreckensvision einer Welt, in der die Japaner die Bombe zuerst hatten und auf New York City abwarfen (es hätten auch die Deutschen sein können). Fritz Leiben, der Kollege Besters, führte diese Alternativwelt weiter, indem er in „Catch that Zeppelin!“ die Deutschen den Weltkrieg gewinnen ließ. Seine Story ist wesentlich ausgefeilter und nicht so humorvoll wie die von Bester.

Weil die Story zu 90 Prozent aus Dialog besteht, ist sie flott zu lesen, und das romantische Grundmotiv sorgt für ein gewisses Maß an Amüsement. Dass sich Howard als ein anderer – nennt Janets Nummer – ausgibt, erfordert ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit. Seine Schuldgefühle, weil er diese „Affäre“ seiner Frau verheimlicht, machen ihn sympathisch. Dass sein Gegenpart Patsy Shimabara in einem Katastrophengebiet lebt und offenbar einen japanischen Besatzer heiraten musste, erschließt sich dem nachdenken Leser und erzeugt einen gelinden Schock.

8) J.G. Ballard: Billennium (1964)

John Ward und Peter Rossiter machen in der Welt, auf der sich 20 Milliarden Menschen maximal vier Quadratmeter pro Nase teilen, eine umwerfende Entdeckung: ein völlig leeres Zimmer mit den ungeheuren Dimensionen von 4,5 x 4,5 qm! Es liegt hinter einer Art Tapetentür, vor der sie sich ihre Wohnnische geteilt haben. Das ist natürlich jetzt nicht mehr nötig: Das Paradies liegt sozusagen direkt vor ihrer Nase.

Doch ihre zwei Bekannten, Judith und Helen, sitzen – mal wieder auf der Straße. Der Maximalwohnraum ist von der Regierung auf 3 qm herabgesetzt worden, und die Vermieter schlagen Kapital daraus. John und Peter laden die beiden ein, bei ihnen einzuziehen. Aber Judiths will, dass auch ihre Tante… null problemo! Und dann kommt auch noch Helens Vater hinzu, und im Handumdrehen fühlt sich alles wieder richtig „normal“ an…

Mein Eindruck

Auf ihre dezent satirische Weise verarbeitet die vielfach abgedruckte Erzählung die Vorhersage des Club of Rome, wonach bei einer jährlichen Wachstumsrate von 3 Prozent das Bevölkerungswachstum beängstigende Ausmaße annehmen werde – die heute (2020) zweifellos erreicht sind. Genau diese Ausmaße schildert die Geschichte auf ganz konkrete, unaufgeregte Weise. Merke: So schockierend es auch erscheinen mag, so kann sich der Mensch doch daran gewöhnen, auch in einem Besenschrank zu wohnen.

9) Harry Harrison: Waiting Place (1970)

Jomfri steigt aus dem Materietransmitter und merkt gleich, dass etwas nicht stimmt. Diese graue Zelle ist nicht sein Zuhause, wo seine Frau schon auf ihn wartet. Heftiger Kopfschmerz erfüllt sein Bewusstsein und er taumelt hinaus. Mit wem kann er hier sprechen, wen um Hilfe bitten? Ein Mann kommt aus einer Ecke und schlägt ihn zusammen, nennt ihn einen „verdammten Fangner“. Was kann er damit bloß meinen, fragt sich Jomfri. Die Szene mutet ihn ebenso surreal an wie die Umgebung, die sich grau unter einer verdeckten Sonne erstreckt. Eine alte Frau weist ihm den Weg zum Wärter, der weiter oben am Hügel lebe. Als er ihr erklärt, er sei hier falsch, meint sie bloß: „Das sagen alle, die hier landen.“

Den Wärter dieser seltsamen Welt gibt es nicht, sondern bloß eine Nahrungsspendemaschine. Ein alter Mann, der sich Old Rurry nennt, macht Jomfri mit einem langen Messer, das er ihm an den Hals hält, klar, wer hier das Sagen hat. Er verrät auch, dass es hier einen Weg hinaus gibt: Durch einen Metallcontainer, der beispielsweise Leichen aufnimmt, der aber auch zwischen lebenden, Toten und Verletzten unterscheiden kann. Das bringt Jomfri auf eine Idee: Er lässt sich von Old Rurry mit dem Messer zwei Finger abtrennen und in den Container werfen.

Tatsächlich erkennen ihn die Maschinen richtig als Verletzten und befördern ihn zu den Ärzten. Doch denen ist keinerlei Humanität anzumerken, sondern sie behandeln Jomfri als das, was er ist: ein Häftling im humansten Strafvollzug, den es geben kann – sofern man auf seine Seele verzichtet. Von den Ärzten erfährt Jomfri endlich auch den Grund, warum ihn das MT-System hiergeschickt hat. Es ist keineswegs ein Irrtum, wenn man seine Frau umgebracht hat…

Mein Eindruck

Diese typisch britische Story über Fremdheit und Strafvollzug mutet zunächst kafkaesk an. Man denke an Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“, in der es wahrhaft nichts zu lachen gibt. Aber Jomfri denkt sich mit dem Mut der Verzweiflung – er ist ja sicherlich zu Unrecht hier, oder? – einen Fluchtplan aus, der auch tatsächlich klappt. Zunächst zumindest, denn zu seiner Ernüchterung ist er völlig zu Recht in „Strafkolonie“ gelandet.

Da es außer am Schluss kaum Dialoge gibt, hatte ich meine Mühe mit der Story, und das Vokabular ist obendrein recht anspruchsvoll. Zum Glück gibt es die vielen Erklärungen in den Fußnoten. Gleich mehr dazu.

Die Übersetzung

Die Fußnoten der englischen Originaltexte sind halbwegs korrekt übersetzt worden, doch wie so oft tauchen hie und da ulkige Übersetzungs-, Setz- und Druckfehler auf.

S. 51: Nein, „dope“ ist diesem Fall nicht die Droge Marihuana gemeint, sondern die allgemein gebräuchliche Bezeichnung für einen Trottel, den man leicht übertölpeln kann. Siehe auch die Redewendung „rope a dope“: einen Tölpel in eine Falle locken.

S. 175: „open-having“: Dieser Bindestrich sollte eigentlich ein Gedankenstrich sein, damit der Satz einen Sinn ergibt.

S. 183: „watching the land fall slop // ingly away under him“: Die zwei Bruchstücke „slop“ und „ingly“ gehören zum gleichen Wort: „slopingly“ = hangartig. Warum sie auseinandergeschrieben wurden, bleibt das Geheimnis des nirgendwo genannten Übersetzers.

Unterm Strich

Am besten gefielen mir die Texte von Phil K. Dick, Alfred Bester und J.G. Ballard. Allen ist gemein, dass sie auf eine mehr oder weniger hinterhältige Weise ironisch eine Schreckensvision entwerfen. Dicks Story wurde sogar verfilmt. Und Fritz Leiber hat die Bester-Idee viel besser ausgeführt.

Auffallend ist, dass die britischen Beiträge von Russell, Wyndham und Harrison demgegenüber etwas abfallen, ja die Schlusspointen hauen manchmal nicht hin, ähnlich wie in Ellisons Story. Was mich aber besonders ärgert, dass aus dem Golden Age der SF nur die Asimov-Story gibt. Und dass keine einzige weibliche Autorin in die Auswahl aufgenommen wurde, obwohl es bereits in den 1930er Jahren ausgezeichnete Autorinnen wie C.L. Moore gab.

Moore, Katherine McLean, Joanna Russ, Ursula K. Le Guin und viele mehr finden sich in der von Pamela Sargent edierten Sammlung „Women of Wonder. The Classic Years“ (gibt es nicht auf Deutsch). Auch Autoren, die nicht aus dem angelsächsischen Raum stammen und auf Englisch schrieben (Inder, Kanadier, Südafrikaner usw.) sucht man hier vergeblich.

Dieser Auswahlband lohnt sich nur für den Freund von hochwertiger Science Fiction, insbesondere aber für Kenner des Genres. Rudimentäre Englischkenntnisse sind selbstverständlich Bedingung, aber viele neue Vokabeln werden in Fußnoten erklärt (wenn auch nicht immer korrekt).

Taschenbuch: 311 Seiten
Aus dem Englischen von Dieter Wessels.
ISBN-13: 9783150091036

Reclam-Verlag

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