Robert Corvus – Grauwacht

Bisola ist eine Welt der Extreme.

Tag und Nacht wandern so langsam um die Welt, dass ein Menschenleben vergeht, bis die Dämmerung einen Ort ein zweites Mal erreicht. Und wenn der Tag anbricht, ist es für die Menschen Bisolas Zeit, ihre Heimat aufzugeben und weiter zu ziehen, dem Tag voraus, denn so will es der Pakt zwischen Menschen und Sassek, die den Tag bevölkern. Ein paar wenige Metropolen finden sich als Unterkunft, dazu kommen die natürlichen Höhlen, Refugios, und Hütten oder Zelte an Orten, die den Wesen eine Lebensgrundlage bieten. Denn das zweite Extrem Bisolas ist der große Temperaturunterschied: Die lange Nacht klirrt und birst unter der Kälte, so dass sich die Menschen nur unter dicken Pelzen ins Freie begeben können; der Tag dagegen brennt unter der Sonne, die Meere kochen.

Wenn der Tag naht und es für die Menschen an der Zeit ist, die Metropolen und heimischen Herde zu räumen, tritt die Grauwacht auf den Plan, eine langlebige militärische Truppe von überragenden Fähigkeiten, die für die Einhaltung des Paktes sorgt. Ihre Macht erhält diese Truppe vom Plexo, einem weltumspannenden Geflecht, das den Guardistas der Grauwacht die Langlebigkeit, die Kraft, Ausdauer und die unglaublichen Selbstheilungskräfte zur Verfügung stellt. Es ist das Nabo, das in ihren Adern fließt und den Kontakt zum Plexo hält. Die Guardistas leben für die Grauwacht, denn ihre Neutralität verbietet Bindungen zu ihren Artgenossen, den normalen Menschen. Schon allein, um das Misstrauen der Sasseks bezüglich dieser Neutralität nicht zu reizen.

Eines der größten Verbrechen unter den Guardistas ist es, die Grauwacht zu verlassen und die Liebe und Normalität einer Familie zu suchen …


Remon ist ein Guardista der Grauwacht, und er hat seinen Eid gebrochen und eine Familie gegründet. Doch die Vergangenheit holt ihn ein, als er seine Tochter auf ihre Überlebensprüfung vorbereitet: Vorena, eine ehemalige Gefährtin und beste Schwertkämpferin der Wacht, spürt ihn auf und reißt ihn aus seinem neuen Leben. Und dass er damit vor seiner Truppe zu Gericht geführt wird, was üblicherweise mit dem Tod des Betreffenden endet, ist nicht das einzige Problem für Remon: Dort, wo die Sonne der Nacht weichen sollte, rückt ein unnatürliches blaues Licht vor. Die Monde verfärben sich erst grün, dann blau. Die Ordnung der Welt scheint zu zerbrechen, das Chaos zwischen ausharrenden Sasseks und eintreffenden Menschen bedroht die in der Dämmerung gelegenen Metropolen. Und eine uralte Gefahr ist im Begriff, erneut über die Menschen und Sasseks herzufallen, während sich die Sabos, die Wissenschaftler der Menschen, weigern, den Tatsachen ins Licht zu blicken und nach einer Lösung zu suchen …

Robert Corvus wurde 1972 geboren. Sein Lebenslauf liest sich vielfältig und wechselhaft, so dass es sich durchaus lohnt, mal auf seiner Website nachzulesen. Der Verlag schreibt über ihn: Robert Corvus lebt in Köln. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker war in verschiedenen internationalen Konzernen als Strategieberater und Projektleiter tätig. Corvus ist Metalhead, Kinofan und Tänzer. Er veröffentlichte zahlreiche Romane in den Reihen »Das schwarze Auge« und »Battletech« sowie einen apokalyptischen Vampirthriller. »Feind«, »Knecht« und »Herr« bilden den Auftakt seiner großen High-Fantasy-Trilogie »Die Schattenherren«.

Mit »Grauwacht« hat Robert Corvus einen Roman vorgelegt, der die Fantasy und die Science Fiction verbindet, denn obzwar der Großteil der Handlung ein glaubhaftes Fantasysetting verfolgt, sind im Hintergrund typische Science Fiction – Elemente verborgen, die im letzten Abschnitt des viergeteilten Romans frei zu Tage treten. Die Vierteilung sorgt für eine gewisse Erwartungshaltung beim Leser, hervorgerufen durch die großen Überschriften oder Themen, um die sich die Abschnitte drehen. So liegt schon anhand dieser Abschnitte ein äußerlich sichtbarer Spannungsbogen vor, an dem sich der Leser orientiert, und Corvus bleibt mit seiner klaren Sprache dieser Vorgabe treu, so dass sich die Handlung auf die erwartete Katastrophe zuspitzt und danach, der klassischen Erzählweise folgend, ihrem Ende zuneigt.

Anfangs geht es um den Kämpfer Remon, der seine Sicherheit verliert, resigniert, neue Hoffnung schöpft, erneut enttäuscht wird und einen Weg sucht, seine Lieben wider all diese Schicksalsschläge zurück zu bekommen. Darüber sammelt er die ersten Informationen über eine im Hintergrund sich anbahnende Gefahr und kommt so trotz lebensbedrohlicher Situationen in die Position, seine Vergangenheit ins Reine zu bringen. Sein eigentliches Ziel verliert er dabei mehrfach aus den Augen, stößt durch die Handlungen und das Wesen seiner Frau aber immer wieder auf ihre Spuren, so dass sich vor dem Leser zwei schicksalhaft getrennte Wege abspielen, die unabhängig voneinander mit den gleichen Bedrohungen zu kämpfen haben – nicht die direkten körperlichen Gegner sind gleich, sondern das Rätsel, das sich durch die Änderungen im Weltenlauf auftut.

Hier zeigt sich, dass Corvus seine Figuren geschickt platziert hat, denn während Remon durch seine Zugehörigkeit zur Grauwacht über die aktuellen Informationen verfügt, ist es das Wesen und das Streben seiner Frau als Gelehrte, in der Vergangenheit zu suchen und nach einer umfassenden Lösung zu forschen. Doch da die beiden Protagonisten lange Zeit getrennte Wege zu gehen verdammt sind, erfährt jeder immer nur sein Stück Wissen, während dem Leser sich das Puzzle schneller zusammen fügt. Dabei wird immer deutlicher, dass an den Merkwürdigkeiten der Welt nicht Magie und große Macht wirken, sondern dass es sich um alte, vergessene technische Errungenschaften der Menschen selbst handelt, die zu begreifen und erneut zur Hand zu nehmen schließlich der Weg zu sein scheint, dem Schicksal die Stirn zu bieten.

Im letzten Abschnitt offenbart sich, dass noch größere Komplexität im Weltenbau steckt, als es bis dahin den Anschein machte. Hier haben vermutlich erfahrene Science Fiction – Leser einen Vorteil, die Struktur zu durchschauen und das Aha-Erlebnis zu genießen, wenn sich alles zusammenfügt, dem gegenüber Genrefremde oder auch der SF-Unerfahrene der Leitung des Autors durch alle Rätsel bedarf, um am Ende gleichfalls das komplette Bild vor Augen zu haben.

Insgesamt ist der Roman ein spannendes Fremdweltspektakel mit mehreren unvermutet auftauchenden Details, die sich stimmig zusammenschließen und vor den phantastischen Genregrenzen keinen Halt machen. Sogar die dritte der Phantastik zugeordneten Schublade, der Horror, findet seinen Platz in den letzten Zügen der großen Rätselei. Das Buch liest sich schnell und flüssig, befördert einen interessanten Weltenbau mit stimmigen Charakteren und unterhält phantastisch. Einzig eine fremdartige Figur treibt es zeitweise etwas auf die Spitze und verschließt sich deshalb des Leserverständnisses, doch diese Sache rückt sich im Verlauf der Geschichte wieder zurecht und verblasst vor der Zufriedenheit, die das Buch hinterlässt.

Taschenbuch, 432 Seiten
ISBN-13: 9783492269940
ORIGINALAUSGABE
Piper-Verlag
Leseprobe

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