Im Universum der Erdsee entwickelt sich eine Krise: Die Drachen verbrennen die westlichen Inseln, und die Seelen der Verstorbenen werden nicht mehr erlöst. Die Magier sind wieder gefragt, doch diesmal sind sie auf besondere Hilfe angewiesen: zwei neue Drachen.
Dieser bewegende Fantasyroman wurde ausgezeichnet mit dem World Fantasy Award 2002.
„Die Geschichten sind maßgeblich von der Philosophie des Daoismus beeinflusst. Das Gleichgewicht der Dinge und das Prinzip des Nicht-Handelns spielen in den Romanen eine wesentliche Rolle.“ (Wikipedia)
Die Autorin
Ursula Kroeber Le Guin, geboren 1929 als Tochter des berühmten Anthropologen Kroeber, ist eine bessere Schriftstellerin als C.S. Lewis (was etwa Jugend-Fantasy angeht), mit einem klareren Stil als Alan Garner (GB), origineller als Susan Cooper oder Joy Chant und schreibt flüssiger als alle ihre amerikanischen Nachahmer.
Am bekanntesten wurde sie durch ihren verfilmten Erdsee-Zyklus, in dessen Universum sie immer neue Romane spielen lässt. Aber da sie von Haus aus einen anthropologischen Hintergrund hat (s.o.), spielen ihre frühen SF-Geschichten verschiedene Szenarien für die Weiterentwicklung des Menschen oder von alternativen Kulturen durch. Dazu gehört der frühe Hainish-Zyklus, der Roman „Die Geißel des Himmels“ und die preisgekrönten Romane „Die linke Hand der Dunkelheit“ (1969) sowie „Der Planet der Habenichtse“ (1974). In „Linke Hand“ beschreibt sie eine Kultur, die nicht von zwei verschiedenen Geschlechtern und deren determinierter Sexualität beherrscht wird. „Habenichtse“ entwirft die große Utopie der Anarchisten: keine Herrschaft, keine sozialen Unterschiede, nur Nächstenliebe und Freiheit – in Armut.
In zahlreichen Storysammlungen hat sich Le Guin sowohl in der Fantasy wie auch in Mainstream und SF als scharfsinnige Theoretikerin und Beobachterin erwiesen. Zu diesen Collections gehören besonders „Die zwölf Striche der Windrose“, „Die Kompassrose“, „Ein Fischer des Binnenmeeres“, „Four Ways to Forgiveness“ und zuletzt „Changing Planes“ (2005).
Le Guin hat auch Gedichte und Kinderbücher geschrieben, mit der Norton Anthologie zur Science Fiction erwies sie sich als wichtigste – und umstrittene – Initiatorin weiblicher Science Fiction in den siebziger Jahren. Eine interessante und aktuelle Würdigung ihres Werks findet sich in Thomas M. Dischs Sachbuch „The dreams our stuff is made of. How science fiction conquered the world“ (1998). Diese kritischen und kenntnisreichen Essays werden sukzessive im „Heyne SF Jahr“ veröffentlicht. Relevant zu Le Guin sind die Kapitel „Can girls play too? Feminizing science fiction“ und „The third world and other alien nations“. Le Guin starb 2018.
Die Erdsee-Romane
A Wizard of Earthsea. 1968 (Der Magier der Erdsee. 1979)
The Tombs of Atuan. 1970 (Die Gräber von Atuan. 1979)
The Farthest Shore. 1972 (Das ferne Ufer. 1979)
Tehanu: The Last Book of Earthsea. 1990 (Tehanu. 1992)
The Other Wind, 2001 (Rückkehr nach Erdsee. 2003)
Kurzgeschichten
The Word of Unbinding. 1964 (Das lösende Wort. In: Die zwölf Striche der Windrose. 1980)
The Rule of Names. 1964 (Die Namensregel. In: Die zwölf Striche der Windrose. 1980)
Dragonfly. 1997 (Schwebender Drache. In: Das Vermächtnis von Erdsee. 2001)
Darkrose and Diamond. 1999 (Schattenrose und Diamant. In: Das Vermächtnis von Erdsee. 2001)
The Finder. 2001 (Der Finder. In: Das Vermächtnis von Erdsee. 2001)
The Bones of the Earth. 2001 (Die Gebeine der Erde. In: Das Vermächtnis von Erdsee. 2001)
On The High Marsh. 2001 (Im Hochmoor. In: Das Vermächtnis von Erdsee. 2001)
The Daughter of Odren. 2014 (Die Tochter des Fürsten von Odren. In: Erdsee: Die illustrierte Gesamtausgabe. 2018) Inhalt
Firelight. 2018 (Feuerschein. In: Erdsee: Die illustrierte Gesamtausgabe. 2018)
Magie in Erdsee
„Wichtiges Element der Welt von Erdsee ist die Magie. Die Ausübung der Magie liegt bei den Menschen, die mit magischen Kräften geboren werden. Wer offiziell Magier werden möchte, absolviert oft ein Studium an der Zauberschule auf Rok, eine Art Universität. Neben den Magiern gibt es auch Frauen mit magischen Kräften. Da sie jedoch aufgrund der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur der Welt nicht zu Magierinnen ausgebildet werden, können sie lediglich Hexen mit geringeren Fähigkeiten und noch geringerem Ansehen in der Bevölkerung werden.
Zusätzlich gibt es auch Zauberer, die, anders als die Magier, keine vollständige Ausbildung hinter sich brachten und somit an Macht nie einem Magier nahekommen könnten. Hauptkriterium der Magie ist, dass jedes Objekt einen wahren Namen in der Ursprache hat, der sich von dem Namen in der Umgangssprache unterscheidet. Wer den wahren Namen eines Objektes kennt, kann dieses beeinflussen. Den wahren Namen, den ein jeder Mensch selbst erhalten hat, hält dieser geheim, denn seine Kenntnis bedeutet Macht über seinen Träger. Ihn jemandem mitzuteilen, gilt als großer Vertrauensbeweis.“ (Wikipedia)
„Rückkehr nach Erdsee“
Der junge Dorfhexer Erle ist untröstlich, als er sich auf den Weg zu Sperber macht, dem früheren Erzmagier der Erdsee. Von Sperber, dessen Wahrer Name Ged lautet, erhofft Erle sich Erlösung oder zumindest Rat für seine Misere. Der einsam auf seinem kleinen Gehöft auf der Insel Gont lebende Sperber lässt sich von Erle geduldig seine Geschichte erzählen.
Nacht für Nacht nämlich plagen ihn Albträume und tagsüber Illusionen, in denen er in ein düsteres, trockenes Land geht, bis er auf einen kahlen Hang gelangt, an dessen Fuße eine Steinmauer verläuft. Und auf der anderen Seite dieser Mauer wird Erles Seele von Lily, seiner dahingeschiedenen Liebe, gerufen. Er möge sie befreien. Als er sie küsst, trägt er schwarze Flecken davon, und als sie seinen Unterarm umklammert, bilden sich auch dort dunkle Flecken. Doch auf der anderen Seite der Mauer, im trockenen Land, das einst auch Ged besuchte, sieht Erle noch viele andere Seelen wie Lily, die um Befreiung flehen. Doch als er Lily bei ihrem Wahren Namen ruft, antwortet sie, dies sei nicht ihr Name.
Was mag dieser wiederkehrende Alptraum seiner schlaflosen Nächte wohl bedeuten, fragt Erle. Nun, vorerst schenkt ihm Ged ein kleines Kätzchen, das Erle im Schlaf Gesellschaft leistet. Fortan ist sein Schlaf tief und traumlos. Doch ist das Kätzchen mal weg, kehren die Traumbilder wieder. Ged schickt ihn nach Havnor, zu König Lebannen, der früher Arren hieß.
In Havnor, der Hauptstadt des Inneren Inselreiches, steht der Königspalast in all seiner Pracht, und Erle, der Ärmste, braucht einen halben Tag, bis er zum König vorgelassen wird, dem er Grüße von Ged, seinem Lebensretter, ausrichtet. Lebannen ist selbstverständlich ganz Ohr für das, was Erle zu berichten hat. Könnte ein Zusammenhang bestehen mit den schlimmen Nachrichten, die ihn von den Inseln im Westen Havnors erreicht haben? Dass Drachen die Ernten der Bauern vernichten, sie von ihren Gehöften vertreiben und ihre Länder zurückhaben wollen?
Nun soll ein Drachenrat der Magier, Kanzler, Würdenträger usw. Licht in die neue Lage bringen. Niemand lacht über Erle, niemand lacht über Tenar und ihre Ziehtochter Tehanu und schon gar nicht lacht jemand über den großen goldenen Drachen, den Lebannen aus dem Westen hat rufen lassen: Irian.
Nun steht die Drachentochter in menschlicher Gestalt neben des Königs Thron und erzählt von uralten Dingen, vom Anbeginn aller Dinge in der Erdsee. Dass nämlich einst Drachen und Menschen eins waren, sich dann aber in drei Völker trennten: in Drachen, Kargish und hardische Menschen. Die Drachen entsagten damals Besitz und Technik, sondern entschieden sich für die Alte Sprache, die Sprache des Schöpfens, und für das Fliegen auf dem Anderen Wind (vgl. Originaltitel). Folglich ist ihr Leben potenziell ewig.
Die Menschen aber wollten Dinge, Besitz und eigene Kreativität, verloren dafür aber die Alte Sprache und wurden sterblich. (Einzige Ausnahme: die Magier auf Rok.) Die Kargish bewahrten sich die Erinnerung an beides, doch die Drachen kannten sie nur als kleine Echsen, denen sie einmal im Jahr Ehre erwiesen, und Magier duldeten sie überhaupt keine. (Eine Kargish-Prinzessin weilt am Hofe des Königs, sie soll seine Frau werden. Tenar, ihrer Kargish-Freundin, erzählte sie von diesen geheimen Dingen.)
Erles Alptraum beweist, dass eine künstliche Trennung, jene Steinmauer, die Seelen der menschlichen Toten daran hindert, in das allumfassende Nichts zu gehen, um mit der Schöpfung wieder vereint zu werden. Sie sind zu ewigem Nichtleben und Untod verdammt.
Der Drachenrat beschließt, die Magier auf Rok um Rat zu fragen. Irian ist ebenso begeistert davon wie Tenar, und mehrere Magier freuen sich mit ihnen, endlich den Immanenten Hain besuchen zu dürfen, den magischen Wald der Erdsee. Und wahrhaftig: Dort entscheidet sich das Schicksal der Welt, der Friede aller Seelen …
Erles magische Kunst bestand darin, zerbrochene Dinge wieder ganz machen zu können. Obwohl er es nicht ahnt, fügt er die Grundfesten der Erdsee wieder zusammen. Und er ist wieder mit Lily vereint.
Obwohl es lange Zeit nicht so aussieht, geht es in diesem Erdsee-Roman doch um die letzten Dinge: um Leben und Tod und alles, was dazwischen liegt. Um Schöpfung und Frevel, um die Vereinigung verschiedenster Gegensätze. Was für gewöhnliche Leute: Ged ist ein einfacher Eremit auf seinem Hof, Erle lediglich ein besserer Kesselflicker, Tenar eine ehemalige Bauersfrau und ihre Pflegetochter Tehanu eine entstellte Frau, halb Schönheit, halb grauenhaft entstellt.
Bedeutsam wird die Geschichte erst mit König Lebannen, seinem Hof, der kargischen Prinzessin und natürlich dem goldenen Drachen Irian. Vollends transzendent wird die Geschichte aber erst auf den letzten 50 Seiten. Im Immanenten Hain, einem wahren „Mythago Wood“ wie von Robert Holdstock, finden die wichtigen Ereignisse nur noch auf einer geistig-seelischen Ebene statt. Dass es dabei um die Heilung der Welt geht und um Verwandlung – etwa Tehanus -, macht die Sache für die Beteiligten keineswegs ungefährlicher. Wie man vielleicht meiner Inhaltsangabe entnehmen konnte, ist die Schilderung dieser Ereignisse sehr bewegend – umso mehr, je besser man die Figuren aus den vorhergehenden Romanen kennt.
Mein Eindruck
Die Hauptfiguren der letzten Erdsee-Geschichten, Tehanu und Irian, aber auch Lebannen und Tenar, sie finden ihre jeweilige Bestimmung und ihre Erfüllung. Am Ende steht eine Hochzeit im Königshaus an, ganz so, wie sich das für eine schöne Fantasygeschichte gehört.
Insofern ist dieser fünfte Erdsee-Roman ein Versuch, alle losen und angefangenen Fäden zu einem glücklichen Ende zu bringen. Und dies gelingt der Autorin zur vollsten Zufriedenheit des Lesers, ohne dass man denken würde, dies wirke irgendwie konstruiert oder aufgesetzt. Bei einem zweiten Lesen mag man durchaus noch auf ein paar offene Fragen stoßen, aber sie sind sehr unbedeutend.
Was bereits für den ersten Band galt, gilt auch weiterhin für den letzten Band: „Obwohl sich das Buch mit andersweltlicher Magie befasst, besitzt es doch eine heitere, erhabene Einheitlichkeit: die übernatürlichen Einzelheiten werden logisch und mit viel ironischem Humor entwickelt. Das Buch fußt auf einem festen Fundament von anthropologischem und psychologischem Realismus.“ Freunde von Erdsee werden das Buch lieben und nicht mehr aus ihrer Sammlung weggeben.
Die Übersetzung
Joachim Pente hat das Original in einer höchst passenden Weise ins Deutsche übertragen, die zunächst recht ungewöhnlich erscheint. Er verwendet nämlich die erzählende Sprache, die man wohl um 1830 verwendete, die aber klingt wie die erste „Herr der Ringe“-Übersetzung durch Margaret Carroux: ein wenig antiquiert, aber recht anschaulich. Die Wörter wirken dadurch unmittelbarer auf die Vorstellungskraft der Lesers, hinterlassen einen stärkeren Eindruck. So manches Wort wie etwa „hold“ dürfte auf hochgezogene Augenbrauen und grinsende Mundwinkel stoßen, doch nach einer Weile gewöhnt man sich an diesen Ton einer Mär, einer Fabel, einer Geschichte aus fernster Vergangenheit, die nur noch raunend zu uns dringt.
Pente ist nur ein einziger Fehler unterlaufen: Auf Seite 252 schreibt er in der 1. Zeile „Tenar“ statt „Tehanu“. Da kann man schon mal durcheinander kommen, zumal so kurz vor Schluss.
Nur das Titelbild bringt mich ins Grübeln. Der Ozean, auf dem die Galeone im Vordergrund segelt, hat nämlich zwei Etagen …
Taschenbuch: 282 Seiten
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