Matthew Gregory Lewis – Der Mönch [Teil 1 und 2] (Gruselkabinett 80 + 81)

Grusel-Klassiker: Sündige Mönche, teuflische Pläne, edle Retter

Um die flammend vorgetragenen Predigten des charismatischen Mönchs Ambrosio in der Kirche des Kapuzinerklosters in Madrid zu hören, strömen die Gläubigen – besonders weibliche Gläubige – von weither herbei. Doch der vermeintlichen Lichtgestalt, die man allerorten schon „der Heilige“ nennt, sind auch die dunklen Seiten und Abgründe des menschlichen Charakters keinesfalls fremd, ganz im Gegenteil… (Verlagsinfo)

Zu Teil 2:

Um das durch Schlangengift gefährdete Leben Matildas zu retten, lässt sich der Mönch Ambrosio auf das Wagnis ein, sich mit ihr zu mitternächtlicher Stunde in das Grabgewölbe des Nonnenklosters Santa Clara zu schleichen. Was dort in den feuchten Katakomben geschieht, bleibt zunächst – auch wenn Ambrosio eine schlimme Ahnung beschleicht – das düstere Geheimnis der mysteriösen jungen Frau … (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt sein Hörspiel ab 14 Jahren.

Der Autor

Matthew Gregory Lewis (* 9. Juli 1775 in London; † 14. Mai 1818 auf See) war ein britischer Schriftsteller und Bühnenautor. Noch während seines Studiums an der Westminster School und am Christ Church College, das ihn auf eine diplomatische Karriere vorbereiten sollte, verbrachte Lewis einige Zeit in den unterschiedlichsten europäischen Ländern, insbesondere um seine Sprachkenntnisse zu erweitern.

Nachdem er 1791 Paris besucht hatte, lernte er im selben Jahr in Weimar Goethe, Schiller, Wieland und Kotzebue kennen; seinem Freund Byron vermittelte er den Faust-Stoff. 1794 wurde er Kulturattaché des britischen Botschafters in Den Haag; in dieser Zeit entstand, womöglich angeregt durch den strukturverwandten Schauerroman „Das Petermännchen“ von Christian Heinrich Spieß, sein bekanntestes Werk, „The Monk“, das ihn mit einem Schlag berühmt machte.

Sein anonym publizierter Schauerroman The Monk (1796) wurde sein erster großer Erfolg. Obwohl die meisten Rezensenten, darunter Coleridge, das Werk als schwülstig und unnatürlich ablehnten, andere Rezensenten gar von strafrechtlich zu ahndender Blasphemie und Obszönität sprachen, hatte es doch gerade auf Grund seiner Verrufenheit ungeheuren Erfolg.

Die stark kritisierte Erstausgabe wich noch im Jahr ihres Erscheinens einer purgierten Fassung, die insbesondere um sexuell explizite, blasphemische und gewalttätige Passagen bereinigt worden war, aber dennoch den Nimbus des ‚Unanständigen‘ behielt. Als Lewis‘ Autorschaft bekannt wurde, explodierte die öffentliche Entrüstung. (Quelle: Wikipedia)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Ambrosio: David Nathan
Matilda: Rubina Nath
Leonella Dalfa: Josseline Gassen
Antonia Dalfa: Marie Bierstedt
Elvira Dalfa: Arianne Borbach
Lorenzo de Medina: Fabian Oscar Wien
Christoval Contè d’Ossorio: Marius Clarén
Raymondo de la Cisternas: Patrick Bach
Zigeunerin: Jana Nagyova
Beatrice de la Cisternas: Susanne Uhlen
Agnes de Medina: Julia Stoepel
Äbtissin Agatha: Dagmar von Kurmin
Schwester Ursula: Margot Rothweiler
Schwester Camilla: Polonca Olszak
Pater Pablos: Eckart Dux
Luzifer: Axel Lutter
Junger Luzifer: Dirk Petrick
Erzähler: Hasso Zorn
Pöbel: Stephan Bosenius, Marc Gruppe

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand bei Titania Medien Studio und in den Planet Earth Studios statt. Die detailreiche Illustration stammt von Ertugrul Edirne.

Handlung

Im Kapuzinerkloster zu Madrid läutet die Glocke, um die Gläubigen zu einer weiteren Predigt des seit drei Wochen sehr beliebten Abtes Ambrosio zu rufen. Da die Kirche bereits rappelvoll ist, suchen Donna Leonella Dalfa und ihre junge Nichte Antonia Dalfa verzweifelt einen Sitzplatz. Als junge Edelleute die Schönheit der verschleierten Antonia erwartungsvoll abschätzen, bieten sie ihre Plätze an.

Leonella fasst dies jedoch als Kompliment an ihre eigene unverschleierte „Schönheit“ an und bietet sich den beiden Galanen als reich und unverheiratet an. Sie zögert nicht, Antonia wie auf einem Heiratsmarkt feilzubieten und ihren Wert zu steigern, indem sie den neuen Marquis de las Cisternas aus Murcia als ihren Schutzherrn nennt. Lorenzo und sein Freund Christoval können nicht umhin, auf Antonia neugierig zu werden, doch die listige Leonella jagt Lorenzo einen Handkuss ab.

Endlich erklimmt Abt Ambrosio die Predigtkanzel. Er ist von so ausnehmend schöner Erscheinung, dass sich Antonia sofort unsterblich in ihn verliebt. Ihrer Tante geht es umgekehrt: Ambrosios wetternde Predigt, die jede Fleischeslust als direkten Weg zur Hölle verdammt, erscheint ihr allzu bedrohlich. Die beiden Edelmänner hinterfragen die Tugendhaftigkeit dieses Predigers. Dennoch erbitten viele Gläubige seinen Segen, den er bereitwillig erteilt.

Als die beiden Damen gegangen sind, bleiben die Edelmänner zurück. Lorenzo gesteht, sich in Antonia verliebt zu haben. Er hat Recht: Er darf auf eine gute Mitgift von Seiten des Marquis hoffen. Während es Christoval ins Theater zieht, will Lorenzo noch ins Nonnenkloster Santa Clara, um seine Schwester Agnes zu besuchen, die dort angeblich freiwillig lebt.

Doch ihn ereilt ihn ein furchtbarer Traum, als er in der Kirche der Kapuziner einschläft: Satan höchstselbst steigt aus der Hölle auf, um Antonia zu sich zu holen, als seine Braut. Kein anderer als Pater Ambrosio bietet sie ihm an! Auch Antonia hat ein furchtbares Erlebnis: Eine handlesende Zigeunerin sagt ihr voraus, ein Unhold werde sich bald auf sie stürzen. Sie solle die Tugendhaften meiden. Mit Leonella eilt nach Hause, um ihre kranke Mutter Elvira zu pflegen.

Als Lorenzo wieder erwacht, beobachtet er einen Mann in den Schatten, der etwas Merkwürdiges tut: Er hinterlässt einen Brief an der Statue des hl. Franziskus. Sicherlich geht es um eine Liebesaffäre, die ihn nichts angeht. Vor der Kirche rennt er in Christoval hinein, dem er sogleich davon erzählt. Als sie der Sache nachgehen, werden sie heimliche Zeugen eines für Lorenzo schrecklichen Vorfalls: In der eintretenden Nonnenprozession befindet sich seine Schwester Agnes. Sie ist es, die den Liebesbrief aufhebt, was so gar nicht zu ihrem Keuschheitsgelübde passen will. Noch schlimmer: Es ist ausgerechnet der sittenstrenge Ambrosio, vor dem ihr der verräterische Brief aus der Hand fällt. Er liest ihn der mindestens ebenso strengen Äbtissin Agatha vor: Agnes soll noch in dieser Nacht von einem gewissen Raymondo befreit werden – und sie sei schwanger!

Hilflos muss Lorenzo mit ansehen, wie Agnes vergeblich um Gnade und Erbarmen für ihren Sündenfall fleht. Die Äbtissin, beschämt durch den berühmtesten Moralprediger der Stadt, prophezeit ihr die strengste Strafe, die eine Nonne von Santa Clara je gesehen habe. Als alle verschwunden sind, fasst Lorenzo einen verzweifelten Entschluss: Er muss Agnes vor diesen Bestien retten, koste es, was es wolle, und dieser Raymondo sowie Christoval muss ihm dabei helfen.

Doch dieses ehrenwerte und dringende Unternehmen stößt schon bald auf unerwartete Schwierigkeiten…

Unterdessen

Ambrosio hat mittlerweile in ein berückend schönes Abbild der Jungfrau Maria verliebt. Zusammen mit dem ebenso bildschönen Novizen Rosario betet er zu ihr. Merkwürdig, dass sich Rosario weigert, die Kapuze abzunehmen und das sicherlich engelhafte Antlitz zu entblößen, das zu seinen langen blonden Haaren passt. Rosario gesteht dem Pater seine Liebe und Verehrung.

Abends in den duftenden Gärten, auf die das Kloster mit Recht stolz ist, gesellt sich Rosario zum sinnenden Abt und erzählt ihm von seiner „Schwester“. Ihr Herz sei gebrochen worden, weil sie einen Mann liebte, der sie zurückwies, weil er als Mönch ein Keuschheitsgelübde abgelegt hatte. Da wurde sie eben seine Magd und nannte sich Matilda (wörtlich „mächtige Kämpferin“, eine Heilige seit dem dt. Mittelalter).

Als Rosario bekennt, ein Geheimnis zu haben, verspricht Ambrosio voreilig, ihn deswegen nicht zu verdammen. Als sich Rosario als Matilda und als Frau zu erkennen gibt, schreckt Ambrosio zurück und will sein Versprechen brechen. Doch dagegen weiß Matilda ein Mittel: Sie entblößt ihre schöne Brust und setzt darauf einen spitzen Dolch, bereit, ihn sich ins Herz zu stoßen!

Beim Anblick ihres makellosen Busens packt Ambrosio die Fleischeslust. Kann er sie weiterhin verdammen und der Strafe durch die Brüder preisgeben? In dieser hochnotpeinlichen lage verspürt er einen Schmerz im Fuß: Eine Giftschlange hat ihn gebissen. Binnen weniger Augenblicke sinkt er vor ;Matilda zu Boden und fällt in Bewusstlosigkeit. Der Arzt erklärt dem wieder angezogenen „Rosario“, er sei sicher, dass Ambrosio binnen drei Tagen das Zeitliche segnen werde.

Doch gegen die kalte Hand des Todes weiß Matilda/Rosario ein wirksames Mittel, das den alten Pater Pablos in Erstaunen versetzt …

Mein Eindruck

Schöne Menschen, Scheintode, falsche bzw. unerkannte Identitäten, vorgegebene Tugendhaftigkeit vs. niedere Instinkte – der schöne Schein wird von der finsteren Wirklichkeit Lügen gestraft, die der Autor häppchenweise preisgibt, um seinen Leser ein ums andere Mal zu schocken. Allein schon die Traumszene, in der Luzifer mitten in der Klosterkirche erscheint, um eine unschuldige Jungfrau aus den Händen eines Moralpredigers zu empfangen, dürfte so manchen sittenstrengen oder naiven Leser – besonders im Jahr 1796 – mit Grauen und Entsetzen erfüllt haben. Aber das ist nur der Auftakt zu einem wahren Höllenritt der Untaten und Tabubrüche, die der englische Autor hier auffährt.

Literaturgeschichte

Wie diese Elemente belegen, kannte sich der Autor bestens mit der Tradition der englischen „gothic novel“ aus, dem Schauerroman. Diese Gothic Novels begannen schon 1764 mit „The Castle of Otranto“ von einem Horace Walpole – Lewis wichtigstem Einfluss – und „The Mysteries of Udolpho“ von Ann Radcliffe. William Beckford schickte 20 Jahre später seinen “Vathek” (1786) ins Orientalische, und William Godwin (ja, Mary Shelleys Vater) verlagerte die Schrecken in seinem “Caleb Williams” (1794) ins Psychologische.

Die Requisiten wurden aufeinandergestapelt, die Klischees des Schreckens häuften sich, bis Matthew G. Lewis in seinem „Der Mönch“ (1796) ein wahres Lagerhaus des Schreckens vorführte, dem E.T.A. Hoffmanns „Die Elixiere des Teufels“ (zwei Teile in 1815 und 1816) kaum nachstand. Nach „Frankenstein“ (1818) und Maturins „Melmoth der Wanderer“ (1820) klang der „gotische“ Roman aus, und schon 1818 spottete Jane Austen mit ihrer Roman „Northanger Abbey“ aufs Ätzendste über diese überlebte Modeerscheinung und ihre verstiegenen Auswüchse.

„The Monk“ ist nach Angaben der Wikipedia auch stark beeinflusst von der deutschen Vor- und Frühromantik sowie von deutschen Trivialautoren vom Schlage eines Christian Heinrich Spieß. Lewis habe Elemente von Sagen, die er bei Johann Gottfried Herder gefunden hat, übernommen und Übersetzungen einiger Gedichte des deutschen Autors Johann Karl August Musäus, die nicht als solche gekennzeichnet sind, integriert. Weiterhin gehöre Joseph Glanvills „Sadducismus Triumphatus“, eine Apologie des Hexen- und Gespensterglaubens, zu den wichtigsten Quellen des Buches.

Höllenfahrt

Das Hörspiel folgt der dreisträngigen Handlung um Ambrosio, Lorenzo und Antonia. Zum Glück geht der Überblick nie verloren, denn fast alle Abschweifungen (bis auf eine notwendige) wurden eliminiert. Das war angesichts des Wusts von Geschichten, die die Hauptfiguren vorstellen, sicherlich nicht einfach. Deshalb mag es den Hörer erstaunen, in der ersten Szene einen schier endlosen Dialog ertragen zu müssen. Dieser erweist sich aber später als wertvolle Einführung in die Psychologie der Zeit und ihrer Gesellschaft.

Es ist nicht notwendig, das genaue Jahr der Handlung zu kennen: In diesem Spanien ist die Zeit quasi stehen geblieben, seit die Inquisition dort alle Andersgläubigen tilgte oder verjagte. Seitdem ist Spanien wie ein einziges großes Gefängnis, indem seine Bewohner schmachten, unterjocht von einer moralischen Heuchelei, die verlangt, die Gebote und Verbote der allmächtigen Kirche und ihrer Klöster zu befolgen, andererseits aber auch der Stimme des Herzens zu folgen, auf dass überhaupt Nachwuchs hervorgebracht werden kann.

Die Metapher des Gefängnisses und seiner Psychologie wird vom Autor mehrfach bemüht, wenn auch nur indirekt in diesem Hörspiel. Die Klöster der Kapuziner und der Nonnen von Santa Clara sind Gefängnisse, die nur auf den ersten Blick schön und angenehm erscheinen, weil sie der Gottesverehrung dienen. Doch wehe dem, der den Sündenfall begeht! Agnes‘ Schicksal ist so furchtbar, dass es hier nicht verraten werden soll.

Ambrosio ist der Vorsteher eines solchen Gefängnisses und für alles empfänglich, das ihm einen Ausbruch daraus verspricht. Durch Matilda, die Schöne, wird er moralisch korrumpiert. Nur die Eroberung der unschuldigen Antonia wetzt noch seinen sexuellen Appetit, doch dieses Unterfangen, bei dem ihm die zwielichtige Matilda assistiert, erweist sich als Falle. Wird es ihm gelingen, seine neu geweckten Gelüste an ihr zu befriedigen?

Agnes und Antonia enden gleichermaßen in den düsteren und unheimlichen Grabgewölben unter dem Kloster von Santa Clara. Diese Gewölbe stelle ich mir wie die Kerker vor, die Piranesi einst zeichnete: von unerforschlicher Größe und Düsternis, gespickt mit Geheimnissen, zu denen auch verborgene Türen und Verliese gehören. Hier enden die wehrlosesten der Frauen, die den Männern und Sittenwächtern wie der Äbtissin preisgegeben sind. Und es ist kein Wunder, dass der Autor hier Luzifer leibhaftig erscheinen lässt, wie es Lorenzo schon im Traum vorhersah. Nun beginnt Ambrosios Höllenfahrt erst richtig…

Tabubruch hoch zwei

Die falschen beziehungsweise unentdeckten Identitäten sind ein Standardmotiv im Schauerroman. Insbesondere dann, wenn es um Familien wie in „Udolpho“ und „Otranto“ geht, nutzen die AutorInnen diese Plattformen zu allen möglichen Beziehungen, die meist verhängnisvoll gestaltet werden, um den Leser zu schocken.

Lewis lässt sich nicht lumpen und setzt noch einen obendrauf. Der Hörer des Hörspiels sollte genau hinhören, wenn es um die Nennung der Herkunft von Figuren geht – es lohnt sich. So lässt den Kenner stutzig werden, wenn Ambrosio als Findelkind bezeichnet wird, das auf der Schwelle des Kapuzinerklosters abgelegt wurde. Matilda/Rosario wurde von einem „unbekannten Gönner“ ins Kloster lanciert, nachdem dieser den üblichen Aufnahmepreis entrichtet hatte. Und selbst Antonias Herkunft ist nicht ganz astrein. Leonella, ihre Tante, erzählt gleich in der ersten Szene, dass ihre Mutter Elvira einst durchbrannte und nach Westindien zog, wo sie mehrere Kinder gebar, um dann, nach dem Tod des Vaters, wieder nach Spanien zurückzukehren, wo ihr ihre Familie nur widerwillig Obdach gewährte.

Nun treffen Ambrosio und Antonia durch die Vermittlung der mysteriösen Matilda aufeinander. Ein Ringen der Herzen und dann des Fleisches entbrennt, doch was Ambrosio vorhat, ist alles andere als legitim, ganz im Gegenteil: Er ist Antonias engster Verwandter! Dass Luzifer dahinter steckt, ist nur eine Erzählkonvention des Autors, doch er deutet damit an, dass es die Vertreter des katholischen Glaubens selbst sind, die die Gläubigen in die Arme des Widersachers treiben, indem sie alle natürlichen Moraltabus – insbesondere gegen den Inzest – missachten.

Ambrosio ist ein Werkzeug des Widersachers, dessen williges Opfer, denn so erlangt er Macht über andere. Seine Verbrechen, die er an Antonia, dem Inbild reiner Liebe und Verehrung, begeht, stehen auf einer langen Liste. Dass ihn Satan, der in Gestalt eines verführerischen jungen Mannes auftritt, er verlockt und dann hintergeht, ist zu erwarten: Es liegt in der Natur des Bösen, jeden zu verraten, der sich ihm anvertraut. Und so endet der Mönch in unvorstellbaren Qualen, die seinen Missetaten mehr als angemessen sind. Danach darf sich der reichlich mit Grusel versorgte Hörer zufrieden zurücklehnen. So weit würde er bzw. sie niemals gehen. Wirklich?

Befreiung

Die Höllenfahrt Ambrosios lässt sich in moralisch-menschlicher Hinsicht als Abwärtsbewegung betrachten: Der Kerkermeister und Tugendwächter findet seine gerechte Strafe. Aber zum Ausgleich sollte es auch eine Aufwärtsbewegung geben, die mit einem Ausbruch aus dem Gefängnis dieser Gesellschaft endet. Diesen Ausbruch bewerkstelligen Lorenzo, Christoval und Raymondo de las Cisternas, also drei junge Edelmänner. Aber wie gelingt es ihnen, die schwangere Nonne Agnes den Klauen der Abtissin zu entreißen?

Während Lorenzo durch Verwandtschaft bereits die Legitimation besitzt, seiner Schwester zu helfen, muss Raymondo, der Kindsvater und Geliebte der Nonne, seine Tugend erst unter Beweis stellen. Diesen Beweis tritt er mit einer recht ungewöhnlichen Tat an, die er in einer Nebenhandlung namens „Die blutige Nonne“ – siehe die Titelillustration – erzählt.

Darin sehen wir ihn Agnes in Deutschland, wo sie im Exil schmachtet, erstmals zu befreien versuchen. Doch die Begegnung mit dem Geist der „blutigen Nonne“ macht ihnen einen Strich durch die Rechnung: Raymondo befreit die falsche Frau – und diese ist nicht mal lebendig. Es handelt sich um die in ungeweihter Erde verbuddelte Beatrice Dalfa – jawohl: noch eine Dalfa, wie Elvira, Leonella und Antonia. Beatrice verfiel einst dem Laster und der Sünde – nicht eben schwierig in einer prüden Gesellschaft – und fiel einer Intrige zum Opfer, bei der sie zur Mörderin wurde. Raymondo nun soll ihre Gebeine endlich in geweihter Erde in der Heimat bestatten. Diese barmherzige Tat erlöst ihre Seele aus dem Fegefeuer und macht ihn in unseren Augen zum optimalen Lebensgefährten von Agnes, die er nun ein zweites Mal zu befreien hat.

Doch zunächst erfahren Lorenzo und Raymondo Furchtbares: Agnes sei nach ihrer Krankheit gestorben. Das ist eine fiese Lüge der Äbtissin. Eine barmherzige Schwester verrät den Edelmännern, dass Agnes noch lebe – aber tief unten in den Kerkern des Grabgewölbes. Wie weiland Orpheus zu seiner Eurydike muss nun Raymondo in die Unterwelt hinabsteigen, um die Liebe seines Lebens zu befreien. Wird er dies schaffen? Wir bangen mit ihm, denn oberirdisch greift der Mob bereits das Kloster an und droht, alle Bewohnerinnen zu töten.

Erstaunlicherweise verschafft sich Raymondo mit Hilfe päpstlicher Befehle Beistand. Doch das Kloster ist exterritorialer Grund und Boden, und er erlangt keinen Zutritt. Erst die traditionelle Lichterprozession der Nonnen zu Ehren der hl. Clara lässt sie diesen Schutzraum verlassen: Nun kann er zuschlagen. Kommt er noch rechtzeitig? Merke: Gefängnisse sind auch dazu da, die Guten draußen zu halten. Und auf den Papst lässt der Autor nichts kommen. Was für einen Protestanten doch bemerkenswert ist. Wettern die Briten seit Heinrich VIII doch bei jeder Gelegenheit gegen die „verfluchten Papisten“. Vielleicht schockte er auch damit seine Leser.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Die Hauptrolle des Mönchs im freien Sünden-Fall spricht David Nathan mit größtem Enthusiasmus. Wer dachte, die Szenen der Verführung und Vergewaltigung würde dezent mit Musik angedeutet, sieht sich angenehm enttäuscht: Nathan legt sich als Vergewaltiger und Lustmolch ins Zeug, dass mir die Ohren schlackerten. Seine Hexe Matilda, gesprochen von Rubina Nath, ist ebenso furchtlos und verführerisch tritt als leibhaftige Sünde auf.

Marie Bierstedt, so dachte ich, ist eigentlich viel zu alt für die Rolle der süßen Unschuld Antonia, die höchstens 16 Jahre alt sein soll. Doch auch hier wurde ich angenehm eines Besseren belehrt: Marie Bierstedt spielt Antonia mit allen Nuancen, die man von dieser Rolle verlangen muss. Antonia ist kein Dummchen, sondern ein junger Backfisch, der sich erst in den feschen Moralprediger verliebt, nur um von diesem sodann auf finsterste Abwege geleitet zu werden.

Nebenfiguren

Gegen dieses Trio fallen die Standardrollen der „älteren Damen“ und jungen Helden“ etwas ab, doch auch sie werden einwandfrei ausgefüllt. Susanne Uhlen als Beatrice-geist ist zu erwähnen wie auch Josseline Gassen, die als mannstolle Tante recht gelungen schäkert. Sie allein macht die lange dialoglastige Eingangsszene zu einer schlüpfrigen Komödie.

Hervorzuheben ist die betagte Dagmar von Kurmin als unbelehrbare und ultrastrenge Äbtissin. Die Hartherzigkeit spricht aus jeder Silbe, die sie äußert, aber auch der Neid auf die Jugend. Apropos Jugend: Agnes klingt beinahe wie Matilda. Nur gut, dass die beiden keine gemeinsame Szene haben, sonst könnte man sie verwechseln.

Nicht unerwähnt bleiben darf die Rolle, die am Ende triumphiert: Luzifer. Es gibt ihn gleich zweimal. Der junge Engel des Abgrunds wird gesprochen von Dirk Petrick, mit angemessen verführerischen Untertönen, die Ambrosio einlullen sollen. Der alte Luzifer hingegen ist ein wahrer Drache. Gesprochen von Axel Lutter, strahlt er Bosheit, Autorität und Gier aus: Er will alle Seelen, die er nur kriegen kann, ganz egal wie. (Denn dereinst will der Höllenfürst ja den Himmel, der ihn verstieß, zurückerobern, und das geht nur mit genügend Personal, nicht wahr?)

Geräusche

Die Geräusche sind in etwa die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut, meist aber reichen Andeutungen aus. Allenthalben erklingen Glocken – doch es sind keine Glocken der Andacht, sondern Glocken, die ein Gefängnis zieren und kaschieren. Ein weiteres Standardelement sind Chöre. Ich bewerte sie unter dem Stichwort „Musik“.

Glocken und Chöre – eigentlich himmlische Klänge, die von Vergeistigung zeugen. Doch in diesem vorgeblichen Kult verbirgt sich die Schlange der Sünde und der Bosheit. Neben einer real auftauchenden Schlange erhebt sich Luzifer selbst mehrere Male aus dem Boden, um wie ein Drache seine schwarzen Flügel auszubreiten – zuerst in Lorenzos Traum und im Finale im Grabgewölbe. Da poltern und prasseln die Steine, da dröhnt die Orgel, und der Männerchor hebt die Szene auf eine metaphysische Ebene.

Schuhu! Das Käuzchen ruft zur tiefen Mitternacht. Die Nachtszenen sind typisch für die oberirdische Handlung, begleitet von allfälligen Donnerschlägen, Türenknarren, Kutschfahrten und schleichenden Schritten der Verschwörer, die Agnes befreien wollen. Parallel zu den Handlungssträngen beginnt ein Aufstand des Pöbels gegen die grausame Äbtissin, und zu Bruch gehende Fensterscheiben klirren. Warum sich der Pöbel erhebt, wird nicht erklärt. Das muss sich der Hörer selbst zusammenreimen. Aber von einem „Teufelsweib“ ist die Rede. Bemerkenswert, dass die beiden Regisseure diese Stimmen selbst beitrugen (siehe Liste der Sprecher).

Musik

Die untermalende Musik, die unterschwellig die Emotionen des Hörers steuert, wechselt zwischen unheimlichen Harmonien und Rhythmen sowie heroisch triumphierenden Rhythmen. Meist hält sie sich sehr im Hintergrund. Man muss schon genau hinhören, um ihren wechselnden Charakter zu identifizieren. Aber neben Orgeln und Glocken – siehe oben – spielen sowohl Männer- auch Frauenchöre eine zentrale Rolle. Die Frauenchöre erklingen bei den Szenen im Kloster Santa Clara, die Männerchöre an allen übrigen Orten, insbesondere dort, wo es finster ist und sündig, beispielsweise in Ambrosios Zelle.

Es gibt etliche dramatische Szenen in der Handlung. Die Musik begleitet die Emotionalität dieser Szenen kongenial, mal triumphierend, mal wild, aber stets dynamisch. Das genaue Gegenteil bilden die romantischen, elegischen Szenen, die sich um Agnes gruppieren. Nicht selten erklingt dabei eine traurige Geige, nicht jedoch ein Piano. In der gruseligen Geisterepisode um Betrice Dalfa sind eher mysteriöse, unheimliche Kadenzen und Harmonien zu vernehmen – keine Überraschung.

Musik, Geräusche und Stimmen wurden so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

Das Booklet

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher. Die Titelillustration von Ertugrul Edirne fand ich diesmal passend und stimmungsvoll. Firuz Akin macht auch Werbung für sein Buch „Illustration“, das im Heider Verlag erschien.

Im Booklet sind Hinweise auf die nächsten Hörspiele zu finden:

Nr. 78: Lovecraft: Das Ding auf der Schwelle
Nr. 79: Theodor Hildebrand: Lodoiska
Nr. 80+81: Lewis: Der Mönch 1+2
Nr. 82: Henry S. Whitehead: Der Zombie
Nr. 83: Allen Upward: Heimgesucht

Ab März 2014:
Nr. 84: John Willard: Die Katze und der Kanarienvogel Teil 1 (nach dem Theaterstück)
Nr. 85: dito: Die Katze und der Kanarienvogel Teil 2
Nr. 86: Robert E. Howard: Die Kreatur
Nr. 87: H.H. Ewers: Alraune
Nr. 88: William Wymark Jacobs: Die Affenpfote (1902)
Nr. 89: Per McGraup: Heimgekehrt

Unterm Strich

Innerhalb der Gruselkabinett-Reihe stellt „Der Mönch“ in mancherlei Hinsicht einen neuen Höhepunkt dar. Mit einem Spitzen-Ensemble routinerter Sprecher gelingt es den Machern, eine doch recht komplexe Handlung zu einem sehr anrührenden, um nicht zu sagen: aufwühlenden Hör-Erlebnis zu gestalten. Hervorzuheben ist besonders David Nathan in der Titelrolle.

Ein weiteres herausragendes Merkmal ist die große Sinnlichkeit, die selbst einem Stammhörer des Gruselkabinetts ob ihrer Intensität den Atem verschlägt. Das moderne Publikum, so nehme ich an, ist von Softpornos ja schon einiges gewöhnt, deshalb dürften die Schreie des Schmerzes und der Lust niemandem mehr die Schamesröte ins Gesicht treiben. Doch dabei machen die Akteure keineswegs halt. Aus dem einvernehmlichen Sex zwischen Abt und Novizin wird im letzten Drittel eine lupenreine Vergewaltigung Antonias, deren akustische Zeugen wir werden. Dies könnte so manchem Hörer ein klein wenig auf den Magen schlagen. Ich habe die Szene mit gemischten Gefühlen der Beunruhigung belauscht.

Ein reines Vergnügen war merkwürdigerweise der mehrmalige Auftritt Luzifers. Axel Lutter lässt ein derart boshaftes Lachen erklingen, dass wir schnell von seinen fiesen Absichten überzeugt sind. Schon Lorenzos Traum ist dieses teuflische Lachen mit dem Schicksal Antonias in den Händen des sündigen Abtes verknüpft – wir sind vorgewarnt. Wohl dem, der das Schlimmste erwartet.

Ich könnte noch etliches zur Aussage der Geschichte sagen. Doch dann würde ich nur wiederholen, was ich bereits oben ausführlich erläutert habe. Kurz und gut: „Mit Der Mönch“ wurde endlich ein lange verfemtes Hauptstück der Schwarzen Romantik angemessen und höchst unterhaltsam vertont. Ich erwarte die baldige Umsetzung der ebenbürtigen „Elixiere des Teufels“ (1815/16), einem ebenso bedeutenden, aber weitaus komplexeren Text von E. T. A. Hoffmann. Vielleicht in der Ausgabe 100 dieser erfolgreichen Reihe.

2 Audio-CDs
Spieldauer: 153 Minuten
ISBN-13: 9783785748954
www.titania-medien.de

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