Bram Stoker – Die Squaw (Gruselkabinett 48)

Vom Marterpfahl in die Eiserne Jungfrau

Frankfurt am Main um 1883: Amelia und George Price, ein junges Paar in den Flitterwochen, macht während seiner Reise durch das romantische Deutschland die Bekanntschaft von Elias P. Hutcheson, einem verwegenen Abenteurer aus Nebraska. Die drei planen eine gemeinsame Besichtigung der Burg zu Nürnberg, in der die berühmte „Eiserne Jungfrau“, eines der grauenvollsten je erdachten Folterwerkzeuge, ausgestellt wird …

Der Verlag empfiehlt das Hörspiel ab 14 Jahren.

Der Autor

Bram Stoker ist der Künstlername des irischen Schriftstellers und Theatermanagers Abraham Stoker (1847-1912), dessen wichtigste Karriere mit der des damals berühmten Theaterschauspielers Henry Irving verbunden war, der von 1838 bis 1905 lebte. Stoker begann schon 1872 mit dem Veröffentlichen seiner Erzählungen, was 1897 in der Publikation des Horrorklassikers „Dracula“ gipfelte, der aber 1901 kräftig revidiert wurde. Stoker schrieb noch ein paar weitere unheimliche Romane („The Lair of the White Worm“ wurde erst 1986 vollständig veröffentlicht und prompt verfilmt) und etliche Erzählungen.

Die Sprecher / Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

George Price: Viktor Neumann
Amelia Price: Reinhilt Schneider
Elias P. Hutcheson: Frank Gustavus
Museums-Faktotum: Axel Lutter
Squaw: Bettina Weiß
Schächter: Boris Tessmann

Das Skript schrieb Marc Gruppe, der mit Stepahn Bosenius auch Regie führte. Die Aufnahme erfolgte in den Planet Earth Studios. Die Illustration ist von Firuz Askin.

Handlung

PROLOG.

Schmerzensschreie hallen über die Lichtung, und im Hintergrund dröhnen Trommeln. Die Frau eines Apachen foltert einen weißen Mann, der ihr Kinder auf dem Gewissen hat. Er soll möglichst lange für seine Untat büßen. Er ließ es ausbluten. Inzwischen bettelt der sogenannte „Schächter“ um einen gnädigen Tod. Doch die Squaw ist noch längst nicht mit ihm fertig. Da kommt die Kavallerie …

Haupthandlung

Nürnberg im Jahr 1883, vor dem Touristenboom. George Price aus Wales ist mit seiner jungen Frau Amelia auf seiner Hochzeitsreise in die mittelalterlich anmutende, nie eroberte oder zerstörte Stadt gekommen, um ihre pittoresken Schönheiten zu besichtigen. Begleitet werden sie von Elias P. Hutcheson, einem wagemutigen Westmann, der von Karl May geschaffen sein könnte und sich ihnen in Frankfurt/Main einfach angeschlossen hat. Er unterhält sie mit Abenteuergeschichten aus dem Wilden Westen.

Die imposante und beherrschende Burg besuchen sie am zweiten Tag, quasi als Höhepunkt ihres Aufenthalts. Sie verfügt über einen tiefen Burggraben, der nun mit Baumhainen und Cafés bedeckt ist. Herabblickend erspäht Hutcheson mit seinem Adlerblick eine schwarze Katze, die mit ihrem Jungen spielt. Er will einen Stein hinabfallen lassen, um mit ihr zu spielen, natürlich nicht, um sie zu verletzen. Leider hat sich das Schicksal gegen ihn verschworen. Der Stein zerschmettert den Kopf des Kätzchens. Die empfindsame Amelia ist zutiefst entsetzt und fällt fast in Ohnmacht (was auch an ihrem engen Korsett liegen mag).

Wütend springt die Katzenmutter an der Burgmauer hoch, doch sie schafft es nie bis zur Mauerkrone. In ihren Augen erblickt die erschrockene Amelia pure Mordlust. Der abgebrühte Hutcheson lacht bloß darüber. Die Katze erinnere ihn an jene Squaw, deren Kind von einem Weißen getötet worden war und die dessen Mörder drei Jahre lang verfolgt und schließlich zur Strecke gebracht habe – nachdem sie ihn schrecklich gefoltert hatte. Hutcheson erschoss die Frau. Als sich die Katze zu beruhigen scheint, hält er das für die Demut einer Squaw und vergisst die Katze.

Nicht so Amelia und ihr Mann. Sie bemerken bei ihrem Rundgang, wie die Katze ihnen nachschleicht, und gelangen schließlich zum Höhepunkt ihrer Tour: in den Folterturm. Ein Faktotum öffnet ihnen und streicht seinen Lohn ein. Alles ist noch genauso, wie es die Folterknechte und Scharfrichter vor Jahrhunderten zurückließen. Amelia kann einen zaghaften Schauder angesichts der blanken Richtschwerter, des Richtblocks und der unzähligen Marterinstrumente, mit denen man die Unglücklichen zum Geständnis bewegte, nicht unterdrücken. Das Faktotum erklärt die Wirkungsweise der Instrumente zur „peinlichen Befragung“ genauestens.

Hutcheson aber will weiter hinab im Turm, um das Herzstück der grotesken Sammlung sehen zu können: Die berühmte Eiserne Jungfrau. Dieses sargähnliche Gebilde sieht keineswegs aus wie eine Frau, sondern eher so plump wie der Sarkophag eines Pharaos. Nur das eine Ende trägt das Antlitz einer Frau, daher der Name. In diesen aufklappbaren Behälter wurde der gefesselte Delinquent gesteckt. Dann ließ man ganz langsam und schmerzhaft den an einem Halteseil und einem Flaschenzug befestigten Deckel hinab. Dessen Innenseite ist mit eisernen Stacheln versehen, die in die Augen und in lebenswichtige Organe des Opfers eindringen, aber nicht in das Herz…

Als der übermütige Hutcheson sich vom Faktotum fesseln und in die Eiserne Jungfrau stecken lässt, um die Top-Sensation seiner Reise zu erleben, taucht die rachedurstige Katze wieder auf…

Mein Eindruck

Die Vergangenheit schlägt mit voller Härte zu, als den Missetäter in „Die Squaw“ im mittelalterlichen Nürnberg die gerechte Strafe dafür ereilt, dass er das Kätzchen getötet hat – und zuvor natürlich die Squaw. So wie er dessen Köpfchen zerschmettert hat, so wird auch ihm der Schädel traktiert – von jener teuflischen Foltervorrichtung, der einige weibliche Attribute gegeben werden. Dazu gehört zunächst der Name: „Eiserne Jungfrau“, dann das eingravierte Gesicht, zudem die Aufnahme in den Apparat wie in einen Mutterschoß.

Parallelen und Symbole

Auffällig ist die durch den Titel hervorgehobene Parallele zu Hutchesons Ermordung der Squaw, die sich an einem Weißen für die Ermordung ihres Kindes gerächt hatte. Der grausige Tod Hutchesons ist also nicht nur die Strafe für das tote Kätzchen, sondern auch für die tote Indianerin. In beiden Fällen spielt der Aspekt verachteter Mutterliebe eine große Rolle. Wie ironisch und passend dann Hutchesons Tod im Mutterschoß der Eisernen Jungfrau!

Hutcheson verkörpert das lebensfeindliche Prinzip, das bei der Eroberung der Neuen Welt waltet. Die junge Frau, Amelia, des Erzählers, ist wohl auch deshalb so angeekelt und entsetzt von Hutchesons Verhalten, weil ihre natürliche Rolle in der gerade erst eingegangenen Ehe die der Mutter ist. Man darf sogar mit Fug und Recht annehmen, dass sie bereits schwanger ist – die häufigen Ohnmachtsanfälle legen diese Vermutung nahe. Wie abstoßend muss ihr daher Hutchesons Verhalten vorkommen, das sich unter anderem darin manifestiert, dass er eine Brieftasche aus Menschenhaut bei sich trägt. Dreimal darf man raten, von welchem Menschen die Haut stammt …

Die Spirale der Grausamkeit

Die Erzählung beschreibt die Geschichte der Grausamkeit in einer kreisförmigen Bewegung. Die Folterszenen, die sich in Nürnberg abgespielt haben müssen, finden in der Folterung des Weißen durch eine Squaw ihre Entsprechung. Aber erst nachdem der Weiße ihr Kind getötet hat – was wohl wiederum eine Reaktion auf seinen Verlust eines geliebten Menschen war. Hutcheson betrachtete die Indianerin nicht als Mensch, sondern als Dämonin, sodass es ihm leichtfiel, sie zu töten.

Mit seiner Rückkehr nach Europa und der Begegnung mit der Eisernen Jungfrau schließt sich der Kreis der Grausamkeit. Doch erneut hat er zugeschlagen, als er ein unschuldiges Kätzchen erschlug. Die Rache kann nicht lange auf sich warten lassen. Die Katzenmutter verfolgt Hutchesons Übermut mit Argusaugen, und als er der Mörder ihres Kindes sich quasi einsargen lässt, ist ihre Stunde gekommen. Die Frage ist nun, welche Spuren Hutchesons Tod in den beiden Prices hinterlässt: Werden sie die Spirale der Grausamkeit weiterführen oder sind sie geläutert worden? Denn immerhin ist es George, der das Katzenvieh erschlägt …

Die Sprecher/Die Inszenierung

Der überragende Sprecher ist natürlich Frank Gustavus. Er hat die Stimme, die wir heute nach all den Western mit der eines Westmanns identifizieren, kernig, rauh, tief, erfahren. Sein hervorstechender Charakterzug ist ein übersteigendes Selbstbewusstsein, das die alten Griechen sofort als Hybris erkannt hätten. Und wie jeder weiß, ist Hybris ein Frevel an den Göttern, die nicht mit der Strafe dafür auf sich warten lassen.

Das Ehepaar Price kommt in dieser Fassung nicht aus Amerika, sondern aus Wales. Sie sind also richtige Landeier, denn bekanntlich ist Wales nicht gerade der Nabel der Welt. Dementsprechend zurückhaltend ist ihr Verhalten gegenüber dem weltgewandten Amerikaner. Hutcheson kann den schwachen George Price ohne Weiteres herumkommandieren. Und Amelia fällt allzu gern in Ohnmacht. Sie erhält auch regelmäßig Anlass dazu.

Neu ist die Rolle des Faktotums, das den Wächter des Originals ersetzt. Axel Lutter füllt diese dankbare Nebenrolle mit hämischem Gusto aus, kichert und keckert spöttisch – kurzum er spielt den Igor für Hutchesons Frankenstein. Diese Figur macht das Hörspiel fast schon zum Klamauk, was ich allerdings nicht ganz unverdient finde. Es ist sozusagen die Stimme der Ironie und eine leise Mahnung, das Ganze nicht allzu ernst zu nehmen.

Geräusche

Die Geräusche sind genau die Gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut, meist aber reichen Andeutungen aus. Natürlich knarren und quietschen Türen, und die Münzen klingen wie im Film. Etwas übertrieben ist das Miauen der Katzenmutter. Ansonsten herrschen zahlreiche Geräusche der Gruft und Kerker vor, die man aus den mittelalterlichen Schauergeschichten des 18. und 19. Jahrhunderts (Poe etc.) kennt.

Dabei beginnt die Haupthandlung des Hörspiels doch recht modern mit dem Pfeifen einer Lokomotive und dem Zischen von Dampf. Gleich darauf ertönt Hintergrundmusik, die in jedem Wiener Kaffehaus gespielt werden könnte. Diese moderne Kulisse verwandelt sich im Laufe der Handlung, wie bei einer schaurigen Zeitreise, in den Folterkeller der Eisernen Jungfrau. So wird sinnfällig, dass jenes Element, das beide Ebenen verbindet, immer noch gültig ist, weil es sich innerhalb des Menschen befindet: Grausamkeit.

Musik

Die Musik ist in der Haupthandlung recht dominant, denn sie verbindet die einzelnen Stimmungen auf subtile Weise. Die Kaffehausmusik des Anfangs bestimmt die Szene in Frankfurt/Main, wird aber in Nürnberg von einem quasi wartenden Motiv abgelöst. Doch die Idylle, die von zwitschernden Vögeln und rauschenden Bäumen erzeugt wird, schlägt durch den Tod des Kätzchens unvermittelt in Schrecken um. Die Musik nimmt die Herzschlagtrommeln, die wir in der Folterszene des Prologs gehört haben, wieder auf – wir ahnen nichts Gutes. Dieses Motiv wird beim Anblick der Eisernen Jungfrau erneut wiederholt. Das Finale schwingt sich zu einem Crescendo mitsamt lautem Chor auf, und das höhnische Lachen einer Frau erklingt (siehe Titel) …

Das Booklet

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher. Die Titelillustration von Firuz Akin fand ich diesmal recht akkurat: Man sieht, dass die Eiserne Jungfrau nicht nur einen Deckel aufweist, sondern zwei Türen, die sich separat öffnen und schließen lassen. Auch die inwendigen Stacheln sind gut zu erkennen.

Wichtig ist auch die Haltevorrichtung für die beiden Deckel – daher der Flaschenzug auf der rechten Seite. Darunter ist eine Schandgeige zu sehen, die an der Wand lehnt: Eine Art tragbarer Pranger. In der Welserstube unter dem Münchner Odeonsplatz (Feldherrnhalle) habe ich einmal so ein Folterding im Einsatz gesehen. Einer der Gäste war nicht artig gewesen …

Die Kombination der Eisernen Jungfrau mit der schwarzen Katze führt die beiden wichtigsten Symbole der Erzählung auf wirkungsvolle Weise zusammen. Und der kundige Betrachter macht sich sicherlich seinen Reim darauf.

Firuz Akin ist auch eine Seite Werbung für sein Buch „Illustration“ zu finden, das Mitte Dezember im Heider Verlag erscheinen soll.

In einem Zusatzblatt ist Werbung für Gruseldinner zu finden: „ein schaurig-komischer Spaß mit 5 Akten und 4 Gängen“. Thematisch werden Frankenstein, Dracula und Jack the Ripper mundgerecht zubereitet und serviert.

Diesmal sind in einem zusätzlichen Katalog Hinweise auf die nächsten Hörspiele zu finden:

Nr. 48: Bram Stoker: „Die Squaw“ (November)
Nr. 49: Frederick Marryat: „Der weiße Wolf“ (November)
Nr. 50: „Das Gespenst von Canterville“ (März 11)
Nr. 51: Arthur Conan Doyle: „Die Mumie“ (März 11)
Nr. 52: Robert E. Howard: „Tauben aus der Hölle“ (April 11)
Nr. 53: William Hope Hodgson: „Die Herrenlose“ (April 11)
Nr. 54 + 55: Alice & Claude Askew: „Aylmer Vance – Abenteuer eines Geistersehers“ (Mai 11)

Unterm Strich

Unter Bram Stokers bekanntesten Geschichten, wie dem „Haus des Richters“ (siehe Gruselkabinett Nr. 43), gehört „Die Squaw“ sicher zu den blutigsten und brutalsten. Das ist ein echter Tiefschlag für das Nervenkostüm des unvorbereiten Zuhörers, daher ist an dieser Stelle eine ernstgemeinte Warnung angebracht. Katzenfreunde kommen hier keineswegs auf ihre Kosten, sondern seien besonders davor gewarnt, was ihren Lieblingen hier angetan wird.

Die Erzählung ist eine Parabel auf die Geschichte der Grausamkeit, die der Mensch gegen die Natur und Seinesgleichen ausgeübt hat. Interessant sind die Änderungen, die der Drehbuchautor vorgenommen hat. Er veranschaulicht den grausamen Wilden Westen gleich im Prolog, als wolle er uns vergegenwärtigen, worum es hier wirklich geht – ganz sicher nicht nur um tote Katzen.

Das Hörspiel

Die Inszenierung braucht nach dem fulminanten Prolog eine Weile, bevor sie in die Gänge kommt. Ein klein wenig zu idyllisch ist die Ehe der beiden Prices, die nun aus dem abgelegenen Wales statt aus Amerika kommen. Deshalb kommt der Totschlag an dem Kätzchen umso härter und unvermittelter. Man wundert sich, warum die Prices nicht gleich zurück ins Hotel gehen. Doch Hutcheson hat die beide irgendwie in seinem besessenen Griff. Und so nimmt das Unheil seinen Lauf.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und Stimmen von Hollywoodstars einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Aber auch junge Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert und die Stimmen der Hollywoodstars vermittelt das richtige Kino-Feeling. Wer jedoch mit Melodramatik absolut nichts am Hut hat, sich aber trotzdem zünftig gruseln will, der sollte zu härterer Kost greifen.

Audio-CD mit 60 Minuten Spielzeit
Originaltitel: The Squaw
ISBN 978-3785743911
www.titania-medien.de