Leopold von Sacher-Masoch – Die Toten sind unersättlich (Gruselkabinett 99)

Trugbild der Erotik: ein weiblicher Vampir

In den verschneiten Karpaten in den 1880er Jahren: Auf einem einsamen Felsen erhob sich einst das alte, halbverfallene Schloss Tartakow, von dem der Volksmund mancherlei unheimliche Sagen zu berichten wusste. Immer wieder fühlten sich junge Männer davon angezogen und wagten es, das alte Gemäuer zu betreten, um hinter sein Geheimnis zu kommen … (Verlagsinfo)

Der Autor

Leopold Ritter von Sacher-Masoch (* 27. Januar 1836 in Lemberg, Kaiserreich Österreich-Ungarn; † 9. März 1895 in Lindheim, Hessen) war ein österreichischer Schriftsteller. Seine Familie lebte in Lemberg und hatte Vorfahren aus Slowenien, Spanien und Böhmen. Sein Vater Leopold Johann Nepomuk Ritter von Sacher war Polizeidirektor von Lemberg (heute Ukraine).

Er war zu seiner Zeit ein vielgelesener, populärer Schriftsteller. Seine zahlreichen Romane und seine ebenso zahlreichen, meist folkloristischen Novellen waren – in betonter Nachfolge von Iwan Sergejewitsch Turgenew – teils als exotische, immer spannende, ja sogar als moralische Lektüre beliebt. Als einer der ersten zeichnete er ein realistisches Bild der Juden in Galizien; zeitlebens kämpfte er politisch gegen den Antisemitismus in Mitteleuropa. Victor Hugo, Émile Zola, Henrik Ibsen gehörten zu seinen Bewunderern; König Ludwig II. von Bayern empfand zu dem Autor gar eine Seelenverwandtschaft.

Sacher-Masochs Weltbild vereinigte in eigenartiger Weise Elemente des Minnedienstes, der Schopenhauerschen Metaphysik und vorausgreifend solche Strindbergscher Geschlechterpsychologie.

Bekannt wurde Masoch durch seine Fantasie und Kunst, triebhaftes Schmerz- und Unterwerfungsverlangen ästhetisch zu formulieren. Sein literarischer Ruhm begann im deutschsprachigen Raum mit der Novelle „Don Juan von Kolomea“, die 1866 in Westermanns Monatsheften erschien. Ein weiteres, häufig zitiertes Werk ist die „Venus im Pelz“, 1870 innerhalb des Zyklus „Das Vermächtnis Kains“ erschienen, in dem Sacher-Masoch u. a. exemplarische Formen der Liebe darstellte. 1886, auf dem Gipfel seines Ruhmes, wurde Sacher-Masoch in Paris mit einem Orden geehrt und von Le Figaro und der Revue des Deux Mondes gefeiert.

„Masochismus“

Im Jahre 1886 veröffentlichte der Psychiater und Neurologe Richard von Krafft-Ebing seine Psychopathia sexualis, in welcher eine Gruppe bestimmter Verhaltensweisen unter dem Namen Masochismus zusammengefasst sind. Sacher-Masoch und seine Anhänger wehrten sich gegen diesen Begriff vergebens; die Bezeichnung setzte sich durch und blieb lange dominierend. Der Mann, der dem Masochismus den Namen gegeben hatte und seine Literatur gerieten in Verruf und schließlich in Vergessenheit. In jüngerer Zeit ersetzte das komplexere Modell des BDSM diesen Begriff in vielen Bereichen, dies auch aufgrund der Arbeiten von Gilles Deleuze. (Quelle: Wikipedia.de)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen

David Nathan: Manwed Weroski
Simon Jäger: Bartek
Maria Koschny: Aniela Bardoßoska
Bodo Wolf: Vater Bardoßoski
Ulrike Möckel: Mutter Bardoßoska
Antje von der Ahe: Fürstin Marina Tartarowska
Jan Makino: Maurizi Konopka
Kaspar Eichel: Jakub
Marc Gruppe: Page
Joachim Tennstedt: Kutscher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden in den Planet-Earth-Studios und den Titania-Medien-Studios statt.

Handlung

Im tiefen Karpatenwinter besuchen die Gutsbesitzer einander zum Tee. So auch Manwed Weroski, der regelmäßig die Eltern seiner polnischen Verlobten Aniela Bardoßoska besucht, um seine Aufwartung zu machen. Meist begleitet ihn sein Freund Bartek, der uns als Chronist dient. Der dritte Besucher ist der stets überraschend in dieser Runde auftauchende Maurizi Konopka, der damit stets die Gäste erschreckt. (Was darauf schließen lässt, dass die Hausherren bereits so verarmt sind, dass sie sich keine Bediensteten mehr leisten können, die Konopka ankündigen würden.)

Nur Geschichten

Wie man halt so schwatzt, bringt Aniela die Rede auf das halbverfallene Schloss Tartarowska, in dem ein totes weißes Marmorweib existieren soll, das angeblich zu Vollmond lebendig wird. Was mag wohl dran sein an diesen Geschichten, fragt sie, wohl wissend, dass sie ihren Verlobten damit auf die Treueprobe stellt. Sie bekommt wesentlich mehr, als sie sich ausgemalt hat.

So ist zu erfahren, dass es diese sagenhafte Marmorstatue tatsächlich gebe, denn Kreuzritter hätten sie einst aus Byzanz mitgebracht. Oder stammt sie doch von einem verrückten italienischen Bildhauer? Wie auch immer: Sie soll Marina Tartarowska, die Herrin des Schlosses, darstellen. Knall auf Fall erscheint Konopka. Tassen zerschellen auf dem Boden. Ja, bestätigt er, und es gebe sogar ein Porträtgemälde der Fürstin, das er selbst gesehen habe. Es heißt, sie sei einmal des Mordes angeklagt gewesen. Die Richter jedoch kehrten tatenlos, als sie der Fürstin begegnet waren.

Weroski hält es nicht mehr auf seinem Stuhl: Er will auf der Stelle zum Schloss reiten und sich selbst von der Wahrheit dieser Geschichten überzeugen. Aniela protestiert vehement: So hatte sie nicht gewettet. Ihr Protest verhallt ungehört. Ihr Verlobter wagt sich wie weiland ein edler Ritter zur Minne auf die Queste ins verwunschene Schloss.

Das Schloss

Nach drei Tagen kehrt Weroski zurück zu den Bardoßoskis und zu Bartek. Er sieht erschüttert und sehr blass aus, als er berichtet, was ihm im Schloss widerfahren ist. Um es kurz zu machen: Ein alter Torwächter und Diener namens Jakub habe ihn eingelassen und in das Innerste des Schlosses geführt, nämlich ins Schlafzimmer der Fürstin. Dort hängt ein Porträt, das zunächst verhangen ist. Als Jakub es enthüllt, schlägt der Blick der Fürstin den Besucher in seinen Bann – königlich, schlangenhaft und dämonisch. Es ist ihm, als würde ihm ihr Blick überallhin folgen.

Sobald Jakub das Bild wieder bedeckt hat, schmerzt Manwed sein Verlobungsring. Er schneidet ihm ins Fleisch. Er muss ihn abnehmen und steckt ihn ein. In der darauffolgenden Nacht darf er dann das Marmorbild sehen. Der Vollmond scheint so hell, dass es im Schloss taghell ist. Ein Festmahl ist angerichtet, und als die Uhr Mitternacht schlägt, führt ihn Jakub zu dem Festsaal, wo der Besucher bereits erwartet wird. Da ist sie, Marina Tartarowska, in voller Lebensfülle! Er fällt ihr zu Füßen und steckt ihr seinen Verlobungsring an.

Vergeblich versucht er, seinen Ring wiederzubekommen, doch sie lacht ihn nur aus. Er gehört jetzt ihr. In Panik verlässt er das Schloss, doch sie scheint ihm überallhin zu folgen. – Konopka erscheint. Tassen zerschellen. Er zeigt auf Manweds Finger: Der Ring ist in der Tat verschwunden. Aniela ist verschnupft und äußerst reserviert. Als Manwed beteuert die Wahrhaftigkeit seines Berichts. Zerknirscht und verzweifelt taumelt Manwed an Barteks Arm nach draußen. Ihm gesteht er, dass er die Fürstin wie wahnsinnig liebe.

Aber Manwed Weroskis Abstieg in die Tiefen der abgöttischen Liebe hat gerade erst begonnen…

Mein Eindruck

Wer schon einmal „Venus im Pelz“ gelesen hat, ahnt schon, worauf Manweds Leidenschaft hinausläuft: totale Unterwerfung. Denn die Fürstin weiß ihn bei seiner sexuellen Leidenschaft zu packen, eben jene Leidenschaft, auf die er bei Aniela noch lange vergeblich hoffen dürfte. Marina, die Fürstin, ist die Inkarnation der Lilith, der Königin der Dämonen des Fleisches. Manwed, ihr Knecht, würde alles für sie tun, um ihr nahe sein zu dürfen.

Das reicht der Fürstin nicht. Blut ist bekanntlich ganz besonderer Tropfen, vor allem wenn er von einem liebenden Mann gespendet wird – anstelle einer anderen Körperflüssigkeit. So kann es nicht ausbleiben, dass die Fürstin mit immer mehr Leben erfüllt wird, immer gieriger auf Lust, während Manwed immer blasser und kränklicher wirkt.

Er verliert natürlich den Kampf um den Ring der Verlobung mit Aniela. Ihre Haarlocken umschlingen ihn wie Schlangen, ihre Zähne finden den Weg, ermattet sinkt er in Bewusstlosigkeit. Doch sie will von ihm ein zweites und ein drittes Mal trinken, hat sie doch, wie er bestürzt erkennt, kein Herz.

Schimäre

Aber die Frage ist noch, ob Marina überhaupt eine „objektive“ Existenz zueigen ist. Sie ist mehr ein Traumbild, geschaffen aus Nebel und Mondlicht, gefunden in einer Ruine, emporgestiegen aus Bild und Statue. Nur ein Torwächter, der eher wie ein Zerberus wirkt, ebnet den Weg zu ihr, wie durch ein Labyrinth, das einen Minotaurus verbirgt. Manweds Hengst jedenfalls weiß genau, was er von diesem verwunschenen Dornröschenschloss zu halten hat, nämlich nichts. Kinder und Tiere „sagen“ in Phantasiegeschichten stets die Wahrheit.

Manwed, der irrende Ritter, hängt einer erotischen Schimäre nach, doch er hat sie derart verinnerlicht, dass der Wahn Macht über ihn gewinnt. Er spürt ihre Augen ihm überallhin folgen, sieht ihr Gesicht vor dem Fenster schweben. Sie ist die Göttin, die seine Welt wie die Sonne bescheint, auch wenn sie ihm das Leben nicht wie eine Sonne spendet, sondern wie ein Vampir aussaugt. Das hat einen tieferen Grund.

Kulturphänomen

Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Müdigkeit an der verfeinerten Kultur, wie ja schon Sigmund Freud und C.G. Jung konstatierten, allenthalben zu (siehe auch unter Strindberg, Schopenhauer und Nietzsche). Besonders unter den reichen Adligen in ihren einsamen Burgen und Schlössern breiteten sich Neurasthenie, Psychosen und allerlei romantische Träumereien aus.

Entsprechende Publikationen über das Morbide und Makabre, die wohl dokumentiert sind, fanden nicht nur in Großbritannien, dem reichsten der europäischen Imperien, reißenden Absatz. In der Kunst trat das Motiv der Lilith, Adams erster, aber verstoßener Frau, immer wieder hervor als Verkörperung der fleischlichen Sünde. Am bekanntesten ist wohl von Stucks Lilith-Darstellung “ Die Sünde“, auf der der Alabasterleib der nackten Frau neben einer schwarzen Schlange zu sehen ist.

Sacher-Masoch wusste, wovon er erzählte. Er stammt selbst aus Lemberg, dem heutigen Lwow, Ukraine, das am Fuße der Karpaten liegt. Seine Mutter war Slawin, sein Vater ein deutscher Ritter, er war also mit dem Land quasi verwurzelt. Seine Darstellung der Familie Bardoßoski wirkt plausibel und glaubhaft, allerdings auch ein klein wenig ironisiert. Aniela spielt ein Spielchen, um herauszufinden, wie es um die Treue und vor allem Ergebenheit ihres Verlobten steht. Nie hätte sie wohl erwartet, von einer alten Lady aus der Vergangenheit in diesem Spiel um Längen geschlagen zu werden.

Konopka, der stets wie ein Gespenst in der Teerunde erscheint, bekommt am Ende die Tochter des Hauses, nicht etwa der edle Ritter Weroski. Konopka ist offensichtlich kein Adliger, folglich heiratet Aniela unter ihrem gesellschaftlichen Rang. Der Abstieg hat auch für sie und ihr Haus begonnen. Immer noch besser als eine Revolution, wie sie wenig später, ab 1905, im Zarenreich stattfand und schließlich den Adelsstand hinwegfegte.

Die Story

Der Autor versteht es geschickt, den Strudel der Erotik, in den Ritter Manwed gesogen wird, Schritt für Schritt und in zahllosen verräterischen Details zu beschreiben. Erst wird vorbereitet, dann folgen drei Schritte, dann folgt ein erneuter Entschluss, um den Verlobungsring der Treue wiederzugewinnen. Doch es ist bereits zu spät: Diesmal gibt es keine Wiederkehr, und das Dingsymbol, der Ring, bleibt im Besitz des erotischen Trugbilds.

Manwed hat damit nicht nur seine Ehre als Verlobter, als Mann und als Adliger verloren, er verliert auch bald sein Herz, sein Blut und womöglich auch sein Leben. Als Bartek, sein Freund, ihn Jahre später in Paris wiederzuerkennen glaubt, ist Manwed nur noch ein Schatten seiner selbst. Er ist nun selbst nur ein Gespenst, so wie einst Marina einmal eines war.

Tiefere Bedeutung

Und die Moral von der Geschicht‘? Ich könnte nun frivol werden und von alten Damen, die mit jungen Damen konkurrieren, reden, aber das würde der Aussage nicht gerecht werden. Der Autor ermahnt seine – meist adligen – Leser bzw. Zuhörer, sich nicht an alte Legenden zu klammern oder sich in sinnloser sexueller Leidenschaft zu verlieren. Vielmehr mahnt er zu Reform und Anpassung. Seine Botschaft fiel wohl auf taube Ohren…

Er kann sich ironische Seitenhiebe auf adlige Konventionen wie etwa enthaltsame Verlobungszeiten verkneifen, die dann nicht auf männlichen Beifall stießen, sondern nur sexuellen Frust erzeugten. Frust, den erotische Trugbilder der Ausschweifung wohl nur zu gerne kompensierten. Die Form der Vampir- und Gespenstergeschichte erlaubt es ihm, die Erotik ebenso wie den Wahrheitsgehalt seiner Geschichte in der Schwebe zu halten. Wer sich mit Symbolen auskennt, weiß die Botschaft jedoch zu entschlüsseln.

Immer wieder musste ich an Eichendorffs romantische Erzählung „Das Marmorbild“ denken. Erstaunlich, wie sich die Symbole gleichen, obwohl fast hundert Jahre zwischen den zwei Texten liegen. Sacher-Masoch, ein literarisch gebildeter Mann, der an der Uni lehrte, kannte die alte Erzählung höchstwahrscheinlich.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Die zentrale Figur, mit der die ganze Geschichte steht und fällt, ist Manwed Weroski. Die leidenschaftlichen erotischen Verstrickungen fordern den Sprecher heraus, soll die ganze Figur und ihr Schicksal nicht ins Klischeehafte fallen und ins Lächerliche kippen. Das wäre das Ende der Vorstellung.

David Nathan schafft es, wie schon in seiner Darstellung des Mönchs Ambrosio in der gleichnamigen „Gruselkabinett-Produktion“ (Folgen 80 und 81), der Leidenschaft eine glaubhafte Inbrunst zu verleihen, die den Zuhörer nicht zum Fremdschämen verleitet. Vielmehr nehmen wir Anteil an Manweds Abstieg in die Höllen der sexuellen Knechtschaft unter dem Pantoffel der Fürstin Marina.

Diese Fürstin wird autoritär und doch leidenschaftlich von Antje von der Ahe dargestellt. Marina wirkt hier wie eine Muttergottheit und zwar eine, die von einem Mann nicht mehr Samen, sondern Blut erwartet – sie hat die Wechseljahre bereits hinter sich. Sie opfert nicht mehr selbst der Fruchtbarkeitsgöttin, sondern verlangt ihrerseits Opfer, bis zum Tod.

Die interessantesten Nebenfiguren neben dem Erzähler sind sicherlich Jakub und Konopka. Erstaunlicherweise ähneln die beiden einander sehr: Beide erscheinen wie aus dem Nichts, als wären sie nicht ganz von dieser Welt. Bei Jakub trifft dies sicherlich zu, und bei Konopka bin ich mir nicht so sicher. Jan Makino als Konopka ist sozusagen die humoristische Kehrseite der gleichen Medaille, während Jakub, gesprochen von Kaspar Eichel, als Pförtner eines Traumgebildes, die negative Seite verkörpert.

Geräusche

Die Geräuschkulisse ist extrem ausgefeilt und kontrastreich. Während das Interieur der Teegesellschaft heimelig um den Samowar versammelt ist (und nur durch Konopka gestört wird), ist die Außenwelt geisterhaft und unwirklich. Nebel, Friedhöfe, Grüfte und Schlossruinen bestimmen das Exterieur, und man kommt sich bereits vor wie im Transsilvanien eines gewissen blutdürstigen Grafen („Dracula“ wurde 1897 veröffentlicht).

Im Schloss Tartarowski selbst ist das immer wieder Schauder erzeugende Knarren und Quietschen von Türen und Pforten auffällig häufig. Das ist sicherlich kein Zufall, sondern signalisiert, dass Barrieren der Seele fallen müssen, um zum zentralen Geheimnis vordringen zu können.

Dieses Schloss ist nicht real, sondern eine Landschaft in Manweds Seele. Seine Penetration dieses Trugbilds, das einer Selbstbefriedigung entspricht, kann nur in Treubruch und Selbstzerstörung enden. Moder erscheint ihm wie süßer Duft, und echte Winterkälte wie die Hitze des Blutes. Diese spezielle Hölle ist sehr sinnlich, und die Geräusche lassen sie vor unseren Ohren erstehen.

Musik

Sehr wichtig ist dabei natürlich die Musik. Die Kombination aus Harfe und Flöte war schon immer von sehr mystischer und berückender Wirkung. Auch die schwebenden Töne einer Äolsharfe werden imitiert. Diese Mystik begleitet Manweds Eindringen in das Trugbild, bis festliche Tanzmusik erklingt, als begänne jetzt Poes „Maske des Roten Todes“ – wobei „Maske“ damals sowohl den tänzerischen Mummenschanz als auch eine Larve meint, die vor dem Gesicht getragen wurde.

Stellenweise aber fragte ich mich doch, ob forsche Reitermusik und Tänze dem Sujet so angemessen sind. Besonders an einer Stelle wird dieser Effekt geradezu übertrieben und wirkt unpassend. Am Schluss endet das Finale in einem lauten Crescendo, während ich ein eher leises, trauriges Piano vorgezogen hätte. Denn Manweds Schicksal ist ja nicht gerade nachahmenswert und erbaulich.

Musik, Geräusche und Stimmen wurden so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

Das Booklet

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher.

Im Booklet finden sich Verweise auf die kommenden Hörspiele aufgeführt:

Nr. 98: Theodor Storm: „Der Schimmelreiter“
Nr. 99: Leopold von Sacher-Masoch: „Die Toten sind unersättlich“
Nr. 100: H.P. Lovecraft: Träume im Hexenhaus
Nr. 101: M. R. James: „Verlorene Herzen“

Ab Herbst 2015

Nr. 102: E. F. Benson: Mrs. Amworth (1923)
Nr. 103: Charles Webster Leadbeater: Das ägyptische Parfüm
Nr. 104: Edith Wharton: Allerseelen
Nr. 105: Benjamin Lebert: Mitternachtsweg
Nr. 106: M. R. James: Das Traktat Middoth (vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/The_Tractate_Middoth) (1911)
Nr. 107: Sir Gilbert Campbell: Der weiße Wolf von Kostopchin (1889)

Unterm Strich

„Die Toten sind unersättlich“ ist eine ähnlich leidenschaftliche Erzählung voller Erotik und Leidenschaft, wie sie etwa „Der Mönch“ (Gruselkabinett Folgen 80/81) ist. Kein Wunder, dass in beiden Hörspielen David Nathan als Darsteller der leidenschaftlichen Hauptfigur – des „Helden“ wäre wahrlich zu viel gesagt – auftritt. Mit seiner Kunst schafft er es, die Erotikszenen vor dem Lächerlichen oder, noch schlimmer, dem Peinlichen zu bewahren.

Fürstin Marina Tartarowski, eindrucksvoll von Antje von der Ahe verkörpert, ist die weibliche Version des transsilvanischen Blutsaugergrafen. Aber statt von außen als gegeben vorgestellt zu werden, ist es vielmehr Manwed, der sie erschafft: aus einem Porträtgemälde und aus einer Marmorstatue. Statt gegen seinen Willen unterworfen zu werden, wie es dem bedauernswerten Advokaten Jonathan Harker widerfährt, begibt sich Manwed Weroski freiwillig in die sexuelle Knechtschaft, die die Fürstin von ihm fordert. Sie ist Lilith, die Anti-Eva, und Babys sind ihr ein Gräuel. Bezeichnenderweise erschien „Dracula“ 1897 nur zwei Jahre nach George Macdonalds revisionistischem Fantasy-Roman „Lilith“.

Die erotische Knechtschaft scheint Manwed zunächst einige lustvolle Vorteile zu bieten, doch wie stets ist der Preis reichlich hoch. Man mag Manwed einen „Masochisten“ nennen, doch gilt es zu beachten, dass er sich aus freiem Willen der Fürstin zu Füßen wirft – und ihr seinen Verlobungsring an den Finger steckt. Dieser Ritter hat seine Minne offenbar ein wenig zu weit getrieben. Ob eine satirische Absicht des Autors hinter dieser Geschichte steckt, muss jeder Hörer selbst entscheiden. Ich habe mir oben ein paar Gedanken gemacht.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars wie Johnny Depp (David Nathan) und Josh Hartnett (Simon Jäger). Die Nebenrollen sind allesamt kompetent gesprochen; ich konnte keine „Ausfälle“ verzeichnen.

Geräusche und Musik erzeugen einen reizvollen Kontrast zwischen heimeligem Interieur der Teegesellschaft und kühl-mystischem Exterieur, das den Übergang zu einer erotischen Anderwelt bildet. Marinas Schlafzimmer ist so ziemlich der am weitesten entfernte Pol zu der Teegesellschaft. Das schafft Raum sowohl für Tragik (Fallhöhe!) als auch für Ironie. Nur an ein paar Stellen scheint es mit die Tonregie mit der forschen Musik etwas übertrieben zu haben.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Wem diese Geschichte gefällt, sollte vielleicht auch „Lodoiska“ (Gruselkabinett Folge 79) anhören, das ebenfalls einen weiblichen Vampir zur Hauptfigur hat.

Audio-CD
Spielzeit: ca. 1:06 Std.
www.titania-medien.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)