John Darnton – Neandertal – Tal des Lebens

Ich habe mich schon immer für unsere haarigen Vorfahren interessiert – vielleicht verraten sie uns etwas über uns selbst, das inzwischen verschüttet ist und das wir vergessen haben. Hominiden-Stories gibt es schon eine ganze Menge. Eine der besten stammt von William Golding: „The Inheritors“, „Die Erben“. Doch Darntons „Neandertal“ ist auch ziemlich gut.

Handlung

Im Pamirgebirge von Tadschikistan verschwindet unter geheimnisvollen Umständen der Paläontologe Prof. Kellicut. Als letztes Lebenszeichen schickt er ein Paket. Der Inhalt: ein überraschend gut erhaltener Schädel eines Neandertalers, einer menschlichen Spezies, die seit 40.000 Jahren als ausgestorben gilt. Doch das Alter des von Kellicut geschickten Schädels beträgt nur 25 Jahre! Eine geschickte Fälschung? Oder die Bestätigung einer unglaublichen Vermutung – dass nämlich ein Stamm dieser Hominiden bis heute überlebt hat?

In Maryland, USA, schrillen am |Institute for Prehistoric Research| die Alarmglocken. Bei einer von hier aus gesteuerten top-geheimen Mission muss etwas schief gelaufen sein. Ziel der Mission: In einem abgelegenen Gebirgstal soll es einen Stamm Neandertaler geben, die über eine ungewöhnliche Gabe verfügen: Sie beherrschen Remote Viewing, die Fähigkeit, mit den Augen eines anderen sehen zu können. Und durch Empathie wissen sie genau, wie es ihrem Stammesgenossen geht.

Kein Wunder, dass sich auch die CIA dafür interessiert – sie steckt hinter dem Institute, und ihr Leiter ist der an den Rollstuhl gefesselte Mr. Eagleton. Eagleton hatte Kellicut in den Pamir geschickt, ohne dass Kellicut wusste, wer sein wahrer Auftraggeber war.

Um eine neue Suchexepedition mit Experten losschicken zu können, ködert Eagleton die einstigen Schüler Kellicuts, Susan Arnot und Matt Mattison. Die beiden, die eine alte, vergangene Liebe verbindet, sind inzwischen als Vertreter zweier konträrer wissenschaftlicher Ansichten über das Verschwinden des Neandertalers erbitterte Rivalen. Sie brechen auf zu einem gefährlichen Abenteuer der besonderen Art.

Über die weitere Handlung soll nicht mehr verraten werden, um die Spannung zu erhalten. Nur so viel: Sie finden gleich zwei Stämme von Neandertalern, die einander feindlich gesinnt sind und von denen einer ihnen das Leben wirklich schwer macht.

Hat die Welt von den lebenden Hominiden erfahren?, fragt man sich am Schluss. Nein, denn Susan und Matt schützen diese Alternative zum weltbeherrschenden Homo sapiens sapiens als eine Art Hoffnung für die Menschheit. Dies erinnert stark an den Schluss von Philip Kerrs Roman [„Esau“, 136 in dem der Yeti geschützt wird. Auch die Neandertaler sind eine Art Yeti.

Unterm Strich

Darntons Roman ist sehr kurzweilig und spannend erzählt, eine Art Thriller mit wissenschaftlichem Hintergrund. Doch wer befürchtet, dass Darnton die wissenschaftlichen Erklärungen und Thesen seitenlang dozierend ausbreitet, sieht sich angenehm enttäuscht. Im Gegenteil diskutieren die beiden Menschenforscher Susan und Matt über die Thesen und Ideen auf so lebendige und emotionale Weise, dass Langeweile zu keinem Zeitpunkt aufkommt.

Das ganze Buch ist auf eine so kunstvolle Weise aufgebaut, dass Darnton eine permanente Spannung erzeugt, selbst in ruhigen Passagen. Der Leser wird mit immer neuen Erkenntnissen und tieferen Rätseln gelockt, dass der Schluß schon viel zu früh zu kommen scheint. Paläontologen als Nachfahren des Odysseus – wahrhaftig! Ich habe das Buch in zwei Tage verschlungen.

Taschenbuch: 409 Seiten
Originaltitel: Neanderthal, 1996
Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner und Bernhard Robben
www.randomhouse.de/Verlag/Goldmann