Clive Barker – Abarat (Abarat-Zyklus 01)

Wunderwelt Abarat: Candy segelt zur 25. Stunde

Die 16-jährige Candy Quackenbush verschlägt es durch kuriose Umstände aus ihrem heimischen, aber todlangweiligen Chickentown, Minnesota, in die aufregende Inselwelt des Abarat. Hier bedeutet ein Ort eine bestimmte Zeit des Tages. Wer also von Insel zu Insel hüpft, bewegt sich nicht nur durch Raum, sondern auch durch Zeit. Es gibt Magier und Drachen, und beide Arten sind Candy nicht wohlgesinnt, wie sie zu ihrem Leidwesen feststellen muss. Aber sie findet auch hilfreiche Freunde.

Der Autor

Clive Barker, 1952 in Liverpool geboren, ist der Autor von bislang 18 Büchern, darunter die sechs „Bücher des Blutes“. Sein erstes Buch für Kinder trägt den Titel „The Thief of Always“ (Das Haus der verschwundenen Jahre). Er ist darüber hinaus ein bekannter bildender Künstler, Filmproduzent und -regisseur („Hellraiser 1″) sowie Computerspiel-Designer.

Er lebt in Beverly Hills, Kalifornien, mit seinem Lebenspartner, dem Fotografen David Armstrong, und ihrer Tochter Nicole. Sie teilen sich das Haus mit vier Hunden, fünf Goldfischen, fünfzehn Ratten, unzähligen wilden Geckos und einem Papagei namens Malingo.

Romane

The Damnation Game (1985)

Hellraiser series:
The Hellbound Heart (1986)
The Scarlet Gospels (2015)
Hellraiser: The Toll (2018)[40][41] (story only, written by Mark Alan Miller)

Weaveworld (1987)
Cabal (1988)

Books of the Art series:
The Great and Secret Show (1989)
Everville (1994)

Imajica (1991)
The Thief of Always (1992)
Sacrament (1996)
Galilee (1998)
Coldheart Canyon (2001)
Tortured Souls (2001).

The Books of Abarat:

Abarat (2002)
Days of Magic, Nights of War (2004)
Absolute Midnight (2011)

The Infernal Parade (2004). Novelette detailing the backstories of the characters of the series of six action figures of The Infernal Parade. In 2017 it was published with title Infernal Parade.
Mister B. Gone (2007)
Mr. Maximillian Bacchus And His Travelling Circus (2009)
Chiliad: A Meditation (2014)
Deep Hill (TBA)

Das 2002 veröffentlichte Kinderbuch „Abarat“ ist in der Originalfassung reich bebildert. Davon gibt bzw. gab es 2004 eine limitierte Luxusausgabe bei |Heyne|. Inzwischen ist „Second Book of Abarat: Days of Magic, Nights of War“ erschienen. Davon soll im Oktober ebenfalls eine reich illustrierte, limitierte und nummerierte Luxusausgabe bei |Heyne| erscheinen. „Tage der Wunder, Nächte des Zorns“ enthält 500 Seiten, steckt in einem stabilen Schuber und kostet schlappe 68 Euronen.

Mehr Informationen zum Autor gibt es in der Wikipedia Diese Rezension bezieht sich auf die englische Taschenbuchausgabe (siehe unten).

Handlung

Candy Quackenbush hätte nie gedacht, dass das Leben so langweilig sein könnte, aber es wurde immer schlimmer. Das Mädchen lebt mit seiner Mutter Melissa und seinem saufenden Vater Bill in einem Wohnwagen am Rande von Chickentown, Minnesota. Die Stadt ist, wie Name schon sagt, bemerkenswert: die Hühnerfabrik. Doch Candy ist anders die anderen: klüger, aufgeweckter, neugieriger.

Als die Klassenlehrerin von ihr als Hausaufgabe verlangt, sie solle „etwas Interessantes“ über Chickentown herausfinden, kommen Dinge ins Rollen, die für Candy schicksalhaft werden sollen. Ihre Mutter Melissa schickt sie zum Hotel, in dem es ein Geisterzimmer geben soll. Und tatsächlich wird Zimmer Nr. 19, im alten Hotelflügel gelegen, niemals vermietet, sagt die Hotelbesitzerin Norma Lipnik. Hier hat Henry Murkitt, der Stadtgründer, seine letzten Tage verbracht – und ist ungesehen daraus verschwunden. Das Einzige, was er hinterließ, sind sein Sextant (ein Navigationsgerät) und sehr seltsame Flecken und Wellen auf den tapetenlosen Wänden. Echt unheimlich.

Die Klassenlehrerin ist von Candys Meisterwerk jedoch überhaupt nicht begeistert: Nichts als Unsinn im Kopf, das Kind! Und das Kind hat auch noch sein Klassenheft mit Wellen vollgemalt – das grenzt ja an Sachbeschädigung. Sie schickt Candy zum Zimmer des Rektors, doch dort kommt Candy nie an: Gezogen von einer unstillbaren Sehnsucht, stapft sie schnurstracks zur Schule hinaus, die Straßen hinunter und in die angrenzenden Wiesen. Seltsam – dort steht ein Leuchtturm, den sie nie zuvor bemerkt hatte.

In dem hohen Gras bewegt sich etwas, und wie sich herausstellt, ist es ein Besucher aus dem Abarat, jener direkt angrenzenden Parallelwelt, von der Candy bald mehr hören wird. John Mischief (= Schabernack), so nennt er sich, und auf seinem Kopf trägt er die kleinen Köpfe seiner sieben Brüder herum. Doch John warnt die junge Candy: Ihm sei ein schreckliches Ungetüm auf den Fersen, das ihn erledigen wolle.

Und tatsächlich müssen sie schnell fliehen, denn das erwähnte Ungetüm sieht sehr ungemütlich aus: ein Mittelding aus Krebs und Spinne, das über gefährlich aussehende Scheren verfügt. Es trägt den seltsamen Namen Mendelson Shape und gehorcht dem abaratischen Zauberer Christopher Carrion, dem Herrn von Mitternacht. Und Shape singt ein unheimliches Wiegenlied:

„O little one,
My little one,
Come with me,
Your life is done.
Forget the future,
Forget the past,
Life is over;
Breathe your last.“

Candy flieht die Treppe des Leuchtturms empor, doch Shape folgt ihr bis in die Spitze der Ruine, bis er sie packen kann. Im letzten Moment geben die morschen Planken des Rundgangs unter dem Gewicht nach, und beide fallen zu Boden. Mischief, der sich versteckt hatte, begrüßt Candy im Leben und stellt ihr eine schwierige Aufgabe. Sie soll mit einer türkisfarbenen Kugel eine Schale auf dem Leuchtturm treffen. Der Wurf gelingt, und ein magisches Licht verbreitet sich, das Shape in die Flucht schlägt. Mischief gibt Candy etwas sehr Seltsames: einen magischen Schlüssel, der keine Form hat, sondern sich in ihrem Unterbewusstsein einnistet. Sie darf absolut niemandem etwas von diesem Schlüssel verraten, egal was passiert.

Nun funkelt das abaratische Meer Izabella, und ein Boot wartet auf Mischief und Candy. Es bringt sie in die Inseltwelt des Abarat. Hier bedeutet ein Ort eine bestimmte Zeit des Tages. Wer also von einer der 24 Inseln zur nächsten hüpft, bewegt sich nicht nur durch Raum, sondern auch durch Zeit. Es gibt Magier (wie besagten Christopher Carrion auf der Insel Mitternacht) und Drachen, und beide Arten sind Candy nicht wohlgesinnt, wie sie zu ihrem Leidwesen feststellen muss. Aber sie findet auch hilfreiche Freunde, von denen Mischief nur einer ist.

Candys Abenteuer beginnen erst. Die Mächte von Nachtinseln und der Taginseln, die in ewigem Widerstreit liegen, versuchen sie jeweils auf ihre Seite zu ziehen, und so gerät Candys Leben in dieser Inselwelt recht bald zu einem turbulenten Abenteuer nach dem anderen.

Wie sie von ihrem Freund Samuel Klepp, dem Verleger und Redakteur der Zeitung „Klepps Almenak“, erfährt, gibt es eine geheimnisvolle fünfundzwanzigste Insel: die „25. Stunde“. Auf ihr steht ein hoher Turm namens Odom’s Spire. Als Candy am Ende des ersten Abarat-Buches hier ankommt, erlebt sie eine faustdicke Überraschung: Sie war schon einmal hier, und die drei Damen, die hier herrschen, kennen Chickentown und den verschwundenen Henry Murkitt ziemlich gut!

Mein Eindruck

Wie liest sich ein halbes Buch? Nun ja, auch nicht viel anders als ein ganzes, nur dass eben hier sämliche Illustrationen fehlen. Und das sind eine ganze Menge, wenn ich mir die englische Originalausgabe ansehe. Und doch könnte der Verdacht entstehen, dass die fehlenden Abbildungen eine Lücke hinterlassen haben könnten. Bei der Lektüre wünscht man sich in der Tat sehr häufig, dass man ein Bild von dem ungewöhnlichen Wesen hätte, das nun schon wieder beschrieben wird. Der Abarat ist voll von sehr seltsamen Wesen, und Clive Barker ist ein Autor, der bekannt dafür ist, über eine schier grenzenlose Vorstellungskraft zu verfügen.

Der Abarat

Diese ist auch wirklich notwendig, wenn ein Autor eine komplett neue Phantasiewelt erschafft. Schließlich gibt es schon so viele davon, und ein Autor sollte sich unbedingt etwas Neues einfallen lassen, um nicht als billiger Kopist zu gelten. Doch der Abarat ist eine ungewöhnliche Inseltwelt: jede Insel hat nur eine Tageszeit, nämlich eine bestimmte Stunde. Wie das geht, wenn die Sonne wandert? Nun, das dürfte wohl die falsche Frage sein, wenn man genauer darüber nachdenkt … Um sich in der Zeit zu bewegen, muss sich der Besucher von Abarat von Insel zu Insel fortbewegen. Witzig dabei ist, dass es auch eine 25. Stunde, eine Zeit außerhalb der Zeit, gibt. Was es damit auf sich hat, sollte man selbst nachlesen.

„Klepps Almenak“

Aus „Klepps Almenak“, der dem Buch als Anhang beigefügt ist, lassen sich über die 25 Inseln allerlei wissenswerte Dinge erfahren. Die Frage ist allerdings, ob sie auch stimmen, denn Klepps Interesse scheint sich keineswegs an wissenschaftlichen Kriterien zu orientieren. Er nimmt auch gerne unbestätigte Legenden und Sagen auf. Wichtig ist aber festzuhalten, dass der Abarat über seine eigene Geschichte verfügt und dass diese immer noch von widerstreitenden Kräften geformt wird.

Die Mächte des Bösen

Zu diesen Mächten gehört der schon erwähnte Herr von Mitternacht Christopher Carrion, ein wahrer Finsterling. Und wie es ihm zuwider ist, dass auf der Nachbarinsel ein Neureicher namens Rojo Pixler eine hell leuchtende Vergnügungsstadt errichtet hat. Commexo City erinnert stark an Disneyworld. Die Quelle von Pixlers Reichtum scheint in einem Allheilmittel zu liegen, das mich stark an Coca-Cola erinnert hat. Klar, dass Pixler sich auch den Rest des Inselreiches untertan machen will. Sein Vorbote ist eine Werbefigur namens Commexo Kid, was mich wiederum an Mickey Mouse erinnert. Dass Pixlers Vorhaben gelingt, darf zunächst bezweifelt werden, scheint doch Christopher Carrion über schier unbegrenzte Kräfte der Magie zu verfügen – und über eine verborgene Armee …

Candy, mehr als ein Mädchen

Je mehr Candy Quackenbush von sich reden macht, desto aufmerksamer werden diese beiden Mächtigen auf sie. Davon ahnt sie zum Glück nur wenig, denn sie bekommt immer nur die Schergen der Mächtigen zu sehen und zu spüren. Mendelson Shape war einer davon. Candy entpuppt sich als eine aufrechte Kämpferin, die sich dafür einsetzt, dass Menschen – äh, sagen wir mal: intelligente Wesen – frei leben dürfen und gerecht behandelt werden. Candy ist also ein Mädchen nach unserem Herzen. Doch damit handelt sie sich ziemlich viel Ärger ein, wie nicht anders zu erwarten.

Zusammen mit einem Sklaven namens Malingo (so heißt auch Barkers Papagei) entdeckt sie, dass sie im Abarat über Zauberkräfte verfügt. Sie kann beispielsweise einen Glyph beschwören. Das ist ein Transportmittel aus reiner Zauberkraft, das aber stabil genug ist, um Candy & Co. von A nach B zu bringen. Leider gehorcht es nicht nur ihrer Willenskraft, sondern auch der anderer, mächtigerer Piloten.

Schicksalsfäden im Hintergrund

Und wenn sie dann noch wie einst Alice ihren Grips anstrengt, stehen ihr praktisch alle Türen offen, so zum Beispiel diejenige, die in den gehemnisvollen Turm auf der 25. Stunde führt. Hier trifft sie auf die Damen, die uns im Prolog vorgestellt worden sind. Offenbar handelt es sich bei Diamanda, Mespa und Joephi so etwas wie Schicksalsgöttinnen. Nur dass sie eine mehr passive Rolle einzunehmen scheinen. Aber das kann man ja nie wissen. Ich finde es jedenfalls gut, dass es keine zentrale gute Persönlichkeit wie etwa Galadriel gibt. Leute wie die Elbenkönigin muten uns heute irgendwie völlig unrealistisch an.

Unterm Strich

„Abarat“ ist ein Füllhorn bezaubernder Einfälle, so etwa die Sache mit den 25 Inseln, mit den Glyphs und diversen Schreckgespenstern. Besonders gefielen mir die beiden Brüder Tempus Fugit und Julius Fugit. Candy ist eine Mischung aus Dorothy aus Kansas, einer angehenden Zauberin und Alice im Wunderland. John Mischief, dessen weitere Abenteuer parallel dazu erzählt werden, ist ein charmanter Tunichtgut, der sicher noch eine bedeutende Rolle in den nächsten Bänden spielen wird. (Meine Taschenbuch-Ausgabe enthält eine Vorschau auf den Folgeband „Days of Magic, Nights of War“.)

Ich würde das Buch ab einem Lesealter von 10 oder 12 Jahren empfehlen. Jüngere Leser könnten durch die unheimlichen Gestalten wie etwa Cristopher Carrion und Mendelson Shape zu sehr geängstigt werden. Aber ältere Kids dürften an den zahlreichen spannenden Episoden, wenn es für Candy ziemlich eng wird, großen Spaß haben. Sehr schön finde ich auch die zahlreichen Gedichte, die den Kapiteln und Buchteilen voranstehen. Oben habe ich bereits ein garstiges Wiegenlied zitiert. Darin verrät sich schon Barkers schräger Humor und seine Lust am „mischief“, daran, Schabernack anzurichten und Unruhe zu stiften. Die John Mischief könnte glatt ein Selbstporträt sein.

Ich warte schon ungeduldig auf die zwei Fortsetzungen, denn eine Welt wie der Abarat hält sicher noch zahlreiche Wunder und Schrecken bereit, die es zu entdecken gilt. Und vielleicht gibt es eines Tages sogar eine deutsche Taschenbuchausgabe zu zivilen Preisen.

Grundlage dieser Rezension ist:
Abarat, 2002;
HarperCollins Paperback 2004;
431 plus 26 Seiten Anhang plus eine Vorschau auf „Abarat 2: Days of Magic, Nights of War“, ISBN 0-00-651370-0

www.harpercollins.com

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