James Patterson – Ave Maria. Ein Alex-Cross-Thriller

Massenhaft Muttermorde: Hollywood in Aufruhr

FBI-Agent Alex Cross macht gerade mit seiner Familie Urlaub in Disneyland, als er den Anruf bekommt. Die bekannte Schauspielerin Antonia Schifman, Mutter mehrerer Kinder, wurde vor ihrem noblen Heim in Beverly Hills erschossen. Kurz danach hat ein Redakteur der Zeitung „L.A. Times“ eine E-Mail erhalten, in welcher der Tathergang minutiös beschrieben wird – vom Täter selbst. Gezeichnet „Mary Smith“.

Cross wird zum Fall hinzugezogen, denn man befürchtet noch weitere Mordanschläge. Um sein Motiv herauszufinden und somit sein nächstes Opfer schützen zu können, muss Cross in die Schauspielerkreise eindringen: ein wahres Haifischbecken.

Der Autor

James Patterson, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor zahlreicher Nummer-1-Bestseller. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt.

Patterson ist extrem fleißig. Sein letzter Solo-Roman ist „Das Ikarus-Gen“, davor wurde auch „Sam’s Letter to Jennifer“ veröffentlicht, das ähnlich aufgebaut ist wie der „tearjerker“ „Briefe an Nicholas“.

Im Frühjahr 2003 (deutsch Mitte 2005) erschien eine Kollaboration mit dem Titel „Die Rache des Kreuzfahrers“ (The Jester), deren Story im Mittelalter spielt. Der neueste Alex-Cross-Roman trägt den Titel „Ave Maria“ (2005, deutsch März 2006).

Nähere Infos finden sich unter www.twbookmark.com und www.jamespatterson.com. Regelmäßig wird aus dem Buch auch ein Audiobook oder E-Book gemacht: Patterson kann überall dabei sein.

Handlung

Der „Geschichtenerzähler“ ist unterwegs. Er hat es zunächst nur auf Kinogänger abgesehen: Im Männerklo finden sie ihr verdientes Ende. Doch dann scheint sich sein Geschmack zu verändern. Nächstes Opfer wird eine Filmproduzentin in L.A., die sich doch tatsächlich traute, ein Kino zu betreten. Na, lange kann sie den Film nicht genießen, bevor ihr der Geschichtenerzähler den Garaus macht.

Arnold Griner ist Redakteur für Hollywoodgeschichten bei der größten Tageszeitung von L.A., der „Times“. Er bekommt eine E-Mail von einer gewissen „Mary Smith“, von der er noch nie gehört hat. Diese Frau beschreibt ganz genau den Tathergang eines Mordes an der Schauspielerin Antonia Schifman. O nein, nicht Antonia Schifman!, denkt Arnold. Sie ist eine der beliebtesten Schauspielerinnen der Stadt. Und eine treu sorgende Mutter von drei kleinen Kindern. Bemerkenswert, dass ihrem Chauffeur nichts außer einer äußerst gesundheitsschädlichen Kugel passiert ist, ihr aber zudem auch noch das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerschnitten wurde …

Agent Dr. Alex Cross macht gerade mit seinen Familie Urlaub in Disneyland, unweit Los Angeles, in Anaheim. Aber was heißt bei ihm schon „Familie“? Dazu gehören seine drei Kinder Damon, Jannie und Little Alex sowie seine Oma Nana. Eine Frau hat Cross zur Zeit nicht, wohl aber eine Freundin: die Polizistin Jamilla. Sie kommt auf ein Schäferstündchen in sein Hotel. Zu einer Fortsetzung kommt es leider nicht, denn das FBI will ihn als Berater beim Mord an Antonia Schifman dabeihaben. Nur für ein paar Stunden.

Aus den „paar Stunden“ wird ein langer Abend, und danach ist sowohl Jamilla weg als auch Little Alex, den seine Mutter, Christine Johnson, unvermittelt wieder abgeholt hat. Der Job kommt Cross zunehmend in die Quere, und er weiß nicht, ob er das noch lange hinnehmen will. Hinzu kommt die Belästigung durch einen selbsternannten Biographen seiner Karriere: Der Journalist Truscott beschattet Cross auf Schritt und Tritt, begleitet von seiner Fotografin. Wahrscheinlich muss man in Hollywood auf Paparazzi gefasst sein, aber müssen sie gleich so zudringlich werden?

Officer Jeanne Galletta führt beim L.A. Police Department die Ermittlungen im Fall „Mary Smith“. Sie legt großen Wert auf Dr. Cross’ fachlichen Rat als Polizeipsychologe, aber sie ist erstaunt über seine Zweifel, dass es sich bei „Mary Smith“ um einen weiblichen Täter handelt. Jedenfalls muss der Killer ziemlich kräftig sein. Und sehr kaltblütig. Was die Kinderzeichnungen am Tatort zu bedeuten haben, kann er auch nicht sagen. (Von einem „Geschichtenerzähler“ hat noch niemand etwas gehört.)

Doch dann scheint „Mary Smith“ allmählich die Nerven zu verlieren. „Sie“ hinterlässt verräterische Spuren, und ihre Opfer sind nicht mehr nur treu sorgende Hollywood-Mütter. Als sich ein zeitliches Muster herausstellt und ein blauer Kastenwagen gesucht wird, zieht sich das Netz der Ermittler zusammen. Doch immer noch hat Dr. Cross Zweifel, dass „Mary Smith“ tatsächlich der grausame Killer ist, dem sie auf der Spur sind.

Mein Eindruck

Dieser zehnte Fall von Alex Cross hat eine gewisse Ähnlichkeit mit „Kiss the girls“ („… denn zum Küssen sind sie da“). Cross hat es mit zwei Tätern zu tun – so viel darf ich verraten. Und die Opfer sind zunächst nur Frauen. Mütter, um genau zu sein. Der Täter macht deren Kinder vorsätzlich zu Waisen. In dieser Wirkung der Taten sieht Dr. Cross eine sehr beunruhigende Parallele zu seinem eigenen Beruf. Auch er droht seine Kinder zu Waisen zu machen. Seine Großmutter warnt ihn explizit davor. Ihr Worte sind für ihn Gesetz.

Waisenmacher

Da ist zunächst der kleine Alex, den Christine Johnson, Cross’ zweite Ex-Frau, wieder an sich genommen hat, 48 Stunden vor Ablauf der Besuchsfrist. Sie wohnt in Seattle, 3000 Meilen entfernt von Cross’ Heim, dennoch liebt Cross seinen kleinen Sohn wie sich selbst und will ihn um keinen Preis verlieren. Er strengt eine Sorgerechtsklage gegen Christine an, doch der Richter urteilt gegen ihn: Er darf Klein Alex nur 45 Tage im Jahr sehen, der Kleine bleibt bei Christine. Der Grund: Cross’ Beruf gefährde nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Kinder …

Keine Engel

Doch Cross weiß, dass er sich nicht darauf verlassen kann, dass eine Mutter auch gleichzeitig ein Engel ist. Christine Johnson beispielsweise hat diese unvermittelt kommenden Meinungsumschwünge. Jetzt, als er sie und Alex in Seattle besucht, meint sie, sie wolle wieder zurück nach Virginia. Und Klein-Alex solle nun vielleicht doch besser bei seinem Vater leben. Was soll das nun schon wieder?

Aber als Cross es mit Mary Constantine zu tun bekommt, dem Vorbild für „Mary Smith“, fühlt er sich sofort wieder in seinem Metier als Kriminalpsychologe. Mary hält sich für eine treu sorgende Mutter, die anständig für ihre drei Kleinen sorgt. Doch als Cross endlich Gelegenheit erhält, sie zu besuchen, kann er keines dieser drei Kinder entdecken, schon gar nicht das erst elf Monate alte Jüngste. Was hat sie mit ihnen gemacht, fragt er sich. An welcher Geisteskrankheit leidet Mary? Und saß sie deswegen bereits einmal in der Psychiatrie? Allmählich kommt Cross einer unheimlichen Geschichte auf die Spur, die 20 Jahre zurück in die Vergangenheit reicht.

Schlussendlich krempelt Cross sein Privatleben wieder mal um. Jamilla, Christine und auch Jeanne Galletta haben keine Chance. Aber auch das FBI wird Dr. Cross wohl nicht mehr lange zu seinen Mitarbeitern zählen dürfen. Was wirklich für Cross zählt, sind seine Kinder – um die geht es durchgehend in diesem Buch: sowohl in Cross’ Privatleben als auch bei den Morden, die er aufzuklären versucht.

Unterm Strich

In diesem Buch hat der Autor wieder zu seinen alten Tugenden zurückgefunden, nachdem die Thriller „London Bridges“ und „Big Bad Wolf“ doch sehr an äußerlichen, öffentlichen Ereignissen orientiert waren. Hier steht nun wieder der alte Alex Cross aus „Pop goes the weasel“ und „Jack and Jill“ vor uns, und wieder fühlen wir uns bei ihm gleich wieder wie zu Hause. Die Bösewichte sind so durchgeknallt wie eh und je, warum sonst würde man Dr. Cross hinzuziehen? Aber was letzten Endes für uns zählt, sind seine menschlichen Qualitäten, nicht nur als Mann, sondern vor allem als Vater.

Dennoch bin ich mit dem Buch nicht hundertprozentig zufrieden. Das liegt zum einen an den ständigen Unterbrechungen der Ermittlungen durch Cross’ private Querelen. Und zum anderen auch an gewissen Lücken, die den Fall der „Mary Smith“-Morde nicht ganz schlüssig erscheinen lassen, so etwa die Sache mit der Tatwaffe, einer 20 Jahre alten Walther PPK. Ansonsten führt uns der Autor mal wieder total in die Irre, und wer an die Ergebnisse glaubt, zu denen das LAPD gelangt, der befindet sich wirklich auf dem Holzweg.

Taschenbuch: 384 Seiten
Originaltitel: Mary, Mary, 2005
Aus dem US-Englischen übersetzt von Edda Petri