Patterson, James – Mauer des Schweigens

_Alex Cross beim Militär: extreme Spannung!_

Vietnam-Veteranen begehen in den USA kaltblütige Auftragsmorde, die dann völlig unschuldigen Armeeangehörigen angehängt werden. Doch wer ist der unbekannte Auftraggeber dieser Morde? Alex Cross findet es erst ganz am Schluss heraus. Es soll sein letzter Fall sein. Aber was für einer!

_Der Autor_

James Patterson besaß eine Werbeagentur, bevor er sich der Schriftstellerei zuwandte. Er lebt und schreibt heute in Florida. Unter seinen zahlreichen Thrillern finde ich besonders seine Alex-Cross-Romane gelungen: „… denn zum Küssen sind sie da“, „Sonne, Mord und Sterne“, „Wenn Mäuse Katzen jagen“, „Wer hat Angst vorm Schattenmann“, „Rosenrot Mausetot“, „Die Stunde der Rache“, „Mauer des Schweigen“, „Vor aller Augen“, „Und erlöse uns von dem Bösen“. Dieses Jahr kommt noch „Ave Maria“ auf den deutschen Buchmarkt. Natürlich ist Alex Cross immer nur so gut wie die Schurken, die er zur Strecke bringt: Gary Soneji, Kyle Craig, Jack & Jill und der Killer, der sich „Casanova“ nennt.

_Handlung_

Wie er schon in „Violets are blue“ angekündigt hatte, will Alex Cross nun endgültig den Dienst bei der Polizei von Washington, D.C., quittieren. Er hat ein attraktives Angebot vom Direktor des FBI, Burns, bei der Bundespolizei einzusteigen. Alex freut sich auf mehr Freizeit, die er mit seinen drei Kindern verbringen möchte.

Außerdem scheint er endlich in der Polizistin Jamilla Hughes aus San Francisco die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Jedenfalls gibt ihre gemeinsame Liebesnacht in einem opulent ausgestatteten Hotel allen Anlass zu den größten Hoffnungen.

Nur der Gesundheitszustand seiner Großmutter trübt Alex‘ Zuversicht: Nana neigt neuerdings zu Schwäche- und Ohnmachtsanfällen. Sieht ihr gar nicht ähnlich, obwohl sie bereits 82 ist.

|Der letzte Fall?|

Doch da taucht sein alter Freund und Kollege John Sampson auf und bittet Alex um Hilfe. Auf dem Militärstützpunkt Fort Bragg in North Carolina wurden drei Soldatenfrauen brutal mit Messerschnitten und -stichen getötet. Sie wurden mit blauer Farbe angemalt. Wenige Stunden später hatte die Militärpolizei Sampsons Freund, den Oberfeldwebel Ellis Cooper, festgenommen, obwohl er seine Unschuld beteuerte. Man fand die Tatwaffe und Blutspuren der Ermordeten in seinem Haus. Der Staatsanwalt hat leichtes Spiel.

Sampson und Cross gelingt es trotz ihrer Mühe nicht, Cooper aus dem Todestrakt zu holen, in den er nach seiner Verurteilung verlegt worden ist. Cooper wird mittels Giftspritze hingerichtet. Doch die beiden Polizisten stoßen auf mehrere Ungereimtheiten. Warum sollte irgendjemand seine Tatwaffe im eigenen Haus aufbewahren? Kann jemand wirklich so bescheuert sein? Die einzige vernünftige Erklärung: Cooper wurde die Waffe untergeschoben – er ist das Opfer einer Intrige.

Doch wer hätte ein Interesse daran, Cooper hinzurichten? Sampson und Cooper waren zusammen in Vietnam, um dort zwei „Touren“ lang zu dienen. Dabei wurden sie dicke Freunde. Als sich bei ähnlich unschuldig Verurteilten ebenfalls eine Verbindung nach Vorgängen in Vietnam herausstellt, wird Alex Cross gewarnt. Sein Kampf gegen die „graue Mauer des Schweigens“, mit der sich das Militär umgibt, wird als unerlaubte Schnüffelei empfunden. Zum Glück hat er Rückendeckung vom FBI-Direktor.

|Der Horror Vietnams – die geheime Geschichte|

Als er auch noch an der Militärakademie in West Point recherchiert, stößt er auf den Dozenten Owen Handler, der in Vietnam mit einer Ranger-Spezialeinheit zu tun hatte. Deren Aufgabe bestand darin, mitten im Krieg hinter den feindlichen Linien unter den Zivilisten terroristische Akte zu begehen, um den Gegner, den Vietcong, einzuschüchtern. Das gelang den Rangern hervorragend. Nur dumm, dass einige dabei ausrasteten und Gefallen daran fanden, zu brandschatzen und zu vergewaltigen. Handler und der Chef von Fort Bragg, General Hamilton, mussten weitere Ranger reinschicken, um die „Ausgerasteten“ zu eliminieren.

Es sieht für Alex Cross allmählich so aus, als würde solch eine Bereinigungseinheit nun auch in den USA operieren. Kaum ist Owen Handler zu ihm ins Auto gestiegen, um zu reden, werden sie unter Beschuss genommen. Cross überlebt die Attacke, Handler nicht. Das war bestimmt kein Zufall.

Cross sagt sich: Nun erst recht. Er spricht mit einem alten Vietnamveteranen, der im Hochsicherheitsgefängnis in Colorado einsitzt – im gleichen Trakt wie Kyle Craig, der FBI-Verräter (vgl. „Violets are blue“ und „Roses are red“). Die Informationen von diesem alten Vietnamesen, der für die Amis gekämpft hatte, führen Cross in die vietnamesische Botschaft. Dort findet er in unsortierten Unterlagen zum Vietnamkrieg drei Namen: Colonel Tom Starkey, Captain Brownley Harris und Sergeant Warren ‚The Kid‘ Griffin. Ihr Codename: Three Blind Mice (nach einem alten englischen Kinderreim).

|Die drei blinden Mäuse|

Im zivilen Leben arbeiten die inzwischen über Fünfzigjährigen als Vertreter für einen deutschen Waffenhersteller (H&K) und führen vorbildliche Ehen, aber in ihrem „Privatleben“ führen sie Mordaufträge aus. Dabei gehen sie genauso militärisch-vorsichtig vor wie bei ihren Einsätzen in Vietnam. Im Grunde ist es ihnen völlig egal, wen sie für Geld „ausknipsen“, denn die Morde werden stets bestimmten Leuten angehängt. Leuten wie Ellis Cooper. Ihr Verbindungsmann trägt den Codenamen „Fußsoldat“. Seltsam nur, dass auch ein geheimer Tippgeber von Alex Cross diesen Decknamen benutzt – die vierte „blinde Maus“?

Es ist ein erheblicher Schock für den Leser, mit diesen drei Killern bereits in Kapitel zwei Bekanntschaft machen zu müssen. Noch ist ihr Motiv unklar, aber sie stellen sich als höchst unangenehme und gefährliche Zeitgenossen heraus. Auf einer ihrer Killertouren – nach der Pflicht kommt die Kür – ermorden sie ein komplettes Bordell mit Vietnamesinnen. Die „drei blinden Mäuse“ sprechen fließend vietnamesisch. Solche Szenen machen das Buch wenig geeignet für Leser mit schwachem Magen.

|Showdowns|

Nach einem ersten Showdown, bei dem Alex Cross mit knapper Not überlebt, kommt es zu einem zweiten. Wer ist der Auftraggeber der Mordserie, wer ist die vierte „blinde Maus“?

_Mein Eindruck_

Wie man schon der knappen Inhaltsangabe entnehmen kann, ist Patterson wieder ein hammerharter Thriller gelungen, der es mit seinen besten Werken aufnehmen kann. Manche Szenen gehen wirklich an die Nieren. Und das sind bestimmt nicht Sampsons und Cross‘ erotische Liebesszenen. Die drei Killer auf der Menschenjagd zu begleiten, ist nicht jedermanns Sache.

|Fein dosierte Spannung|

Wieder gelingt es dem Autor, das Wissen des Lesers so fein zu dosieren, dass genau die größte Spannung erzeugt wird, aber auch die größten Befürchtungen geschürt werden. So meint man jederzeit, einen Feuerüberfall auf Sampsons und Cross‘ Geliebte erwarten zu müssen. Und tatsächlich: Am hellichten Tag eröffnen unbekannte Killer das Feuer auf das Haus von Alex Cross‘ Familie. Mitten in Washington, D.C. Man kommt sich vor wie in einem Kriegsgebiet.

Der Vietnamkrieg ist nach Hause gekommen – das ist die Botschaft, die uns Patterson überbringt. Und die Amerikaner haben durch den Todesschützen von Washington und Umgebung spüren müssen, dass auch heimgekehrte Golfkriegs- und Afghanistan-Veteranen lebende Zeitbomben darstellen.

An nichts hat mich dieses Buch so erinnert wie an die Vietnamthriller von Peter Straub („Koko“ und „Der Schlund“) und von Eric Van Lustbader („Schwarzes Herz“ und fast jeder andere Roman bis 1990). Denn Patterson wirft natürlich ein Schlaglicht auf die geheime Geschichte dieses besonders schmutzigen Krieges (nun ja: alle Kriege sind schmutzig). Auf die Massaker an Zivilisten, begangen von regulären US-Soldaten. Finstere Symbole fehlen nicht.

|Apokalypse, bitte jetzt!|

Und dass es diese Aufträge ebenso gegeben hat wie diese Soldaten, dürfte wohl klar sein. Denn genau dies sagt ja bereits Martin Sheens Auftraggeber in „Apocalypse Now“. Diesen Film kennt auch einer der „drei blinden Mäuse“. Der Geruch von frischem Blut und Kordit ist „besser als der Geruch von Napalm am Morgen“ (ein berühmt-berüchtigter Spruch aus dem Film, gesagt von Robert Duvall).

Patterson streut noch weit mehr Filmhinweise ein: auf Hitchcocks „Rear Window“, „A Beautiful Mind“, „Dead Man Walking“ und auf den unvermeidlichen Dr. Hannibal Lecter. Dieser habe es inzwischen zu angemessenem Ruhm als elegantes Ungeheuer mit Geschmack gebracht. Hier hält der Autor dem Leser den Spiegel vor. Auch Tom Clancy bekommt sein Fett weg. Und an manchen Stellen in Fort Bragg erinnert der Roman an einen Militärthriller von Joseph Finder („High Crimes“).

|Wer ist dieser Jack Ryan überhaupt?|

Clancys Begeisterung für Geheimdienst- und Militärikonen à la Jack Ryan scheint Patterson mit Argwohn zu betrachten. Denn es ist schließlich auch ein General, der Dreck am Stecken hat: Aus seiner politischen Karriere wird nichts mehr. Die „vierte blinde Maus“ kommt ihm in die Quere – im Original heißt der Roman „Four blind mice“. An manchen Stellen wird Pattersons Roman sehr ironisch.

_Unterm Strich_

Der deutsche Leser kann diesen Roman wohl unbefangener lesen als der US-Leser. Uns interessiert in erster Linie die spannende Handlung, die einen an den Fingernägeln kauen lässt. Sie wird aufgelockert nur durch Cross‘ und Sampsons Liebeserlebnisse und Cross‘ Sorge um seine Oma.

Allerdings könnte man sich auch hierzulande sorgen, wenn man bedenkt, dass unser mächtigster NATO-Partner durchaus auf äußerst fragwürdige Militärmittel zurückzugreifen bereit ist (nicht nur unter Nixon). Schließlich wurden die NATO-Partner von den USA um Beistand gegen den Irak gebeten, obwohl Saddam Hussein niemanden angegriffen hat.

Vom amerikanischen Leser – zumal von Militärangehörigen – könnte der Roman hingegen als Affront aufgefasst werden. Veteranen als bezahlte Killer und Psychopathen? Ehrenhafte Generäle als Auftraggeber geheimer Terrorismusaktionen in Vietnam? Vertuschungsaktionen in der Militärgerichtsbarkeit? Herrje, was denn noch alles?!

Wie man sieht, hat der ehemalige Werbefachmann Patterson wieder ein heißes Eisen angepackt. Und seine Erzählkunst ist so gut (oder so schlecht, je nach Standpunkt) wie eh und je.

_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
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[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
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[„Die Wiege des Bösen“ 47
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[„Die 5. Plage“ 3915