John Brunner – Fremde Konstellationen. Erzählungen

Zukunftsgeschichten, einfallsreich und engagiert

In diesem Storyband sind einige von John Brunners (1934-1995) besten Erzählungen zusammengefasst. Das Buch soll beweisen, dass Brunner, der für seine zahlreichen Romane Preise erhalten hat, auch ein Meister der kurzen Form ist. Er sei „ein Autor, bei dem sich sozialkritisches Engagement, unerschöpflicher Einfallsreichtum und eine farbige Phantasie in geradezu idealer Weise vereinen“ (Verlagsinfo).

Beispiele für die Storys sind:

1) Die Geschichte von der weltweiten Hungersnot, die sich liest wie ein Stück makabre Fantasy – bis man realisiert, dass sie ein historisches Faktum beschreibt (Die Behrendt-Umwandlung);

2) die Geschichte eines galaktischen Eroberers namens Alexander, dessen Siegeszug durch eine einzige Waffe aufgehalten wird – wobei es sich gar nicht um eine Waffe handelt;

3) die Geschichte von dem Duell eines Telepathenjägers mit seinem Opfer – das ein überraschendes Ende nimmt. (Außer Denkweite)

Der Autor

John Kilian Houston Brunner wurde 1934 in Oxfordshire, Südengland geboren und am Cheltenham College erzogen. Dort interessierte er sich schon früh „brennend“ für Science-Fiction, wie er in seiner Selbstdarstellung „The Development of a Science Fiction Writer“ schreibt. Schon am College, mit 17, verfaßte er seinen ersten SF-Roman, eine Abenteuergeschichte, „die heute glücklicherweise vergessen ist“, wie er sagte.

Nach der Ableistung seines Militärdienstes bei der Royal Air Force, der ihn zu einer pazifistisch-antimilitaristischen Grundhaltung bewog, nahm er verschiedene Arbeiten an, um sich „über Wasser zu halten“, wie man so sagt. Darunter war auch eine Stelle in einem Verlag. Schon bald schien sich seine Absicht, Schriftsteller zu werden, zu verwirklichen. Er veröffentlichte Kurzgeschichten in bekannten SF-Magazinen der USA und verkaufte 1958 dort seinen ersten Roman, war aber von der geringen Bezahlung auf diesem Gebiet enttäuscht. Bald erkannte er, daß sich nur Geschichten sicher und lukrativ verkaufen ließen, die vor Abenteuern, Klischees und Heldenbildern nur so strotzten.

Diese nach dem Verlag „Ace Doubles“ genannten Billigromane, in erster Linie „Space Operas“ im Stil der vierziger Jahre, sah Brunner nicht gerne erwähnt. Dennoch stand er zu dieser Art und Weise, sein Geld verdient zu haben, verhalf ihm doch die schriftstellerische Massenproduktion zu einer handwerklichen Fertigkeit auf vielen Gebieten des Schreibens, die er nicht mehr missen wollte.

Brunner veröffentlichte „The Whole Man“ 1958/59 im SF-Magazin „Science Fantasy“. Es war der erste Roman, das Brunners Image als kompetenter Verfasser von Space Operas und Agentenromanen ablöste – der Outer Space wird hier durch Inner Space ersetzt, die konventionelle Erzählweise durch auch typographisch deutlich innovativeres Erzählen von einem subjektiven Standpunkt aus.

Fortan machte Brunner durch menschliche und sozialpolitische Anliegen von sich reden, was 1968 in dem ehrgeizigen Weltpanorama „Morgenwelt“ gipfelte, der die komplexe Welt des Jahres 2010 literarisch mit Hilfe der Darstellungstechnik des Mediums Film porträtierte. Er bediente sich der Technik von John Dos Passos in dessen Amerika-Trilogie. Das hat ihm von SF-Herausgeber und –Autor James Gunn den Vorwurf den Beinahe-Plagiats eingetragen.

Es dauerte zwei Jahre, bis 1969 ein weiterer großer sozialkritischer SF-Roman erscheinen konnte: The Jagged Orbit (deutsch 1982 unter dem Titel „Das Gottschalk-Komplott“ bei Moewig und 1993 in einer überarbeiteten Übersetzung auch bei Heyne erschienen). Bildeten in Stand On Zanzibar die Folgen der Überbevölkerung wie etwa Eugenik-Gesetze und weitverbreitete Aggression das handlungsbestimmende Problem, so ist die thematische Basis von The Jagged Orbit die Übermacht der Medien und Großkonzerne sowie psychologische Konflikte, die sich in Rassenhass und vor allem in Paranoia äußern. Die Lektüre dieses Romans wäre heute dringender als je zuvor anzuempfehlen.

Diesen Erfolg bei der Kritik konnte er 1972 mit dem schockierenden Buch „Schafe blicken auf“ wiederholen. Allerdings fanden es die US-Leser nicht so witzig, dass Brunner darin die Vereinigten Staaten abbrennen ließ und boykottierten ihn quasi – was sich verheerend auf seine Finanzlage auswirkte. Gezwungenermaßen kehrte Brunner wieder zu gehobener Massenware zurück.

Nach dem Tod seiner Frau Marjorie 1986 kam Brunner nicht wieder so recht auf die Beine, da ihm in ihr eine große Stütze fehlte. Er heiratete zwar noch eine junge Chinesin und veröffentlichte den satirischen Roman Muddle Earth (der von Heyne als „Chaos Erde“ veröffentlicht wurde), doch zur Fertigstellung seines letzten großen Romanprojekts ist es nicht mehr gekommen Er starb 1995 auf einem Science-Fiction-Kongress, vielleicht an dem besten für ihn vorstellbaren Ort.

Die Erzählungen

1) Die Berendt-Umwandlung (The Berendt Conversion, 1975)

Nach fünf Kriegen sind alle Erdteile von Hungersnöten heimgesucht. Alle Lebensmittel sind rationiert, aber was ist das für eine Nahrung, die die Suppentanker ranschaffen und verteilen? Ein junger Polizist, der bereits unter den ersten Anzeichen von Skorbut leidet, kommt mit dem Piloten eines Hubschraubers der Regierung ins Gespräch. Der Pilot erzählt ihm, während er ihm etwas zu essen gibt, woher die Nahrung stammt: aus dem Behrendt-Umwandler.

Wie der Name schon sagt, wurde der Umwandler von dem Wissenschaftler Behrendt erfunden und zur Produktionsreife geführt. Der Konverter wandelt Gras und andere organische Materie in Lebensmittel um: Früchte, Gemüse, sogar Wein. Damit wollte der Erfinder den Hunger in der Welt abschaffen – eine noble Absicht. Doch bevor er sein Gerät vermarkten konnte, wurde er von seinen geldgebern ausgebootet, enteignet und in den Ruin getrieben. Er soll sich selbst aus Verzweiflung in seinen Umwandler gestürzt haben, lautet die Legende.

Tragischerweise bewirkte der Umwandler das Gegenteil von dem, was er bewirken sollte. Denn da nun die betuchteren Bevölkerungsschichten, die sich den Umwandler leisten konnten, keine Agrarerzeugnisse mehr kaufen, verloren die Bauern ihren Absatzmarkt. Wozu sich noch den Rücken krumm schuften? Auch Maschinen konnten sie nicht mehr anschaffen. Sie gingen zugrunde. Der Umwandler machte sie überflüssig.

Nun gibt es keine Landwirtschaft mehr, sondern nur noch Unkraut, das man in den Konverter wirft. Vielleicht auch die eine oder andere Ratte, meint der Pilot, und vielleicht auch den einen anderen Angehörigen derjenigen zwei Drittel der Menschheit, die inzwischen verhungert sind. Dem Polizisten dreht es schier den Magen um. Besonders als er den fettleibigen Vertreter der Regierung wieder in den Hubschrauber steigen sieht…

Mein Eindruck

Die Geschichte soll zeigen, wie sich eine unüberlegt eingesetzte wohlwollende Maßnahme in ihr genaues Gegenteil verwandeln kann, wenn man die Folgen ihres Einsatzes nicht bedacht hat. Davon hat man ja im Bereich der Biologie schon viel gehört, z.B. beim Einsetzen des Nilbarsches im Viktoriasee. Der See ist nun kurz vorm Exitus, und sogar sein Wasserpegel sinkt deshalb.

Der Autor hat seine Story allerdings nur als Dialog aufgezogen, und das macht sie ein klein wenig zu einem Essay-Ersatz, bei dem nur die Argumente und Fragen ausgetauscht werden. Von erzählerischer Raffinesse also leider keine Spur.

2) Der Erlöser (The easy way out, 1975)

Das Raumschiff „Pennyroyal“ ist nach einer Explosion auf einem Wüstenplaneten abgestürzt. Die besiedelte Nachbarwelt Carteret ist leider unerreichbar, wie es den Schiffbrüchigen scheint. Überlebt haben der Schiffsarzt Pavel Williamson und der Passagier Andrew Solichuk, der reichste Erbe der Galaxis. Schon bald ist Pavel schwer genervt von den unverschämten Ansprüchen Andrews und seiner herablassenden Art.

Dabei hat Andrew allen Grund, auf Pavel Rücksicht zu nehmen, denn Andrew wurden beim Aufprall das Rückgrat gebrochen und der Unterleib zerschmettert. Pavel gibt ihm schmerzstillende Mittel, doch sein Patient winkt ab: Er habe etwas viel Besseres – den Erlöser. Das ist ein kleiner blaugrauer Kasten, der einem Menschen auf Knopfdruck die schönsten Wunschträume fabriziert, so dass sich der Träumende nicht mehr um sein körperliches Wohl kümmert und zugrunde geht, aber wenigstens glücklich. Das Gerät ist natürlich überall verboten, doch auf dem Schwarzmarkt kann man es offensichtlich kaufen. Und für die total Reichen gibt es eh keine Gesetze.

Pavel lehnt dieses letzte Mittel des einfachen Auswegs kategorisch ab und nimmt es Andrew weg. Allerdings wirft er das Ding nicht über Bord, damit der Sand es bedeckt, sondern schließt es weg. Für den Fall der Fälle. Und als die Rettung auch nach zwei Wochen noch nicht eingetroffen ist, sieht der Erlöser verlockender aus denn je…

Mein Eindruck

Die Novelle erinnert in ihrer Einfachheit an alle Stories, in der Menschen auf einer einsamen Insel stranden und auf Rettung warten. Bei Stephen King werden sie zu Kannibalen oder ähnlichem, oder sie machen es wie Robinson Crusoe und ernähren sich vom Land. Doch was wäre, wenn man nicht den sicheren Tod als schreckliche Unausweichlichkeit vor Augen hätte, sondern einen süßen Tod in einem unmerklichen Übergang?

Im Grunde ist die Geschichte eine Kritik an Drogen, Dealern und Junkies, denn der „Erlöser“ ist der einfache Ausweg, um sich aus der Realität zu stehlen. Aber es gibt vielerlei Arten von Drogen und wenn man den Begriff weit genug zieht, gehören auch das Fernsehen, das Kino und andere Arten von Weltflucht dazu, beispielsweise Sekten.

Die Novelle endet mit einer überraschenden Kehrtwende, die alles andere als ein Happy-end bedeutet. Der Leser ist gewarnt.

3) Außer Denkweite (Out of mindshot, 1970)

Braden hat sein Wild endlich gestellt, nach fünf Jahren Jagd ist er in der Wüste fündig geworden. Lesley verbirgt sich hinter einem Felsbrocken und zielt mit ihrem Gewehr auf ihn. Er hebt die Hände, zeigt, dass er unbewaffnet ist. Als sie sich aufrichtet, ist er überrascht: Sie ist eine schöne Frau – und von Kopf bis Fuß nackt und braungebrannt. Was für ein Leckerbissen.

Er redet auf sie ein, weil er weiß, dass sie ihn nicht töten kann. Als Telepathin würde sie den Schmerz einer tödlichen Wunde nicht ertragen können. Und er ist Schmerz gewöhnt, ja, er lechzt nach Schmerz, er braucht ihn. Auch hier hat sie also keine Chance gegen ihn. Sie zu entwaffnen und zu fesseln, ist ein Kinderspiel.

In ihrer Wohnhöhle quält er sie mit seinen masochistischen Fantasien von dominanten Frauen, bis sie sich erbrechen muss. Er demütigt sie weiter – was für eine wunderbare Sklavin sie abgeben wird, damit er sich die Welt untertan machen kann: Die einzige Gedankenleserin auf der ganzen Welt. Doch da dreht sie den Spieß um, und Jahre später findet ein Erzsucher sein Skelett…

Mein Eindruck

Eine stimmungsvolle Story, die auf Psychologie statt auf Action setzt und mit einer überraschenden Wendung verblüfft. Die gewalt ist hier zunächst körperlich ausgeübt, doch in Wahrheit geht es um psychische gewalt. Und auf diesem Feld behält ironischerweise die Frau die Oberhand.

4) Wasser aus dem Teich (Pond water, 1968)

Der künstliche Mensch Alexander wird als Verteidiger der 50 Menschenwelten gebaut und mit dem Wissen um seine eigene Herkunft und die der Menschen versehen. Da ihm die Menschen als niedriggestellter als er selbst erscheinen, zwingt er sie, ihn als Herrscher anzuerkennen. Nachdem er zwei Welten vernichtet hat, kriechen die anderen vor ihm auf dem Bauch. 806.000 Jahre lang fährt fort, Welten zu erobern, bis die komplette Milchstraße erobert ist.

Die komplette? Nicht ganz! Ein alter Forscher namens Amaliel demonstriert ihm, dass es in Alexanders Welten einen bereich gibt, denn er niemals wir erobern können. Mit Hilfe einer Maschine führt er ihm vor, was es ist, dass dem Eroberungsdrang des Tyrannen Widerstand leistet: die Phantasie des Menschen.

Mein Eindruck

Eine holzschnittartig wie eine Fabel erzählte Geschichte, die auf eine einzige Pointe hinausläuft. Nicht unspannend, wirkt aber wie eine Kopie des Asimov-Stils.

5) Die Geheimprotokolle der Räte von Britannien (The protocols of the elders of Britain, 1974)

Computerspezialisten werden zu einem defekten Geheimcomputer gerufen, der für Post und Regierung Daten speichert, verschlüsselt und überträgt. Das Problem scheint eine Systemblockierung zu sein. Während sich alle nach ermüdender Fehlersuche aufs Ohr legen, macht der Programmierer Desmond Williams weiter. Da fällt ihm eine Parallele ein. Er gibt einen einfachen Befehl ein und schwupps! Wird der Inhalt des gesperrten Speichers G angezeigt.

Doch was sind das für schreckliche Inhalte! Anweisungen von Regierungsstellen in aller Welt, besonders aber England, die das Ziel verfolgen, bis 1980 einen autoritären, allmächtigen Konzern-Staat zu errichten. Vor Aufregung und Entsetzen bekommt Desmond einen Schreikrampf. Man weist ihn in die Psychiatrie ein, denn sein Verfolgungswahn ist offensichtlich. Den Computerspeicher G hat er jedenfalls nur einmal öffnen können, wenn man seinen Behauptungen überhaupt glauben darf.

Mein Eindruck

Was in Computern der Regierungen doch für Geheimnisse schlummern! Der Autor kann ein Lied davon singen, hat er doch 1978 mit seinem Roman „Der Schockwellenreiter“ ein Grundlagenwerk für die frühen Hacker geschrieben. Schon früh erkannte er, wozu sich Computer aller Art missbrauchen lassen. Und heute ist der gläserne Mensch / Bürger schon Realität.

6) Der Selbstmord der Menschheit (The suicide of man, 1978)

Lodovico Zaras hat sich das Leben genommen, als er mit letalem Krebs im Krankenhaus lag. Doch nun muss er verwundert feststellen, dass er wiedergeboren worden ist – als Geist. Genauer gesagt: als kollektive Wahrnehmung menschlicher Wesen, die hunderttausende von Jahren in seiner Zukunft leben. Die ersten drei, die ihn mit ihrer Wahrnehmung geschaffen haben, heißen Horad, Genua und Orlalee. Die Welt, die sie bewohnen, ist geradezu paradiesisch, denn nur 30 Millionen Mneschen leben darin, glücklich und zufrieden.

Durch die erweiterte kollektive Wahrnehmung der Gesamtbevölkerung verstärkt sich Lodovicos Körperlichkeit: Er wird feste Materie. Doch das Trio hat ihn nicht ohnen Hintergedanken erschaffen. Sie bitten ihn, für sie an unerreichbare, für normale Körper tödliche Orte im Sonnensystem zu gehen, wie immer durch Teleportation. Er willigt ein und bringt jede Menge Informationen mit, die der Selbsterkenntnis der Menschheit dient.

Eines Tages teilen sie ihm mit, dass sich die Menschheit kollektiv selbst umbringen wird. Ganz einfach aus dem Grund, den Lodovico ihnen gezeigt hat: Die Körper sind unwichtig, wichtig sind die Persönlichkeiten. Und so wie Lodovico können sie unzählige weitere Tote erwecken. Billionen von Menschen, die zu den Sternen hinausziehen können.

Mein Eindruck

Diese schöne Novelle zeigt eine möglich posthumane Ära auf. Heute werden viele posthumane Epochen in der SF beschrieben, doch die meisten beruhen auf technischen Entwicklungen. Brunners Vision ist platonisch: Die Geister überleben den Körper und lassen sich folglich körperunabhängig verbreiten. Bei ihm mutet das noch recht magisch an. Aber wie schon Clarkes Axiom besagt: „Jede Wissenschaft bzw. Technik, die weit genug fortgeschritten ist, ist von Magie nicht zu unterscheiden.“

7) Der Geschmack eines Gerichts und das Aroma des Tages (The taste of the dish and the savour of the day, 1977)

Der Ich-Erzähler ist ein Autor von phantastischen Geschichten. Er besucht einen französischen Bekannten, den er vor einem Jahr auf einer Konferenz von Schriftstellern im Saone-Tal kennengelernt hat. Er erinnert sich noch mit Freude an den Genuss beim Essen, das der Baron ihm damals empfohlen hatte. Doch jetzt sieht sein Gastgeber so aus, als gehe es ihm wirtschaftlich und gesundheitlich nicht besonders gut. Das macht unseren Autor etwas besorgt. Die Sorge bezüglich des Essens und des Mannes erweist sich als berechtigt.

Das Essen, das man ihm serviert, besteht zunächst nur aus einem undefinierbaren Etwas, das an eine Soße erinnert. Wie seltsam, aber es riecht göttlich. Und auch der Geschmack ist der von Ambrosia, dem Nektar der Götter. Doch unser Gewährsmann hört auf zu essen, aus Angst, danach süchtig zu werden, wie er seinem Gastgeber offen gesteht. Der hat volles Verständnis dafür und erzählt, um was es sich handelt: um das Geheimrezept seines Dieners Gregoire, der es seit 200 Jahren zubereitet.

Unser Erzähler glaubt, sich verhört zu haben: 200 Jahre?! Sein Gastgeber bestätigt allen Ernstes. Er selbst will ebenfalls so alt werden. Und damit verknüpft ist sein eigenes bescheidenes Einkommen: Denn er strebt ebenfalls danach, so alt zu werden, und gibt all sein Einkommen für die Ingredienzien für dieses Rezept aus. Doch der Erzähler zeigt ihm einen genialen Ausweg aus seiner Misere.

Mein Eindruck

John Brunner war ein Profi, und dass er auch eine Story über Unsterblichkeit schreiben würde, war zu erwarten. Doch seine Version ist diesmal sehr elegant im Stil des 19. Jahrhunderts erzählt und mit den kulinarischen Köstlichkeiten garniert, die sich nur Gourmets leisten. Der Text ist folglich gespickt mit französischen Redewendungen (die leider als bekannt vorausgesetzt werden), um die beiden Sprecher als Feinschmecker auszuweisen. Zum Glück geht die Geschichte gut aus, sogar für Gregoire, und lässt so den Leser zufrieden zurück.

8) Wofür Freunde da sind (What friends are for, 1974)

Der achtjährige Tim Patterson ist ein Satansbraten und hat den Hund des Nachbarn umgebracht. Die Eltern müssen sich psychologisch beraten lassen, um die Einweisung Tims in eine Anstalt abzuwenden. Dr. Hend rät ihnen dringend dazu, einen „Freund“ für Tim zu besorgen. „Freunde“ sind außerirdische Biofakte, die im System Prokyon hergestellt werden. Nach einigen protesten sind sie einverstanden.

Tim ist ein bestelltes Kind. Er ist zwar erst acht, sieht aber aus wie 15, denn sein Wachstum ist kondesiert. Leider hat sein Geist mit seinem Körper nicht mitgehalten und er benimmt sich wie ein Kleinkind, brüllt und heult und ist voll auf Trotzreaktionen ausgerichtet. Das ändert sich, als der geliehene „Freund“, ein grünpelziger Riese, ihn zu erziehen beginnt.

Schon bald wird dem „Freund“ klar, dass es Tims Eltern sind, die ebenfalls dringend seine Hilfe benötigen. Sie haben Tim weder Lesen noch Schreiben beigebracht, haben ihn nur als Statussymbol und psychologischen Hebel missbraucht. Was sie brauchen, ist Unterricht in Empathie. Und den bekommen sie, ob sie wollen oder nicht.

Mein Eindruck

Die Story ist sehr anschaulich geschrieben, mit psychologischem Feingefühl, aber auch mit einigen der hässlichsten Dialoge, wenn die beiden Elternteile Tims sich zanken. Der Autor vermittelt Hoffnung, die noch für Tim besteht, aber auch für die starrsinnigen Eltern, wenn sie sich denn belehren lassen wollen.

Die Übersetzung

Abgesehen von den allfälligen Druckfehlern wie fehlenden Buchstaben oder falschen Wortendungen, gibt es auch zweifelhafte Ausdrücke, über die sich trefflich streiten ließe. Manche wie etwa „diesfalls“ (S. 64) statt „in diesem Fall“ sind einfach auf veralteten Stil zurückzuführen, aber „in vielen Hinsichten“ (S. 177) statt „in vielerlei Hinsicht“ ist schlichtweg schlechtes und unkorrektes Deutsch.

Weitere Fehler:

„Herzschlag“ (S. 107) statt „Herzanfall“ oder Infarkt, denn „Herzschlag“ bezeichnet ja den Normalfall.

„Einwände“ (S. 170) statt „Einwürfe“.

Und was hat sich der heutige Leser unter einem „Ausgedinge“ (S. 33, 2x) vorzustellen? Da wird ein „Barde ins Ausgedinge gesetzt“ – gemeint ist einfach, dass er arbheitslos wird und aufs Altenteil muss. Aber das Wort „Ausgedinge“ ist rar geworden.

Unterm Strich

Etliche der hier gesammelten Erzählungen wurden in SF-Jahresanthologien aufgenommen. Das lässt sich leicht an den bibliografischen Angaben am Schluss jedes Textes ablesen. Doch was die Herausgeber dieser Best-of-Auswahlen gut fanden, muss ja nicht auch für den heutigen Leser gelten, also 30 Jahre danach.

Immerhin halten Stories wie „Die Behrendt-Umwandlung“ und „Die Geheimprotkolle“ bis heute ihre Schrecken bereit und rufen dazu auf, solche Zustände zu verhindern, wie sie darin geschildert werden. In „Die Geheimprotokolle“ fällt die Anklage deutlich aus, weil der unfreiwillige Zeuge dieser Protokolle sehr entsetzt reagiert. Doch in „Die Behrendt-Umwandlung“ hält sich der Autor neutral heraus, was die Wirkung der Story auf den Lser vertieft, denn er muss selbst darüber nachdenken und herausfinden, wie er empfinden soll. Erst im Nachwort äußert sich der Autor explizit selbst, und diese Aufteilung geht in Ornung.

„Der Erlöser“ gefiel mir nicht so, denn das Thema der Schiffbrüchigen ist ausgelutscht. „Außer Denkweite“ hingegen ist ausgezeichnet in seiner überraschenden Pointe, ebenso wie „Der Geschmack eines Gerichts“. „Wasser aus dem Teich“ über den Herrscher der Galaxis wollte mir nicht so recht einleuchten und ist zu vereinfachend. „Der Selbstmord der Menschheit“ endet mit einer verblüffenden Pointe, die aber Anlass zu Hoffnung gibt. Am besten im letzten Drittel gefiel mir das süffisant-ironische Stückchen „Wofür Freunde da sind“. Bedenklich ist höchstens, dass man künftig Außerirdische braucht, um menschliche Kinder richtig erziehen zu können.

Der Einfallsreichtum war bei Brunner schon immer groß, und die Bandbreite seiner stilistischen Fähigkeiten ist beachtlich. Das belegt auch die vorliegende Sammlung. Experimente wie etwa nach Art der Romane „Schafe blicken auf“ oder gar „Morgenwelt“ fehlen völlig, und so dürften auch Leser, die weniger mit Stilexperimenten innerhalb der SF vertraut sind, keine Probleme mit diesen phantastischen Erzählungen haben.

Der O-Titel „Foreign Constellations“ bezieht sich übrigens auf fremde Sternbilder, nicht auf geheimnisvolle Konstellationen irgendwelcher Art. Auch das ist ein Beispiel für die Übersetzung, mit der ich nicht glücklich geworden bin (siehe oben).

Taschenbuch: 203 Seiten
Originaltitel: Foreign constellations, 1980
Aus dem Englischen von Yoma Cap
ISBN-13: 9783453312272

www.heyne.de

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