Montanari, Richard – Mefisto (Lesung)

_Hitchcock reloaded: der Badezimmermörder_

Sommer in Philadelphia. Doch die Ruhe trügt. Kevin Byrne, Detective der Mordkommission, und seine Partnerin Jessica Balzano werden zu einem bizarren Fall gerufen. Eine Frau ist ermordet worden, und ihr Todeskampf wurde von dem Mörder auf Video aufgenommen, hineingeschnitten in die berühmte Badezimmer-Szene aus Alfred Hitchcocks „Psycho“. Doch diesmal ist das Blut rot und das Messer real.

Bald tauchen weitere Filmklassiker auf, in denen Mordszenen nachgestellt und nachträglich eingefügt wurden. Ist ein Verrückter am Werk, der die Filmgeschichte zum Hintergrund seiner perversen Phantasien macht?

_Der Autor_

Richard Montanari, geboren in Cleveland, Ohio, wuchs in einer traditionellen italienisch-amerikanischen Familie auf. Er ist als Autor, Drehbuchschreiber und Essayist tätig. Seine Werke erscheinen nach Verlagsangaben in über zwanzig Ländern.

_Der Sprecher_

Matthias Koeberlin, geboren 1974, absolvierte die Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam. Im Jahr 2000 erhielt er den Günter-Strack-Fernsehpreis. Er spielte den Stephen Foxx in der ProSieben-Verfilmung des Bestsellers „Das Jesus-Video“. Für seine Interpretation der [Hörbuchfassung 267 von Eschbachs Bestseller wurde er für den Deutschen Hörbuchpreis des WDR (2003) nominiert.

Koeberlin liest eine von Guido Huß gekürzte Textfassung. Regie führte Kerstin Kaiser, die Aufnahme in den dc-Studios, NRW-Berlin, verantworteten Fabian Frischkorn und Christian Päschk, die Musik lieferten Dennis Kassel und Horst-Günther Hank.

_Handlung_

Kommissar Kevin Byrne hat schon bessere Tage gesehen. Es ist Sommer in der Stadt der brüderlichen Liebe, doch er hat Schmerzen. Von der Konfrontation mit dem Rosenkranzkiller an Ostern (vgl. [„Crucifix“) 2818 hat er einer Verletzung am Ischiasnerv zurückbehalten. Wenigstens konnten ihm die Ärzte die Kugel des Killers aus dem Schädel operieren, sonst wär’s aus gewesen. Die Schatten der Vergangenheit sollen Detective Sergeant Byrne jedoch weiterhin plagen.

Als er von seinem Kommissariat benachrichtigt wird, dass Julian Matisse wieder auf freien Fuß gesetzt worden, weiß er, dass es bald Ärger geben wird. Diesen Gewaltverbrecher und Sadisten hat er vor zwei Jahren hinter Gitter gebracht, doch nun wurde ein wichtiger Zeuge, sein Kollege Jimmy Purify, belastet. Bevor es zur Berufungsverhandlung kommt, ist Matisse auf freiem Fuß. Sofort wendet sich Byrne an eines von Matisses Opfern, Vikki Lindström. Zusammen machen sie nicht nur Liebe, sondern setzen sich auch auf die Fährte des Mannes, der ihr das Gesicht zerschnitt …

|Unterdessen …|

… bekommt die Mordkommission ein merkwürdiges Videoband zugestellt, dessen sich Kommissarin Jessica Bolzano, seit acht Jahren bei der Kripo, anzunehmen hat. Sie lässt es von der Audio-/Video-Abteilung fachmännisch untersuchen. Kollege Mateo Fuentes ist ein Schlaufuchs und arbeitet mit seinem Computer äußerst trickreich. Es gibt praktisch nichts, was er nicht findet. Und auf diesem Video gibt es jede Menge zu entdecken. Jessica schaut es sich mit Byrne und ihrem Chef Ike Buchanan an.

Vordergründig handelt es sich um ein Kopie von Alfred Hitchcocks Thrillerklassiker „Psycho“ aus dem Jahr 1960. Die berühmteste Szene daraus ist bekanntlich die Duschszene, in der Janet Leigh alias Marion von einer Gestalt in Frauenkleider mit einem Schlachtermesser attackiert und getötet wird. Das Original ist ein Meisterwerk der, ähem, Schnitttechnik. Doch diese Version ist anders: Als die Duschszene beginnt, tritt eine Störung ein und das Bild wechselt nach einer kurzen Schwarzblende zur körnigen Schwarzweißaufnahme eines Duschvorhangs, hinter dem eine weibliche Stimme ein Lied von Norah Jones trällert. Jedoch nicht lange, denn ein Mann betritt das Badezimmer, reißt den Vorhang beiseite und beginnt auf die nackte junge Frau dahinter einzustechen …

Jessica würgt und wendet sich ab. Sie hat ja schon viel Grauenvolles gesehen, war aber noch nie „live“ bei einem Mord dabei. Nach dieser nachgestellten Mordszene, an deren Echtheit ob des Blutes kein Zweifel bestehen kann, kehrt der Film wieder zu Hitchcocks „Psycho“ zurück. Norman Bates ruft nach seiner Mutter. Aber wer ist die reale Ermordete?

Weil die Spur des Videobands zu nichts führt, muss Mateo Fuentes seine Kunst zeigen: Auf der Duschstange befindet sich ein Fleck. Der Fleck entpuppt sich durch seine Magie als Herstelleretikett. Diesen Hersteller machen Jessica und Byrne ausfindig, und er nennt ihnen die belieferten Hotels. Unter diesen befindet sich das Rivercrest-Hotel, eine schäbige Absteige unweit des Flusses, der Philadelphia durchströmt. Hier stoßen sie auf ein Zimmer, das als Tatort in Frage kommt. Die Spurensicherung macht die Vergangenheit sichtbar: Blutspuren überall! Aber von einer Leiche keine Spur. Erst Tage später kommt Jessica die rettende Idee: Vielleicht hat der „Filmemacher“ es ja genau wie Norman Bates gemacht und die Leiche in den Kofferraum eines Autos gelegt, welches er dann versenkte.

Jessicas Eingebung stellt sich als Durchbruch heraus. Das gefundene Auto mit der Leiche der Frau ist der Beginn einer Aufholjagd. Der Killer – Julian Matisse? – hat eine Woche Vorsprung. Und er hat ihnen bereits sein zweites „Meisterwerk“ zukommen lassen. Diesmal eine Szene aus dem Michael-Douglas-Film „Eine verhängnisvolle Affäre“. Darin spielen wieder Schlachtermesser und Badezimmer eine Hauptrolle. Nur ist diesmal alles in Farbe. In Blutrot …

_Mein Eindruck_

Diesmal präsentiert der Autor Montanari, der uns schon mit [„Crucifix“ 2818 aufs Hinterhältigste unterhielt, ein ganzes Trio von Hauptverdächtigen. Es ist wie ein Hütchenspiel: Finden Sie den wahren Täter! Welcher von den dreien mag es wohl sein: Ist es Julian Matisse, Seth Goldman oder gar ein Mister X, den Sie gar nicht auf Ihrer Rechnung haben? Man kann sich also darauf verlassen, dass es mindestens zwei falsche Fährten gibt, und es ist nicht einmal sicher, dass es Mister X ist.

Der Showdown am sechsten „Drehort“ des „Filmemachers“ ist nicht nur äußerst fies eingefädelt und hergerichtet, sondern hinterlässt bei Leser bzw. Hörer eine gute Portion Verwirrung. Nanu, wo kam denn nun Mister Y her? Und wie kommt es, dass er und Seth Goldman die gleichen Filme angesehen haben? Wie auch immer: Für Byrne führt nicht nur die Spur in seine Vergangenheit, wo er ständig mit Mordopfern oder Drogentoten, die sich den Goldenen Schuss gesetzt hatten, zu tun hatte. Mag sein, dass er dabei nicht immer das gebotene Mitgefühl an den Tag gelegt hat, aber herrje – welcher Cop kann das schon in einer Stadt, die eine der höchsten Kriminalitätsraten in den USA hat?

Auch Jessica ist wie Byrne stets nach einem langen Arbeitstag wie ausgepumpt. Und weil der „Filmemacher“ (den nur der Autor selbst als „Mefisto“ bezeichnet) sie mächtig auf Trab hält, muss sie einmal sogar einen 26-Stunden-Tag einlegen. Das würde sogar ein Pferd umbringen. Geschweige denn einen normalen Menschen, der nur versucht, seine Pflicht zu tun und seine Mitbürger vor dem nächsten Anschlag zu schützen.

Weder Jessica Bolzano noch Kevin Byrne sind Übermenschen oder gar Superhelden wie Spider-Man und Konsorten. Sie haben Familie, jeweils eine Tochter, um die sie sich sorgen. Es ist diese Eigenschaft als Eltern, die sie in die Lage versetzt, mit den jungen Frauen zu fühlen, die in den Badezimmerszenen des „Filmemachers“ unversehens zu dessen Opfern werden. Was erhofften sich die jungen Frauen? Wurden sie mit Chancen auf eine größere Filmrolle gelockt? Manche von ihnen haben schon in Sadomasopornos mitgespielt, findet Jessica heraus, und diese Erfahrung hat sie so fertiggemacht, dass sie Heroin nahmen, um darüber hinwegzukommen.

Vikki Lindström, die junge Frau mit dem von Matisse zerschnittenen Gesicht, kam mit 17 voller Hoffnungen vom platten Land in die große Stadt, um hier ihre Chance zu suchen. Natürlich als Model oder Schauspielerin. Stattdessen landete sie im Rotlichtbezierk in einem Massagesalon. Ihren Schicksalsgenossinnen erging es wesentlich schlechter, wenn sich Jessica die Werke des „Filmemachers“ oder einige Pornostreifen ansieht. Manchen flohen aber nicht vor der Armut, sondern wurden von ihren Eltern, die hohe Erwartungen hatten, dazu getrieben. In beiden Fällen wurden die Frauen um alles betrogen, was ihnen irgendetwas bedeutete. Und manchmal auch um ihr Leben.

Der mitunter tödliche Missbrauch für das Filmgeschäft, den der Autor in seinem Thriller auf verschiedenen Ebenen anprangert, ist für die Cops Anlass, ihrer Pflicht des Bürgerschutzes nachzukommen. Film als genehmigte und sogar glamouröse Form der Ausbeutung, aber wo ist die Grenze zur Realität? Der „Filmemacher“-Killer überschreitet sie vorsätzlich und immer brutaler. Das prangert den Zuschauer solcher Filme selbst an. Warum genießen wir Horrorfilme wie „Psycho“? Wo hat diese Lust am Horror-Sehen ihre legitime Grenze? Ist es die gleiche Grenze wie bei Killerspielen?

Der O-Titel lautet „The skin gods“ – die Könige der Haut, und gemeint sind Regisseure, die nackte Haut zeigen. „The skin trade“ heißt von jeher die Prostituition, und offenbar gehören für Amerikaner diese beiden Gewerbe ganz eng zusammen. Die Schnittmenge beider Gewerbe ist als Pornoindustrie bekannt, und sie setzte im Jahr 2006 weltweit rund 55 Milliarden Dollar um. Wo kommt das Geld her, wenn nicht von den Konsumenten? Gemeint sind damit nicht nur erwachsene Männer, die erwachsenen Frauen zusehen, sondern Personen jeden Alters, Berufs und Geschlechts, die sich bereits Bilder von missbrauchten Babys ansehen. (In einer Szene wird tatsächlich ein Baby entführt – und in einem Sarg vor laufender Kamera begraben.) Das ist der wahre Horror des „skin trade“.

Dass aus dem Filmgeschäft ganz schnell bitterer Ernst werden kann, muss Kevin Byrne am eigenen Leib erfahren. Seine geliebte Tochter Colleen wurde entführt, und er sieht sie erst in einem improvisierten Filmstudio wieder. Was wird Byrne tun, wozu ist er fähig?

|Der Sprecher|

Als ausgebildeter Schauspieler weiß Koeberlin seine Stimme wirkungsvoll einzusetzen und die Sätze deutlich und richtig betont zu lesen. Ihm gelingen ausgezeichnete Charakterisierungen, allerdings vor allem in den eher unwichtigen Nebenrollen. Während Byrne und Jessica ganz normal klingen und den Maßstab für Normalität setzen, dürfen Nebenfiguren schon mal ziemlich schräg und zwielichtig klingen. Da ist der Junkie, der sich als Grunge-Jünger aufführt und total heiser und geistesabwesend klingt. Da ist der Videothekenbesitzer, der einen auf harten Macho macht, aber damit bei den Cops gar nicht gut ankommt. Und schließlich ist da noch Detective Mateo Fuentes, dessen spanischen Akzent Koeberlin wundervoll charmant nachahmt, ohne es dabei mit der Machotour zu übertreiben.

Die Damen kommen allesamt sehr gut weg. Ihre Stimmen klingen durchweg weicher, sanfter, manchmal sogar verführerisch. Nur die Chefin eines weiblichen Opfers wird ein wenig übertrieben. Der Sprecher wird sehr emotional, und „ihre“ Stimme zittert tränenerstickt. Ansonsten wird dem Hörer jede Lautstärke zwischen Flüstern, Keuchen und Rufen bzw. Brüllen geboten. Eine der stärksten Szenen ist zweifellos Byrnes Folterung von Julian Matisse (merke: Byrne ist einer der ganz Harten). Hier darf Koeberlin seine ganze Schauspielkunst aufbieten.

_Unterm Strich_

„Mefisto“ dürfte in gleichem Maße wie schon „Crucifix“ die Freunde von blutigen und bizarren Thrillern wie „Sieben“ und [„Das Schweigen der Lämmer“ 354 ansprechen. Trotz der etwas aufgesetzt wirkenden Tötungsszenen und der verwirrenden Vielfalt an Hauptverdächtigen ist das Buch ein gut funktionierender und straff erzählter Copthriller, der allerdings einige falsche Fährten bereithält. Also nicht zu früh freuen!

Die Story zeichnet sich durch zwei plausibel und mit Tiefe gezeichnete Hauptfiguren aus, denen man gerne eine gemeinsame Zukunft wünschen würde, wenn, ja, wenn da nicht der böse Schurke wäre, den es in einem packenden Showdown zu bezwingen gilt. So kommt es zwar zu einem – mühsam erkämpften – Happyend, aber nicht zwischen Jessica und Byrne.

Das Hauptthema dieses Thrillers scheint mir Grenzübereitung, Transgression zu sein. Der „Filmemacher“ überschreitet die feine Linie zwischen Fiktion und Realität, wobei er blutige Szenen dreht. Und Kevin Byrne schreitet selbst zur Tat, um Julian Matisse das Handwerk zu legen. Dabei überschreitet er eindeutig die ihm als Polizisten auferlegten Beschränkungen, und am Schluss steht er dicht davor, den Haupttäter eigenhändig hinzurichten. Damit will der Autor belegen, wie wichtig Regeln und Grenzziehungen sind. Ohne sie brechen Amoral und Anarchie aus. Das wäre seiner Meinung nach das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen.

Der Sprecher gestaltet den Text zu einer spannenden, abwechslungsreichen und unterhaltsamen Lesung, indem er die vielfältigen darin auftretenden Figuren einigermaßen gut mit seinen stimmlichen Mitteln zu charakterisieren versteht.

|Originaltitel: The skin gods, 2006
Aus dem US-Englischen übersetzt von Karin Meddekis
390 Minuten auf 6 CDs|
http://www.luebbe-audio.de