James Patterson & Liza Marklund – The Postcard Killers / Letzter Gruß

Rom – Berlin – Stockholm … Ein kaltblütiges Killergespann mordet in europäischen Großstädten. Sie arrangieren die Leichen kunstvoll und brüsten sich mit ihrer Tat, indem sie Postkarten an ausgewählte Journalisten schicken. In Stockholm suchen sie sich dafür die junge schwedische Reporterin Dessie Larsson aus. Als der US-amerikanische Polizist Jacob Kanon, selbst Vater eines Opfers, Dessie zur Jagd auf die Mörder überredet, geht der blutige Wahnsinn in die nächste Runde … (korrigierte Verlagsinfo)

Diese Besprechung beruht auf der englischsprachigen Originalausgabe im Hardcover-Format. Die Übersetzung trägt den Titel „Letzter Gruß“.

Die Autoren

James Patterson, geboren 1947, war Kreativdirektor bei einer großen amerikanischen Werbeagentur. Seine Thriller um den Kriminalpsychologen Alex Cross machten ihn zu einem der erfolgreichsten Bestsellerautoren der Welt. Auch die Romane seiner packenden Thrillerserie um Detective Lindsay Boxer und den „Women´s Murder Club“ erreichen regelmäßig die Spitzenplätze der internationalen Bestsellerlisten. Nach Angaben von 2010 hat er über 200 Mio. Bücher verkauft. James Patterson lebt mit seiner Familie in Palm Beach und Westchester, N.Y.

Die Bestsellerautorin Liza Marklund, Jahrgang 1962, stammt aus Nordschweden. Bevor sie die Schriftstellerei zum Beruf machte, hat sie als Journalistin für verschiedene Zeitungen und Fernsehsender gearbeitet. Ihre preisgekrönten Romane machten sie innerhalb kürzester Zeit zum gefeierten Star. Sie hat nach Angaben von 2010 über 9 Mio. Bücher verkauft. Liza Marklund lebt mit ihrer Familie in Stockholm.

Handlung

Der New Yorker Polizist Jacob Kanon ist ihnen lange gefolgt, jenen zwei Killern, die ihre Taten jeweils mit einer Postkarte von ihrem „Urlaubsziel“ bei einer Zeitung ankündigen. Sie haben seine Tochter Kimmy und ihren Verlobten auf dem Gewissen. Das war in Rom. Und weil Jacob dem fröhlichen Paar die Europareise spendiert hat, hat er inzwischen einen enormen Schuldkomplex entwickelt. Er trinkt zuviel und wenn er soweit ist, hält er sich seinen Dienstrevolver an die Schläfe. Aber noch nicht, erst wenn er die beiden Killer zur Strecke gebracht hat, irgendwo auf diesem alten Kontinent.

Die Postkarte

Als er erfährt, dass eine schwedische Journalistin namens Dessie Larsson (Dessie steht für Desiree, eine schwedische Prinzessin des 19. Jahrhunderts) eine weitere Postkarte erhalten hat, fliegt er sofort in Schwedens Hauptstadt. Er weiß, dass als nächstes ein kurzer Brief kommen wird. Niemand weiß so viel über das Killerpaar wie er, und er ist überzeugt, dass dieses Spezialwissen weitere Morde verhindern könnte. Doch die schwedische Kripo ist anderer Meinung. Sie hat noch nicht einmal von der Mordserie erfahren. Eine gewisse Gabriella leitet zunächst die Ermittlungsarbeit, bevor eine Kommission gebildet werden muss. Jacob ahnt nicht, dass Gabriella die Exgeliebte von Dessie Larsson ist.

Dessie

Auch Dessie Larsson ist der Ansicht, dass sie das Ganze nichts angeht. Was ist schon eine Postkarte? Und außerdem betrachtet sie sich nicht einmal als Journalistin, denn sie liefert den „richtigen“ Reportern ihrer Zeitung „Aftonposten“ nur die Zusammenfassung von Rechercheergebnissen, also Zuarbeit. Ihre Doktorarbeit, an der sie seit zwei Jahren arbeiten soll, befasst sich mit der Psychologie und Soziologe von Kleinkriminellen. Wie sich zeigt, ist es genau dieses Wissen, das das Rätsel um die Postkartenmörder zu knacken hilft.

Der Penner

Als Jacob Kanon abends vor ihrer Wohnungstür in einem Altbau der Stadtbau steht, ist Dessie abgestoßen. Er sieht aus wie ein Penner aus der Gosse und riecht auch dementsprechend. Sie weiß noch nicht, dass er in der Jugendherberge nächtigt, die in einem ehemaligen Gefängnis untergebracht ist. So etwas wie private Duschen kennt man dort nicht. Das einzige, woran sie sich nach dieser ersten Begegnung erinnern kann, sind Jacobs strahlendblaue Augen – und sein Geruch.

Eindringling

Doch schon am nächsten Tag sieht sie ihn wieder. Er hat sich auf sie berufen und ist in die Redaktionsräume eingedrungen. Als Gabriella anruft, um den Fund von zwei Leichen in einer Ferienhütte auf den Schären zu melden, ist es Dessie, die eingeteilt wird – und sie nimmt Jacob mit. Eine gute Idee, wie sich herausstellt, denn der massive Geruch nach Blut, der aus dem Tatort – den sie sofort fotografiert hat – dringt, haut sie beinahe von den Beinen. Wäre ihr ehemaliger Gatte Krister noch bei, wäre er sofort in Ohnmacht gefallen. Gut, dass sie draußen auf dem lande aufgewachsen und schon einiges gewöhnt ist. Jacob hilft ihr, Haltung zu bewahren und stellt ein paar schlaue Fragen an die Forensiker vor Ort.

Der Tatort

So sieht sich Dessie später am Tag nicht nur in der Lage, einzigartige Fotos vom Tatort zu liefern, sondern auch dank Jacob wertvolle Hinweise zu liefern. Jetzt wird endlich eine Kommission eingerichtet, die sich vor dem Hintergrund der europaweiten Mordserie um den Doppelmord in den Schären kümmert. Natürlich bleibt es nicht bei einem Pärchen. Schon tags darauf, nachdem Dessie eine weitere Postkarte und einen Brief erhalten hat, findet man im Grand Hotel zwei weitere Leichen – gleiche Methode, gleiches Alter, ausgeraubt.

Ein Kunstprojekt?

Beim Vergleich der Leichenfotos kommt Dessie ein schrecklicher Verdacht. Sie fragt Jacob: „Sehen diese Leichen nicht irgendwie absichtlich hindrapiert aus?“ Tatsächlich. Und sie weiß auch, wo die Vorlagen hängen: die Mona Lisa, Munchs „Schrei“ – und ein Gemälde im Stockholmer Museum für moderne Kunst: „Der sterbende Dandy“. Aber was steckt dahinter?

Mein Eindruck

Dieser spannende Thriller mit eingebauter Romanze belegt erneut, warum Liza Marklund eine der führenden europäischen Kriminalautorinnen ist. Sie kennt die Redaktionen der Medien, die hier eine wichtige Rolle spielen, aus eigener Anschauung und Erfahrung. Ihre weibliche Hauptfigur Dessie verfügt nicht nur über einschlägige berufliche Kenntnisse in der Presse, sondern verfügt, wie ich immer wieder erfreut feststellte, über einen kompletten Lebenslauf. Dieser macht sie zur Außenseiterin – und zur Kritikerin der medialen Zustände in Schweden.

Die norrländische Perspektive

So wie sich Jacob Kanon in seinem 32. Revier (Harlem) in New York City auskennt, so ist auch Norrland für Dessie die Heimat. Nur dass Norrland quasi am Arsch der Welt liegt: Hier sagen sich Elch und Fuchs Gutenacht. Und es wird ein aussterbender Dialekt gesprochen, den man erstaunt im Text wiederfindet. Kein Wunder also, wenn die Gangster untereinander diesen Dialekt benutzen, um mit ihresgleichen zu kommunizieren – und mit Dessie.

Ist dieses Szenario schon ziemlich ironisch, so dient es doch als Hintergrund für einen actionreichen Showdown – vor dem nördlichsten IKEA-Laden Schwedens. Der steht direkt an der finnischen Grenze und man kann sich denken, dass die Nordfinnen, die die IKEA-Läden des Südens entbehren müssen, hier liebend gerne einkaufen gehen. Entsprechend schockiert sind sie, als hier blaue Bohnen durch die Gegend fliegen…

Medienfest

Aus dieser norrländischen Perspektive betrachtet, wirken die medialen Zustände in Stockholm nicht nur etwas skurril, sondern zunehmend auch absurd. Denn die beiden Hauptverdächtigen stellen sich den Polizeibehörden. Sylvia und Malcolm Rudolph nennen alle Anschuldigungen des Staatsanwalts völlig abwegig. Dies tun sie nicht nur im stillen Kämmerlein einer Gefängniszelle, sondern, in Ermangelung handfester Beweise, auch in aller Öffentlichkeit in einem der großen Hotels: Es ist ein Fest für die Pressehyänen.

Als die beiden Verdächtigen auch noch beginnen, Tränen zu vergießen, glänzen die Augen der TV-Gewaltigen vor Entzücken. Die Zuschauerzahlen gehen durch die Decke, die Auflage von „Aftonposten“ kostet ganze Wälder das Leben, im Internet glühen die Leitungen. Dessie fasst sich an den Kopf. Es ist kein Wunder, dass der Staatsanwalt nachgibt und die Verdächtigen freilässt.

SOLA

Nun schlägt Dessies Stunde. Zusammen mit Jacob muss sie zwei Theorien, die einander zu widersprechen scheinen, miteinander in Einklang bringen. Zum einen sind da die mutmaßlichen Serienmörder und – das ist ihr Spezialfach – Raubmörder, die ein spezifisches Verhaltensmuster aufweisen, das sie kennt. Zum anderen hat das alles irgendwie mit Kunst zu tun. Das belegen die drapierten Leichen ebenso wie die Erkenntnisse, die Jacob in Los Angeles erlangt hat. Schuld an allem scheint die „Society of Limitless Art“ zu sein. Diese SOLA existiert im Internet, doch der Zugang erfordert ein kniffliges Passwort. Durch die Webpräsenz können aber auch andere SOLA-Verfechter Morde begehen – das führt zu falschen Hinweisen. Die Spannung steigt noch einmal um mehrere Grade.

Mord als schöne Kunst

Nein, diese Morde, so erkennen unsere Ermittler, sind keine Kunst, die sich ein blasierter britischer Krimiautor oder gar ein Raymond Chandler (Die simple Kunst des Mordes“) ausgedacht haben. Dies ist Concept Art. Es ist also nicht das Objekt, sondern sein Kontext, auf den es ankommt. Schon ein öffentlicher Geschlechtsakt kann gemäß dieser aus dem frühen 20. Jahrhundert stammenden Theorie ein Kunstwerk sein, sofern die Akteure damit ein Tabu brechen. Der Begriff des Tabus ist zentral. Und was könnte für Lebende und vor allem Liebende ein größeres Tabu sein als ein vorzeitig herbeigeführter Tod? Alle Opfer der Mordserie waren jungen Liebespaare.

Werbung

Doch es gilt ein weiteres Gebot: „Murder must advertise“. Ein Mord muss bekanntgegeben werden, damit das „Kunst-Werk“ auch gebührend gewürdigt werden kann. Deshalb die Postkarten an zufällig ausgewählte Reporter wie Dessie, deshalb auch die höhnischen Briefe. Dieses raffinierte Katz-und-Maus-Spiel hält die Spannung durchweg hoch, führt den Leser und die Ermittler auf falsche Fährten und dreht doch allen eine lange Nase. Es kommt darauf an, sich nicht an der Nase herumführen zu lassen und die Killer als Kleinkriminelle zu betrachten. Und deshalb ahnt Dessie schon die nächsten Schritte: Sie führen zur finnischen Grenze.

Unterm Strich

Eines ist mal sicher: Ich werde eine bestimmte Sorte Augentropfen nie wieder mit den gleichen Augen betrachten. Diese spielen nämlich eine wichtige Rolle in der Betäubung der Opfer, der Liebespaare. Der Roman hat einen doppelten Boden. Den entdeckt aber nur, wer sich auch die Zeit nimmt, sich abseits der reinen Unterhaltung mit solchen Details zu beschäftigen. Tod und Kunst, Medien und Gier, Wahrheit im Abseits, Betriebsblindheit und politischer Wankelmut – sie alle finden sich im Verlauf der Handlung.

Häppchen als Belohnung

Ich habe nur zwei Tage für den Thriller gebraucht, denn die Marklund-basierte Story ist in die Patterson-übliche Form gepresst worden. Das heißt: ultrakurze Kapitel – es sind insgesamt 140 Stück! – verlocken dazu, immer noch ein klitzekleines, weiteres Häppchen zu konsumieren. Und aus dem einen kleinen Häppchen (das an einen gewissen Monty-Python-Sketch erinnert) wird auf einmal eine Strecke, 20, 50 oder 100 Seiten. Hinzukommen zwei sehr interessante Figuren, deren Lebensläufe detailliert ausgefeilt sind. Ob ihnen nach dem Finale ein Beisammensein beschieden ist, darf hier nicht verraten werden.

Sex als Herausforderung

Am meisten haben die Amazon-Reviewer – zumindest die weiblichen – anscheinend auch die beiden Sexszenen beeindruckt. Es dauert nämlich extrem lange, bis Dessie erkennt, dass kein anderer als der abgerissene Penner, den es aus New York City nach Stockholm verschlagen hat, ihr Traummann ist. Als es klickt, knallt es auch gleich richtig zwischen den beiden. Die Szene verläuft ziemlich ungewöhnlich. Aber es gibt noch eine weitere, und die scheint von den Reviewern unterschlagen zu werden. Dessie ist auf Liebesentzug, doch als Jacob mitten in der Nacht aus den USA zurückkehrt, fällt sie halbnackt über ihn her. Den Rest kann man sich denken.

Bemerkenswert ist auch die erotische Beziehung, die die beiden Serienmörder aneinanderkettet: Sie sind Bruder und Schwester. Es gibt einen Dom und einen Sub. Deshalb können sie sich aufeinander verlassen, und jede Charade durchziehen. Darin steckt aber auch eine falsche Fährte, und die wird Jacob um ein Haar zum Verhängnis.

Man sieht, der Thriller hält einige Herausforderungen bereit, ist für Jugendliche wenig geeignet, und die Spannung hält bis zum Showdown. Dass Thriller im Patterson-Format stets die einfachste Sprache verwenden, muss nicht heißen, dass auch die Handlung einfach ist. Ganz im Gegenteil.

Hardcover: 432 Seiten
Originaltitel: The Postcard Killers, 2010
ISBN-13: 978-0316089517

www.hachettebookgroup.com

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