Jussi Adler-Olsen – Schändung. Die Fasanentöter (Sonderdezernat Q. Fall 02 )

Nemesis der Superreichen

Ein Leichenfund in einem Sommerhaus in Rørvig. Zwei Geschwister sind 1987 brutal ermordet worden und sofort fällt der Verdacht auf eine Gruppe junger Schüler eines exklusiven Privatinternats, die für ihre Gewaltorgien bekannt sind. Einer von ihnen gesteht. Zwanzig Jahre später landet die Akte des Falls auf dem Tisch von Carl Mørck, im Sonderdezernat Q für ungelöste Fälle. Doch wer hat ein Interesse daran, die Geschichte noch einmal aufzurollen?

Zwanzig Jahre später. Als Carl Mørck aus dem Urlaub zurückkommt, stößt ihn sein Assistent Assad mit der Nase auf die verstaubte Rørvig-Akte. Doch von oberster Stelle werden ihnen weitere Ermittlungen verboten. Denn die Spuren führen hinauf bis in die höchsten Kreise der Gesellschaft, in die Welt der Aktienhändler, Reeder und Schönheitschirurgen. Und ganz nach unten …zu Kimmie, die ein Geheimnis mit sich trägt, welches drei Männern zum Verhängnis werden könnte. Die Treibjagd ist eröffnet … (Verlagsinfo)

Der Autor

Jussi Adler-Olsen wurde am 2. August 1950 unter dem bürgerlichen Namen Carl Valdemar Jussi Henry Adler-Olsen in Kopenhagen geboren. Er studierte Medizin, Soziologie, Politische Geschichte und Film und arbeitete anschließend in den verschiedensten Berufen. 1995 begann er mit dem Schreiben und landete bereits mit seinen ersten Büchern unter anderem in Schweden, Spanien und Südamerika auf den Bestsellerlisten, mit der Serie um das Sonderdezernat Q erlangte er seinen internationalen Durchbruch. Seine Bücher wurden in über 40 Länder verkauft.

In Deutschland kam Jussi Adler-Olsen mit dem ersten Fall für Carl Mørck, >ErbarmenFlaskepost fra PErlösungErbarmen< auf Platz 2 der besten Kriminalromane des Jahres 2010 aus aller Welt.

Die Romane von Jussi Adler-Olsen

Sonderdezernat Q

1) Erbarmen. Die Frau im Bunker
2) Schändung: Die Fasanentöter
3) Erlösung: Flaschenpost von P
4) Verachtung: Akte 64
5) Erwartung: Der Marco-Effekt
6) Verheißung
7) Selfies

Andere:

1) Das Alphabethaus
2) Das Washington-Dekret
3) Takeover
4) Miese kleine Morde

Handlung

Wie kommt die uralte Akte auf den Tisch von Carl Mørck im Sonderdezernat Q? Im Keller des Polizeipräsidiums angesiedelt, befasst sich Q zwar auftragsmäßig mit „alten ungelösten Fällen“, aber der Akte fehlt etwas Entscheidendes: Sie hat keinen Absender, niemanden, der für sie zuständig ist – und das nach rund 20 Jahren. Während Carl Mørck sie deswegen wieder schnellstens loswerden will, kümmert sich sein syrischer Assi Assad um die Sache: Nicht weniger als drei Dienststellen hatten mit dem Fall zu tun, und schon längst sitzt dafür ein Schuldiger hinter Gittern. Aber warum meldete er sich erst neun Jahre nach der Tat?

Die Tat, das ist ein blutiger Mord an einem Geschwisterpaar, der 1987 in einem Sommerhaus verübt wurde. Das Pikante daran: Es waren die Kinder des Kommissar Arne Jacobsen, der kurz danach Selbstmord beging. Jacobsens Witwe Marthe hat ein Hirntumor und erinnert sich nur bruchstückhaft an Ereignisse, so etwa daran, wie sich jemand diese Akte von ihr „auslieh“. Wer war das bloß? Aber sie hat noch einen Karton voll mit Zeitungsauschnitten zum Doppelmord. Und eine vehemente Anklage: gegen drei Spitzen der dänischen Gesellschaft namens Ditlev, Ulrik und Torsten. Der Verurteilte Björn? „Nur ein Bauernopfer“, meint sie.

Als Mørck und Assad das Sommerhaus mit einem leicht zu findenden Schlüssel öffnen, sieht es zwar muffig, aber aufgeräumt auf. Alle Blutspuren der Morde wurden vom CSI-Team und dem Besitzer beseitigt. Bis auf ein winziges Detail: das Trivial-Pursuit-Spiel, das die Geschwister gerade spielten, als die Killer eindrangen, ist – immer noch oder schon wieder – da, auf dem Tisch. Die Spielsteine sind halb gefüllt, die Spielkarten – ja, was ist mit denen? Als Carl Mørck sie aufdeckt, hat er den Namen des geheimen Aktenspenders vor Augen…

Kimmie

Kimmie lebt in einem kleinen Bahnhäuschen, obwohl sie zweifache Millionärin ist. Sie ist sehr vorsichtig in ihrem Umgang, denn sie weiß, sie wird gesucht. Aber auch sie ist auf der Suche, um Rache zu nehmen. Drei Männer namens Ditlev, Ulrik und Torsten haben bei ihr noch eine Rechnung offen und sollen dafür büßen. Nur mit Ratten-Lily, der Alki-Hure, unterhält sie sich noch in aller Öffentlichkeit. Und so erfährt sie, dass sie wieder gesucht wird – von Privatdetektiven. Jemand habe sie am Hauptbahnhof gesehen und gemeldet. Kimmie kann sich denken, an wen. Ditlev Pram hat seine Finger überall drin.

Sie beschließt, zum Gegenangriff überzugehen. Sie besitzt Handgranaten, eine Pistole, jede Menge Geld – und eine Menge Beweisstücke, die ihre Gegner belasten werden. Sie ahnt nicht, dass ihr in dieser Hinsicht ein gewisser Kommissar zuvorkommt…

Mein Eindruck

Auf eine recht simple Weise prangert der Autor die Neureichen in Dänemark, wie sie noch vor der globalen Finanzkrise 2008/2009 zu finden waren, für ihre rücksichtlose Skrupel- und Gewissenlosigkeit an. Ob sie nun seltene, geschützte Tiere importieren und bei exklusiven Jagden abknallen lassen; ob sie Wäscherinnen wie Sexsklavinnen benutzen; oder ob sie ahnungslose Sparer, die investieren wollen, bis aufs Blut schröpfen. Stets fehlt ihnen das Gewissen, das andere hindert, es ihnen gleichzutun: Hedonismus bis zum Anschlag.

Schreckensherrschaft

Dabei weilt der Schlimmste ihrer Clique nicht mehr unter ihnen. Für das Ableben von Kristian Wolf (nomen est omen) hat Kimmie gesorgt. Er war schon im Internat Anführer ihrer Gruppe, in der Kimmie ihre sexuellen Bedürfnisse erfüllte. Die Frau, die nun, nach fast 20 Jahren, als Nemesis auftritt, war nie ein Engel, ganz im Gegenteil: Sie war es ja, die die Opfer ihrer zufälligen Überfälle malträtierte bis sie ihre Verletzungen erlagen. Kimmie erinnert zwar stellenweise an Lisbeth Salander, doch sie ist ein befleckter Todesengel. In zahlreichen Rückblenden erfahren wir ihre ganze grausige Geschichte, bis zu jenem titelgebenden Ereignis, das in ihrem Leben eine Wende bedeutete.

Soziologie

Neben den zahlreichen spannenden Szenen unternimmt das Buch auch den Versuch, eine Soziologie der dänischen Oberschicht zu zeichnen und Erklärungen zu liefern. Vielfach war ich an das britische System der Elite-Internate erinnert. Dorthin schicken betuchte Eltern mit Macht, Geld und Einfluss ihre Sprösslinge, damit diese genau fies werden wie sie selbst. Wenn ein Kind auch nur im geringsten von dieser Norm abweicht, wird es gnadenlos verfolgt und niedergemacht. Ein Fuchs unter Wölfen? Das darf nicht sein. Eine Serie junger Todesopfer säumt den Weg der Clique. Ob dieser Erklärungsansatz plausibel ist, könnte nur ein Soziologe aus Dänemark erläutern, ich aber nicht.

Homo homini lupus

Kimmie ist ein gefallener Engel, sie ist in die Gosse gefallen, wo Wesen wie Ratten-Lili ihr Dasein im Schatten der Gesellschaft fristen. Die Drogensüchtige hält sich mit Prostitution auf den Beinen, aber als auch in ihrem Domizil ein neuer „Wolf“ auftaucht, sind ihre Tage gezählt. Diese dänische Gesellschaft kennt weder Gnade noch Solidarität, selbst wenn die Regierung das genaue Gegenteil verkündet. Auf der politischen Ebene haben die Entrepreneurs ihre korrupten Handlanger, die ihnen ausgeliefert sind. Denn wie in der Wirtschaft gilt es in der Politikbürokratie eine Stufenleiter der Karriere zu erklimmen und ja nicht herunterzufallen.

Showdown

Es dauert eine Weile, bis Carl Mørck & Co. Kimmie und ihrer Clique auf die Schliche kommen. Genau wie in der Verfilmung kommt es in einem der Anwesen zu einem ebenso grotesken wie explosiven Showdown. Ich war an Edgar Allan Poes Erzählungen „Hopp-Frosch“ erinnert: Drei Übeltäter im Käfig, der ihnen zum Verhängnis wird. Gut möglich, das sich der Autor von Poe hat inspirieren lassen.

Die Übersetzung

Die Übersetzung fand ich sehr gelungen, denn sie nutzt viele umgangssprachliche Wendungen, die die Figuren dem Leser näherbringen. Schade fand ich aber, dass das Buch keine Landkarte enthält. Da ständig irgendwelche Ortsnamen genannt werden, muss der Leser ständig im Internet nachschlagen, wo sich denn nun welche Insel oder Stadt befindet. Dänemark scheint nur aus Inseln zu bestehen – eine Folge des seit der letzten Eiszeit ständig gestiegenen Meeresspiegels. Leider gibt es ein paar Druckfehler.

S. 126: „…dann schrieb er, freilich ohne die Mi[e]ne allzu stark aufzudrücken“. Es handelt sich um eine Bleistiftmine. Das E ist überflüssig.

S. 224: „Mandanao“. Gemeint ist die Insel Mindanao, die zu den Philippinen gehört.

S. 391: „Yachthaf[t]en“: Das 2. T ist überflüssig.

Unterm Strich

Wie die meisten Rachegeschichten ist auch Kimmies Vergeltungsfeldzug eine moralische Geschichte. Obwohl sie früher Teil der Verbrechen war – und sogar die schlimmste Täterin -, ist sie doch durch die titelgebende Tat längst ebenfalls ein Opfer. Nur dies rechtfertigt ihre Handlungsweise, die weitere Opfer fordert, bis das Schuldkonto wieder ausgeglichen ist. Die Frage ist, ob sie bereit ist, den höchsten Preis zu zahlen, um Gerechtigkeit zu erreichen.

Diese Kusine von Lisbeth Salander führt ihren Feldzug im Auftrag ihres Schöpfers, des Autors. Er prangert gewisse Auswüchse der Oberschicht Dänemarks an, zu der natürlich auch das Königshaus zählt. Die Zeiten, in denen Königs ungeniert auf Elefantenjagd gehen konnten (wie König Juan Carlos), sind zum Glück vorbei. Aber es gibt ja noch genügend menschliches Wild zu jagen…

Liebe und Humor

Um diesen recht simplen Plot, der in Rückblenden ausgerollt wird, zu konterkarieren, ist das leben im Sonderdezernat und insbesondere im Leben des Carl Mørck besonders ironisch-humorvoll dargestellt. Er muss sich mit einem syrischen Assitenten herumschlagen, der erhebliche Schwierigkeiten mit der dänischen Sprache hat (hätte ich auch) und mit einer neuen Assistenten, die wie eine dunkle Pippi Langstrumpf auftritt.

Derweil schmachtet Carls Herz nach Mona Ibsen, seiner Psychotherapeutin. Er wäre schon längst zum Zug gekommen, würden ihm nicht dauernd karrieregeile Kollegen Prügel zwischen die Beine werfen. Er mag zwar ein Stinkstiefel sein (wie so viele Kommissare), aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck. In den folgenden Fällen muss er beweisen, was diese Kombination wert ist.

Taschenbuch: 460 Seiten
Originaltitel: Fasandraeberne, 2008
Aus dem Dänischen von Hannes Thiess
ISBN-13: Fasandraeberne, 2008;

www.dtv.de

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