Michael H. Rubin – Cottoncrest

Auf einer Plantage in den US-Südstaaten scheint ein Fluch zu liegen, der seit anderthalb Jahrhunderten immer neue Opfer fordert; die nüchterne Realität erklärt die Bluttaten als Folgen historischen Unrechts, wuchernder Rassismen und beleidigten Stolzes … – Handlung und Figurenzeichnungen sind simpel und ächzen unter dick aufgetragener Moral; was bleibt, ist ein mit „Southern-Gothic“-Elementen und Klischees angereicherter Historienroman, der immerhin rasant erzählt wird: zu viel guter Wille bei zu wenig Umsetzungsprägnanz.

Das geschieht:

Im Spätsommer des Jahres 1893 ist auch auf Cottoncrest, einer Zuckerrohr-Plantage im US-Südstaat Louisiana, die alte Pracht schäbig geworden, denn weiterhin liegt die Wirtschaft in den ehemals konföderierten Staaten am Boden. Selbst Großgrundbesitzern wie den Chastaines wird das Geld knapp, während die Pächter sich erst recht nach der Decke strecken müssen.

Die ‚Schuld‘ für die Misere suchen die weißen Bürger bei den ehemaligen Sklaven, die sich – nunmehr befreit – nicht mehr legal ausbeuten lassen. Doch das Gesetz wurde ausgehöhlt; den schwarzen ‚Mitbürgern‘ geht es nicht besser als vor dem Bürgerkrieg. Statt vor den Sklavenjägern müssen sie nun vor dem Ku-Klux-Klan zittern, der zwar verboten aber im Hinterland trotzdem stark und geduldet ist.

Seit sich General Chastaine, Erbauer von Cottoncrest, 1863 eine Kugel in den Schädel jagte, scheint ein Fluch über dem Anwesen zu liegen. Als nun Colonel Judge Augustine Chastaine, der Sohn des Generals, erst seiner jungen Gattin Rebecca die Kehle durchschneidet, um sich anschließend zu erschießen, wird dies von der abergläubischen Bevölkerung in und um das Städtchen Petit Rouge Parish als Bestätigung betrachtet. Doch Sheriff Jackson ist skeptisch; die Position der Leichen legt nahe, dass hier ein Mord vertuscht wurde.

Ins Visier sowohl des Gesetzes als auch des Klans gerät Jack Gold, ein jüdischer Immigrant, der als Händler oft zu Gast auf Cottoncrest war und die Dame des Hauses womöglich ein wenig zu intim kannte. Tee Ray Brady, Augustines von Hass und Neid zerfressener Neffe, sieht seine Stunde gekommen. Er bläst zur Jagd auf „Juden“ und „Nigger“, um im Strudel der ausbrechenden Gewalt Cottoncrest an sich zu reißen …

Der schwüle, faulige Süden

Viele Jahre blieb das Bild der US-amerikanischen Südstaaten nostalgieverbrämt. Filme wie „Vom Winde verweht“ (1939) konservierten das Bild einer versunkenen Epoche, die von schneidigen Kerlen und eleganten Frauen geprägt wurde, die in säulengesäumten Prachtvillen residierten, während Negersklaven im Haus und auf den Feldern die Drecksarbeit erledigten und dazu fröhlich sangen.

Es benötigte viel Zeit, bis jene hässliche Wahrheit offenbart wurde, die Historikern längst bekannt war: Der Reichtum einer winzigen weißen Minderheit basierte auf der systematischen Ausbeutung und Unterdrückung afroamerikanischer ‚Mitbürger‘, die nach dem Bürgerkrieg 1865 nur nominell befreit wurden. Weiterhin galten die „Nigger“ als Kaum-Menschen niederer Ordnung, die den Weißen gefälligst als Arbeitskräfte zu Diensten sein und ansonsten unsichtbar bleiben sollten.

Die gesetzlich vorgeschriebene Gleichberechtigung war ein Hohn; sie wurde ausgehöhlt oder einfach ignoriert, was umso einfacher war, je tiefer man im Hinterland lebte. Cottoncrest steht stellvertretend für einen Alltag, der ungeachtet der Übertreibungen und Verallgemeinerungen, die Autor Michael Rubin auf die Spitze treibt, kein Miteinander gestattete, sondern höchstens ein wachsames Nebeneinander. Unrecht und Gewalt gehörten zur allgegenwärtigen Diskriminierung, „denn was Recht war, war weiß, und wer weiß war, hatte recht“ (S. 200).

Im Morast gerechter Empörung & peinlicher Klischees

Als ob dieses Gemenge nicht explosiv genug wäre, fügt ihm Autor Rubin ein weiteres Reizthema zu. Seine Hauptfigur ist zwar weiß aber jüdischen Glaubens, was – glaubt man Rubin – Jack Gold zum natürlichen ‚Bruder‘ der schwarzen Bevölkerung macht, da für ‚die Weißen‘ Juden in den Südstaaten offensichtlich nur marginal höher standen als „die Nigger“. Falls dem so war, vermag Rubin die Ursachen dieses Vorurteils nie richtig zu ‚begründen‘. Während er die bösen Rassisten ständig inhaltsdummen aber leider bekannten Unflat über die schwarzen Mitbürger ergießen lässt, stützt sich die vehemente Ablehnung der Juden offenbar auf religiöse Motive – verwunderlich, da weder Bibel noch Kirche auf und um Cottoncrest von irgendeiner Bedeutung zu sein scheinen.

Wie gesagt mag Rubin, der sich tief in die Geschichte von Lousiana eingearbeitet hat, trotzdem richtig liegen. Dass der Leser zunehmend heftiger zum Kopfschütteln neigt, liegt an der ausgeprägten Schwarz-Weiß-Sicht des Verfassers. Dies ist kein dem Thema inhaltlich entsprechender Kalauer, sondern beschreibt eine Darstellung, die grotesk übersteigert gerade dort ins Lächerliche verzerrt wird, wo wahrscheinlich Dramatik Rubins eigentliches Ziel darstellte. Man möchte eine Mischung aus persönlicher Empörung und politisch korrekt enthüllter historischer Wahrheit dafür verantwortlich machen, da sonst nur schriftstellerische Mängel als Erklärung bleiben.

Figuren wie Tee Ray Brady sind unfreiwillig komisch, weil sie an einer Bosheit förmlich ersticken, die uns in dieser Vordergründigkeit seit Jahrzehnten seichte TV-Serien bieten. Brady soll nach Rubin als dämonischer, gleichermaßen böser wie intelligenter Schurke dem Mob, der gleichermaßen nach „Nigger-“ und Judenblut giert, ein Gesicht geben. Doch jede entsprechende Stimmung schlägt um, wenn Tee Ray vor dem Zubettgehen rasch noch seine ehegeknechtete Gattin zusammenschlägt, um am nächsten Morgen frisch & munter aus den Federn zu springen, um eine ‚Niggersiedlung‘ niederzubrennen; die Stunden bis zum nächsten Abend füllt er mit Prügeln, Morden und dem Schmieden absurder Pläne, die ihm das Sagen in seiner kleinen Welt sowie Cottoncrest sichern sollen.

Worum geht es hier bloß?

Umgekehrt sind alle farbigen Amerikaner Engel auf Erden. Sie ducken sich zwar, weil sonst die Knute auf ihre Häupter niedersaust, stecken aber voller Widerstand und warten auf die Stunde, in der friedliche Protest sich endlich auszahlt. Viel zu weit holt der Verfasser aus, wenn er Biografien für Figuren präsentiert, die für das Geschehen kaum von Bedeutung sind. In einem Anfang der 1960er Jahre spielenden zweiten Handlungsstrang geht Rubin lang & breit (aber wenig handlungsbezogen) auf den Kampf gegen die Rassentrennung und echte Gleichberechtigung ein. Eine dritte Ereignisebene spielt in der Gegenwart und setzt Rubins Seminar fort. Er benötigt diese Bühne auch deshalb, weil in der erzählten Geschichte irgendwo ein Rätsel steckt, dessen Aufklärung der Leser erwartet: Warum starben Judge Augustine und Rebecca Chastaine? Weiterhin möchte man natürlich wissen, ob Cottoncrest tatsächlich verflucht ist.

Leider kann Rubin beide Fragen nur lau beantworten. Nachdem Sheriff Jackson viele, viele Seiten ermittelt und der Verfasser die dabei zu Tage geförderten Indizien durch dunkle Andeutungen ergänzt hat, wird das Mysterium ebenso flach wie nebenbei gelüftet. Es geht Rubin allzu offensichtlich um seine Sicht auf historisches Unrecht, das des Marketings wegen in ein krimiähnliches Rätsel verpackt werden soll. Daher ist es kein Spoiler, wenn der Rezensent preisgibt, dass kein Fluch auf Cottoncrest liegt. Rubin setzt auf den Moment der Erkenntnis: Der Leser soll seine Erwartungen nicht auf mystisches Gemunkel setzen, sondern schockiert zur Kenntnis nehmen, dass sämtliche Gruseltaten auf menschlicher Bos- und Dummheit basieren! Das ist so, wie Rubin es hier präsentiert, eine Binsenweisheit. Generell hat der Debütautor seine Probleme mit einer stringenten Handlungsführung. Das Geschehen zerfällt in zahlreiche Episoden, die eher mühsam als logisch miteinander verknüpft werden. Im letzten Drittel verlagern sich die Ereignisse nach New Orleans; das den Buchtitel bestreitende Cottoncrest bleibt zurück und spielt keine Rolle mehr.

Guter Wille und ausführliche Recherche ersetzen weder Talent oder Erfahrung und eine gute Story. Die kann Rubin mit „Cottoncrest“ objektiv nicht liefern. Je länger man liest, desto mehr fesselt vor allem die Neugier, welches Klischee der Autor jetzt aus der Mottenkiste nehmen und zum Einsatz bringen wird. Das ist aber nicht der Stoff, aus dem „eine mitreißende Story, meisterhaft geschrieben“ oder ein „fesselnder Thriller, der universale Themen behandelt“ (Zitate = hohles Werbungs-Dröhnen auf der hinteren Einbandseite; übrigens müsste es „universell“ heißen) gestrickt ist.

Autor

Michael H. Rubin wurde am 13. Januar 1950 in Baton Rouge, US-Staat Lousiana, geboren, wo er heute – nach Jugend- und Studienjahren in New Orleans (1966-1977) wieder lebt und arbeitet – als Vollzeit-Jurist, der auch Jura lehrt. Wie es sich für einen Schriftsteller – zumal US-amerikanischer Herkunft – gehört, weist Rubins Laufbahn Brüche auf, die ihn jenseits raschelnder Gesetzestexte einen unkonventionellen Geist ausweisen sollen. Demnach hat sich Rubin u. a. als Jazz-Pianist im French Quarter von New Orleans sein Studiengeld verdient, und später war er als Ansager und Moderator für Radio und Fernsehen aktiv.

Nach und neben unzähligen Fachartikeln im Bereich Jura veröffentlichte Rubin 2014 „The Cottoncrest Curse“ als Romandebüt.

Taschenbuch: 415 Seiten
Originaltitel: The Cottoncrest Curse (Baton Rouge/Louisiana : Louisiana State University Press 2014)
Übersetzung: Karen Witthuhn
http://www.suhrkamp.de
www.mrubinbooks.com

E-Book: 2601 KB
ISBN-13: 978-3-518-74504-5
http://www.suhrkamp.de

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