Cooper, T – Lipshitz

So modern können Familiensagas sein: T Cooper schafft es in seinem Buch tatsächlich, einen Bogen von Charles Lindbergh zu Eminem zu schlagen. Sappalott! Wie macht er das?

Es beginnt damit, dass die jüdische Familie Lipshitz 1907 aus Russland nach Amerika auswandert und bei ihrer Ankunft auf Ellis Island den jüngsten Sohn Ruben verliert. Ruben, obwohl jüdischer Herkunft, ist ein Bengel mit blonden Locken, der eigentlich auffallen müsste, aber er bleibt verschwunden. Seine Familie beschließt, ohne ihn in den Süden zu ziehen, wo bereits der Bruder von Ehefrau Esther auf die Familie wartet.

Allmählich lebt sich die Familie in Amerika ein, auch wenn es ihr schwer fällt und Vater Ben sich mit vielen dreckigen Jobs herumschlagen muss. Trotzdem kann Esther Ruben nicht vergessen und fühlt sich schuldig für sein Verschwinden. Als sie eines Tages einen Bericht über Charles Lindbergh und seinen gewagten Flug über den Atlantik liest, steht für sie fest: Charles ist ihr verschwundener Ruben. Er sieht genauso aus und ist genauso alt. Sie probiert, Kontakt mit ihm aufzunehmen und wird den Rest ihres Lebens damit verbringen, Zeitungsausschnitte über Charles zu sammeln und ihm hinterherzuschmachten.

Dann passiert ein Zeitsprung und wir befinden uns im Jahr 2002. Der letzte Spross der Lipshitz, T Cooper, hat nur wenig Kontakt zu seiner Familie und verdient sein Geld in New York, indem er auf Bar-Mizwas als Eminem-Double auftritt. Eines Tages erreicht ihn die Nachricht, dass seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, und er muss zurück nach Amarillo, wo sich das Leben der Familie Lipshitz abgespielt hat …

Wissen wir noch alle, was eine Familiensaga wirklich ausmacht? Nun gut, wiederholen wir das lieber noch mal.

Wir haben ein Familiengeflecht namens Lipshitz, in dem jede Person ihren Platz hat und die meisten sogar ihr Kissen mitgebracht haben. Denn das muss man Cooper lassen. Er schafft es, seine Charaktere entspannt zwischen „recht normal“ und „leicht schräg“ zu balancieren. Esther zum Beispiel. Zuerst die treusorgende Familienmutter, bis ihr Wahn um Charles Lindbergh immer abstruser wird.

Zudem ist es sehr erfrischend, dass die Juden einmal nicht brav und Opfer der Geschichte sind, sondern wie ganz normale Menschen dargestellt werden. Das verleiht dem Buch eine erdige Authentizität.

Trotzdem vermisst man auf weiten Strecken Motive und Begründungen für bestimmte Verhaltensweisen, was leichte Fragezeichen in die Augen des Lesers zaubert. Zauber ist überhaupt das Stichwort, denn selbigen vermissen wir. Während es Familiensagas gibt, deren Inhalt zwar trocken ist, die man aber trotzdem nicht zur Seite legen kann, wirkt „Lipshitz“ oft entbehrlich. Das Buch entwickelt einfach nicht jenen Zauber, dieses den Leser umgarnende Netz aus alten Geschichten, das man oft in Büchern dieses Genres findet.

Zu diesem mittelprächtigen Ergebnis trägt auch der Schreibstil bei, der auf weiten Strecken nicht viel zu sagen hat. Es fehlt, vor allem im ersten Teil des Buches, an Einzigartigkeit. Ab und an schimmert ein wenig Humor durch, doch diese Stellen sind rar gesät, und so hinterlassen die ersten Jahrzehnte nur wenig Eindruck.

Wie auch? Nachdem man die ersten Jahre der Lipshitz‘ in Amarillo ausführlich behandelt hat, werden weitere Jahre in den Zeitraffer gestopft, was den Aufbau der Handlung aus dem Gleichgewicht bringt.

Was dann letztendlich für einen totalen Bruch sorgt, soll vermutlich auch einer sein. Wir machen einen riesigen Zeitsprung ins Jahr 2002 und statt der gewohnten, allgemeinen Perspektive erzählt T Cooper (Zitat: „Nicht ein Fitzel ist wahr, auch wenn einige Vorfälle stimmen, und andere auch, obwohl ich sie erfunden habe.“) aus der Ich-Perspektive in einem gänzlich anderen Schreibstil. Frech, sehr jung, kein Stück Familiensaga-mäßig und mit vielen (expliziten) Eminemzitaten angereichert, beschreibt der Autor die Reise seines literarischen Pendants nach Amarillo und den Scherbenhaufen Lipshitz, den er da vorfindet.

Nun, dieser zuerst verwirrend wirkende Schachzug einer totalen Zweiteilung des Buches sei ihm gegönnt, denn er tut dem Roman gut. Dumm nur, dass das bedeutet, dass der zweite, wesentlich kürzere Teil des Buches wesentlich besser erzählt und schöner geschrieben ist als der Rest. Ist das eine neue Form der Schizophrenie?

Im Großen und Ganzen hat Cooper einen Roman abgeliefert, der aufgrund seines Aufbaus aus dem Rahmen fällt, sich aber auf weiten Strecken eben an jene vorgegebene Rahmenmuster hält und sie manchmal noch nicht mal erfüllt. Trotzdem ist das Buch lesenswert, denn der letzte Teil und an manchen Stellen, nämlich dort, wo der Humor durchschimmert, auch der erste Teil sorgen für einige glänzende Momente.

http://www.marebuch.de

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