Simon Scarrow – Im Zeichen des Adlers

Das geschieht:

Für Gaius Julius Cäsar endete der Britannien-Feldzug des Jahres 54 v. Chr. mit einer doppelten Niederlage. Der spätere Herrscher des Römischen Imperiums wurde von den Inselbewohnern vertrieben. Im Tumult blieb eine riesige Truhe mit geraubten Schätzen zurück; sie konnte im letzten Augenblick versteckt werden.

Knapp einhundert Jahre später plant Imperator Claudius eine neue Invasion Britanniens. Außerpolitischer Erfolg tut Not, denn der Herrscher ist unbeliebt. Truppen werden in Gang gesetzt. Darunter befindet sich auch die in der germanischen Provinz stationierte Zweite Legion, genannt „Augusta“: fünfeinhalbtausend Männer, die zu den besten Soldaten des Reiches gehören.

Unter ihnen: Lucius Cornelius Macro, Befehlshaber der Sechsten Zenturie, und sein Stellvertreter Quintus Licinus Cato. Der junge Mann ist denkbar ungeeignet für das raue Militärdasein. Eigentlich ein Sklave, der am Hofe der Kaisers in Rom ein angenehmes Leben führte, wurde Cato von Claudius freigelassen – dies freilich unter der Bedingung, sich als Legionär bzw. kaiserlicher Spitzel zu verpflichten.

Das neue Leben ist hart aber Cato intelligent und zäh. Er verdient sich die Achtung seines Vorgesetzten, bis die Truppen Britannien tatsächlich erreichen. Längst hat sich herausgestellt, dass Verschwörer unter den hohen Offizieren sind, die den Sturz des Kaisers betreiben. Das Gold Cäsars käme ihnen recht, um den Staatsstreich zu finanzieren. Weniger erwünscht sind Zeugen, die den Verrätern auf die Schliche kommen könnten. Für den aufmerksamen Cato wird es gefährlich, als die Aufwiegler aufmerksam werden. Es gilt Kopf und Schwertarm gleichzeitig einzusetzen, um das nackte Leben zu erhalten, das Verschwörer wie aufständische Germanen und Kelten gleichermaßen zu verkürzen suchen …

Geheimagent im Dienst des Imperators

Das hatten wir nicht so häufig: den Thriller im Gewand des Historienromans. Natürlich gibt es den beliebten Marcus Didius Falco, geschaffen von Lindsey Davis, aber der ist Privatdetektiv und damit vom Fach, auch wenn er sich oft und ungern in politische Ränkespiele verwickelt sieht.

Quintus Licinus Cato ist dagegen ein im Agentenpoker völlig ungeübter Zeitgenosse. Zunächst bleibt der geheimdienstliche Aspekt der Geschichte ohnehin Nebensache. Ausführlich werden wir in den (militärischen) Alltag einer römischen Grenzgarnison in der Provinz eingeführt. Geschickt träufelt uns Autor Scarrow die für den Laien nicht immer einfachen historischen Fakten ins Hirn, indem er sie in eine spannende Handlung kleidet.

Dazu bedient er sich einer klaren, gar nicht historisierenden Sprache – sehr angenehm, denn dies ist eine Unsitte, die von vielen Schriftstellern gepflegt wird. Sie sind der irrigen Auffassung, es steigere die Qualität ihrer Werke, wenn sie ihre Figuren im Stil der heraufbeschworenen Zeit sprechen lassen. Dies schafft ohnehin nur der Fachmann, weshalb es sich meist schrecklich liest. Außerdem ist es überflüssig: Wieso einer fiktiven, primär auf Unterhaltung zielenden Handlung eine scheinbar reale Sprache überstülpen? Dass es problemlos möglich ist, Stimmung und Spannung der Vergangenheit mit den Worten der Gegenwart zu schaffen, macht Simon Scarrow (mit freundlicher Unterstützung des kundigen Übersetzers Norbert Stöbe) überzeugend deutlich.

Eine brutale, ganz normale Zeit

Einen ersten Höhepunkt bildet ein gut inszenierter Aufstand der Germanen (oder der „Hermänner“, wie Übersetzer Stöbe sie nennt – was stand da wohl im Original?), der den harten Alltag in der Grenzregion dieser Tage gut verdeutlicht. Überhaupt gibt es keinen Heroismus im römischen Militär. Profis gehen ihrem Handwerk nach. Grausamkeit aus heutiger Sicht gehört zum Geschäft und fällt nicht einmal denen als solche auf, die zu den Opfern gehören. Das Gesetz geht brutal vor, Terror zur Abschreckung und Folter sind üblich. Sklavenhaltung ist völlig normal, die römische Gesellschaftshierarchie ist auch für den freien Bürger streng und ungerecht.

Der Britannien-Feldzug wird aus der Sicht des gemeinen Soldaten geschildert. So bleibt auch hier wenig übrig vom angeblichen Glanz des in die Geschichtsbücher eingegangenen Unternehmens. Das glorreiche Riesenheer der Invasoren löst Scarrow in Individuen auf, die teils wenig begeistert sind und teils unbeteiligt bleiben: Die Unterwerfung eines ganzen Landes ist halt einer von vielen Jobs des aktiven Soldaten, der sich auf 25 Jahre verpflichtet hat – eine sehr realistische Haltung.

Mit dem Fortgang der Geschichte wird das Verschwörungs-Element stärker. Scarrow leitet es aus der historischen Realität ab: Claudius wäre in der Tat nicht der erste Kaiser gewesen, der von Rivalen zu Fall gebracht wurde, die mit viel Geld das Militär des Reiches auf ihre Seite zogen. Die unerhörte Macht der Legionen konnte sich bei Unzufriedenheit leicht gegen den Herrscher wenden. Claudius‘ Vorgänger Caligula hatte das erfahren müssen, als ihn im Jahre 41 n. Chr. die eigene Prätorianer-Garde ins Jenseits beförderte.

Krieg als Ablenkung

Ohnehin stellt Scarrow den Britannien-Feldzug als politische Tat dar. Angezettelt wird er von Männern, die propagandistischen Nutzen daraus ziehen wollen. Nüchtern betrachtet ist dem Zenturio Macro Recht zu geben: Das römische Reich braucht keine neue Provinz im kalten, kriegerischen, armen Nordwesten der bewohnten Welt. Eroberer-Ruhm macht sich aber gut, wenn man in Rom Karriere machen will. Dazu passt das düstere Finale, in dem sich der bereits entlarvte Verräter aus der Falle winden und sein unheilvolles Wirken unbestraft fortsetzen kann. Dem kleinen Mann – hier dem Legionär – bleibt mit viel Glück wieder einmal nur das nackte Leben.

Allerdings zeigen Quintus Licinus Cato und Lucius Cornelius Macro diesbezüglich enorme Steherqualitäten. Sie sind Meister und Schüler, wobei die Rollen oft wechseln. Der kluge und mutige aber in der rauen Militärwelt völlig hilflose Ex-Sklave und der Soldaten-Veteran, der auf dem glatten Parkett der Offiziersbühne ins Stolpern gerät und einen Führer in die auf ihre Weise ebenso gnadenlose Welt der gesellschaftlichen Elite benötigt, ergänzen sich vortrefflich.

Wie es sich gehört, sind sie von Herkunft, Bildung und Wesen völlig verschieden, was ihre allmählichen Annäherung, die soweit einer Freundschaft ähnelt, wie es die rigorosen Sitten ihrer Zeit möglich machen, den Leser doppelt interessiert. Scarrow selbst spricht die Verwandtschaft zum „Traumpaar“ Captain Aubrey/Dr. Maturin, den Helden der legendären Marine-Saga von Patrick O’Brian, an.

Die fremden Seiten der Vergangenheit

Er ist zunächst ein naiver Zeitgenosse, dieser Cato. Das ist nicht gespielt, wie seine verhängnisvollen amourösen Abenteuer beweisen; schließlich ist er gerade 17 Jahre alt. Was uns zu den beiden weiblichen Hauptrollen bringt. Im Römerreich hätte sich die emanzipierte Frau von Heute herzlich unwohl gefühlt. Gleichwohl gab es Entfaltungsmöglichkeiten – wie immer und überall primär dann, wenn man reich war. Vespasians Gattin Flavia – die an der Seite des Gemahls schließlich zur Kaiserin aufsteigen sollte, aber das ist eine andere Geschichte – ist zwar ‚nur‘ die Gattin des Legionsherrn aber in ihrem Reich eine wahre Politikerin, die viel Spielraum für Intrigen und Karriereplanung besitzt und diesen auch einzusetzen weiß.

Lavinia, die Sklavin, fällt durch die völlige Weigerung auf, gegen ihr Schicksal aufzubegehren, wie es im ‚normalen‘ Historienroman ihre Pflicht wäre. Sklaverei ist schließlich schlecht, so lautet die politisch korrekte Haltung. Aber Scarrow geht auch hier nicht den bequemen Weg: Sklaverei – zumal bei Hofe – konnte im antiken Rom auch ein behütetes, behagliches Leben bedeuten, wenn man sich in seine Rolle fügte. Verglichen mit dem Dasein eines Legionärs führen selbst die Sänftensklaven des kaiserlichen Stellvertreters ein privilegiertes Leben, was diese den Soldaten gern unter die Nasen reiben.

Aufstieg und Freiheit sind durchaus möglich: Narcissus, des Kaisers rechte Hand, ist ein Ex-Sklave. Als Realist nutzt er Status und Stellung, um sich unentbehrlich und selbst Karriere zu machen. Keinen Augenblick denkt er daran, sich für Roms Sklaven einzusetzen: Narcissus ist ein systemkonformes Kind seiner Zeit; er hat sich freischwimmen können und wirft keinen Blick zurück.

So handfest und damit realitätsbezogen lässt Scarrow alle Figuren denken und handeln. Er baut ein stabiles Fundament, auf dem er in den nächsten Jahren ein eigenes Franchise errichtete: Jährlich setzt er die „Rom“-Serie mit einem neuen Band fort. Darüber hinaus arbeitet er inzwischen mit dem ehemaligen Ghostwriter TJ Andrews zusammen, der Scarrows römische Welt mit eigenen Figuren und Abenteuern bereichern, wobei hin und wieder Prominenz der Hauptserie eine Stippvisite macht.

Autor

Simon Scarrow wurde 1962 im gerade unabhängig gewordenen Nigeria geboren. Mit seinen Eltern zog er durch die Welt, bis die Familie sich in England niederließ. Nach seinem Schulabschluss ging Scarrow in den öffentlichen Dienst, begann jedoch nach zwei Jahren ein Geschichtsstudium. Anschließend lehrte er dieses Fach in Norfolk.

Parallel zu seiner akademischen Laufbahn begann Scarrow zu schreiben. Er spezialisierte sich auf historische Stoffe. Den Durchbruch brachte ihm die 2000 begonnene Serie um die ungleichen Gefährten Quintus Licinus Cato und Lucius Cornelius Macro, die im Römischen Imperium des ersten nachchristlichen Jahrhunderts geheimagentähnliche Aufgaben übernehmen.

Seit 2005 ist Scarrow hauptberuflicher Schriftsteller. Parallel zur genannten Serie begann er die „Revolution“-Reihe, die im 18. Jahrhundert spielt und den Aufstieg der späteren Kriegsgegner Napoleon Bonaparte und Arthur Wellesley, 1. Duke of Wellington, thematisiert.

Mit seiner Familie lebt Simon Scarrow weiterhin in der ostenglischen Stadt Norfolk.

Website

Die „Rom“-Serie:

(2000) Im Zeichen des Adlers (Unter the Eagle) – Blanvalet TB 38054
(2002) Im Auftrag des Adlers (The Eagle’s Conquest) – Blanvalet TB 38070
(2002) Der Zorn des Adlers (When the Eagle Hunts) – Blanvalet TB 38158
(2003) Die Brüder des Adlers (The Eagle and the Wolves) – Blanvalet TB 38272
(2004) Die Beute des Adlers (The Eagle’s Prey) – Heyne TB 47118
(2005) Die Prophezeiung der Adler (The Eagle’s Prophecy) – Heyne TB 47119
(2006) Die Jagd des Adlers (The Eagle in the Sand/The Zealot) – Heyne TB 47120
(2007) Centurio (Centurion) – Heyne TB 43505
(2007) Gladiator (The Gladiator) – Heyne TB 43506
(2009) Die Legion (The Legion) – Heyne TB 43620
(2011) Die Garde (Praetorian) – Heyne TB 43621
(2013) Die Blutkrähen (The Blood Crows) – Heyne TB 47121
(2014) Brothers in Blood (noch kein dt. Titel)

Taschenbuch: 413 Seiten
Originaltitel: Under the Eagle (London : Headline Book Publishing 2000)
Übersetzung: Norbert Stöbe
http://www.randomhouse.de/blanvalet

eBook: 590 KB
ISBN-13: 978-3-641-07895-9
http://www.randomhouse.de/eBook

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