Paul Shipton – Die Wanze. Ein Insektenkrimi

Stilecht: Der Schnüffler und die Revolution im Garten

Wanze Muldoon, so lautet der Name des Käfers, ist von Beruf Privatdetektiv. Als er den Auftrag erhält, eine Gruppe separatistischer Ameisen, die den gesamten Ameisenstaat in Aufruhr versetzt, ausfindig zu machen, muss er seinen ganzen detektivischen Spürsinn aufbieten. Dabei stößt er auf geheime Verbindungen zwischen den Ameisen und Wespen. Spätestens jetzt weiß Wanze Muldoon, dass diesem Garten und den dort lebenden Insekten große Gefahr droht. (Verlagsinfo)

Das Buch eignet sich für Kinder ab acht oder neun Jahren.

Der Autor

Paul Shipton, aufgewachsen in Manchester, hat mehrere Jahre als Englischlehrer und Lektor für Schulbücher gearbeitet. Nach einem langen Aufenthalt in den USA lebt er heute wieder als Autor in Großbritannien. (Verlagsinfo)

1) Die Wanze
2) Heiße Spur in Dixie’s Bar
3) Schwein gehabt, Zeus!
4) Ein Schwein rettet die Welt

Der Illustrator

Axel Scheffler, geboren 1957, lebt als freischaffender Illustrator in London. Er hat bereits viele Kinder- und Bilderbücher illustriert. (Verlagsinfo)

Der Übersetzer

Andreas Steinhöfel, 1962 geboren, studierte in Marburg Anglistik, Amerikanistik und Medienwissenschaften. Er arbeitet als Übersetzer, schreibt Drehbücher und rezensiert Jugendliteratur für die FAZ und DIE ZEIT. Vor allem ist er Autor zahlreicher, national und international ausgezeichneter Kinder- und Jugendbücher. (Verlagsinfo)

Handlung

Muldoon ist ein Käfer, und warum er den Spitznamen „Wanze“ trägt, ist eine ganz intime Geschichte. Aber er ist ein fähiger Privatdetektiv, ein Plattfuß, wie er im Buch steht, und lebt in einem großen Garten, der halb gepflegt, halb wild ist. Als sich zwei Ohrenkneifer an ihn wenden, damit er ihren veschwundenen Bruder Eddie findet, beginnt für ihn ein vertrackter Fall, der ihn in Lebensgefahr bringt.

Der Informant

Sein bester Informant ist Jake, die Stubenfliege. Leider ist Jake gerade mal wieder auf Zuckerentzug und so stottert er nur, was er weiß und beobachtet hat. Eddie sei zur Wiese unterwegs gewesen, um die Große Freiheit zu genießen. Merkwürdig ist aber, dass er zuletzt beim Komposthaufen auf der entgegengesetzten Seite des Gartens gesehen wurde. Und dort lebt die todbringende Spinne, der jeder aus dem Weg geht, der noch bei Verstand ist.

Dixie’s Bar war bislang immer eine gute Informationsquelle. Ein Weberknecht legt eine flotte Sohle hin, und Muldoon genemigt sich einen Drink. Plötzlich kommt Unruhe in den Schuppen: Zwei Ameisensoldaten verlangen, dass Muldoon sie begleitet. Schade, dass Ameisen so wenig Humor haben. Er muss ihnen in ihr Nest folgen. Dort empfängt ihn die Ameisenkönigin höchstpersönlich, bewacht von General Krag. Die Lady beauftragt den Käfer damit, ein paar abweichlerische Ameisen ausfindig zu machen: Sie hätten individualistische Anwandlungen an den Tag gelegt. Dass General Krag sie nicht entdecken konnte, spricht nicht gerade für ihn.

Auf der Lauer

Mit der Reporterin Wilma, einer echt coolen Grashüpferin, legt sich unser Plattfuß auf die Lauer. Einem Tip Jakes folgend hängt er über einer Hortensie rum. Tatsächlich: Da erscheinen Ameisen und sie drücken sich künstlerisch individuell aus – hat man so was schon gesehn?! Zuletzt erscheint jene Ameise, auf die ihn Krag aufmerksam gemacht hat: Clarissa. Sie erweist sich als begnadete Sängerin. Ihr Lied rührt selbst einen hartgesottenen Schnüffler wie Wanze Muldoon.

Während Wilma der Ameise Leopold folgt, setzt er sich auf die Fährte der jungen Clarissa. Dabei kommt er den Wespen in die Quere, die Jagd auf Clarissa machen. Er nimmt ein unfreiwilliges Bad im Teich, der voller gieriger Fische ist. Er fragt sich, ob er je das Rätsel lösen können wird, was die Wespen mit den Ameisen zu tun haben? Die beiden Spezies sind normalerweise Todfeinde, haben aber im Garten einen Waffenstillstand geschlossen. Warum jagen die Wespen auf einmal Individualisten?

Der Schnüffler ahnt, dass in der Welt des Gartens etwas Größeres im Gange ist, als er ahnt. Aber erst einmal muss er dem Angriff eines Karpfens entkommen…

Mein Eindruck

Die Handlung dieses Detektivromans ist in astreiner klassischer Manier erzählt, wie der Kenner sie bei Raymond Chandler und Dashiell Hammett zu schätzen gelernt hat. Der held ist ein weltgewandter Single-Bursche, natürlich mit einem Herz aus Gold. Wie in den Klassikern wie „Der Malteser Falke“ oder „Der lange Schlaf“ wird der Fall immer größer und größer, bis schließlich wirklich die gesamte Welt, die der Held kennt, auf dem Spiel steht.

Das Milieu ist hier wie in den Krimis von größer Bedeutung – und das besondere Merkmal des Romans. Die Bewohner des Gartens hinter dem Haus sind in erster Linie Insekten. Und darunter gibt es jede Menge schräge Typen wie etwa Jake, die Stubenfliege, oder Billy, die Raupe. Aber auch die beiden Regenwürmer Dex und Dax sorgen für eine eindrucksvolle Szene, weil sie immer genau wissen, was der andere denkt und dessen Sätze vervollständigen – sie sind mehr als eineiige Zwillinge, sie sind die zwei Reste einer Teilung durch einen Spaten. Der Garten ist eben eine Welt voller Gefahren.

Revoluzzer-Ameisen

Dass der Mensch und seine Eingriffe in die Gartenwelt keine sonderlich wohltätige Rolle spielen, zeichnet sich spätestens dann ab, als Muldoon herauszufinden versucht, wie es zu einer solchen Normabweichung wie den individualistischen Ameisen kommen konnte: Sie wurden Opfer eines chemischen Sprühmittels, das der Besitzer einsetzte. Jetzt sind sie quasi Mutanten in ihrer eigenen Welt und müssen sich tarnen, wollen sie nicht von Krag und seinen Schergen „terminiert“ werden.

Individualismus versus Gruppenzwang – das ist eine der philosophischen Fragestellungen, mit denen sich der unterhaltsame Krimi beschäftigt. Am Schluss ist zu klären, ob selbst ein so streng reglementierter Staat wie der der Ameisen Platz für Individualisten hat oder nicht. Die Antwort entscheidet über Tod oder Leben – und sie darf hier nicht verraten werden.

Die fünfte Kolonne

Doch warum machen ausgerechnet die Wespen, die bisherigen Todfeinde der Ameisen, jetzt gemeinsame Sache mit ihnen – beziehungsweise mit General Krag? Sie haben einen gemeinsamen Revolutionsplan. Mit einer neuen Königin, die bereits im Verborgenen lebt, will Krag erst das Ameisennest übernehmen und dann zusammen mit den Wespen und der großen Spinne den Rest des Gartens. Ein simpler Plan, ein guter Plan, ein grandioser Plan – aber wird er funktionieren? Da haben doch Wanze Muldoon und seine Freunde noch ein gewichtiges Wörtchen mitzureden!

Das Finale besteht in zwei unerwarteten Schlachten, die so nicht im Drehbuch für einen Detektivkrimi klassischen Zuschnitts stehen. Aber dafür liefern die Konfrontationen jede Menge Action – und auch einige Überraschungen für unseren Helden selbst, der über sich hinauswächst.

Die Übersetzung

Dass ein erfahrener Autor wie Andreas Steinhöfel hier am Werk war, macht sich positiv bemerkbar. Der Stil passt zu den klassischen Krimivorbildern, aber ohne zu cool und kaltblütig zu wirken. Der einzige Fehler ist wohl ein Druckfehler:

S. 102: „sie schlurfen ihn (den Nektar) auf“. Der Ausdruck „Schlürfen“ wäre korrekt und wird auch eine Seite weiter so verwendet.

Unterm Strich

Ich habe das im Großdruck vorliegende und mit Zeichnungen von Axel Scheffler versehene Kinderbuch in wenigen Stunden genossen. Jedes Kapitel bringt entweder neue Informationen oder eine unerwartete Wendung. Dabei können Cliffhanger wie etwa die Sache im Karpfenteich nicht ausbleiben.

Für Spannung ist ebenso gesorgt wie für leise ironischen Humor. Nur etwas mehr Romantik zwischen dem Helden und Clarissa hätte ich mir gewünscht. Andererseits können Käfer wahrscheinlich mit Ameisen wenig anfrangen, und seien diese noch so individualistisch.

Der Autor, der sein Buch zuerst in Oxford veröffentlichen ließ, singt das hohe Lied auf den Individualismus. Allerdings ist er nicht blind für die Schattenseite des Einzelgängertums: General Krag verkörpert den egoistischen Ehrgeizling, der den Umsturz betreibt. Dadurch stellt er sich gegen das Wohl des Nests, dem sich alle anderen Ameisen unterordnen.

Alle? Da gibt es ein paar Individualisten, die durchaus einen wertvollen Beitrag für den Erhalt des Nests leisten. Übertragen auf die menschliche Gesellschaft ergeben sich ein paar einfache, positive Aussagen. Für Kinder ab acht oder neun Jahren ist dies eine wertvolle Lehre. Zusammen mit der vielfältigen Fauna des Gartens lernen junge Leser also auf unterhaltsame Weise, wie und warum es sinnvoll ist, dass Angehörige eines Gemeinwesens Unterschiede aufweisen.

Dabei lässt der Autor die Frage nach der Motivation des Helden in seinem Buch nicht offen. Vielmehr bilden Frage und Antwort darauf die Klammer, den Spannungsbogen, der den Roman zusammenhält. Muldoon will und muss dem kleinen Billy, der Raupe, die Chance geben (und erkämpfen), sich eines Tages in einen schönen Schmetterling zu verwandeln. Er kämpft also nicht für sich, sondern für die Zukunftschance anderer. Das könnte sich so manches von uns Menschenwesen hinter die Ohren schreiben.

Taschenbuch: 189 Seiten
Originaltitel: Bug Muldoon, 1995
Aus dem Englischen von Andreas Steinhöfel
ISBN-13: 978-3596147823

www.fischerverlage.de

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