Mario Puzo – Der Pate

Wer wäre geeigneter – quasi als (selbsternanntes) Volkes schlechtes, literarisches Gewissen -, den heiligen Zorn des Blätterwaldes zu entfesseln? Richtig. Die Zeitung mit den vier großen Buchstaben. Okay, diese Idee hatte ursprünglich die |Süddeutsche Zeitung|, der |Springer|-Verlag hat also wie üblich ein erprobtes Erfolgsrezept nur nachgeäfft. In Zusammenarbeit mit dem nicht nur namentlich verwandt-verschwägerten Augsburger |Weltbild|-Verlag erschien die |BILD Bestseller-Bibliothek|. „Der Pate“ ist Band 1 und kostet (wie alle anderen Titel der Reihe auch) moderate 4,99 €.

„Der Pate“ ist ein klassisches Beispiel für’s Nichtlesen. Die Film-Trilogie von Francis Ford Coppola kennt fast jeder. Viele Zitate daraus sind nicht mehr wegzudenken („Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann …“). Der zugrunde liegende Roman von Mario Puzo hingegen fristet – wenn überhaupt – allenfalls ein Alibidasein im Regal. Womöglich sogar unangetastet. An Letzterem dürfte auch der Kampfpreis des Reprints nicht viel ändern, denn einen Willen zum Lesen kann man nicht kaufen. Unwiderstehliches Angebot hin oder her.

_Zur Story_

Vito Antonini ist grade zwölf Jahre alt, als seine Verwandten ihn aus Sizilien herausschmuggeln, da sein Leben dort wegen einer grausamen Mafia-Fehde auf dem Spiel steht. Unter dem Namen Vito Corleone (dem Namen seines Heimatdorfes) immigriert er in die USA. Der bislang kreuzbrave, fleißige und hochintelligente Vito hat sein kriminelles Coming-out erst relativ spät. Dann nämlich, als er mit Mitte zwanzig auf die beiden Gelegenheitsgauner Tessio und Clemenza trifft, mit denen er kleine aber einträgliche Raubzüge unternimmt. Zunächst gewaltfrei und aus reiner Not heraus, weil er kürzlich unverschuldet seinen Job verlor und irgendwie seine Familie ernähren muss. Dann begeht er seinen ersten, kaltblütig berechneten Mord am großkotzigen, lokalen Möchtegern-Paten des Italiener-Viertels, in dem er wohnt. Tyrannenmord.

Damit wird eine verhängnisvolle Kausalkette in Gang gesetzt, die sich über zwei Generationen der ehrenwerten Corleone-Familie ziehen soll. Zu diesem Zeitpunkt jedoch ahnt noch niemand – nicht mal er selbst – ,dass er es einmal zum Oberhaupt einer der mächtigsten sizilianischen Gangster-Familien in und außerhalb New Yorks bringen wird. Ein geschickter Strippenzieher und Intrigant hinter den Kulissen, die eine gierige Hand in Prostitution und Glücksspiel, die andere hat mehr oder weniger einflussreiche Entscheidungsträger bei Gewerkschaften, Justiz und Politik im festen Würgegriff. Der lange Arm der Cosa Nostra reicht bis hinunter zum kleinen Straßenpolizisten. Als zwei der fünf großen Familien New Yorks in Drogen machen wollen, droht durch die Weigerung des Dons, sich an diesem „dreckigen“ Geschäft zu beteiligen, ein gnadenloser Bandenkrieg.

_Meinung_

Puzo gliedert seine Familiensaga in einzelne Bücher und bleibt dabei hauptsächlich chronologisch, gelegentlich weicht er jedoch von dieser linearen Struktur ab, dann aber gleich kapitelweise. Bestes – und ausführlichstes – Beispiel hierfür ist der Handlungsstrang des Exils des jüngsten Sohnes Michael Corleone in Sizilien. Es bereitet keine Probleme, dieser Erzählweise zu folgen, und auch wenn man als Leser bereits mehr weiß als die Figuren, so leidet die Spannung darunter nicht; es ist ein legitimes Stilmittel, Zeitlinien sich überschneiden zu lassen. Im Unterschied zu Coppolas Verfilmung endet das Buch wesentlich früher, Kenner des Films werden also über das abrupte und moralisch sicher diskussionswürdige Ende eventuell etwas enttäuscht sein.

Bis auf die wenigen Hauptfiguren bleiben die meisten Support-Charaktere leider allesamt etwas blass und bloße Abziehbilder. Hilfreich ist die Kenntnis der Film-Trilogie, dann haben alle Handelnden auch gleich ein Gesicht, auch wenn sich ihre Beschreibung zum Teil von der Filmversion frappant unterscheidet. Wer die Filme gesehen hat, wird auch eine ganze Menge lieb gewonnene Szenen eins-zu-eins wiederfinden, einiges hingegen läuft anders ab. Stellenweise sogar ganz anders. Wobei – man staune – die Filmvariante gegenüber dem geschriebenen Wort schlüssiger und griffiger ist.

Manche Nebenhandlung ist erheblich detaillierter ausgestaltet, als es ihrer Bedeutung in der Rahmenhandlung zukommt. Figuren werden vorgestellt, deutlicher charakterisiert und der Strang entpuppt sich nach all dem Brimborium darum im Endeffekt als recht totes Gleis. Beispiele hierfür sind etwa die ellenlangen – durchaus unterhaltsamen – Kapitel um Johnny Fontane und Lucy Mancini, deren Fäden später zwar tatsächlich zusammenlaufen. sich aber letztendlich im Prinzip als herzlich irrelevant für den Fortgang der eigentlichen Story entpuppen. Füllmaterial eben. Davon gibt es leider mehr als genug.

Wiederholungen sind auch ein Manko. So scheint Puzo Gefallen an einigen besonderen Floskeln und Ausdrücken zu haben. Etwa das „derbe Puttengesicht“ mit dem „sinnlichen Amorbogen seiner Lippen“ bei Santino Corleone. Auch das „Frettchengesicht“ steht bei Puzo offensichtlich hoch im Kurs und wird dementsprechend gern und häufig wiederholt. Ganz zu schweigen von den immer wieder verwendeten Worten im sizilianisch gefärbten Slang, dessen absichtlich kursiv hervorgehobene Schreibweise sie immerhin als feststehende Begriffe kennzeichnet – deren Bedeutung aber oftmals nicht erklärt wird.

Sprachlich ist „Der Pate“ brav, ja fast schon zu brav. Vulgär wird Puzo zu keiner Zeit. Wiewohl fast permanent gesoffen, gepoppt und/oder gekillt wird (meist auch noch in ebendieser Reihenfolge), liest sich das für das moderne Publikum eher wie ein mafiöser Sonntagsspaziergang. Bei der Erstveröffentlichung 1969 mag manches davon noch drastisch und schockierend geklungen haben – heute ist man auf dem Unterhaltungssektor ganz andere Kaliber gewohnt.

_Fazit_

Das Ganze liest sich flott und flüssig weg, da alles durchaus glaubhaft klingt. Allerdings präsentiert sich die Romanform des Paten handlungsmäßig unausgewogen, streckenweise langatmig und sprachlich nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Da hat Coppola in seiner Film-Trilogie die bessere Zusammensetzung und Pace gefunden und das Original an den richtigen Stellen abgeändert. Es ist einer der seltenen Fälle, wo die Verfilmung der Vorlage nicht nur ebenbürtig, sondern streckenweise haushoch überlegen ist. Trotzdem ist das Werk vollkommen zurecht ein Bestseller und ein Klassiker der Literatur. Keine Frage: Gelesen haben sollte man es. Für 4,99 € durchaus ein Angebot, welches man nicht ablehnen sollte.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

OT : „The Godfather“
Ersterscheinung: 1969
Übersetzung: Gisela Stege
Weltbild Verlagsgruppe (BILD Bestseller-Bibliothek)
464 Seiten Hardcover, keine Abbildungen
ISBN: 3-8989-7094-9
Preis: 4,99 Euro
http://www.weltbild.de