Per McGraup – Heimweh (Gruselkabinett 109)

Englische Geisterjäger in Kalifornien

London 1933: Alwyne und Colin Hargreaves, das medial begabte Ermittler-Duo aus „Heimgesucht“ und „Heimgekehrt“, reisen in ihrem dritten Abenteuer zu einem Kongress nach Kalifornien. Bei einem Abstecher zum berühmten viktorianischen Luxushotel del Coronado kommt ihnen sehr zugute, dass sie bereits weidlich Erfahrung mit Geister-Erscheinungen haben… (erweiterte Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.

Der Autor

Hinter dem Pseudonym Per McGraup verbirgt sich der Regisseur Marc Gruppe.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Benedikt Weber: Colin Hargreaves
Stephanie Kellner: Alwyne Sargent
Clara Fischer: Pamela Hargreaves
Ursula Sieg: Tante Marilyn
Janina Sachau: Kate Morgan
Jürgen Thormann: Mr. Gomer
Peter Lontzek: Harry West
Herbert Schäfer: Mr. Chick
Daniela Bette: Mrs. Chick
Beate Gerlach: Mrs. Stetson

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden im Titania Medien Studio und im Fluxx Tonstudio statt. Die Illustrationen trug Ertugrul Edirne bei.

Handlung

Das Medium Alwyne Hargeaves bereitet sich 1933 mit ihrem Mann Colin und ihrer Tochter Pamela auf eine Reise zu einem parapsychologischen Kongress vor, der in San Diego, Kalifornien, stattfinden soll. Kurz vor ihrer Abreise gibt ihr Colin Tante Marilyn, die es ja immer „gut“ mit ihnen meint, einen Tipp: Sie sollten doch unbedingt im Hotel Del Coronado logieren – das Strandhotel sei etwas ganz Besonderes.

Worin das „Besondere“ dieses alten Kastens besteht, erfahren Alwyne und Colin Hargreaves gleich in der ersten Nacht. Hier in Zimmer 3327 spukt es nämlich offensichtlich. Zuerst hören sie nur einen Hauch, dann wird es kalt im Raum, schließlich hebt ein Weinen und Klagen an, bis der Geist – offenbar weiblich – ziemlich laut wird, bevor er verschwindet.

Töchterchen Pamela hört den Geist anderntags nicht nur, sondern sieht die Dame auch – in der Badewanne. Verstört und besorgt holt Alwyne ihre Tochter aus der Wanne. Nun ist klar, dass Klein-Pam das Talent ihrer Eltern geerbt hat. Doch wer ist die zum Geist gewordene Dame und was will sie von den Lebenden? Alwyne und Colin ermitteln getrennt.

Mr. Gomer, der freundlich-beflissene Rezeptionist, erklärt, um wen es sich handelt: um eine Dame, die im Sommer 1892 hier unter dem falschen Namen Kate Morgan logierte – und sich dann nachts auf der Treppe, die zum Strand hinunterführt, erschoss. „Sie war eine sehr unglückliche Frau“, meint Mr. Gomer betrübt. „Sie litt unter Heimweh.“

Aber warum ließ ihre Familie sie nicht nach Hause zurückkehren und was war der Anlass für ihren Freitod? Die beiden Geisterjäger ergründen das Geheimnis der Dame aus Zimmer 3327…

Mein Eindruck

Die Ermittlung der beiden Geisterjäger führt sie von Mr. Gomer über den Hotelpagen Harry West bis zur Witwe des Leichenbeschauers und zu einem Waffenladen. Jedes Mal erscheint „Kate Morgan“ in einer Rückblende als eine einsame junge Frau – sie war erst 28 Jahre alt – die am Ende ihres Lebensweges angekommen ist, doch entschlossen erscheint, ihren Plan auszuführen, sich selbst ins Jenseits zu befördern.

Sie Szenen sind durch die jeweils auftretenden Charaktere der Zeugen recht eindrücklich und schwanken in der Wirkung zwischen erschütternd bzw. anrührend und skurril bis makaber. Die Witwe tritt zunächst als relativ verschrobene und abweisende Katzenliebhaberin auf, erweist sich dann aber als wichtige Informationsquelle: Ihr verstorbener Mann hat nämlich selbst eine inoffizielle Ermittlung durchgeführt und die Wahrheit über Kate Morgan herausgefunden. Die Lösung des Rätsels wird aber erst zum Schluss der Ermittlung präsentiert.

Alwyne hat wie immer das Anliegen, diese verirrte Seele, die nicht ins Licht des Jenseits enteilen will, von ihren Qualen, die sie im Zwischenreich des Limbus erleidet, zu erlösen. Doch ob ihr dies gelingt, darf hier nicht verraten werden. Ich musste sofort an den Robin Williams Film „Hinter dem Horizont“ denken (siehe meinen Bericht). Darin versucht der Verstorbene seine noch lebende Witwe vor dem Selbstmord zu bewahren, scheitert aber – zunächst. Dann aber will seine verstorbene Frau nicht ins erlösende Licht, sondern im Zwischenreich leiden, weil sie sich die Schuld an seinem Tod und dem ihrer Kinder gibt. Wie Orpheus in der Unterwelt unternimmt er alles, um sie zu retten. Genau wie die beiden Hargreaves.

Die ganze Angelegenheit findet indes kein allzu dramatisches Ende, sondern mündet in eine kleine Racheaktion. Tante Marilyn hat schließlich die ganze Sache angefangen, nun soll sie mal selbst im Hotel Del Coronado. Die Hargreaves legen ihr ein bestimmtes Zimmer ganz besonders ans Herz…

Die Sprecher/Die Inszenierung

Dieses Hörspiel ist ganz auf unheimliche Atmosphäre abgestimmt. Geräusche, Musik und Dialoge spielen ausgezeichnet zu diesem Zweck zusammen. Die meisten Figuren sind mit einer Ausnahme weiblich und ergreifen die Initiative: der Geist von Kate Morgan, Alwyne Hargreaves, die Witwe Stetson, Tante Marilyn schließlich die kleine Pamela. Die weiblichen Sprecherinnen machen ihre Sache ausgezeichnet, auch die kleine Clara Fischer in der Rolle der Pamela Hargreaves. Besonders skurril treten Ursula Sieg als nervende Tante Marilyn und Beate Gerlach als desillusionierte Witwe Stetson auf. Aber sie bleiben in Erinnerung.

Den männlichen Figuren mangelt es jedoch nicht an Sympathie und Einfühlungsvermögen, sei es nun Mr. Gomer, Harry West oder der Waffenverkäufer mit dem seltsamen Namen Mr. Chick. Sie alle erkannten die Tragik in den letzten Tagen von Kate Morgan, doch sie unternahmen nichts, um den Lauf des Unheils aufzuhalten. Einen richtigen Gegenspieler oder Schurken gibt es, im Gegensatz zu „Heimgekehrt“ (Gruselkabinett Folge 89), leider nicht. Kates letzter Lover wird nur im Vorübergehen erwähnt. Und die Witwe Stetson vermittelt diese Informationen.

Herausragend fand ich wieder einmal Jürgen Thormann in der Rolle des Mr. Gomer. Gomer ist die graue Eminenz des Hotel Del Coronado und ein Hort seiner Geheimnisse – und er wird allnächtlich von Kate Morgans Geist heimgesucht.

Geräusche

Die Geräusche sind in etwa die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut, meist aber reichen Andeutungen aus. Da wir uns aber auch in San Diego des Jahres 1933 befinden, müssen wir akustisch quasi eine Zeitreise von über 40 Jahren machen. Wir hören immer wieder altes Papier rascheln, und das Klicken einer Pistole in der Rückblende auf den Waffenladen vermittelt uns die Tatsache, dass anno 1892 noch andere Sitten – und Waffengesetze – herrschten.

Dies steht im Kontrast zum Telefonklingeln, der verzerrte Stimme der entfernten Sprecherin und dem Brizzeln von Elektrizität in der Stromleitung zu elektrischen Lampe auf Zimmer Nr. 3327. Allerdings hört man weder Automotoren noch Schiffssirenen und dergleichen. Das verleiht der Handlung mehr den Charakter eines Kammerspiels.

Musik

Die untermalende Musik, die unterschwellig die Emotionen des Hörers steuert, wechselt zwischen idyllischen und unheimlichen Harmonien und Rhythmen. Meist hält sie sich im Hintergrund, indem sehr tiefe Bässe, die an der unteren Hörgrenze angesiedelt sind, den Hörer unterschwellig auf etwas Schlimmes vorbereiten oder ihm sonstwie Unbehagen bereiten sollen. Titania Medien hat offenbar in einen nagelneuen Synthesizer investiert und zaubert damit nun wirkungsvolle Klangensembles.

Die Musik wird auffällig selten eingesetzt, und von einem Score im üblichen Sinne kann keine Rede sein. So erhält das Hörspiel mehr den Charakter eines Kammerspiels auf eng begrenztem Raum. Dennoch mangelt es nicht an gruseliger Stimmung. Im Hintergrund ist einmal sogar Orgelmusik zu hören.

Ergänzt wird die zeitweilige Orchestermusik von Soundeffekten, zu denen beispielsweise sehr tiefe Bässe gehören, aber auch die erwähnten Hintergrundeffekte. Den Kontrast dazu bildet die elegische Pianomusik im Hintergrund zu jener geradezu erotischen Szene, als Harry West das nasse Haar Kate Morgans abtrocknet.

Musik, Geräusche und Stimmen wurden so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

Das Booklet

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher. Die Titelillustration von Ertugrul Edirne fand ich diesmal passend und stimmungsvoll. Firuz Akin macht auch Werbung für sein Buch „Illustration“, das im Heider Verlag erschien.

Im Booklet sind Hinweise auf die nächsten Hörspiele zu finden:

Ab Herbst 2016:

14. Oktober: Folge 116 „Der schwarze Stein“, nach Robert E. Howard, ein Schocker im Lovecraft-Stil;
Folge 117 „Ewige Jugend“ nach Leopold von Sacher-Masoch geht der legende um die Blutbaronin nach;
11. November 2016: Doppel-Folge „20.000 Meilen unter dem Meer“ nach Jules Verne: pures Abenteuer!

Sir Arthur Conan Doyle: Sherlock Holmes ermittelt im Herbst 2016 erneut stolze drei Mal. Diesmal gilt es die klassischen Fälle „Die Gloria Scott“, „Das Musgrave-Ritual“ und „Eine Studie in Scharlachrot“ (2 CDs!).

Im September veröffentlicht Titania Medien traditionell sein Weihnachtsmärchen. Die Folge 12 der Reihe Titania Special kombiniert unter dem Titel „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ verschiedene Märchen von Hans Christian Andersen.

Unterm Strich

Das Hörspiel ist der Versuch, den bekannten Poe-schen Wiedergänger-Grusel auf stimmungsvolle Weise mit der Moderne zu verknüpfen und von einem Geisterjäger-Pärchen aufklären zu lassen. Die Ermittlung der Hargreaves führt immer tiefer in die Vergangenheit, um das Rätsel um Kate Morgans Freitod im uralten Hotel Del Coronado – ein Art „Haus Usher“ des frühen 20. Jahrhunderts – zu lösen. So spannend die Ermittlung, so anrührend das Schicksal der Kate Morgan – aber es fehlt eindeutig an Dramatik, etwa durch einen Gegenspieler Kates. Das Ende kennt man schon früh und ist vorauszusehen. Der Effekt besteht in Mitgefühl und Mit-Leiden, aber wohl weniger beim männlichen Publikum als beim weiblichen.

Aus den genannten Kontrasten lässt sich indes durchaus humoristisches Kapital schlagen. Das hat der Autor Marc Gruppe mittlerweile erkannt. Er setzt das Mittel der Ironie schon im Prolog ein und erst recht im Epilog. Die Hargreaves lassen sich von der Überglucke Tante Marilyn dazu überreden, im Hotel Del Coronado zu nächtigen – mit den bekannten Folgen. Im Epilog zahlen sie es Tante Marilyn heim – da sie nicht an Gespenster und dergleichen „Ammenmärchen“ glaubt, soll sie nun auf die harte Tour eines Besseren belehrt werden.

Dies erinnert den Zuhörer auch daran, worum es bei Gespenstergeschichten immer geht: Sie sind Erinnerungen an leidvolle Schicksale, häufig aufgrund eines großen Unrechts (siehe „Heimgekehrt“), und die Ermittlung basiert nicht auf Logik, sondern auf Mitgefühl und Einfühlungsvermögen. Über ihre Rolle als Sprecher für die Toten hinaus haben manche Geisterjäger eine ganz besondere Aufgaben: Sie müssen versuchen, die gequälten Seelen, die am Diesseits festhalten, ins Licht des Jenseits zu führen.

Das Hörbuch

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Für Sammler ist die Reihe inzwischen ein Leckerbissen.

CD: 64 Minuten
ISBN 9783785752517

www.titania-medien.de

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