Per McGraup – Heimgekehrt (Gruselkabinett 89)

Packend: Teufelsaustreibung im Ex-Bordell

England 1927: Colin und Alwyne Hargreaves, das Ermittlerpaar aus „Heimgesucht“ (Gruselkabinett 83), wird von Colins Tante Marilyn gebeten, sich eines neuen Spuk-Falls anzunehmen. In dem ländlich gelegenen White-Horse-Hotel häufen sich Hinweise, dass es dort nicht recht geheuer ist. Für die neuen Besitzer, die ihr gesamtes Erspartes in die Renovierung des alten Landgasthofs gesteckt haben, ist dies eine Katastrophe. Sie ahnen noch nicht, dass das Problem, welches sie haben, viel größer ist als sie zunächst annahmen … (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt sein Hörspiel ab 14 Jahren.

Der Autor

Hinter dem Pseudonym Per McGraup verbirgt sich der Regisseur Marc Gruppe. Das Booklet bietet keine Informationen außer der, dass diese Erzählung auf den von Allan Upward geschaffenen Figuren basiert. Von Upward stammt „Heimgesucht“ (Gruselkabinett 83).

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Benedikt Weber: Colin Hargreaves
Stephanie Kellner: Alwyne Sargent
Reinhilt Schneider: Julia Carmichael
Christoph Jablonka: Sean Carmichael
Monika John: Mrs. Hughes
Manfred Lehmann: Jack Fawley
Maximiliane Häcke: Pamela
Sylvia Dakis: Mrs. Randall
Traudel Haas: Hure
Ursula Sieg: Tante Marilyn

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand bei Titania Medien Studio, im Fluxx-Tonstudio und in den Planet Earth Studios statt. Die detailreiche Illustration stammt von Ertugrul Edirne.

Handlung

Sean und Julia Carmichael haben das White Horse Hotel in Nordost-England zu einem Spottpreis gekauft und von ihrem Ersparten renoviert. Doch schon eine Weile nagt an Julia ein leiser Zweifel, ob diese Entscheidung richtig war. Sie hat Vorahnungen und diffuse Empfindungen, die bei ihrem durch und durch praktisch veranlagten Mann nur auf Skepsis und Zweifel stoßen. Sie stößt immer wieder auf Zimmer voller Angst, die sogleich vom Eindruck, dass etwas Böses folgt, vertrieben werden. Glaubt sie etwa an Geister, fragt Sean sie auf den Kopf zu. Natürlich nicht!

Am 30. Oktober 1927 kommt jedoch ihr einziger Gast, eine Mrs. Randall in die Rezeption und wirft ihren Zimmerschlüssel auf den Tisch. Für sie wars das; noch eine weitere solche Nacht würde sie nicht überleben. Sprachs und ward nicht mehr gesehen. Die Carmichaels sind ratlos. Da gellt ein Schrei aus der Küche: Mrs Hughes!

Die betagte Köchin hat Handabdrücke entdeckt: von Kinderhänden. Der Haken dabei ist nur, dass im Haus weit und breit kein Kind lebt. Höchstens ein Geist, meint Mrs. Hughes. Sie holt ihr Ouija-Brett und holt die beiden Hotelbesitzer zu einer unheimlichen Séance zusammen. Sie stellen ein Glas auf das Brett mit den Buchstaben und legen leicht, ganz leicht ihre Finger aufs Glas. Es bewegt sich, sobald Mrs. Hughes den Geist gerufen hat. Die Buchstaben ergeben Wörter: „HELFT MIR …“, aber auch: „RAUS HIER“ …

Der Auftrag

Am nächsten Tag erhält Alwyne Hargreaves von Colins Tante Marilyn einen Anruf. Sie sei doch die Sekretärin von Colin, nicht wahr? Also schön aufgepasst! Alwyne kann nicht anders: Sie muss mitschreiben, was Tante Marilyn ihr von ihren Bekannten, den Carmichaels, erzählt. „Es ist ein klarer Fall für Colin! Ihr müsst noch heute abend fahren!“ Oh toll, sie haben ja sonst nichts anderes vor.

Im Zug von London nach Nordon studiert Colin sehr ernsthaft die Notizen, die Alwyne über die Carmichaels angefertigt hat. Als sie ihrem frisch angetrauten Ehemann ein wenig auf die Pelle rückt, gesteht sie ihm, dass sie ein immer besseres Medium werde. Sie habe außersinnliche Wahrnehmungen (ASW) der akustischen, optischen und sogar olfaktorischen Art. Sie könne Geister riechen. Allmählich wird sie ihm ein wenig unheimlich, dem guten Colin.

Kaum hat Mr Carmichael sie zum Hotel gebracht, steigt Alwyne auch schon in die Zimmer hoch, wo es angeblich spuken soll. Eine zaghafte Mädchenstimme antwortet ihr. Pamela wird hier seit Ende des letzten Jahrhunderts gefangen gehalten – von Jack Fawley, der vielleicht ihr Vater ist. Frauen hätten für ihn gearbeitet, und er habe sie misshandelt, darunter auch Pam.

Eine harte Männerstimme schockt Alwyne aus ihrer Trance. Sie solle verschwinden, oder es werde bald wieder Tote geben: „Das ist unser Haus!“ brüllt er. Alwyne eilt aus dem Zimmer und bricht zusammen. Offenbar haben die Carmichaels „ein sehr ernsthaftes Problem“, wie Mrs Hughes es zurückhaltend formuliert.

Unverzagt macht sich Alwyne daran, dieses Problem ein für allemal zu lösen. Doch im entscheidenden Moment nimmt ihre Austreibung Jack Fawleys eine unheilvolle Wendung …

Mein Eindruck

Wieder einmal sind die Geisterjäger Alwyne und Colin Hargreaves mit Einfühlsamkeit und Entschlossenheit am Werk. Alwyne ist für das Gefühl zuständig,Colin für alles, was sich mit dem Verstand erfassen lässt, etwa die Faktenrecherche. Dass seine Frau im direkten Kontakt mit den Geistern deutlich mehr Courage beweisen muss, finde ich hervorragend.

So kuschelig auch der Kontakt mit der kleinen, gefangen gehaltenen Pamela erscheinen mag, so brutal gestaltet sich Alwynes Begegnung mit Jack Fawley, ihrem Kerkermeister. Die Carmichaels erhalten von ihr die schockierende Erkenntnis, dass ihr „historisches Gebäude“, das sie mühevoll restauriert haben, früher ein Bordell war. Und Jack Fawley war dessen Besitzer und der Zuhälter zahlreicher misshandelter Frauen. Deren Tochter war Pamela, und Jack war wahrscheinlich ihr Vater. Ein derart heikles Thema aufzugreifen, ist mutig. Dass es das Problem bis zum heutigen Tag gibt, ist hingegen traurig.

Doch was ist aus Pamela geworden? Dies ist die Schlüsselfrage, die es zu beantworten gilt, soll das Geisterproblem des Hotels gelöst werden und dem Betrieb eine prosperierende Zukunft beschert sein. Wieder einmal springen hier die beiden Ghostbuster ein. Allerdings ist Alwyne nicht auf messerschafe Kombiniergabe à la Sherlock Holmes angewiesen, sondern auf ihre ASW-Fähigkeiten, also auf ihre Intuition.

Der eigentliche Haken besteht allerdings nicht in Pamelas Befreiung aus ihrem übernatürlichen Gefängnis, sondern aus Jack Fawleys Vertreibung. Manfred Lehmann, die deutsche Stimmbandvertretung von Bruce Willis und anderen, verleiht dem Zuhälter Jack eine bedrohlich wirkende Gewaltbereitschaft, die sich jederzeit in einem mörderischen Akt äußern kann. In einer Rückblende erfahren wir, wozu er fähig ist. Die unheimlichste Wendung erfährt der Kampf mit ihm, als er in die Gestalt von Sean Carmichael fährt. Nun ist ein echter Exorzismus nötig.

Exorzismus

Diese Wendung entbehrt nicht einer gewissen perfiden Ironie. Wir haben Sean Carmichael bislang für diejenige Figur ghalten, die am allerwenigsten mit Geistern zu tun haben will, ja, nicht einmal an sie glaubt. Er ist der praktische Typ Hausmann: Am Anfang hören wir ihn deutlich das Geschirr abspülen, denn außer der Köchin Mrs Hughes haben die Carmichaels keine Angestellten.

Diese recht heimelige Erscheinung des braven Hausmanns Marke Praktiker erfährt nun durch die Besessenheit von Jack Fawley eine dramatische Umkehrung. Unversehens nimmt er einen völlig anderen Charakter an, der gegenüber Männern schmeichelnd seine „Pferdchen“ anbietet und gegenüber Frauen herrisch auftritt. Diese Besessenheit erinnert an Regans Bewohntheit durch den Teufel in dem Gruselklassiker „Der Exorzist“: Regan ist davor das süßeste Mädchen der Welt, doch der böse Geist, der in sie gefahren ist, veranlasst sie zu den bestürzendsten Obszönitäten.

So weit kommt es in Seans Fall nicht, aber schon die Andeutung dürfte so manchem Zuhörer eine Gänsehaut verursachen. Denn dadurch wird ja angedeutet, dass in so manchem braven Kerl ein kleiner oder großer Teufel steckt, der zu mancher Schandtat fähig ist. Der Mann bzw. Mensch wird hier in seiner Doppelnatur als Engel und Dämon vorgeführt, aber auch in als Produkt seiner Emotionen (Jack) und seiner Vernunft (Sean).

Die spannende Frage lautet, ob es den beiden Ghostbustern gelingen wird, Jack zu vertreiben und die kleine Pamela zu befreien.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Dieses Hörspiel ist ganz auf unheimliche Atmosphäre abgestimmt. Geräusche, Musik und Dialoge spielen ausgezeichnet zu diesem Zweck zusammen. Die Hauptfiguren sind mit einer Ausnahme allesamt weiblich und ergreifen die Initiative: Alwyne Hargreaves, Mrs Hughes, Tante Marilyn schließlich die kleine Pamela. Ihnen steht als Widersacher der fiese Jack Fawley gegenüber – schließlich sogar in seiner Wiederverkörperung als Sean Carmichael. Hier wird der Geschlechterkampf umd die Emanzipation der Frau erneut ausgetragen.

Über Manfred Lehmann als Sprecher des Zuhälters Jack habe ich mich bereits lobend geäußert. Maximiliane Häcke spielt als Pamela sein hilfloses, ängstliches Opfer. Stephanie Kellner ist als Alwyne Sargent-Hargreaves seine direkte, entschlossene Gegnerin. Auch Mrs Hughes ist von der energischen Sorte, ist sie doch die Vermittlerin zum Geisterreich. Nicht unerwähnt bleiben darf die unvergleichliche „Tante Marilyn“, die als egozentrische Weltverbesserin Alwyne kurzerhand zur Sekretärin degradiert. Ursula Siegs Auftritt ist kurz, aber äußerst eindrücklich. Sie bringt die beiden Ghostbuster ordentlich auf Trab.

Die männlichen Figuren schneiden in dieser Riege nicht gut ab. Statt einfühlsam erscheinen Colin Hargreaves und Sean Carmichael eher vernünftig und praktisch, aber leider auch hilflos der Gefahr gegenüber. Sean wird sogar Opfer eines Geistes – tiefer kann er nicht mehr sinken. Dass diese Besessenheit eher metaphorisch gemeint ist, dürfte hoffentlich klar sein – siehe dazu meine Anmerkungen oben.

Der einzige sprachliche Ausfall ist Sylvia Dakis als Mrs. Randall. So kurz ihr Auftritt auch sein mag, so hinterlässt ihr Tonfall doch keinen glaubwürdigen Eindruck. Falls sie einen Spuk erfahren hat, so ist sie bemerkenswert kühl und selbstbeherrscht. Hat sie keinen erlebt, so erscheint ihr Verhalten arrogant und herablassend. Was solls denn nun sein?

Geräusche

Die Geräusche sind genau die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut. Dies trifft besonders auf die Szenen mit den Geistern zu. Da knarren Türen, werden Wände eingeschlagen und Geschirr gespült, dass der Hörer alles genau mitbekommt. Immer wieder fielen mir auch diverse Soundeffekte auf, die die Geräusche und die Musik um eine zusätzliche, meist unbewusste Ebene bereichern. Sie tragen stark zum Eindruck des „Spukhotels“ bei.

Eine zentrale Szene ist die Séance mit dem Ouija-Brett. Dabei wird hörbar ein Glas verschoben. Da dies immer wieder – etwa drei Dutzend Mal – geschieht, könnte sich der eine oder andere Hörer genervt fühlen. Das sollte er aber nicht: Das Geräusch des Glasverschiebens ist absolut notwendig für die Glaubwürdigkeit der Szene. Nur so können die Figuren das, was das Glas anzeigt, auch buchstabieren und die Buchstaben zusammensetzen: „ICH WERDE EUCH ALLE TOETEN“ – für einen solchen langen Satz braucht man zwar Geduld, aber sie lohnt sich.

Musik

Die Musik wird auffällig selten eingesetzt, und von einem Score im üblichen Sinne kann keine Rede sein. So erhält das Hörspiel mehr den Charakter eines Kammerspiels auf eng begrenztem Raum. Dennoch mangelt es nicht an gruseliger Stimmung. Im Hintergrund ist Orgelmusik zu hören, eventuell auch ein Chor.

Ergänzt wird die zeitweilige Orchestermusik von Soundeffekten, zu denen beispielsweise sehr tiefe Bässe gehören, aber auch die erwähnten Hintergrundeffekte. Den Kontrast dazu bildet die heitere Pianomusik am Schluss, wenn eine freudige Überraschung bevorsteht.

Musik, Geräusche und Stimmen wurden so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

Das Booklet

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher.

Im Booklet finden sich Verweise auf die im Herbst 2014 kommenden Hörspiele aufgeführt:

Nr. 90: H.P. Lovecraft: Die Farbe aus dem All (großartiger Klassiker!)
Nr. 91: J.M. Barrie: Mary Rose
Nr. 92: M.R. James: Zimmer 13
Nr. 93: N. Hawthorne: Das Haus der sieben Giebel
Nr. 94: Charles Rabou: Tobias Guarnerius
Nr. 95: Henry S. Whitehead: Die Falle

Unterm Strich

Dieses Hörspiel richtet sich an einfühlsame, emotional orientierte Menschen. Das müssen nicht unbedingt nur weibliche Hörer sein, ich fand das Geschehen ebenso sowohl anrührend als auch gruselig. Das einzige Element, das fehlt, ist eben richtige Action. Die würde man eher in einer Hörspielfassung einer Robert-E.-Howard-Geschichte finden, etwa in „Die Kreatur“ oder „Schwarze Krallen“.

Aber als Fortsetzung von „Heimgesucht“ funktioniert die Geschichte ausgezeichnet. Wir kennen das grundverschiedene, aber sich prächtig ergänzende Ghostbuster-Ehepaar Hargreaves bereits. Solche geisterjäger gab und gibt es in der angelsächsischen Literatur genügend, vor allem in der spätviktorianischen.

Der Grund ist die notwendige Auseinandersetzung mit Mächten, die jenseits der Kontrolle des Einzelnen zu liegen scheinen. Aber auch die Aufarbeitung von unter den Teppich gekehrten Verbrechen aus der jüngsten Vergangenheit wie die im White-Horse-BORDELL (1870-1887, wie Colins Akten besagen) ist eine wichtige Aufgabe solcher Geisterjägergeschichten.

Dass solche Verbrechen an Kindern bis in die jüngste britische Vergangenheit reichen, zeigt erneut der aktuelle Skandal im britischen Unterhaus – die Vorfälle reichen von 1967 bis 1989. In den verschwundenen Akten dürften höchste Mitglieder der Regierung und der Gesellschaft genannt worden sein.

Das Hörspiel

Mir hat das Hörspiel sehr gut gefallen. Spannender Grusel hält sich mit emotionalem Drama und ausgleichender Heiterkeit die Waage. Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Besonders gut gefielen mir die sehr sorgfältig ausgearbeitete Geräuschkulisse, die so realistisch wie möglich ist, um das geisterhafte Geschehen im White Horse Hotel auszugleichen. Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars (Lehmann spricht Bruce Willis, Kurt Russell u. v. a.) vermitteln das richtige Kino-Feeling. Da macht es nichts, wenn man eine Sprecherin wie Sylvia Dakis nicht ganz das hohe Niveau mithalten kann.

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 4,50 von 5)

Audio-CD mit 55 Minuten Spieldauer
www.titania-medien.de