Ian Rankin – Das Gesetz des Sterbens (John Rebus 20)

Im schottischen Edinburgh versucht die Polizei eine Reihe mysteriöser Rache-Morde zu klären sowie einem Gangsterboss aus Glasgow das Handwerk zu legen, bevor ein leichenreicher Unterweltkrieg ausbricht … – Obwohl inzwischen pensioniert, mischt sich John Rebus in seinem 20. Fall mit der üblichen Freude am autoritätsfeindlichen Intrigenspiel in einen spannend-verzwickten Fall ein: erneut ein unterhaltungsstarker, dem Krimi stets den Vorrang vor dem ‚Zwischenmenschlichen‘ gebender Thriller.

Das geschieht:

In der schottischen Stadt Edinburgh wurde der alte Lord Minton in seinem Heim überfallen und brutal ermordet; der Täter ließ einen Zettel zurück, auf dem er wohl schon vor längerer Zeit den Lord mit dem Tod bedroht hatte, weil dieser großes Unrecht begangen habe. Der Fall geht an Detective Inspector Siobhan Clarke, die aufgrund der Prominenz des Opfers unter hohem Erfolgsdruck steht.

Derweil wird Malcolm Fox, ehemaliger Leiter der allseits unbeliebten Abteilung „Innere Sicherheit“, einer Sondereinheit der Polizei zugewiesen, die seit Monaten gegen den Gangster Joe Stark ermittelt. Der hat sein Revier eigentlich in Glasgow, unternimmt aber offensichtlich eine ‚Rundreise‘, um kriminellen Partnern seinen Sohn Dennis vorzustellen, der bald die ‚Geschäfte‘ übernehmen soll.

Auf den angeblich im Ruhestand befindlichen Gauner Morris Gerald Cafferty wird ein Attentat verübt. Der Schuss geht fehl, und „Big Ger“ würde sich selbst um die Sache kümmern, wäre die Polizei nicht aufmerksam geworden. Mit der würde der alte Verbrecher niemals reden, zumal sein alter Erzfeind John Rebus – der längst so etwas ein Freund geworden ist – in den Ruhestand versetzt wurde.

Aber Rebus langweilt sich und nutzt gern die Gelegenheit, sich als ‚Berater‘ anheuern zu lassen. Außerdem mischt er sich wie üblich bald in alle laufenden Ermittlungen ein, die sein Interesse wecken. Das ist von Vorteil, als Cafferty Rebus gesteht, dass auch er wie Lord Minton einen anonymen Drohbrief bekommen hat.

Wer steckt dahinter? Gibt es weitere Opfer? Die Uhr läuft, denn Cafferty gerät nicht nur mit den Starks, sondern auch mit dem aufstrebenden Kapital-Gangster Darryl Christie aneinander. Wenn der unbekannte Mörder nicht bald entlarvt werden kann, wird in Edinburgh ein blutiger Unterweltkrieg ausbrechen …

Rebus bleibt im polizeinahen Orbit

Nachträglich sieht es wie ein raffinierter Plan aus: Als John Rebus zu ermitteln begann, wusste Autor Ian Rankin naturgemäß nicht, dass seiner Schöpfung ein buchstäblich durchschlagender Erfolg beschieden sein würde. Schon bald bereute er die Entscheidung, Rebus ‚authentisch‘ altern zu lassen, statt ihm wie vielen anderen Figuren, die in Serie gingen, quasi Unsterblichkeit zu bescheren bzw. das Altern einfach zu ignorieren. Stattdessen ging Rebus unaufhaltsam seiner Pensionierung entgegen.

Rankin bemühte einige Tricks und ließ Rebus u. a. in einer Sondereinheit unterkommen, die erfahrene Polizeibeamte auch als Rentner beschäftigte. Auf Dauer half es nichts: Rebus musste gehen. Rankin gedachte sich sogar von seiner Figur zu trennen und lancierte stattdessen den deutlich jüngeren und charakterlich anders gestrickten Malcolm Fox. Er beließ ihn jedoch in Rebus‘ Edinburgh, was von Vorteil war, als sich zeigte, dass Rebus dem lesenden Publikum definitiv näher am Herz lag als Fox, der nach zwei im Alleingang bestrittenen Romanen in die zweite Reihe zurücktreten musste.

Seither blieb Fox eine Nebenfigur in den (neuen) Rebus-Romanen. Mit „Das Gesetz des Sterbens“, dem 20. Band der Serie, kehrt er aus dem Schatten zurück. Gemeinsam mit Rebus und Siobhan Clarke bildet er die dritte Seite eines Dreiecks, das recht gleichberechtigt agiert. Auf diese Weise löst Rankin elegant das Problem eines Ermittlers, der nicht mehr Polizist ist und kein Privatdetektiv werden will. Rebus kennt sowohl Fox als auch Clarke und hat über beide den Fuß in der Tür des Polizeireviers – eine Situation, die er mit der Gnadenlosigkeit eines auf Entzug gesetzten Süchtigen ausnutzt.

Gangsterkrieg oder Gangsterrache?

Ein guter Plot für einen ebensolchen Kriminalroman bleibt bis ins Finale so undurchschaubar wie möglich, ohne gleichzeitig so kompliziert zu werden, dass sich der Leser frustriert abwendet: Das Miträtseln ist zwar nicht mehr elementar für das Genre, dennoch misst sich der Leser gern mit der Verfasser. Dieser hält sein Publikum an einer nur scheinbar lockeren Leine und füttert es mit Informationsbröckchen, die insgesamt die Auflösung ankündigen, ohne sie vorwegzunehmen: Das Finale scheitert, wenn es keine Überraschung bietet. Die Leserschaft will überrumpelt werden und fühlt sich erst recht unterhalten, wenn sich die Steinchen nach vielhundertseitig geübter Geduld zu einem unerwarteten Mosaikbild fügen.

Auch Rankin kennt und achtet diese Regel. Dem klassischen Kriminalroman zollt er Tribut, wenn es einen Adligen in seinem feudalen Altersruhesitz erwischt und die Indizien gleichermaßen bedrohlich – die anonyme Todesdrohung – wie rätselhaft sind. Rankin nimmt sich die Zeit, sämtliche Hinweise sowohl aufzulisten als auch auszuwerten. Von einer expliziten Darstellung der kriminalistischen Alltagsarbeit ist sein Roman dennoch weit entfernt.

Das klingt nach schlampiger Autorenrecherche, was eine völlige Fehldeutung wäre: Rankin lässt die Fortschritte, die seinen Ermittlern in Zusammenarbeit mit den Kollegen in anderen Revieren und im Labor oder durch die Befragung von Zeugen und Verdächtigen gelingen, sehr wohl in das Geschehen einfließen. Gleichzeitig ist ihm das direkte Zusammenspiel seiner Protagonisten wichtiger als das „police procedural“. Daher sollte man keine explizite Schilderung des Polizeialltags oder gar eines Gangsterkrieges erwarten. Lieber unterläuft und konterkariert Rankin entsprechende Erwartungen – und er ist gut darin!

Translegale Banalitäten des Alltagslebens

„Even Dogs in the Wild“ lautet der (wie übliche deutlich besser als die deutsche ‚Übersetzung‘ geratene) Originaltitel dieses Romans. Rankin übernahm ihn von einem Song der schottischen Rockband „The Associates“: Selbst Hunde in der Wildnis achten besser auf ihre Jungen als Menschen auf ihre Kinder, so die Botschaft. Dabei ist selbst der brutale Joe Stark theoretisch gern Vater. Praktisch ist ihm allerdings bewusst, dass er in dieser Rolle versagt und ein Monster herangezogen hat. Nichtsdestotrotz fällt er in alte Muster zurück, als Dennis umgebracht wird: Stark will Rache.

Auch Gangster sind halt Menschen; eine Erkenntnis, die Rebus widerwillig zu begreifen begann, seit ausgerechnet er zum besten ‚Freund‘ des Alt-Gauners „Big Ger“ Cafferty avancierte. Der alternde Mann ringt um seine Macht in Edinburgh und fürchtet die neue Generation, die auf Gewalt setzt und sich an Bündnisse nicht mehr zu halten gedenkt. Selbst die Polizei will die kriminellen Strukturen nicht wirklich zerstören: Wer weiß, was sie ersetzen wird! Lieber setzt man auf Kontrolle und gezielte Eingriffe. Mehr ist ohnehin nicht mehr möglich in einer weitgehend niedergesparten und von der Politik wie den Medien gegängelten Polizei.

Auf einer weiteren Ebene ist die Handlung ein Spiel um Macht, denn Cafferty wurde keineswegs vom Saulus zum Paulus. Gerissen versucht er Rebus zu instrumentalisieren, um seine Kontrahenten loszuwerden. Dieser weiß das, und Cafferty ist sich bewusst, dass sein ‚Freund‘ im Bilde ist. Ihre ‚Beziehung‘ gleicht deshalb einen Tanz, ihr Dialog einem Austausch chiffrierter Botschaften. Rankin vermag diese Doppeldeutigkeit meisterhaft zu vermitteln. Er spinnt dieses Netz weiter, indem er weitere Kriminelle ins Spiel holt und diese Besetzung durch Ermittler ergänzt, die nicht nur Rebus oder Fox suspekt erscheinen: Haben sich die Mitglieder der gegen die Stark-Bande eingesetzten Spezialeinheit im allzu langen Undercover-Einsatz auf die Seite des Gegners ziehen lassen?

Immer hinter sich blicken

Niemand kann hier jemandem trauen, wobei gleichgültig ist, wer sich ‚offiziell‘ dies- oder jenseits jener ohnehin schwer definierbaren Grenze bewegt, die ‚Recht‘ und ‚Verbrechen‘ trennt. Am besten manövriert in diesem düsteren Umfeld John Rebus – dies nicht von ungefähr, da er seit jeher das geschriebene Gesetz weniger befolgt als auslegt. Das erleichtert ihm die Ermittlerarbeit, sobald er das Problem gelöst hat, als Rentner zurück ins polizeiliche Umfeld zu gelangen. Dort profitiert er von den Ergebnissen der Untersuchung, während er gleichzeitig noch dreister als sonst gänzlich eigene Wege geht.

Seine ehemaligen Kollegen und Freunde Siobhan Clarke und Malcolm Fox müssen nunmehr die Köpfe hinhalten, damit Vorgesetzte, die Rebus nicht mehr einschüchtern können, ihrem Zorn und ihrer Frustration Luft machen können. Rebus strapaziert diese Freundschaften beträchtlich, wie ihm selbst bewusst ist. Die Einsicht bringt keine Besserung, denn Rebus bekommt endlich wieder seine ‚Medizin‘: Er kann Kriminalfälle lösen! Sein Rentnerleben ist erwartungsgemäß öde, Rebus langweilt sich und treibt perspektivenlos durch seine Tage. Jetzt ist er wieder im ‚Spiel‘, das er wie Sherlock Holmes als Lebensinhalt betrachtet.

Nichts ist klar oder sicher in dieser Geschichte. Für den 20. Band einer Serie ist das Gelingen eines solchen Balanceaktes eine beachtliche Leistung. Ian Rankin ordnet das Rebus-Mikroversum neu – und es gelingt ihm. Diverse Weichen für romanübergreifende Ereignisse sind gestellt. Es kann ohne offensichtliche Logikbrüche weitergehen mit und für John Rebus – und das wird es: Band 21 liegt im Original bereits vor.

Autor

Ian Rankin wurde 1960 in Cardenden, einer Arbeitersiedlung im Kohlerevier der schottischen Lowlands, geboren. In Edinburgh studierte er ab 1983 Englisch. Schon früh begann er zu schreiben. Nach zahlreichen Kurzgeschichten versuchte er sich an einem Roman, fand aber keinen Verleger. Erst der Bildungsroman „The Flood“ erschien 1986 in einem studentischen Kleinverlag.

Noch im selben Jahr ging Rankin nach London, wo er u. a. als Redakteur für ein Musik-Magazin arbeitete. Nebenher veröffentlicht er den Kolportage-Thriller „Westwind“ (1988) sowie den Spionage-Roman „Watchman“ (1990, dt. „Der diskrete Mr. Flint“). Unter dem Pseudonym „Jack Harvey“ verfasste Rankin in rascher Folge drei Action-Thriller. 1991 griff er eine Figur auf, die er vier Jahre zuvor im Thriller „Knots & Crosses“ (1987; dt. „Verborgene Muster“) zum ersten Mal hatte auftreten lassen: Detective Sergeant (später Inspector) John Rebus. Mit diesem gelang Rankin eine Figur, die im Gedächtnis seiner Leser haftete. Die Rebus-Romane ab „Hide & Seek“ (1991; dt. „Das zweite Zeichen“) spiegeln das moderne Leben (in) der schottischen Hauptstadt Edinburgh wider. Rankin spürt den dunklen Seiten nach, die den Steuerzahlern von der traulich versippten Führungsspitze aus Politik, Wirtschaft und Medien gern vorenthalten werden. Daneben lotet Rankin die Abgründe der menschlichen Psyche aus. Nachdem er Rebus 2007 in den Ruhestand geschickt hatte, begann Rankin 2009 eine neue Serie um den Polizisten Malcolm Fox, kehrte aber bereits 2012 zu seiner Erfolgsfigur zurück.

Ian Rankins Rebus-Romane kamen ab 1990 in Großbritannien, aber auch in den USA stets auf die Bestsellerlisten. Die renommierte „Crime Writers‘ Association of Great Britain“ zeichnete ihn zweimal mit dem „Short Story Dagger“ (1994 und 1996) sowie 1997 mit dem „Macallan Gold Dagger Award“ aus. 2004 wurde Rankin für „Resurrection Man“ (dt. „Die Tore der Finsternis“) mit einem „Edgar Award“, 2007 „The Naming of the Dead“ (dt. „Im Namen der Toten“) als „BCA Crime Thriller of the Year“ ausgezeichnet. Rankin gewann weiter an Popularität, als die britische BBC 2000 mit der Verfilmung der Rebus-Romane begann.

Ian Rankins Website ist höchst empfehlenswert; über die bloße Auflistung seiner Werke verwöhnt sie u. a. mit einem virtuellen Gang durch das Edinburgh des John Rebus.

Taschenbuch: 480 Seiten
Originaltitel: Even Dogs in the Wild (London : Orion Books 2015)
Übersetzung: Conny Lösch
www.randomhouse.de/goldmann

E-Book: 1491 KB
ISBN-13: 978-3-641-18307-3
www.randomhouse.de/manhattan

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)