Harry Harrison – Agenten im Kosmos (Stahlratte 01)

Der James Bond der Science Fiction, aber mit mehr Humor

>>Hier spricht Slippery Jim: „Innerhalb unseres Universums gab es höchstens ein halbes Dutzend Männer, die es mit mir aufnehmen konnten. Ich wechselte meine Persönlichkeit wie andere ihre Hemden, knackte spielend jede Bank des Sonnensystems, klaute bei Bedarf Raumschiffe, und wenn ich Lust hatte, find ich einen Krieg an. Bis mich dann eines Tages die Polizei erwischte – was blieb mir anderes übrig: Ich wurde Polizei-Agent.<<

So wurde Jim DiGriz der seltsamste Rekrut im Spezialkorps der Planetenliga. Und als er eines Tages die Nase voll hatte, gab er damit das Startzeichen zu einer rasanten Menschenjagd quer durch die gesamte Galaxis.“ (bearbeitete Verlagsinfo) Was dieser Klappentext verschweigt, ist die zentrale Rolle einer gewissen Angelina, die gerade direkt vor Jims Nase ein Schlachtschiff geklaut hat und damit für eine Verfolgungsjagd sorgt…

Der Autor

Harry Harrison (https://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Harrison), geboren am 12. März 1925 in Stamford, Connecticut, studierte in New York City die Schönen Künste, bevor er zur Armee eingezogen und im Zweiten Weltkrieg Ausbilder am Maschinengewehr wurde. Nach dem Krieg verdiente er sein Geld zunächst als Zeichner und dann als Herausgeber verschiedener Zeitschriften und Magazine.

Seine schriftstellerische Laufbahn begann 1951 mit der Kurzgeschichte „Rock Diver“; der Durchbruch gelang ihm mit seinen bekannten „Todeswelt“-Romanen und nicht zuletzt durch seine burleske Figur Jim diGriz, die Stahlratte, eine Art galaktischer James Bond, quirlig, augenzwinkernd, unverdrossen und stets zu Streichen aufgelegt – wie sein Schöpfer selbst.

Die Abenteuer der Stahlratte:

The Stainless Steel Rat (1961), deutsch Agenten im Kosmos (1966) oder Stahlratte zeigt die Zähne, dritter Roman des Stahlratten-Zyklus (1988)
The Stainless Steel Rat’s Revenge (1970), deutsch Rachezug im Kosmos (1974) oder Stahlratte schlägt zurück, vierter Roman des Stahlratten-Zyklus (1988)
The Stainless Steel Saves the World (1972), deutsch Ein Fall für Bolivar di Griz, die Stahlratte (1974) oder Stahlratte rettet die Welt, fünfter Roman des Stahlratten-Zyklus (1988)
The Stainless Steel Rat Wants You (1978), deutsch Jim di Griz, die Edelstahlratte (1979) oder Stahlratte will dich, sechster Roman des Stahlratten-Zyklus (1988)
The Stainless Steel Rat for President (1982), deutsch Macht Stahlratte zum Präsidenten, siebter Roman des Stahlratten-Zyklus (1988)
A Stainless Steel Rat is Born (1985), deutsch Die Geburt einer Stahlratte, erster Roman des Stahlratten-Zyklus (1988)
The Stainless Steel Rat Gets Drafted (1987), deutsch Stahlratte wird Rekrut, zweiter Roman des Stahlratten-Zyklus (1988)
Stainless Steel Rat Visions (1993), deutsch Visionen einer Stahlratte, neunter Roman des Stahlratten-Zyklus (1995) [Kurzgeschichtensammlung]
The Stainless Steel Rat Sings the Blues (1994), deutsch Die Stahlratte singt den Blues, achter Roman des Stahlratten-Zyklus (1995)
The Stainless Steel Rat Goes to Hell (1996), deutsch Die Stahlratte fährt zur Hölle, zehnter Band des Stahlratten-Zyklus (1997)
The Stainless Steel Rat Joins the Circus (1999)
The Stainless Steel Rat Returns (2010)
You Can Be The Stainless Steel Rat: An Interactive Game Book (Rollenspielbuch, 1988)

Der To-the-stars-Zyklus (dt. bei Heyne)

1) Heimwelt
2) Radwelt
3) Sternwelt

Todeswelten-Trilogie (dt. bei Heyne)

1) Die Todeswelt
2) Sklavenwelt
3) Barbarenwelt

EDEN-Trilogie (dt. bei Goldmann)

1) Westlich von Eden
2) Winter in Eden
3) Rückkehr nach Eden

Mehr Info: https://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Harrison#Reihen_und_Zyklen

Handlung

Dies ist der letzte Coup, der Jim diGriz gelingen soll: ein Überfall auf den Geldtransport eines großen Kaufhauses. Unter Einsatz seiner Lieblingswaffe, dem Gas, setzt er die Wächter außer Gefecht und führt anschließend die Verfolger in die Irre. Doch inzwischen ist das Spezialkorps der Planetenliga auf ihn angesetzt worden, und diese Agenten sind viel schlauer als die Polizisten auf diesem Hinterwäldlerplaneten. Auf seiner Flucht vor den Häschern treiben sie ihn, und ohne das zu merken, läuft er ihnen direkt in die Arme.

Auch einen früheren Zunftkollegen hat es so erwischt. Und nun sitzt Inskipp vor ihm als neuer Chef des Spezialkorps in diesem Raumquadranten. Jim diGriz ist nicht mehr „slippery“ und ganz bestimmt mehr keine „Stahlratte“ in den Wänden der Gesellschaft, sondern hat nur noch eine Wahl: ein blöder Cop zu werden. Nun, ein Mann muss das Beste aus dem machen, was man ihm noch lässt.

Sein nächster Auftrag haut nicht so ganz hundertprozentig hin, deshalb verdonnert ihn Inskipp zu Büroarbeit. Dabei stößt diGriz schnell auf ein paar Ungereimtheiten in den Bauplänen eines bestimmten Frachtschiffes auf dem Planeten Cittanuvo. Nimmt hier und da etwas weg, hat es genau die Abmessungen für ein Schlachtschiff. So etwas sieht die Planetenliga gar nicht gern, denn die würde gerne ihr Monopol auf eine Kriegsmarine behalten.

Auf Cittanuvo gibt sich diGriz als Admiral aus und rückt dem korrupten Präsidenten auf die Pelle. Zu seinem Erstaunen weiß El Presidente nichts von dem Schlachtschiff in seiner Werft. Und selbst der Verteidigungsminister und der Werftleiter ahnen nicht, was da unter ihrer Nase gebaut wird – sie wollen ja bloß beaufsichtigen und die Früchte des Schiffsbaus ernten. Wer also lässt hier klammheimlich ein Schlachtschiff bauen?

Jim diGriz gelingt es, die beiden Verantwortlichen zu stellen. Das Mädchen, das sich Angelina, nennt, behauptet ängstlich, ihr Partner Pepe habe sie dazu gezwungen, doch der dreht den Spieß um. Kaum dreht sich diGriz zu dem Mädchen um, ist es auch schon verschwunden – und wenig später auch das Schlachtschiff.

Nun ist es bekanntlich recht schwierig, eine Nadel in einem Heuhaufen zu finden, der so groß wie das Universum ist. Jim diGriz folgt der Spur von Überfällen, Unglücken und Übernahmen. Die Spur führt zum Planeten Freibur, einem für seine lockeren Sitten bekannten Königreich und Piratenversteck. Hier fragt er sich: Was würde Angelina an meiner Stelle tun? Sie würde sich unsichtbar machen und in der Bevölkerung untertauchen, aber als Frau.

Jim diGriz, der Obergauner, hat inzwischen mit Inskipp gebrochen, um sein Ziel erreichen zu können: Vergeltung für die Schmach, die er auf Cittanuvo erlitten hat. Im Rotlichtviertel von Freibur wird er fündig. Die attraktive Lady, die er in einer Bar aufreißt, sieht Angelina entfernt ähnlich. In ihrem Zimmer in einer Absteige bestätigt sich sein Verdacht: Sie zieht eine Pistole und zielt auf seine edelsten Teile…

Mein Eindruck

Dies klingt zwar nach der üblichen Hetzjagd durch den Kosmos, die der Klappentext oben suggeriert, doch es steckt mehr dahinter als die James-Bond-Parodie, die ich erwartete. Zwar behält das Spezialkorps am Schluss die Oberhand, doch es wird klar, dass die beiden Gauner, wenn sie sich zusammentäten und einander vertrauen würden, auf Freibur eine veritable Revolution in Gang setzen könnten. Ein unzufriedener Herzog ist daran interessiert, König Villelm IX abzusetzen. Ja, man liest richtig: Alle Namen auf Freibur sind von deutschen abgeleitet und bis zur Kenntlichkeit entstellt worden – jeder, der das Original findet, darf sich auf die Schenkel klopfen.

Zurück zur Revolution. Die beiden Gauner sind oberste Liga und könnten einiges in Bewegung setzen, doch ihr Handicap ist wie stets er Mangel an gegenseitigem Vertrauen. An diesem Punkt kommt die Psychologie ins Spiel. Zunächst findet ungefähr in der Mitte des Buches eine psychologische Umkehrung von Slippery Jims innerer Einstellung statt.

In einer langen Szene ohne Dialog – ein Wagnis für jede Art von Pulp Fiction – treibt sich Jim mittels einer Droge selber in den Wahnsinn. Die Nebenwirkungen lassen ihn Angelina, seine bisherige Gegnerin, auf einmal in anderem Licht erblicken. Sie spielt in der gleichen Liga wie er selbst, muss er neidvoll anerkennen. Warum sie nicht zu seinem Partner machen? Allerdings gibt es da einen Haken: Sie hat versucht, ihn umzubringen. So etwas ist schwer zu verdrängen.

Als er undercover schließlich mit Angelina selbst Bekanntschaft macht und sie ihn als Leibwächter engagiert, stößt sie ihn von sich. Hat sie seine neue Identität als Graf Bent Diebstall durchschaut? Aber nein – sie hat ihm mittels eines Medaillonbildes angedeutet, dass sie einmal hässlich war – und sich immer noch dafür hält. Von dieser Selbsttäuschung kann er sie leicht kurieren, doch dafür muss er ihr erstmal die Aufrichtigkeit seiner Zuneigung beweisen. Die Gelegenheit dafür erscheint in Gestalt eines Attentäters…

Man würde es sich also zu einfach machen, diesen Auftakt zu einer der längsten Agentenserien in der SF als Pulp Fiction abzutun. Zumal dieser Eindruck nur durch die deutsche Übersetzung bestärkt wird.

Die Übersetzung

Die sogenannte Übersetzung durch Wulf H. Bergner (der bis heute tätig ist) ist zwar frei von Druckfehlern, weist aber klare Merkmale einer Kürzung auf. Besonders im letzten Teil ist es unübersehbar, dass der Umfang auf die maximalen 156 Seiten heruntergedrückt wurde. Lag es am teuren Papier, das 1971, als die Übersetzung erschien, eine Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl von Bögen vorschrieb? Tatsache ist, dass fast alle Taschenbücher, die Heyne damals veröffentlichte, diesen Umfang aufwiesen.

Auf S. 151 ist die Kürzung dann unübersehbar. Angelina antwortet auf eine Frage oder einen Ruf von Jim, die herausgekürzt wurde. Deshalb sieht ihre Nachfrage völlig unmotiviert aus.

An einer anderen Stelle jedoch gelingt es Bergner, die Verschmitztheit des Originalstil nachzuahmen und zu vermitteln. Die „tongue in cheek“-Sprache hat der Übersetzer durchaus ebenfalls in petto. Soviel zu seiner Ehrenrettung.

Unterm Strich

So spannend und wendungsreich auch die typische Agenten-Story daherkommt, so zeichnet sich die Stahlratte doch durch eine Respektlosigkeit und einen Sinn für Humor aus. Und der interessante psychologische Ansatz einer inneren Bekehrung durch induzierten Wahnsinn ist dann doch etwas ungewöhnlich. Und aus der ursprünglich als Verbrecherin gejagten Frau wird schließlich eine geliebte Partnerin. Könnte das James Bond auch passieren?

James Bonds Schöpfer Ian Fleming, der seine Kreatur ab 1953 schon sieben Mal vor der Stahlratte (1961) ins Pulp-Fiction-Universum katapultiert hatte, hätte seinem Helden solche psychologischen Verirrungen nie zugemutet – soweit ich das anhand der Verfilmungen überhaupt beurteilen kann. Aber bekanntlich tat sich der Film-Bond ab 1962 vor allem durch seine Respektlosigkeit und seinen Humor hervor – der Bierernst der fünfziger Jahre war passé. Ich nehme an, dass der Buch-Bond nicht weit von dieser Filmfigur entfernt existierte. Beide sind natürlich Wunscherfüllungsfantasien eines Ex-Spions, wie man in der Wikipedia unschwer nachlesen kann (https://de.wikipedia.org/wiki/Ian_Fleming).

Ich habe diese schmale und wahrscheinlich gekürzte Neuausgabe aus dem Jahr 1983 im Flugzeug gelesen. Es passiert viel, doch es hat wenig Bedeutung. Erst in der Mitte findet eine erstaunliche Umkehrung aller Ausgangspositionen statt, bis schließlich aus dem Gegner ein Freund wird. Aber juckt das vielleicht das Spezialkorps? Natürlich nicht. Am Schluss schlägt es wieder zu fängt den Ausreißer wieder ein. Na, dann auf ein Neues – im nächsten Band!

Taschenbuch: 157 Seiten
Originaltitel: The Stainless Steel Rat, 1961
Aus dem Englischen von Wulf Bergner
ISBN-13: 978-3453308930

www.heyne.de

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