Rensmann, Nicole – Niemand

|“Niemand“ ist eine Erzählung voller Mehrdeutigkeiten, in der alles wörtlich genommen wird.

In den Hauptrollen: Nina, eine ABK, Fräulein Klimper, der Nikolaus, das Wurzelmännchen, ein Drecksack. Ach ja, und da wäre natürlich noch – Niemand.

Orks? Drachen? Vampire? Nein! Aber Arschkriecher, Stromschwimmer, der Heilige Geist natürlich, Trauerklöße und Schaumschläger und eine Vielzahl anderer Niemandsländer, deren Bezeichnungen jenseits der Grenzen aus Unwissenheit verwendet werden. In den Nebenrollen: Jesus und das Dumme Würstchen.

„Niemand“ ist skurril witzig, liebenswert und riecht nach Erdbeeren. Fantasy neu.|

(Verlagsinfo / Umschlagtext)

_Zur Story_

Niemand ist der unsichtbare Herrscher des Niemandslandes, das heißt, es wird behauptet, dass er das sei. Seinen Machtanspruch auf den Thron hat er allerdings nie geltend gemacht, dafür sind sein Vater Niemand Sonst und sein Onkel Überhaupt Niemand um so schärfer darauf. Niemand bummelt lieber durch die Lande, immer argwöhnisch verfolgt und beäugt von den willigen Schergen seines bösartigen Erzeugers. Wie an diesem Tag, als er ein seltsames Ding auf der Wiese nahe der Grenze zur verbotenen Welt entdeckt. Ein weinendes Ding. Ein Mädchen. Eine Nina. Die Fast-Fünfzehnjährige hat sich nach Zoff mit ihrer Schwester Suse zufällig ins Niemandsland verirrt. Ein Land in dem Laberköppe, Krumme Hunde, Doofe Kühe, Ärsche mit Ohren, der Nikolaus, Jesus, der Heilige Geist, das Himmlische Kind und allerhand weitere kuriose Wesen wandeln. Viele von ihnen haben darüber hinaus keinen eigenen Namen. So wie Niemand eben, der sofort hin und weg von dem hübschen Teenagermädel ist. Mit dem Auftauchen Ninas gerät nun das ganze Niemandsland plötzlich in Aufruhr und komplett aus den Fugen.

_Eindrücke_

Um eine Aussage des Teaser-Textes vom Umschlag gleich zu kommentieren: Natürlich riecht das Buch selbst nicht nach Erdbeeren (es würde aber – nebenher bemerkt – ein sehr trefflicher Marketing-Gag). Was nämlich oberflächlich betrachtet wie eine reine effektheischende Flapsigkeit klingt, um auf Leserfang zu gehen, entpuppt sich bei der Lektüre des Buches als inhaltlich absolut zutreffend – zudem als recht zentraler Punkt. Denn Gerüche spielen im Niemandsland eine große Rolle, wenn es darum geht, den Gemütszustand seiner Bewohner zu erfassen. Das überträgt sich schön plastisch auch auf den Leser, da dessen Fantasie über diesen sehr geschickten Kniff gleich auf mehreren Ebenen stimuliert wird. Das betrifft im Übrigen nicht nur die Verknüpfung mit Emotionen mit Gerüchen, zu denen jeder Mensch naturgegeben einen anderen Bezug hat, sondern auch auf die doppelbödigen Gruppierungen, Einzelcharaktere und Orte. Insgesamt wurde die verschrobene Fantasy-Welt sehr liebevoll und originell arrangiert.

Fantasie ist also gefragt bei diesem Märchen – und um nichts anderes handelt es sich bei „Niemand“. Das bestätigt auch das als Nachwort abgedruckte Vorwort der Autorin. Die schreibt übrigens für gewöhnlich ganz andere Bücher und hat mit „Niemand“ nun ihr eigenes Lieblingsmärchen kreiert und mutig aufgeschrieben. Märchen, so wissen wir, transportieren eine Message und unterliegen zudem stark der individuellen Interpretation. Und hier kommt der Leser nun ins Boot: Es liegt an ihm dem bunten Sammelsurium der (offenbar absichtlich) anonym gehaltenen Vertreter (etwa der Stromschwimmer, Mitläufer, krummen Hunde und all den anderen schrägen Figuren) ein Gesicht – und somit eine Identität – zu geben. Denn jeder von uns assoziiert mit diesen Begriffen etwas oder jemanden. Das geschieht ganz automatisch und ist stilistisch betrachtet ein weiterer geschickter Schachzug in Punkto Interaktion.

Selbstredend sind da aber ja auch noch die fertig ausgestalteten – aber nicht minder skurrilen – Hauptfiguren, an denen es weitaus weniger zu deuten gibt und welche die Rahmenhandlung diktieren. Diese folgt über so manchen Umweg eigentlich der reinen Prämisse, die schon John Lennon zum Besten gab: „All you need is love“. Drumherum ist eine abenteuerliche Geschichte gesponnen, bei der es neben der allseits präsenten Liebesgeschichte zwischen Niemand und Nina auch noch vielfältige Actionsequenzen gibt. Immer mit zwinkerndem Auge und einer guten Portion Ironie zusammen mit dem amüsanten Ansatz ganz vieles schlichtweg wörtlich zu nehmen – auch wenn sich so einige, anfänglich witzige, Einfälle gegen Ende doch ein wenig abnutzen. Auch kommt „Niemand“ nicht ohne die eine oder andere zähe Passage aus. Dass der pathosgeladene Finaltwist nun nicht wirklich überrascht, sei dem Genre angelastet: Dies ist ein Märchen und die brauchen – selbst wenn sie so ungewöhnlich sind – eben ein rührendes Happy End. Oder?

_Fazit_

Nicole Rensmann selbst schreibt in ihrem Nachwort über „Niemand“, dass es polarisiert – entweder man liebt es oder man verdammt es in Bausch und Bogen. Ganz so drastisch muss man es aber gar nicht sehen. Es ist zwar sicher nicht vollkommen massenkompatibel, steckt aber voll sprachgewandtem Wortwitz, einem bunten Kessel Fantasie, netter Ideen und subtiler Zwischentöne, dass auch notorische Nörgler diesem modernen Märchen mit seinen schrillen Figuren Respekt zollen müssen. Auch wenn die darin enthaltene rührige Lovestory gelegentlich etwas klebrig und langatmig anmutet. Oder liegt das am Geschlecht des Rezensenten? Möglich. Ob und welche Lehren man gegebenenfalls aus der Geschichte zieht, bleibt ohnehin jedem Leser selbst überlassen. Unterhaltsam ist das „Niemandsland“ allemal und ein zweiter Teil sogar fast schon beschlossene Sache. Man darf gespannt sein und sich mit ausreichend Humor wappnen.

|Taschenbuch, 274 Seiten
Redaktion/Lektorat: Thomas Michalski
Cover und Innenillustrationen: Timo Kümmel
ISBN 978-3-86402-013-1|
http://www.atlantis-verlag.de

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