Böldl, Klaus – nächtliche Lehrer, Der

_Inhalt_

Lennart ist 25 Jahre alt, als er zu einem Vorstellungsgespräch aus Stockholm in den winzigen Ort Sandvika in der schwedischen Provinz reist. Im Vorfeld ist er skeptisch: Soll er sich wirklich von nun an in dieser absoluten Einöde verkriechen, um den wenigen Kindern Religion und Kunst nahe zu bringen?

Doch irgendetwas an dem kleinen Nest packt ihn: Ob es der See ist oder die Ruhe – man kann es nicht sagen, als aber die Zusage kommt, packt er ohne zu zögern seine Koffer und verlegt seinen Lebensmittelpunkt ans Ende der Welt. Hier passiert so wenig von dem Schrecklichen, das Lennart in der Großstadt zu sehen und sonst über die Nachrichten zu erfahren pflegte.

Der junge Mann ist ruhig, zurückhaltend, schüchtern. Einen der anderen Lehrer kann er ganz gut leiden, und mit dem am Sinn seines Berufes zweifelnden Pfarrer Lukas verbindet ihn eine stille Freundschaft. Als er schließlich auch noch die Bibliothekarin Elisabeth kennen- und lieben lernt, scheint sein Weg vorgezeichnet. Elisabeth ist bald schwanger, die Hochzeit folgt auf dem Fuße. Lennart ist es bestimmt, hier, am Weltende, eine fröhliche kleine Schar Lehrerkinder aufzuziehen, zusammen mit einer Frau, der er sehr zugetan ist. Doch dann wird Elisabeths kleines Auto von einem Zug erfasst. Sie und das Ungeborene sind auf der Stelle tot. Für alle anderen unbegreiflich bleibt Lennart, wo er ist, und führt sein Leben weiter, als sei nichts geschehen, Jahr um Jahr. Doch selbst am Ende der Welt ergeben sich immer wieder Ausbruchsmöglichkeiten, sei es nun die Bekanntschaft einer weiteren jungen Frau oder die Reise in fremde Länder. Es kommt nur darauf an, ob man diese Chancen ergreifen oder sie ungenutzt verstreichen lassen möchte.

_Kritik_

Wäre Klaus Böldls Erzählung ein Bild, so ordnete man es dem Impressionismus zu. Der Protagonist ist so still und zurückhaltend, die Blicke in seine Gedanken, die dem Leser zugestanden werden, gehen immer so haarscharf am Wichtigen vorbei, dass er geisterhaft bleibt und fern.

„Klaus Böldl schreibt mit absoluter Souveränität über Sehnsucht und Trauer“, heißt es im Klappentext. So hat sich mir dieses Buch aber nicht dargestellt. Vielmehr schien es mir, als trauere Lennart nicht sehr, als finde er sich schnell mit der Situation ab und entscheide aus freiem Willen, nicht ins aktive Leben zurückzukehren. Elisabeth starb nur wenig mehr als ein Jahr nach dem Kennenlernen, und schon in dieser kurzen Phase erfahren wir, dass sie ihrem Gatten manchmal fern ist. Lennart hätte sich mit der Ehe und der Vaterschaft abgefunden, hätte sich in die Rolle gefügt und wäre vermutlich ganz glücklich geworden, aber die Würfel fielen anders, und Lennart ergriff seine Chance auf ein lebenslanges Eigenbrötlerdasein, indem er alle Chancen auf ein aktives, soziales Leben ungenutzt verstreichen ließ.

„Der nächtliche Lehrer“ ist alles andere als uninteressant; es ist das Porträt eines totalen Außenseiters, der seine Rolle selbst gewählt hat. Der knappe Stil, die mit kurzen Sätzen detailliert beschriebenen Äußerlichkeiten, die so viel Inhalt verdecken, der nicht erwähnt wird, sind dem Geheimnis des Mannes durchaus angemessen.

Die stillschweigende Negation fast allen menschlichen Miteinanders, das Ungerührtsein Lennarts durch Erfahrungen, wie sie nicht jedem vergönnt sind, und das stete, stille Dahinplätschern seiner Lebensjahre machen fast ein wenig fassungslos. Auf jeden Fall aber zermürbt diese kleine Schrift; man wird regelrecht müde angesichts all dieser nutzlos verpuffenden Energie. Aber es fesselt doch, wenn auch unmerklich. Es sind spinnwebfeine Fesseln, die man kaum wahrnimmt, und so ist man stets aufs Neue überrascht, wenn unversehens die ruhige, etwas dickliche Person Lennarts doch noch einmal im Gedächtnis auftaucht, sachte spazierend, schweigend, noch immer fremd.

_Fazit_

„Der nächtliche Lehrer“ ist kein Buch für die breite Masse. Niemand erschießt irgendwen, es gibt keine herzzerreißende Familiensaga, kein Drama, keine Intrigen, keine Pest, keinen Krieg. Es ist ein Buch vom Rande der Welt über einen Mann vom Rande der Gesellschaft. Wenn Stille Sie anspricht, lesen Sie es. Wenn Sie dem Leben am liebsten als Zuschauer beiwohnen, ist es das Richtige für Sie. Wenn Sie naturnaher, grüblerischer Einzelgänger sind, spricht es Sie sicherlich an. Sie müssen, um dieses Buch zu schätzen, eine Vorliebe für die leisen, melancholischen Töne hegen.

|Gebundene Ausgabe: 128 Seiten
ISBN-13: 978-3100076274|
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