Philip K. Dick – Erinnerungsmechanismus. 2 Lesungen

Die CD enthält die beiden Hörspiele „Erinnerungsmechanismus“ und „Wechselbalg“. Während die erste sehr selten zu finden ist, erscheint die zweite in praktisch jeder Storysammlung von Philip. K. Dick. In jedem Fall eine reizvolle Kombination.

Der Autor

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er fast 30 Jahre lang veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow, my tears, the policeman said“ (dt. als „Eine andere Welt“ bei Heyne) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon. Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstress‘ durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967.

Die Verfilmungen

Er erlebte noch, wie Ridley Scott 1980 seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu „Blade Runner“ umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Storys, die Hollywood verfilmt hat.
Ben Affleck ist in einem Film namens „Paycheck“ aufgetreten, der auf der gleichnamigen Dick-Story aus dem Jahr 1953 beruht. An einem Skript zu Dicks Roman „Der dunkle Schirm“ wird seit Jahren gebastelt. Und vom Roman „UBIK“ hat Dick selbst ein Skript erstellt (das in der |Heyne|-Ausgabe von 11/2003 enthalten ist), das aber noch keine Umsetzung gefunden hat.

Die von Heyne herausgegebene Dick-Reihe ist sehr empfehlenswert, sind doch in der Regel Erläuterungen und Zusätze wie etwa Fortsetzungen oder Drehbücher enthalten.

Die Inszenierung der Hörspiele

Die zwei Hörspiele wurden 2000/2001 vom Bayerischen Rundfunk unter der Regie Regie/Redaktion/Hörspielbearbeitung von Martina Dietz produziert. Die Musik stammt von professionellen Musikern, die auf der Innenseite des hinteren Deckels detailliert aufgeführt sind. Auch ein ungarischer Tanz von Brahms ist zu hören.

Von den zahlreichen Sprechern sei lediglich der bekannte TV- und Filmschauspieler Axel Milberg hervorgehoben.

Handlung von „Erinnerungsmechanismus“ („Recall Mechanism“) (23:27 min)

Paul Sharp arbeitet im Landwirtschaftsministerium. Aber er sortiert keine Akten oder besucht Kuhställe, nein, er leitet die Regenierung kriegszerstörter Gebiete in Nordkalifornien. Der Atomkrieg hat zu Strahlungsschäden und Mutationen geführt. Aber der riesige, hundert Meter tiefe Krater nahe seiner Geburtsstadt Petaluma ist wohl nicht der Grund, warum Paul unter Höhenangst und Halluzinationen leidet. Und zwar seit seinem achten Lebensjahr, als er erstmals in den Schutzbunker musste.

Pauls Fall interessiert Dr. Ben Humphries, einen menschlichen Psychotherapeuten (es gibt auch Automaten), durchaus. Der erste Einsatz seines „Memo-Helms“ fördert eine seltsame Erinnerung zutage: Paul wurde als Kind von Entführern aus etwas – einem Auto? – hinausgeworfen. Der zweite Einsatz zeigt nur eine verwüstete und verstrahlte Erde ohne die früher bekannten Anbaupflanzen. Der dritte Einsatz ist am interessantesten: Paul erinnert sich, vor 14 Tagen mit einem Petaluma-Farmer einen Termin ausgemacht zu haben, der in sechs Wochen, am 30. Mai, stattfinden soll: Der Farmer sagt, etwas Bedeutendes werde geschehen.

Dr. Humphries konsultiert die Behörden, und Clarice Kirby informiert ihn, dass es in Petaluma mehrere „Präkogs“ gebe. Diese „Präkognitiven“ erinnern sich an die Zukunft …

Mein Eindruck

Die Story wurde 1954/55 geschrieben, aber erst 1959 veröffentlicht. Wie in über einem Dutzend von Dicks Storys liefert auch in dieser Erzählung ein atomarer Weltkrieg und seine verheerenden Folgen den Hintergrund für ein mehr oder weniger interessantes psychologisches Phänomen. Diesmal sind es die mutierten Präkognitiven, auch dies kein neues Konzept, da er es ja bereits in „Minority Report“ (Rezension) für das Krimi-Genre verarbeitet hatte. Auch Psychotherapeuten, menschliche wie mechanische, treten bei Dick in Scharen auf. Die lustigste Story dazu ist sicherlich „Oh to be a blobel!“ („Ach, als Blobel hat man’s schwer!“).

Insgesamt bringt also „Erinnerungsmechanismus“ außer einigen ironischen Erklärungen dieses Begriffs scheinbar wenig Neues. Und da auch eine ironische Pointe fehlt, so fragte ich mich beim Anhören doch, was denn der Pfiff an diesem Hörspiel sein soll. Die Psycho-Sitzungen liefern jedoch den Schlüssel zum verborgenen Sinn. Paul Sharp erinnert sich mit zunehmender Beklemmung an seine Stürze, bis er schließlich nicht mehr aufzustehen wagt. Seine letzte „Erinnerung“ ist jedoch die Vorausahnung des eigenen Todessturzes – eine Metapher für den (seelischen) Zustand der Welt(bevölkerung) nach dem Atomkrieg. Der Titel „Erinnerungs-mechanismus“ nimmt eine weitere Bedeutung an. Sie impliziert, dass demnächst auch die ganze Welt nur noch Erinnerung sein wird.

Handlung von „Wechselbalg“ („Human is“) (19:12 min)

Lester Herrick mag vielleicht ein guter Wissenschaftler sein, aber er ist in den Augen seiner Frau Jill ein gefühlskalter Pedant, dem sie nichts rechtmachen kann. Selbst das Kind ihres Bruders Frank mag er nicht in seinem Haus leiden, der Miesepeter. Dabei wünscht sich Jill doch so sehr eigene Kinder. Eines Tages wird der Toxikologe auf dem Fremdplaneten Rexor 4 von einem Alien übernommen – und plötzlich zu einem liebevollen Ehemann.

Jill, die zunächst von dem Austausch nichts ahnt, geht zu Frank, der für die „Aufklärung“, sprich: den Geheimdienst arbeitet. Zusammen mit seinem Chef schaut er sich den neuen Lester Herrick mal an. In der Tat: Lester ist „wie ausgewechselt“, spielt mit dem Sohn seines Schwagers, genießt das Leben (sogar Musik!) und redet in poetischen Phrasen, dass er Jill glücklich machen wolle. Grauen erregend, fürwahr. Frank ist klar, dass Lester auf Rexor 4 von einem Alien übernommen worden sein muss, das von seiner sterbenden Welt fliehen wollte.

Jill, für die Lesters neue Reden Musik in ihren Ohren sind, überwindet ihr Misstrauen und bewahrt daraufhin das Alien vor der Vernichtung. Frank bietet ihr an, den von den Rexorianern gespeicherten „alten“ Lester Herrick wieder herzustellen. Doch Jill zieht ihre erste Zeugenaussage zurück und ohne diese kann er die Vernichtung des Aliens und die Umkehrung der Veränderung nicht veranlassen …

Mein Eindruck

Die Story lotet menschliches und fremdartiges (außerirdisches) Verhalten aus, so dass sie Dicks Credo beinhaltet, was für ihn „menschlich“ ist. Nicht der Umstand, wo oder mit welcher Hautfarbe man geboren wurde, macht Menschlichkeit aus, sondern Freundlichkeit und Mitgefühl gegenüber den Mitmenschen. Dieses Credo findet sich in fast allen Alien- und Androidengeschichten Dicks.

In „Menschlich ist …“ protestiert er einerseits gegen den McCarthyismus seiner Zeit, lässt aber auch einen Alien auftreten, der sich anhand veralteter terranischer Bücher den Charme eines Gentleman von vor 200 Jahren angeeignet hat. Dieses Detail erinnert an die Story von „Kate und Leopold“. Ebenso nostalgisch und romantisch ist auch diese Story, aber weitaus ironischer. Jill Herrick ist jedenfalls über den neuen Gentleman an ihrer Seite keineswegs unglücklich und will ihn noch eine Weile behalten. Schon wegen der Kinder …

Die Inszenierung der Hörspiele

Die Sprecher erklingen in dieser modernen Hörspielproduktion natürlich in Stereo, und bei Könnern wie Axel Milberg braucht man sich keine Sorgen um die Qualität ihrer Sprechrollen zu machen. Eine ganz andere Sache hingegen sind der Sound und die Musik. Von Musik im eigentlichen Sinn kann nur in „Wechselbalg“ die Rede sein. Darin erklingt auch mal ein romantischer Brahms. Ansonsten bringt das Hörspiel eine Reihe von unbekannten Neutönern zu Gehör, deren Aufgabe vornehmlich im Füllen der Pausen zwischen den Szenen besteht.

Sounds hingegen sind unterschwellig laufend zu hören, besonders in „Erinnerungsmechanismus“. Sie schaffen eine bedrohliche, unheilschwangere Atmosphäre, die genau zum Inhalt und der Richtung des Handlung passt. Etwas gewöhnungsbedürftig ist das scharfe „KRRRTZZ!“, während der Erinnerungssitzungen, wenn der Memo-Helm tätig wird. Einem unvorbereiteten Hörer kann das durchaus durch Mark und Bein gehen.

Unterm Strich

Obwohl die potenzielle Ausgangslage sehr ähnlich ist – die Auslöschung dessen, was menschlich ist oder Menschen beherbergt, sei es Körper oder Welt -, so ist doch die Ausformung in den zwei Geschichten grundverschieden. „Erinnerungsmechanismus“ weckt die pure Paranoia, als ob es dieser noch bedurft hätte, wenn die Hauptfigur unter Höhenangst leidet.

„Wechselbalg“ hingegen spielt ironisch-schmunzelnd mit dem Gedanken, ob nicht ein liebevoller Genussmensch – obwohl ein Alien – einem gefühlskalten Forscherpedanten vorzuziehen wäre. Die Menschenfrau hat die Wahl, und die fällt eindeutig aus, wenn auch für den Geheimdienst etwas überraschend.

Wenn auch das Hörbuch mit rund 43 Minuten recht kurz ausgefallen ist, so bietet es doch mit zwei reizvollen, ausgezeichnet realisierten Hörspielen einen guten Gegenwert für den – ohnehin schon niedrigen – Preis. Die Story „Erinnerungsmechanismus“ konnte ich in den zur Zeit verfügbaren Storysammlungen Dicks nicht finden (allenfalls noch in alten |Haffmans|-Ausgaben denkbar). Dieses Hörbuch wäre also eine gute Gelegenheit, an die Story heranzukommen.

„Wechselbalg“ ist in jeder guten Dick-Collection unter dem Titel „Menschlich ist …“ enthalten. Das spricht für ihre Qualität ebenso wie für ihre Popularität bei den Herausgebern. Sie wurde vom Bayerischen Rundfunk sehr schön in Szene gesetzt. Stünde sie allein, wäre sie wahrscheinlich das bevorzugte Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk frustrierter Ehefrauen an ihren Mann …

Audio-CD
Spieldauer: ca. 43 Min.
www.der-audio-verlag.de