Schlagwort-Archive: Philip K. Dick

Philip K. Dick – Ubik. Roman und Drehbuch

Joe Chip hinter den Spiegeln, eine Geistergeschichte?

Glen Runciter ist tot – nur warum finden sich dann Botschaften von ihm auf Zigarettenpackungen und Dosenetiketten? Es ist das Jahr 1992 – doch wieso ist die Stadt voller Autos auf den 1930ern? Und was zur Hölle ist UBIK – ein gewöhnliches Raumspray oder womöglich das einzige Mittel gegen den drohenden Zerfall der Realität? (Verlagsinfo)

Der Autor

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Philip K. Dick – Das Jahr der Krisen

Folgenreicher Durchbruch zur Anders-Erde

Das Jahr 2080: Ein Präsident soll gewählt werden und steht vor unlösbaren Aufgaben: Immer größer wird der Druck der Massen, jene Millionen von Tiefschläfern wieder aufzuwecken, die in einer übervölkerten Welt in den Schlaf geschickt wurden. Aber wohin mit ihnen? Da stößt man auf den Zugang zu einer Parallelwelt, auf der der Pekingmensch zur beherrschenden Menschenrasse geworden ist. Nachdem man etliche Siedler hingeschickt hat, stellt sich heraus, dass etwas schrecklich schiefgegangen sein muss … (Verlagsinfo)
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Philip K. Dick – Blade Runner

Dieser Roman ist die literarische Vorlage für Ridley Scotts kultigen Science-Fiction-Film „Blade Runner“ von 1982, in dem Harrison Ford einen seiner besten Auftritte hat, neben Rutger Hauer und Daryl Hannah. Dabei hieß der Roman ursprünglich ganz anders: „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“.

Der Autor

Philip K. Dick, der von 1928 bis 1982 lebte, war einer der fruchtbarsten und inzwischen wichtigsten Science-Fiction-Autoren. Von ihm stammen u.a. die literarischen Vorlagen zu den Filmen „Minority Report“ (mit Tom Cruise), „Total Recall“ (mit A. Schwarzenegger), „Screamers“ (mit Paul „Robocop“ Weller) und „Impostor“ (der bei uns nie ins Kino kam, mit Gary „Das letzte Gefecht/The Stand“ Sinise).

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Philip K. Dick – Blade Runner (Hörspiel)

Typisch Dick: Humor, Philosophie und Action

Los Angeles um das Jahr 2030: Blade Runner, Sondereinheiten der Polizei, jagen in den dunklen Straßenschluchten der Mega-Städte nach entflohenen Androiden. Rick Deckard ist einer dieser speziell ausgebildeten Prämienjäger. Mit allen Mitteln versucht er, die Unterwanderung der Menschheit durch die Androiden zu stoppen. Aber ist Deckard selbst ein Mensch? (Verlagsinfo)

Der Autor
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Terry Carr (Hrsg.) – The Others (Anthologie)

Classic Science Fantasy: Die superschnellen Teufel sind unter uns

SIE sind bereits unter uns! Das Problem besteht zunächst darin, SIE überhaupt zu erkennen. Denn die meisten sehen aus wie WIR. Doch was wollen SIE? In dieser Anthologie sind sieben Phantastik-Erzählungen amerikanischer und englischer AutorInnen, die zwischen 1941 und 1969 veröffentlicht wurden, vereinigt:
– die Story „Roog“ von Philip K. Dick;
– die Story „They“ von Altmeister Heinlein;
– die Story „The Six Fingers of Time“ von Spaßvogel R.A. Lafferty;
– die Novelle „Be My Guest“ von Damon Knight, selbst ein fleißiger Herausgeber;
– die Story “ Shipshape Home“ (wörtlich: sehr aufgeräumtes Zuhause) von Richard Matheson („I Am Legend“, „The Incredible Shrinking Man“ u.a.);
– die Story „Eight O’Clock in the Morning“ von Ray Nelson (ein Nobody);
– sowie die berühmte Kurzgeschichte „The Blue Lenses“ von Daphne du Maurier, der Autorin von „Rebecca“ und „Wenn die Gondeln Trauer tragen“.
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Philip K. Dick – Eine Handvoll Dunkelheit. SF-Erzählungen

Unterschiedliche Qualität, vereinzelte SF-Klassiker

Der Storyband bietet eine Auswahl von 22 Erzählungen, die zwei Originalsammlungen entstammen: „The Preserving Machine“ (1969) und „A Handful of Darkness“ (1955). Die Qualität ist recht unterschiedlich, aber es sind ein paar Klassiker darunter, so etwa die Story, auf der der Film „Total Recall“ basiert (Nr.12). Leider fehlen die klassischen Stories „Colony“ und Impostor“ in der deutschen Ausgabe.

Der Autor

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er fast 30 Jahre lang veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als [„Eine andere Welt“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=198 bei |Heyne|) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon.

Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstresses durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967. Ab 1977 erlebte einen ungeheuren Kreativitätsschub, der sich in der VALIS-Trilogie (1981, dt. bei |Heyne|) sowie umfangreichen Notizen (deutsch als „Auf der Suche nach VALIS“ in der |Edition Phantasia|) niederschlug.

Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu [„Blade Runner“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1663 umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Storys, die Hollywood verfilmt hat. Ben Affleck spielte in einem Thriller namens „Paycheck“ die Hauptfigur, der auf einer gleichnamigen Dick-Story beruht. Als nächste Verfilmung kam „A scanner darkly“ (Der dunkle Schirm) in unsere Kinos.

Die Erzählungen

1) |Planet für Durchgangsreisende| (Planet for Transients, 1953)

Jahre nach dem Atomkrieg ist die Erde eine radioaktive Hölle geworden. Trent macht sich auf den Weg durch die Wildnis, um Siedlungen von Überlebenden zu suchen. Was er findet, sind lediglich Mutanten wie die Käfer, die Renner, die Tümmler – sie alle können ohne Radioaktivität nicht mehr leben. Als ihm schließlich der Sauerstoff auszugehen droht und verstrahlter Schnee fällt, landet eine Rakete vor seiner Nase. Menschen steigen aus, gehen in den Untergrund der Ruinen, holen wertvolle Dinge wie Bücher oder Gemälde und wollen wieder wegfliegen. Norris erklärt ihm, warum: „Wir Menschen müssen uns eine andere Welt suchen, denn diese hier ist erstens tödlich für uns geworden und zweitens gehört sie jetzt den anderen Spezies, den Mutanten. Wenn wir hier künftig landen wollen, werden wir um Erlaubnis bitten müssen!“

Der Autor dreht das alte Klischee vom heroischen Pionier, der als Eroberer auf eine fremde Welt kommt, völlig um und zeigt so die weiteren schrecklichen Folgen eines Atomkriegs auf. Eine effektive Pointe, aber konventionell erzählt. Der Text wurde später in den Roman „Deus Irae“ aufgenommen, den Dick zusammen mit Roger Zelazny schrieb.

2) |Der berühmte Autor| (Prominent Author, 1954)

Henry Ellis ist ein kleiner Berichteschreiber, der in einer großen Firma im New York der Zukunft arbeitet. Sein Chef Miller hat ihm einen neuartigen Soforttransporter zum Testen gegeben. Mit dieser Technik benötigt er statt zwei Stunden nur noch eine Minute zum Büro. Eines Morgens bemerkt er jedoch am Boden des Dimensionstunnels ein paar winzige Gestalten, die ihm ein winziges Stückchen Papier geben. Dieses lässt er übersetzen: Es sind Fragen. Die Antworten holt er von der Bundesdatenbank ein und lässt diese in die Sprache des Originals übersetzen. Er übergibt sie den kleinen Leuten und geht frohgemut von dannen. Doch am nächsten Tag gibt man ihm neue Fragen, und zwar nicht von den gleichen Leuten. Dieses Spiel geht eine Weile und Ellis fühlt sich immer besser. Zu seinem Vergnügen bemerkt er, dass ihm die kleinen Leute einen Tempel errichtet haben und Brandopfer darbringen. Fantastisch! – Am nächsten Morgen kriegt er einen wütenden Anpfiff vom Boss, der ihm vorwirft, den Test missbraucht zu haben. Und wisse er, Ellis, eigentlich, welche Sprache, die angeblich Centaurianer sprechen, das ist, welche für ihn übersetzt wurde? Althebräisch! …

Die Story beantwortet die alte Frage, woher die Zehn Gebote und die Geschichten des Alten Testaments kommen, auf originelle und sympathische Weise. Zugleich ist sie ein Kommentar auf die Arbeit eines jeden mit Sprache arbeitenden Künstlers, wie Dick einer war.

3) |Der Baumeister| (The Builder, 1954)

Ernest Elwood baut in seinem Hinterhof ein Boot, aber es hat weder Motor noch Segel. Dass dies recht seltsam ist, findet vor allem seine Frau Liz, die immer wütender wird. Denn Ernest kann ihr überhaupt nicht sagen, warum er dieses verflixte Boot baut. Er weiß nur, dass es eilt, doch nur sein jüngerer Sohn Todd hilft ihm, während Bob, der ältere, frotzelt, es sei ein atomgetriebenes U-Boot. Elwood versteht erst, was er da tut, als die ersten dicken schwarzen Regentropfen fallen …

Die Story greift wie „Der berühmte Autor“ auf das Alte Testament zurück: Elwood ist ein moderner Noah. Doch wichtiger als diese Pointe ist die Stimmung des drohenden Dritten Weltkriegs, denn die Jungs müssen für Atomschutzmaßnahmen üben (bekanntes Motto: „Duck and cover!“). Im Büro werden rassistische Äußerungen gemacht, und auch von Kommunistenhatz ist die Rede. Es ist eine allgemeine Stimmung der Angst und Paranoia. Als der drohende Weltuntergang in Form der Sintflut schließlich wirklich eintritt, ist nur Elwood darauf vorbereitet.

4) |Die kleine Bewegung| (The Little Movement, 1952)

Die Spielzeuge proben den Aufstand – ein intelligenter kleiner Spielzeugsoldat lässt sich von einem Straßenhändler an einen Jungen verkaufen und versucht diesen Jungen zu einem gehorsamen Werkzeug seines Willens zu machen. Er und seine Kollegen wollen nämlich die Welt, die von der Rasse der „Erwachsenen“ beherrscht wird, in einem revolutionären Kampf erobern, um selbst die Herrschaft zu übernehmen. Aber „Mein Gebieter“, wie er sich nennen lässt, hat nicht mit dem Widerstand der anderen Spielzeuge gerechnet …

Eine kleine satirische Story über „toy soldiers“, die das Schicksal von Revoluzzern behandelt. Eine kleine Fehlkalkulation, und schon ist es vorbei mit der glorreichen Revolution – besonders wegen der unvermutet auftauchenden Konterrevolutionäre.

5) |Die Konservierungsmaschine| (The Preserving Machine, 1953)

Doc Labyrinth ist ein Genie und Musikliebhaber. Und als solcher ist ihm der Gedanke zuwider, dass in einem Atomkrieg all die kostbaren Partituren der wundervollen Musik Mozarts und Beethovens vernichtet werden könnten. Nach einer genialen Vision lässt er die Konservierungsmaschine konstruieren, die auch einwandfrei funktioniert. Er legt eine Partitur ein und die Maschine produziert ein Lebewesen. Aus Beethoven wird ein bulliger Käfer, aus Mozart ein wunderschöner Vogel, aus Wagner ein elegantes Raubtier. Doc lässt wie weiland Noah (s. o.) alle Tiere im nahen Wald frei. Als er mit seinem Freund, dem Ich-Erzähler, nachsieht, was aus ihnen geworden ist, erlebt er eine böse Überraschung. Die Gesetze der Wildnis haben voll zugeschlagen …

Die Story ist eine einfallsreiche Kontemplation der Beziehung zwischen höchster Kunst (Musik) und der rohen Natur (Wildnis). In einem schlagenden Experiment beweist Dick, dass es keine Brücke gibt. Die von der Wildnis veränderten Musik-Tiere produzieren eine abscheuliche Musik. Fazit: Musik kann nur im Reich des Menschen und des Geistes überleben.

6) |Der unmögliche Planet| (The Impossible Planet, 1953)

Eine alte Lady von 350 Jahren bittet zwei Raumfahrer, Norton und Andrews, um ein Ticket zur Erde. Sie haben von ihrem Großvater davon gehört: eine grüne Welt, mit blauen Meeren. Zuerst lehnen sie verblüfft ab: Diesen Planeten gebe es nicht, er sei nur Legende. Doch ein entsprechend hohes Entgelt überzeugt zumindest Andrews. Und tatsächlich finden sie einen Planeten, der als dritter mit einem Mond in einem Neun-Planeten-System existiert. Aber die Oberfläche ist eine deprimierende Hölle: eine Endzeitvision. Die beiden Betrüger, denen es nur ums Geld geht, versichern der tauben Alten und ihrem Dienstroboter, die sei wirklich die alte Erde – allerdings nach einem verheerenden Krieg gegen die Centaurianer. Während der Roboter die alte Lady im Meer bestattet, findet einer der beiden eine Metallscheibe mit der Aufschrift „E pluribus unum“(*). Er wirft sie in den Müllschlucker und fliegt nach Hause.- Die Story ist einfühlsam geschrieben und weiß durchaus zu beeindrucken, trotz des bitteren Untertons.

*: Inschrift auf einem Dollarstück, das Nationalmotto der USA: „aus vielen (Einzelteilen) eines (ein Ganzes)“.

7) |Der unermüdliche Frosch| (The Indefatigable Frog, 1953)

Prof. Hardy behauptet, dass gemäß Zenos 2000 Jahre altem Paradox vom Frosch und dem Brunnen der Frosch niemals den Brunnenrand erreichen könne. Der Grund: Mit jedem Sprung des Frosches halbiert sich die Sprungweite. Die Folge: Auch bei seinen letzten Sprüngen ist es dem Frosch unmöglich, den Brunnen vollends zu berühren – er nähert sich ihm asymptotisch. Doch Prof. Grote ist gegenteiliger Ansicht. Um dem Streit der beiden ein Ende zu bereiten, verdonnert der Dekan sie, Zenos Paradox experimentell zu beweisen. Dieses hat erst für den eingesetzten Frosch und dann auch für Prof. Grote erstaunliche Folgen.

Das Phänomen des schrumpfenden Menschen, der schließlich in submolekulare Bereiche vorstößt, war z. B. Asimov bereits 1939 bekannt. Insofern ist die Story nicht sonderlich originell. Die Physik an sich ist sogar ziemlich fantasyhaft. Kein Glanzpunkt der Sammlung.

8) |Das kreisende Rad| (The Turning Wheel, 1954)

Jahrhunderte nach dem Atomkrieg ist die Erdoberfläche noch verwüstet, aber tief unter ihr hat sich eine neue Kultur entwickelt. Sie lebt nach der Lehre des kreisenden Rades, wonach jeder auf einer Stufe der Leiter der Existenz wiedergeboren wird. Barde Sung-wu, ein Angehöriger der obersten Kaste, hat wegen einer Sünde Angst, er werde als Schmeißfliege auf einem Sumpfplaneten wiedergeboren werden – nachdem er an einer Seuche in naher Zukunft gestorben ist. – Da erteilt ihm sein vorgesetzter Barde Chai den Auftrag, auf der Oberfläche nachzusehen, was es mit diesem neuen Kult der Tinkeristen auf sich habe. Es soll sich um haarige und schmutzige Kaukasier handeln und, was noch schlimmer ist, um Technos! Als Sung-wu dort auftaucht, erlebt er mehrere Überraschungen, von denen sich die letzte und größte als recht angenehm erweist.

Diese Story präsentiert zwei ausgeformte religiöse Systeme, die die Post-Holocaust-Zukunft beherrschen: die deterministische des Kreisenden Rades und die vom freien Willen bestimmte Religion der Tinkeristen, der wir Westler heute schon anhängen. Welche davon siegen wird? Selber lesen!

9) |Nachwuchs| (Progeny, 1954)

Ed Doyle ist die 4,3 Lichtjahre von Proxima Centauri, wo er Badezimmer verkauft, zur Erde geeilt. Gerade noch rechtzeitig langt er im Krankenhaus an, um seinen frischgeborenen Sohn Peter bewundern zu können. Janet, die Mutter, ist auch schon wieder wohlauf. Die modernen Methoden helfen doch sehr, die Entbindung komplikations- und schmerzlos hinter sich zu bringen. Der Robotarzt Dr. Bish zeigt Ed seinen Sohn. Doch als Ed ihn auf dem Arm zu nehmen wünscht, löst er mit diesem Ansinnen Entsetzen aus, und Janet ist entrüstet. Nur Roboter dürfen Babys in den Arm nehmen, und nur sie dürfen Kinder aufziehen. Nicht auszudenken, welche Neurosen ihr kleiner Sohn sonst von seinen Eltern übernehmen könnte! – Aber wann er denn dann seinen Sohn sehen könne, will Ed niedergeschlagen wissen. Nun ja, nach neun Jahren sei Peters Geist voll ausgeformt und er käme in die Ausbildung, aber dort würden ihn ebenfalls Roboter in ihre Obhut nehmen. Mit 18 also. Vielleicht. – Ed fliegt wieder nach Proxima, aber nach neun Jahren kehrt er zurück. Er hat sich von Janet getrennt. Von Dr. Bish, der im Gegensatz zu Ed kein bisschen gealtert ist, erhält er die Erlaubnis, seinen Sohn 90 Minuten lang zu sehen. Das Treffen verläuft allerdings anders als geplant …

Die anschaulich und lebhaft erzählte Story ist eine erschreckende Vision von einer Zukunft, in der die Roboter das Kommando darüber übernommen haben, wie die Kinder ihrer einstigen Herren aufwachsen. Und deshalb darf es nicht verwundern, dass die Kinder nicht wie Menschen fühlen, sondern wie Roboter denken. Das Szenario erinnert an Jack Williamsons Klassiker „The Humanoids“ aus dem Jahr 1949.

10) |Die Keks-Dame| (The Cookie Lady, 1953)

Bernard Surle ist ein guter Junge, der brav seine Hausaufgaben macht. Seine Eltern erlauben ihm, Mrs. Drew, die alte Dame in der Nachbarschaft, zu besuchen, die immer so leckere Kekse backt. Heute liest ihr Bernard etwas über Peru vor, nachdem er die erste Ladung Plätzchen verputzt hat. Jedes Mal, wenn sie neben ihm sitzt, fühlt sie sich 30 Jahre jünger, doch wenn er wieder geht, kehrt das Alter zurück. – Als Bernard nach Hause kommt, fühlt er sich erschöpft. Erschrocken verbieten ihm seine Eltern, weiter zu der Keks-Dame zu gehen, das heißt: ein einziges Mal darf er noch. Doch dieses Mal wird sein letztes Mal …

Wow, eine echte Horrorstory vom Meister der Science-Fiction! Und eine richtig gruselige obendrein! Sehr stimmungsvoll, einfühlsam, ein wenig sinnlich und sogar anrührend. Sutins Meinung: Eine Abwandlung des Märchens von Hänsel und Gretel …

11) |Markt-Monopol| (Captive Market, 1955)

Edna Berthelson ist eine Ladenbesitzerin in Walnut Creek im Kalifornien des Jahres 1965. Die ältere Dame hat schon eine ganze Familie aufgezogen, doch die Kinder sind inzwischen fast alle weggezogen. Nur ihre Tochter und deren Sohn Jack leben bei ihr. Sie sind die einzigen, die mitbekommen, dass Edna jeden Samstag an einen unbekannten Ort fährt. Diesmal aber gelingt es Jack, unbemerkt mitzufahren und sich in der Ladung des Lasters zu verstecken. Großmutter lenkt ihren Wagen aber seltsamerweise nicht in die Stadt, sondern in das Gebirge des Mount Diablo und dort löst sich ihr Laster plötzlich in Nichts auf, so dass Jack in den Staub des Straßengrabens fällt. –
Was er nicht weiß: Ednas Ziel ist das Lager von abgerissenen Überlebenden eines Atomkriegs. Sie haben aus einer gestohlenen Atomrakete ein Raumschiff gebaut, mit dem sie zur Venus fliegen wollen. Edna bringt die letzten benötigten Ausrüstungsgegenstände und sie bezahlen sie mit Dollarnoten, die für sie selbst längst allen Wert verloren haben, für Edna jedoch nicht. Sie ist die einzige Händlerin für diese Kunden, und das stinkt ihnen gewaltig, weil sie sich ausgenutzt fühlen.

Nun sagen sie ihr, sie brauchen sie nicht mehr. Ihre Proteste, sie habe weitere Waren bestellt und die müssten bezahlt werden, verhallen nutzlos. Sie geht wütend wieder zurück in ihre eigene Zeit, aber sie wird sich rächen: Sie findet die Zeitlinie, in der das Raumschiff einen Defekt hat und wieder zur Erde fällt. Ihre Kunden sind für immer auf Ednas privatem Markt gefangen. (Daher der doppeldeutige O-Titel „Captive Market“: Markt der Gefangenen.)

Die böse Story wendet das Prinzip des Kapitalismus auf die Überlebenssituation nach dem Atomkrieg an – keine schönen Aussichten. Bemerkenswert ist die Art und Weise der Zeitreise: ein Gleiten von einer Dimension zur nächsten. Edna ist eine Art Präkog: Sie kann zwischen den Ereignisketten der möglichen Zukünfte wählen und findet todsicher die gewünschte heraus – Pech für die Venusfahrer.

12) |Wir erinnern uns für Sie en gros| (We Can Remember It For You Wholesale, 1966)

Die Handlung verläuft ein wenig anders als in der von Paul Verhoeven inszenierten Action-Brutalo-Oper „Total Recall“ mit Arnold Schwarzenegger als Douglas Quail. Quail wünschte sich in der reglementierten Realität der Erde schon immer, einen aufregenden Job zu haben, zum Beispiel auf dem Mars. Seine bodenständige Frau Kirsten spottet ihn aus.

Und so geht Dougie zur REKAL AG. Dort erhebt sich die Frage: Verfügt Douglas Quail über vom Militärgeheimdienst implantierte Erinnerungen, ein Agent auf dem Mars zu sein, oder ist er wirklich einer? In jedem Fall ist die Antwort sowohl interessant als auch verblüffend. Das Ersatzprogramm erweist sich als Desaster …

Die Story ist eine Extrapolation der Gehirnwäsche, die das Militär und dessen Geheimdienst an seinen Mitgliedern vornehmen könnte. Ein Vorbild war sicherlich der Film „The Manchurian Candidate“ von John Frankenheimer. In die gleiche Kerbe schlug übrigens 1968 John Brunner mit seinem SF-Roman „Morgenwelt“ („Stand On Zanzibar“), in dem ein harmloser Wissensarbeiter vom Militär zu einem paranoiden Superkiller umgekrempelt wird.

13) |Über der öden Erde| (Upon the Dull Earth, 1954)

Die Aliens sehen wie weiße Engel aus: geflügelt, majestätisch – und blutgierig. Silvia Everett hat sie mit Blut aus ihrer Dimension auf die Erde gerufen, denn sie will sich ihnen unbedingt anschließen – so wie eine Raupe, die auf der öden Erde umherkriecht, sich in einen frei fliegenden Schmetterling verwandeln will. Silvias Freund Rick ist hingegen skeptisch, denn er will die 19-Jährige eigentlich heiraten und mit ihr eine Familie gründen.

Doch die Aliens schnappen sich Silvia aus dem Keller des elterlichen Hauses und entführen sie in ihre Dimension. Rick erhebt sich aus der Verwüstung, klagt über Silvias verbrannten Körper und beschwert sich bei einer Abordnung der Engelartigen. Wie sich herausstellt, hat eine Fraktion der Fremden übereilt gehandelt: Silvia darf zurückkehren. Allerdings gibt es dabei einen Haken: In welchen Körper soll Silvias Seele nun zurückkehren? Als es wirklich passiert, ist das Ergebnis für Rick ebenfalls deprimierend: Jede Frau auf Erden sieht wie Silvia aus – und bald auch jeder Mann. Jeder …

Die Story beginnt sehr romantisch: mit Engeln und einer begeisterten jungen Frau. Doch ganz allmählich breitet sich zunehmendes Grauen aus, das bis zur letzten Konsequenz ausgespielt wird. Bemerkenswert ist vor allem das philosophische Konzept, dass eine Seele aus dem „Jenseits“ zurückkehren könnte, dabei jedoch mangels Ursprungskörper in ALLE verfügbaren Menschenkörper eindringt und diese verformt: „form follows function“, um einen alten Designgrundsatz zu zitieren. Es handelt sich um eine quasi-göttliche Invasion der besonders gruseligen Art. Sutins Meinung: Dicks Variation des Mythos von Orpheus und Eurydike.

14) |Ausstellungsstück| (Exhibit Piece, 1954)

Miller ist Angestellter der Geschichtsagentur im 22. Jahrhundert und betreut die Ausstellung für das 20. Jahrhundert. Er hat sich allerdings auf seine Epoche viel zu weit eingelassen, findet der Politkomissar Fleming, der Vertreter des Weltdirektorats. Miller raucht sogar Pfeife und trägt eine Lederaktentasche, es ist kaum zu fassen. – Als Miller ein Geräusch aus seiner Ausstellung hört, geht er hinein und stößt dort auf eine Mutter mit zwei Jungen. Sitzen beim Frühstück und erkennen in Muller ihren Vater bzw. Gatten George. – Miller geht zum Psychiater Dr. Grunberg, um herauszufinden, welche der beiden Welten real ist. Antwort: beide! Den Beweis findet Miller, als er zurück zur Grenze in die Welt der Geschichtsagentur geht. Sein Chef droht, die Ausstellung zu zerstören. Miller lacht und zieht es vor, in seiner neuen „Welt“ zu leben. Da erlebt er eine böse Überraschung …

Eine typische Dick-Story über Realitätsverlust, diesmal aber mit einer makaberen Pointe.

15) |Kriegsspiel| (War Game, 1959)

Generäle spielen Kriegsspiele, das weiß jeder. Aber in einer von Krieg und Militarismus beherrschten Nation (wie etwa der amerikanischen) spielen auch Kinder Kriegsspiele. Buchstäblich. Und diese muss ja jemand testen. Die Tester von der Importkontrolle erhalten Spielprototypen von einem mysteriösen Hersteller, der auf dem Jupitermond Ganymed herstellen lässt. Und die Ganymedianer sind ja bekanntlich ziemlich hinterlistige Burschen.

Den Testern ist ihnen nicht ganz klar, um wen es sich bei den Ganymedianern genau handelt, aber das Spiel ist interessant, geradezu realistisch – und didaktisch. Die Tester werden trainiert, ohne es zu merken. Aber wenn die Hersteller nun Aliens wären, die die Abwehrbereitschaft der Erde prüfen wollten?

„Kriegsspiel“ ist eine unterhaltsame und augenzwinkernde Satire auf Militär und Geheimdienst, die es in sich hat.

16) |Die Kriecher| (The Crawlers, 1954)

Gretry untersucht im ländlichen Tennessee des Jahres 1954 das Auftauchen der Kriecher. Schon wieder ist einer überfahren worden: ein weicher Körper, maximal einen Meter lang, mit Scheinfüßchen, aber einem Kopf mit erstaunlich menschlichen Augen. Diese Wesen bilden eine Kolonie und bauen in die Tiefe, weiß Gott, wie tief. Und wo kommen sie bloß her? Kann das Strahlenlabor hinter den Hügeln daran schuld sein?

Gretry besucht die Familie Higgins auf ihrer Farm. Die Alte fordert ihn auf, die Wesen möglichst rasch auszurotten, aber ihre 19-jährige Tochter hat eines der Wesen zur Welt gebracht. „Sie fressen nur Blätter und Gras“, sagt sie. Der Nachbar hat sein Kriecherjunges erschossen, aber sie und ihr Mann bringen das nicht übers Herz. Sie geben es Gretry mit, auf dass er es der Kolonie der Kriecher übergebe. Doch er hat andere Pläne: Extermination. Unterdessen wundern sich die Kriecher in der Tiefe, dass manche Mütter Missgeburten hervorbringen: Diese schreien und habe steife Gliedmaßen. Aber man kann sie schnell loswerden und für immer zum Schweigen bringen.

Die Story schildert die mutierende Wirkung radioaktiver Strahlung auf sehr drastische Weise. Unbehaglich ist die Vorstellung, dass Menschenbabys programmiert sein könnten, eine Art Maulwurfs-Kolonie zu binden. Noch unschöner ist jedoch der Gedanke, Frauen könnten Kriecher gebären und sie NICHT töten wollen. (Man sollte bedenken, dass Dick selbst drei Kinder hatte.)

17) |Kriegsveteran| (War Veteran, 1955)

Eine bis zum Schluss sehr spannende und clever konstruierte Story. Man schreibt den 4. August 2169, als ein Mann namens David Unger im Krankenhaus von New York City auftaucht, der behauptet, im Jahr 2154 geboren worden zu sein. Dabei sieht aus wie ein Neunzigjähriger. Hat er eine Zeitreise gemacht? Dr. Vachel Patterson und seine Kollegin Dr. Evelyn Cutter stehen vor einem Rätsel.

Doch was der Kriegsveteran über die Erde der Zukunft zu erzählen hat, ist brisanter Zündstoff. Denn inzwischen bahnt sich durch den von Konzernchef Gannett angeheizten Nationalismus der Erde ein Krieg an. Die Venusier werden bereits als „Schwimmfüße“ beschimpft, weil sie grüne Haut und Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen haben. Die Marsianer disqualifiziert man gleichfalls: als „Krähen“. Auch ihre Kriegsschiffe sind schwarz. Gannett hofft offensichtlich, einen Wirtschaftskrieg mit Mars und Venus gewinnen zu können.

Doch Veteran David Unger erzählt etwas anderes. Er sei der einzige Überlebende der irdischen Schlachtflotte, die unter Commander Nathan West flog und von den Flotten der zwei Kolonialwelten völlig vernichtet worden sei. In der Folge wurden sowohl die Erde durch „C-Raketen“ (Kobaltbomben vermutlich) und auch alle Archen vernichtet.

Doch Patterson entdeckt eine Unstimmigkeit: Die ID-Nummer, die David Unger vorweist, passt auf einen 15-jährigen Rekruten, aber der heißt nicht Unger, sondern Ben Robinson. Folglich kann Unger kein Mensch von der Erde sein. Ist er überhaupt ein Mensch? Aber wer hat ihn gebaut? Wahrscheinlich weiß der Venusier V-Stephens mehr, aber er ist soeben aus seiner Verwahrzelle in der Klinik entkommen …

In dieser komplexen Story vermischt der Autor zahlreiche Zutaten der Science-Fiction zu einem abenteuerlichen Garn mit einem verblüffenden Schluss. Die Story hat Novellenlänge: Sie ist 50 Seiten lang. Und jede dieser Seiten ist gespickt mit einer überraschenden Wendung und / oder mit gewalttätiger Action, bei der vornehmlich „Kältestrahler“ zum Einsatz kommen. Die Story beweist, dass Dick auch die längere Form einwandfrei und sehr unterhaltsam handhaben konnte.

18) Die Nummer eins unter den Stellvertreter-Jobs (Top Stand-By Job, 1963)

Eine feindliche Alien-Flotte greift die Ränder des Sonnensystems an und im Weißen Haus herrscht ein Notstand. Der Vizepräsident Gus Schatz ist gestorben und man holt als Ersatz Maximilian Fischer, ebenfalls einen alten Gewerkschafter. Die Gewerkschaften stellen per Gesetz den Stellvertreter des US-Präsidenten. – Zunächst erwartet Max nur ein ruhiger Job, den er mit einem Hobby ausfüllen kann. Der Vize hat ja keine Entscheidungsbefugnis, im Gegensatz zum Präsidenten. Und der Präsident wird von Unicephalon 40-D, einem leistungsfähigen Problemlösungsroboter, gestellt. Stressig wird es jedoch für Max Fischer, als die Aliens den Unicephalon 40-D durch einen Angriff ausschalten: Max ist jetzt selbst Präsident! Aber in keiner Weise dafür ausgebildet.

Die Story macht ziemlich kiritische Bemerkungen darüber, ob die Gewerkschaften in der Lage wären, das Land im Fall des Falles zu führen. Die Antwort lautet eindeutig nein. Vetternwirtschaft und Skrupellosigkeit in Kombination mit Machthunger gehen eine unheilvolle Verbindung ein.—In dieser Story tritt erstmals Jim Briskin auf, die Hauptfigur in Dicks Roman „Das Jahr der Krisen“ (The Crack in Space, 1966). Er ist in der Story der News-Clown und hat bereits die Ambitionen auf die Präsidentschaft, die sich im Roman erfüllen.

19) |Hätte es Benny Cemoli nicht gegeben| (If There Were No Benny Cemoli, 1953)

Zehn Jahre nach dem Atomkrieg trifft im Jahr 2180 die Menschenflotte von Proxima Centauri ein, um erstens den Wiederaufbau zu beginnen und zweitens die Kriegsverbrecher mit ihrer Polizei aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen. Doch in den Ruinen von New York City, wo die entsprechenden Köpfe ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben, kann man sich an keine Kriegsverbrecher nicht erinnern. Vielleicht weiß die Zeitung mehr? Man setzt das Elektronengehirn Cephalon der „New York Times“ wieder instand und freut sich auf die erste Ausgabe.

Die Verwunderung ist groß, als in der Erstausgabe die Rede von einem gewissen Benny Cemoli ist, der einen Aufstand gegen die Invasoren von Centauri anführe und deren Barrikaden stürme. Nachforschungen ergeben, dass es sich um reine Fiktion handelt. Aber warum und wozu? Wie wie kommt eine selbstlenkende Zeitung dazu, so etwas zu erfinden?

Die Story lässt sich leicht auf die Kriegsverbrecherjagd nach dem Zweiten Weltkrieg anwenden und als recht ironischer Kommentar verstehen. Indem den Centaurianern ein fiktiver, aber gut „dokumentierter“ Sündenbock präsentiert wird, lenkt die Jagd nach ihm ihre Aufmerksamkeit von den echten Verbrechern ab. Diese residieren weiterhin in einer großen Parteizentrale in Oklahoma City …

20) |Rückzugs-Syndrom| (Retreat Syndrome, 1964)

John Cupertino wird auf dem Higway nach Los Angeles wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten – ein schweres Vergehen. Der „Befriedungsoffizier“ Myers ist jedoch ebenso geschockt wie seine Cops, als er sieht, wie Cupertinos Hand im Armaturenbrett des Wagens verschwindet. Gerne entspricht er dessen Wunsch, sofort seinen Psychiater sprechen zu wollen.

Dr. Gottlieb Hagopian frischt Cupertinos Gedächtnis auf. Er lebe seit drei Jahren auf Terra, nachdem er auf dem Jupitermond Ganymed beinahe seine Frau Carol umgebracht hätte. Carol hatte zuvor die Umsturzpläne der Ganymedianer, in die ihr Mann eingeweiht war, an die gleichgeschalteten Medien verraten. Daraufhin hatte Terra Ganymed abgeriegelt, und der geplante Aufstand war gescheitert. John wollte sie erschießen, verfehlte sie aber.

Cupertino ist aber felsenfest überzeugt, sie erschossen zu haben. Er fährt zu der von Hagopian angegebenen Adresse Carols bei Los Angeles. Tatsächlich: Carol lebt. Natürlich ist sie nicht gut auf ihn zu sprechen. Allerdings kann auch hier Johns Hand in das Videofongerät eindringen – dieser Ort ist nicht real. Aber wo befindet sich dann Cupertino wirklich? Und wie schafft man es, ihn in dieser terranischen Illusion gefangen zu halten? Ist er es selbst, durch sein Schuldgefühl?

Wie bei Sartre ist der Protagonist in seiner privaten Hölle gefangen, die er sich bei seinem Rückzug aus der Realität selbst gezimmert hat. Der Autor hat hier den Schritt von der Suche nach der allgemeinen zur persönlichen Wirklichkeit (koinos kosmos vs. idios kosmos) getan.

21) |Der Preis für den Kopierer| (Pay For the Printer, 1956)

Die Erde ist nach dem Atomkrieg wüst und unwirtlich, aber noch schlagen sich ein paar Siedlungen durch. Sie schaffen das, weil die Biltong, Aliens aus dem Centauri-System, für sie ihre Zivilisationsgegenstände kopieren: Objekte, Essen, Kleidung, sogar Autos und Häuser. Aber als Alle Fergesson, Charlotte, Ben Untermeyer und John Dawes zu einem der Biltongs fahren, um kostbare Originale kopieren zu lassen, werden sie bitter enttäuscht: Der Biltong liegt im Sterben. Er kann sich auch nicht fortpflanzen, weil die unnatürliche Trennung von seinen Genossen ihn geschwächt hat.

Aber die Tätigkeit des Kopierers hat die Mitglieder der Siedlung so lange Jahre verwöhnt, dass sie nun frustriert und wütend sind, als es für sie keinen Wohlstand auf Pump, sondern nur noch Not gibt. Sie töten ihn. Fergesson & Co. können dem Mob gerade noch entkommen. Aber es gibt Hoffnung: Dawes lebt schon lange ohne Biltong-Kopierer und hat eine hölzerne Tasse und ein Messer mit eigenen Händen hergestellt – unfassbar, denkt Untermeyer.

Der Autor warnt davor, sich auf Hilfe von außen zu verlassen, wenn der Fall der Fälle eingetreten ist. Das Ende der künstlichen Versorgung bedeutet nicht den Untergang der Menschheit, sondern eine Chance für den Neuanfang – sofern man sie als solche begreift, wie Dawes es tut.

22) |Was die Toten sagen| (What the Dead Men Say, 1964; 60 Seiten)

Diese Erzählung von 1964 bildet eine Vorstufe zu Dicks Roman „UBIK“ (1969).-
Im Kälteschlaf-Institut von Herbert Schönheit von Vogelsang in L.A. können Menschen im Kältepack dennoch für gewisse Zeit – das „Halbleben“ – mit ihrer Umwelt kommunizieren, etwa um Ratschläge zu erteilen und Anteil an bestimmten Entwicklungen zu nehmen. Doch Louis Sarapis, der mächtigste Industriemagnat des Sonnensystems, reagiert nicht auf Versuche, ihn im Halbleben zu reaktivieren. Stattdessen meldet er sich plötzlich aus einer Lichtwoche Entfernung aus dem Weltall, um die Nominierung seines Präsidentschaftskandidaten zu forcieren. Hintergrund dieses Phänomens ist offenbar, dass Sarapis‘ Erbin Kate Egmont Sharp, eine drogensüchtige Psychotikerin, zusammen mit diesem Kandidaten die Stimme aus dem All vorgetäuscht hat. Johnny Barefoot, einer der beiden Protagonisten der Story und Sarapis’ Ex-PR-Berater, bricht am Schluss auf, um die Frau auszuschalten, obwohl er sich in sie verliebt hat.

Wenngleich der Autor eine logische Erklärung für die Vorgänge findet, haftet der Geschichte über weite Strecken ein starkes Gefühl der Verfremdung und des Unbehagens an. Motto: Die Welt ist aus den Fugen geraten, doch Dicks Helden geben niemals den Versuch auf, die Rätsel aufzuklären. Dick hat hier das Potenzial verschenkt, die Aspekte des Halblebens im Kältepack auszuloten. Das hat er 1969 in „UBIK“ nachgeholt. Außerdem ist die Novelle über weite Strecken ziemlich langweilig, denn es passiert nichts. Die entscheidende Wende wird erst sehr spät herbeigeführt. Das Phänomen, dass Sarapis’ Sender auf allen elektronisch gesteuerten Funkkanälen (TV, Telefon, Funk, Radio) zu empfangen ist, wird nie erklärt. Das ist ebenfalls ziemlich unbefriedigend.

_Die Übersetzung_

Der Name des Übersetzers wird als Thomas Ziegler angegeben. Dahinter verbirgt sich der Autor und Übersetzer Rainer Zubeil. Seine Arbeit war offenbar schlecht bezahlt, denn er leistete sich ein paar Schnitzer, die er bei sorgfältigerer Arbeit wohl vermieden hätte. In der Story „Kriegsveteran“ ist die besagte Titelfigur mal 98 Jahre alt (Seite 272), dann aber wieder 89 Jahre alt (S. 289). Was ist nun richtig? Der Leser kann es leicht selbst ausrechnen. Das hätte der Übersetzer aber für ihn erledigen können, oder?

„Sein Antlitz verriet eisernes Entsetzen …“, heißt es auf Seite 61. Auch dieser Flüchtigkeitsfehler lässt sich zum Glück enträtseln. Statt „eisern“ muss es „eisig“ heißen. Noch eine Kostprobe gefällig? „… als er sein miniaturenes Abbild davonrennen sah.“ (S. 99) Nun ist „miniaturen“ kein deutsches Wort, passte aber offenbar so schön in die Zeile, dass der Übersetzer es stehen ließ. Richtig sollte es „miniaturisiertes“ oder „en miniature“ heißen. – Lassen wir’s mit den Beispielen dabei bewenden. Der Eindruck ist klar genug.

Unterm Strich

Diese Sammlung enthält 22 Storys Philip K. Dicks, die meistens in den fünfziger Jahren geschrieben und veröffentlicht wurden. („The Preserving Machine“ erschien zwar 1969, enthielt aber nur vier Storys aus den Sechzigern, der Rest stammte aus den Fünfzigern.)

Sie veranschaulichen demjenigen, der sich Dicks Werk erschließen möchte, Zugang zu einigen zentralen Themen der frühen Schaffensperiode darin: Immer wird das Thema des Atomkriegs durchgespielt, ganz besonders in seinen Folgen und in seiner Rechtfertigung. Die Folgen können humorvoll dargestellt werden wie in „Das kreisende Rad“, meist aber besteht eine Art Trauma.

Ganz besonders ironisch sind Post-Holocaust-Stories, in denen die Kriegsverbrecher ungeschoren davonkommen. Dagegen sind Erzählungen über Realitätsverlust wie etwa „Ausstellungsstück“ noch selten. Solche Storys sind eher in der zweiten Schaffensphase ab 1962 die Regel.

Im Nachwort umreißt Herausgeber Hans-Joachim Alpers noch einmal die grundlegenden Merkmale und Interessen des Autors, die in seinen Erzählungen und über 40 Romanen zu finden sind. Als Alpers dieses Nachwort schrieb, lebte Philip K. Dick noch. Er starb erst im März 1982.

Alpers hätte besser mal die Tatsache erklären sollen, warum die Sammlung ausgerechnet „Eine Handvoll Dunkelheit“ heißt. Eine Story dieses Titels gibt es nach meinen Informationen nicht, sondern das ist der Titel der Original-Collection. Eine mögliche Erklärung: Wenn man dieses Buch in der Hand hält, schaut man in eine Hand voll Dunkelheit …

Die Übersetzung ist gekennzeichnet von schlechtem Deutsch und von Flüchtigkeitsfehlern, was zu Punktabzug führt. Wenigstens stört das den Lesefluss meist nicht, so dass man den Text in der Regel einwandfrei genießen kann.

Taschenbuch: 464 Seiten
Originaltitel: A handful of darkness, 1955 & The preserving machine, 1969
Aus dem US-Englischen von Thomas Ziegler und Andreas Brandhorst.
ISBN-13: 9783811835436

Kim Stanley Robinson – Die Romane des Philip K. Dick

Kritische Bewertung eines SF-Meisters

„Gründlichst recherchiert, mit allen akademischen Wassern gewaschen, setzt sich dieses Buch scharfsinnig mit der Science Fiction der 50er Jahre auseinander – eine der nützlichsten Untersuchungen von Philip K. Dicks dornenreichem Werk.“ Also schrieb John Clute in der „Encyclopedia of Science Fiction“ (1993). Allerdings verschweigt er ein paar Einschränkungen…

Der Autor Kim Stanley Robinson

Kim Stanley Robinson, geboren 1952, schreibt seit drei Jahrzehnten anspruchsvolle Science-Fiction, die sowohl naturwissenschaftlichen wie auch gesellschaftskritischen Ansprüchen gerecht wird. Seinen ersten Preis für einen Roman erhielt er 1984 für „The Wild Shore“, der den Beginn seiner Orange-County-Trilogie bildet. Für seine bahnbrechende Mars-Trilogie (Roter / Grüner / Blauer Mars) wurde er mit allen einschlägigen Preisen des Genres ausgezeichnet. Zurzeit schreibt er an einer Trilogie über die globale Erwärmung und ihre Folgen. Davon sind die ersten beiden Bände bereits erschienen.

Der Autor Philip K. Dick

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er in fast 30 Jahren 40 Romane und über 100 Kurzgeschichten veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung außerhalb der SF zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als [„Eine andere Welt“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=198 bei |Heyne|) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon.

Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstresses durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967. Ab 1977 erlebte er einen ungeheuren Kreativitätsschub, der sich in der VALIS-Trilogie (1981, dt. bei |Heyne|) sowie umfangreichen Notizen (deutsch als „Auf der Suche nach VALIS“ in der Edition Phantasia) niederschlug.

Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu [„Blade Runner“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1663 umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Storys, die Hollywood verfilmt hat. Ben Affleck spielte in einem Thriller namens „Paycheck“ die Hauptfigur, der auf einer gleichnamigen Dick-Story beruht. Als nächste Verfilmung kommt „A scanner darkly“ (Der dunkle Schirm).

Inhalte

Ich bemühe mich, den Leser dieses Beitrags nicht mit den Titeln der 44 Romane Philip Dicks zu bombardieren. Das ist schon der Fall in Robinsons Buch, und wer sich über die Romane an sich informieren will, findet ausreichendes Material unter http://www.philipkdick.com und den assoziierten Fan-Seiten.

Die Methode

Man sollte als Leser immer daran denken, dass dieses Buch ursprünglich nicht als Monografie für den freien Buchmarkt konzipiert war, denn 1984/85 war Robinson nur im SF-Genre bekannt (s. o.). Vielmehr haben wir es hier mit seiner Doktorarbeit für die Qualifizierung in der Literaturwissenschaft zu tun. Demzufolge finden sich im Buch über hundert Fußnoten und jede Menge Querverweise auf andere Literaturwissenschaftler und Kritiker, darunter so bekannte Namen wie Stanislaw Lem und Ursula K. Le Guin.

Aber auch mit maßgeblichen Theoretikern wie Darko Suvin, einem Marxisten, setzt sich Robinson auseinander, und das kann für den nicht mit Vorkenntnissen gesegneten Leser recht anstrengend sein. Auffallend ist zudem die hohe Zahl von Zitaten aus persönlichen Gesprächen, die der Autor führte, sowie die Referenz auf den Dick-Nachlass an der California State University (vor allem die reichhaltige „Box 24“).

Doch natürlich geht es Robinson nicht um Name-dropping, um sich mit den Lorbeeren seiner Beziehungen zu schmücken. Vielmehr zieht er die Meinung der Kollegen heran, um zu einem Urteil über die zahlreichen umstrittenen und abgelehnten Romane – und nur um diese geht es hier! – zu gelangen. Immer wieder spielt Robinson das akademische Pro-und-kontra-Spiel, wie es sich für einen Profi gehört. Erst nach Abwägung des Für und Widers trägt er seine eigene Einschätzung vor und weiß diese selbstverständlich angemessen zu begründen.

Die realistischen Romane

Viele Zuschauer von „Blade Runner“, „Paycheck“ und „Minority Report“ wissen weder, dass diese Geschichten alle dem Hirn eines einzigen Mannes entsprangen, noch ahnen sie, dass dieser Autor über ein halbes Dutzend Romane für den Markt der „realistischen“ Romane geschrieben hat. Wie schon erwähnt, sah Dick zu Lebzeiten nur einen einzigen dieser Romane veröffentlicht, nämlich „Eine Bande von Verrückten“ („Confessions of a Crap Artist“, geschrieben 1959, veröffentlicht 1975).

Robinson beginnt mit diesen Romanen, aber ich werde sie nicht alle herbeten. Diese 2865 Seiten sahen die Druckerpresse nicht, weil, so Robinson, sie alle völlig humorlos und zum größten Teil mit deprimierenden Einzelheiten ohne einen Anflug von guter Dramaturgie geschrieben waren. Wie man gut schreibt, lernte Dick erst im Laufe der Zeit in einzelnen Schritten – teils im Learning by Doing, teils von seinen Kollegen. Alfred Elton van Vogt beeinflusste ihn stark. (Das ist heute leider keine Empfehlung mehr, denn inzwischen rangiert van Vogt nur noch unter „politisch nicht korrekt“).

Der Leser sollte aber im Hinterkopf behalten, dass Dick immer wieder auf diese Manuskripte wie auf einen Steinbruch zurückgriff und zum Teil ganze Kapitel in seine SF-Romane übernahm, von den Figuren mal ganz abgesehen. Denn er fand heraus, dass er mit dieser Methode a) glaubwürdigere Handlungen in den SF-Romanen hinbekam und b) schneller produzieren konnte. Er arbeitete für einen Hungerlohn, der meist nur aus einem Vorschuss von 1500 $ (maximal 2000 $) für einen Roman bestand. Auf diese Weise schaffte Dick es, mehr als ein halbes Dutzend Romane pro Jahr fertigzustellen.

Die 50er Jahre

Neben dem ertraglosen Geschäft an den realistischen Romanen veröffentlichte Dick seit 1952 auch Erzählungen und ab 1955 auch SF-Romane. „Solar Lottery“ (Hauptgewinn: Die Erde) war sein erster, dem sieben weitere folgten, die Robinson alle im zweiten Kapitel abhandelt. Laut Robinson besteht ihr gemeinsamer Nenner darin, dass der Protagonist den Kampf gegen ein dystopisches System aufnimmt und es auf irgendeine Weise zu Fall bringt. Das ist natürlich reine Wunscherfüllung, denn der Held verfügt in der Regel nicht über die Mittel, um diesen Umsturz zu bewerkstelligen. Insofern waren diese Romane naiv.

Der Durchbruch

Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre vollzog sich – wie bei vielen anderen Autoren, z. B. Heinlein – bei Dick ein Wandel. Er schrieb noch den feinen Roman „Zeit aus den Fugen“ (1959), sein erstes Hardcover-Buch, doch dann begann er die einjährige Arbeit an seinem Durchbruch. Die Frucht dieser großen Anstrengung erschien 1962 unter dem Titel „The Man in the High Castle“ (Das Orakel vom Berge). Dieser Alternativweltroman – die Achsenmächte haben den 2. Weltkrieg gewonnen – brachte Dick endlich allgemeine Anerkennung und den HUGO Award der SF-Leser ein.

Um diesen Mega-Erfolg ausreichend erklärend zu können, reserviert Robinson nicht nur ein ganzes Kapitel dafür, sondern schaltet zuvor sogar noch ein separates Kapitel über das „Periodensystem der Elemente“ der Science-Fiction ein. Dieses Vorgehen erweist sich als sehr nutzbringend, denn später kann der Autor immer wieder auf diese grundlegenden Ausführungen verweisen. Unter „Elementen“ versteht Robinson die sattsam bekannten Versatzstücke der SF wie etwa Roboter (Androiden, Kyborgs etc.), Zeitreisen oder Parallelwelten und so weiter. Dick hat sie alle durchkonjugiert und sie auf seine Weise unterminiert bzw. persifliert. Dabei stellte sich allerdings heraus, dass immer, wenn er Zeitreisen einsetzte, ein schlechter Roman dabei herauskam. Der Leser ist also gewarnt.

„Das Orakel vom Berge“ bedeutete in vielerlei Hinsicht einen Bruch mit den bisherigen Mustern in Dicks Romanen. Zum Beispiel gibt es in der Regel ein Netzwerk von Figuren, die zueinander in Beziehung stehen und deren Interaktion die Story so interessant macht. Dabei ist die häufigste Konstellation jene, in der ein „kleiner Protagonist“, der über wenig gesell- und wirtschaftliche Macht verfügt (häufig ein Handwerker oder Kleinunternehmer), in Konflikt mit einem „großen Protagonisten“ gerät (vielfach über Frauen), welcher über große gesell- und wirtschaftliche Macht verfügt.

Von diesem Muster gibt es Abweichungen: Wie Dick einem Kollegen schrieb, kann es einen „subhuman“ geben, der kaum über Charakteristika verfügt, und häufig gibt es einen „superhuman“ – wie etwa Palmer Eldritch, der von Aliens gesteuert wird – der selbst Macht über den „großen Protagonisten“ ausübt. Grob vereinfacht, entsprechen diese Ebenen dem Es, dem Ich und dem Über-Ich in Sigmund Freunds Einteilung der menschlichen Psyche. Dick hat diese Einteilung mit den Theorien von C.G. Jung erweitert, insbesondere was die Archetypen angeht. Wichtig ist auch die grundlegende Unterscheidung zwischen „idios kosmos“, der persönlichen Erfahrungswelt des Einzelnen, und dem „koinos kosmos“, der Erfahrungswelt, die die meisten Individuen teilen. Viele Konflikte resultieren daraus, z. B. in „Ubik“.

In „Das Orakel vom Berge“ gibt es zwar das bekannte Netzwerk von Figuren, und sogar Gute und Böse lassen sich unterscheiden, aber von einem großen Protagonisten kann nicht die Rede sein. Die wichtigste Figur ist Mr. Tagomi, und er ist der Einzige, der einen Akt des Widerstands gegen die deutschen Besatzer unternimmt: Er tötet zwei Männer. Die Ironie dabei: Tagomi gehört selbst der Bürokratie der japanischen Besatzer an. Seine wesentliche Rolle im Buch besteht darin, die wichtige Nachricht, dass die Nazis einen Atomkrieg mit Japan vorbereiten, an japanische Stellen weiterzuleiten. Das gelingt ihm nur um Haaresbreite. Dieser Roman kommt einem Mainstream-Roman so nahe wie nur möglich. Ironischerweise kommt darin ein Buch vor, das unseren Geschichtsverlauf beinahe genau beschreibt. Lediglich der Schluss des Romans ist misslungen, und Robinson erklärt genau die Gründe dafür.

„Die Mars-Romane“, „Der Sieg des Kapitalismus“, „Alles fällt auseinander“ und „Verschollen im All“

So lauten die Überschriften für die vier Kapitel, in denen sich Robinson mit Dicks Romanen der sechziger und siebziger Jahre befasst. Nach „Das Orakel vom Berge“ folgte eine der produktivsten Phasen in Dicks Schaffen. Er schrieb Meisterwerke wie „Marsianischer Zeitsturz“ (1964) und „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ (1965) sowie „Ubik“ (1969). Aber um sich und seine wechselnde Familie – er war mehrere Male verheiratet – über Wasser zu halten, schlachtete er eben auch seine alten Mainstream-Romane aus und erweiterte vorhandene Erzählungen.

Diese Erweiterungen führten mitunter zu einem Produkt, das Robinson als „Romane mit gebrochenem Buchrücken“ bezeichnet. Ihr Kennzeichen besteht darin, dass sich die Handlung an einem bestimmten Punkt – etwa nach der Hälfte oder nach zwei Dritteln – in eine völlig andere Richtung entwickelt, als das nach dem recht ordentlichen Beginn (dem Ausgangsmaterial) zu erwarten gewesen wäre. Und enttäuschend ist besonders, dass der Schluss nicht mehr zum Anfang zurückverweist. Beispiele für dieses Verfahren gibt es genügend, darunter „Die rebellischen Roboter“ (geschrieben 1961/62, Story veröffentlicht 1969, Roman veröffentlicht 1972) und „Das Jahr der Krisen“ (1966). Für den Leser bedeutet das also, genau nach den Juwelen unter den Kieselsteinen Ausschau zu halten.

Die Endphase: „Science Fiction und Realismus“

Bekanntlich starb Philip Dick im März 1982 an einem schweren Schlaganfall. Aber es gibt Anzeichen, dass sein Zusammenbruch Anfang 1974 schon auf einen Herzanfall zurückzuführen ist, der nicht als solcher diagnostiziert wurde. Man kann spekulieren, dass Dicks langjähriger Medikamentenverbrauch und Drogenmissbrauch zu dieser körperlichen Katastrophe führte. Sicherlich trug das dazu bei.

Die Folgen für seine Produktivität waren beträchtlich. Nach 1970 veröffentlichte Dick nur noch sechs neue Romane, einen Bruchteil des vorhergehenden Ausstoßes. Unter diesen sechs ragen zwei qualitativ heraus. „Die andere Welt“ lag schon seit Jahren im Safe von Dicks Anwalt, bevor das Buch 1974 veröffentlicht wurde. Und in „Der dunkle Schirm“, publiziert 1977 („A scanner darkly“, s. o.), beschrieb Dick die Welt der Drogen, in der sich ein Undercover-Agent zu behaupten versucht –vergeblich, wie so oft bei Dick.

Danach folgten nur noch vier größere Werke. Von diesen wurden 1981 lediglich die Romane der VALIS-Trilogie veröffentlicht, doch das Manuskript zu „The Owl in Daylight“ wurde nicht mehr fertig. Robinson interpretiert die drei VALIS-Romane (die Vorstufe „Radio Free Albemuth“ ist ihm kaum der Rede wert) haarklein und sehr eingehend. Da diese Trilogie praktisch Dicks Vermächtnis darstellt, ist diese intensive Beschäftigung damit absolut gerechtfertigt.

Der Roman „VALIS“ (Vast Active Living Intelligence System) bildet nach Robinsons Lesart einen Ausgangspunkt, von dem ausgehend die beiden Folgeromane „Die göttliche Invasion” und „Die Wiedergeburt des Timothy Archer” als zwei gleichwertige Ableitungen zu verstehen sind. Davon bietet „Die göttliche Invasion“ mehr SF-Elemente, während „Timothy Archer“ mit relativ realistischen Darstellungen aufwarten kann.

„Timothy Archer“ ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Es ist erst der zweite Roman nach „Die rebellischen Roboter“, der komplett in der Ich-Form erzählt wird, und der erste, in dem die Hauptfigur eine Frau ist. Angel Archer ist umso auffälliger, als sie eine Frauenfigur mit überwiegend positiven Zügen ist. Allzu viele Frauenfiguren Dicks sind entweder vom Typ „schwach und anhänglich“ oder „zickig und intrigant“. Angel, könnte man ironisch schließen, ist wirklich ein Engel. Mit ihr hat sich Dick bei den Frauen rehabilitiert. Ob Ursula K. Le Guins Beschwerde beim Autor dies bewirkt hat, wird von Robinson nahe gelegt, bleibt aber offen. (Dass Kritik durchaus fruchtete, belegt sein entschuldigendes Nachwort zu seiner umstrittenen Story „The Pre-Persons“.)

Anhang

Diese Ausgabe bietet bibliografische Angaben, für die besonders der deutsche Leser dankbar sein dürfte. Nach einer chronologischen Aufzählung der SF- und der realistischen Romane (unter ihnen auch „Radio Freies Albemuth“, das bei Moewig erschien) findet sich auch eine Liste mit Büchern, die Essays, Interviews, Auszüge aus der „Exegese“, Briefe und sogar ein Kinderbuch („Nick und der Glimmung“) umfassen.

Für die Erzählungen wird auf die vergriffene Haffmans-Ausgabe und den sehr guten, voluminösen Sammelband „Der unmögliche Planet“ verwiesen. Diese Situation ist nicht sonderlich befriedigend, und es wird wieder Zeit für eine Gesamtausgabe der Storys. Ob diese im Rahmen der ausgezeichnet edierten PKD-Edition von |Heyne| stattfinden wird, steht in den Sternen.

Mein Eindruck

Im Rahmen dieses Beitrags kann ich nur an der Oberfläche dessen kratzen, was Robinson über Dicks Romane zu sagen hat, aber ich hoffe trotzdem, dass ich einen Eindruck davon vermittle, wie umfangreich die Palette seiner Untersuchungsergebnisse ist. Sicherlich habe ich dabei das eine oder andere Element nicht berücksichtigt, so etwa die Entwicklung in Dicks Romanen von euphorischem Ansatz über politische Desillusionierung bis hin zu ontologischen und schließlich sogar theologischen Fragestellungen. Aber Robinson stellt stets den überragenden Einfallsreichtum und seinen Kampf gegen die ideologisch festgezurrten Fronten in der US-amerikanischen SF-Szene (besonders im einflussreichen Fandom) positiv heraus und hält Dick auch in den umstrittensten Werken bis zu einem gewissen Grad die Stange.

Zwischen den Stühlen

Aber Robinson befindet sich in einer Position, die für einen amerikanischen SF-Autor selten ist. Er kann sich zugleich auf einen großen Fundus an europäischer Forschungsliteratur stützen, den ihm seine akademische Beschäftigung mit der SF zugänglich gemacht hat. Aus einem dadurch relativierten Blickwinkel kann er einschätzen, wie ideologisch beeinflusst nicht nur fast die gesamte US-amerikanische SF-Produktion ist, sondern auch die kritische Rezeption dieser Produktion. Manche Kritiker haben sich die Ideologie des wichtigsten SF-Herausgebers John W. Campbell zu Eigen gemacht und greifen nun ihrerseits Abweichler an.

Zu den europäischen Kritikern, auf die sich Robinson stützen kann, gehören zum einen Stanislaw Lem mit mehreren Essays und dem Buch „Science Fiction – ein hoffnungsloser Fall, mit Ausnahmen“ (Suhrkamp Taschenbuch) und zum anderen Prof. Darko Suvin, der mit seiner „Poetik der Science Fiction“ (Suhrkamp Taschenbuch 1977) einen wichtigen Beitrag über den Verfremdungseffekt geliefert hat. Diesen Ansatz setzt Robinson recht produktiv ein, um Dicks subversive Werke zu beurteilen.

Metaphern mit V-Effekt

Robinson gelangt über den Begriff der Metapher zu einer Erklärung der aktuellen Relevanz der Science-Fiction. Denn die verrückten Welten, die Dick entwirft, sind keineswegs Selbstzweck und oder zum Amüsement gedacht. Sie sind häufig Umkehrungen existenter Verhältnisse, auch Extrapolation nach dem Motto: „Wenn das so weitergeht, dann …(könnte es einmal so enden)“. Noch wichtiger sind die Welten als Metaphern für versteckte Verhältnisse, die einem Erwachsenen aber durchaus in den USA begegnen können. So nimmt Dick zum Beispiel den Ausdruck „Die Arbeiter werden von den Reichen absichtlich unten und kurz gehalten“ wörtlich und beschreibt eine Welt, in der Arbeiter unter der Erde leben müssen, während feudale Herrschaften das Privileg des Sonnenlichts genießen. Eine Propaganda- und Illusionsmaschinerie sorgt dafür, dass die Arbeiter mit ihrem Los zufrieden sind und nicht rebellieren.

Wurzeln

Wie man sieht, gehört also auch die Satire zu den Wurzeln der Dick’schen SF. Die Satire soll den zeitgenössischen Leser darüber stutzig machen, wie es denn in seiner eigenen Umgebung mit solchen oder ähnlichen Missständen aussieht. Robinson ist über die anderen Wurzeln sehr gut im Bilde: abenteuerliche Reisegeschichte, Utopie, wissenschaftliche Phantastik und vieles mehr gehören dazu. Doch John W. Campbell wollte seinen Autorenstall nur Storys schreiben lassen, die eine verwirklichbare wissenschaftliche Lösung hatten. Dabei ließ er gerne Überlichtantrieb und Zeitreisen gelten, obwohl dies (bis dato) ziemlich unwissenschaftliche Konzepte sind. Als Dick zu schreiben anfing, gelangte er schon sehr bald dahin, diese ideologischen Vorgaben des „Goldenen Zeitalters“ in subversiver Weise zu bekämpfen. Angesichts des anhaltenden Erfolgs von Asimov und Heinlein ist seine Bemühung also bis heute von Bedeutung.

Leerstellen

Robinson sah die Aufgabe seiner Dissertation nicht in der Berücksichtigung von biografischen Aspekten in Dicks Werk. Deshalb finden sich zahlreiche Leerstellen in seiner Darstellung. Sie fallen allerdings nur demjenigen Leser auf, der etwas über die Wechselwirkung zwischen Werk und Leben dieses Autors wissen möchte. Wer Näheres etwas über Dicks Leben bei Robinson sucht, läuft geradezu ständig gegen eine Mauer. Dies ist die Grenzmauer, die Robinson um sein Thema gezogen hat. Wer sie durchbrechen will, muss also Biografien lesen. Eine der neueren, die ich persönlich kenne, ist die von Lawrence Sutin: „Divine Invasions. A Life of Philip K. Dick“ (1989, neues Vorwort 2005, ISBN 0786716231). Eine weitere wichtige Quelle sind die Ausgaben von „Exegese”, der Briefe, Essays und Interviews, die im Anhang erwähnt sind.

Eine weitere Leerstelle betrifft Erzählungen. Es müsste eigentlich jedem Filmfan auffallen, dass bislang keine Rede von jenen Texten war, auf denen die eingangs erwähnten Filme beruhen. Woher kommen also „Paycheck“, „Impostor“, „Minority Report“, „Screamers“ und – nicht zu vergessen – „Total Recall“? Die Erzählungen, aus denen sie entwickelt wurden, fehlen in Robinsons Darstellung, weil auch sie jenseits der Grenzmauer seines Themas liegen. Nur selten erfahren wir von ihnen als Ausgangsmaterial für spätere Romane (s. o.), die einen „gebrochenen Buchrücken“ aufweisen. Berühmte Geschichten wie „Der Glaube unserer Väter“ werden am Rande erwähnt, aber leider nicht näher analysiert. Dies wäre ein sehr lohnendes Forschungsgebiet.

Die Übersetzung

Jakob Schmidts Übertragung des Originals finde ich sehr gelungen. Sie kommt den Erwartungen des deutschen Lesers an eine verständliche Textfassung sehr entgegen, indem sie unnötige Fremdwörter ebenso vermeidet wie komplizierte Schachtelsätze. Auch dass die Fußnoten jeweils auf der gleichen Seite auftauchen statt am Ende des Buchs, finde ich gut: Das erspart das Nachschlagen und Hinundherblättern.

Es gibt noch ein paar winzige Fehlerchen, die in der zweiten Auflage zu beheben wären. Der britische Autor von „Der Sternenschöpfer“ heißt nicht Olaf Stapleton, sondern Stapledon (S. 27). Und ein Bischof wird immer noch mit nur einem F am Schluss geschrieben, trotz anders gerichteter Bemühungen (Seiten 252 ff und anderswo).

Dass ein Stichwortregister fehlt, ist ein schmerzliches Manko. Ich musste ständig bei Sutin nachschlagen, wollte ich das Jahr finde, in dem ein Roman geschrieben oder veröffentlicht wurde. Sicher, es gibt eine Werkchronologie: Aber hier kommt das Jahr zuerst, dann das Werk. Um vom Werk aufs Jahr zu kommen, muss man also fast die ganze Chronologie durchsuchen. Den Zeitpunkt, an dem es geschrieben wurde, kann man überhaupt nicht erschließen. Dabei liegen z. B. zwischen dem Schreiben von „We Can Build You“ (Die rebellischen Roboter) und seiner Veröffentlichung immerhin zehn Jahre. Diese Diskrepanz berücksichtigt übrigens Robinson nicht in seiner Einteilung der Romane, und so behauptet er fälschlich, die beiden Hauptfiguren in „Die rebellischen Roboter“ stammten aus „Simulacra“ (1964), dabei war es genau umgekehrt.

Was sich Robinson als Akademiker verkneifen muss, darf sich Sutin erlauben: eine subjektive Wertung von Dicks Werken. So erhält beispielsweise „We Can Build You“ eine positive Platzierung mit sechs von zehn möglichen Punkten. Natürlich begründet Sutin seine Bewertung – und liefert zugleich noch wertvolle Hintergrundinfos zum Buch. Wer hätte gedacht, dass „Die rebellischen Roboter“ mal mit, mal ohne Ted Whites Zusatzschlusskapitel abgedruckt wird?

Unterm Strich

Diese Monographie ist ein ganz wesentlicher Beitrag zur literaturwissenschaftlich fundierten Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Ganz recht: Dick wird nicht mehr „nur“ als SF-Autor angesehen, sondern man entdeckt endlich auch seine realistischen Romane als Werke von eigenständigem Wert.

Kim Stanley Robinson befindet sich wie kaum ein anderer in einer Position, sich sowohl mit dieser als auch mit der SF-Seite Dick kritisch auseinander zu setzen. Er ist sowohl Autor als auch Literaturwissenschaftler, kennt also beide Ghettos: das der SF (inklusive Fandom) und das der Academia, der universitären Welt. Und er nimmt keineswegs ein Blatt vor den Mund. Wer würde sich trauen, das Ende eines Meisterwerks wie „Das Orakel vom Berge“ für misslungen zu erklären? Wahrscheinlich nur wenige.

Es ist ein wenig schade, dass sein Buch zwei Leerstellen hinsichtlich des Leben und der Erzählungen aufweist, aber seine Aufgabe ist ja schon im Titel ausgedrückt: „Die ROMANE des Philip K. Dick“, und nichts sonst. Auch ist zu berücksichtigen, dass sein letzter Forschungsstand der des Jahres 1985 ist (Fußnoten belegen dies).

Die deutsche Ausgabe ist durchaus hilfreich, bis zu einem gewissen Grad, und vor allem die bibliografische Arbeit dürfte nicht einfach gewesen sein. Wenn man sich auf den einschlägigen Webseiten umsieht, stößt man immer wieder auf nicht korrekte Angaben. Was hier für die nächste Auflage noch zu tun wäre, ist ein Stichwortregister, das auch wissenschaftlichen Anforderungen standhält. Dann könnte aus diesem Taschenbuch ein Standardwerk werden.

Originaltitel: The novels of Philip K. Dick, 1984/2005
267 Seiten
Aus dem US-Englischen von Jakob Schmidt
ISBN-13: 9783926126511

www.shayol.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Dick, Philip K. – galaktische Topfheiler, Der

_Hey Joe: Heb die Kathedrale!_

Joe Fernwright ist einer der talentiertesten Topfheiler der Erde. Doch leider gibt es kaum mehr Keramikware, die man ihm zum Reparieren überlässt. Bis ihn eines Tages der Glimmung, ein sonderbares, gottähnliches Wesen von einem Planeten der Sonne Sirius, mit einem ganz speziellen Auftrag betraut: Zusammen mit einem Team ähnlicher Talente soll er eine Kathedrale vom Meeresgrund holen und restaurieren, das Relikt einer untergangenen Kultur: Heldscalla.

Doch bevor es dazu kommen kann, muss Joe zahlreiche Hindernisse überwinden und es mit Glimmungs Gegenspielern, den Kalenden, aufnehmen. Sie sagen die Zukunft voraus, und die sieht gar nicht gut aus für Joe.

_Der Autor_

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er fast 30 Jahre lang veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als [„Eine andere Welt“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=198 bei |Heyne|) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon.

Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstresses durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967. Ab 1977 erlebte er einen ungeheuren Kreativitätsschub, der sich in der VALIS-Trilogie (1981, dt. bei |Heyne|) sowie umfangreichen Notizen (deutsch als „Auf der Suche nach VALIS“ in der Edition Phantasia) niederschlug.

Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu [„Blade Runner“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=197 umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Storys, die Hollywood verfilmt hat. Ben Affleck spielte in einem Thriller namens „Paycheck“ die Hauptfigur, der auf einer gleichnamigen Dick-Story beruht. Als nächste Verfilmung kommt „A scanner darkly“ (Der dunkle Schirm) in unsere Kinos, möglicherweise noch in diesem Jahr.

_Handlung_

Joe Fernwright lebt im Cleveland des Jahres 2046 mehr schlecht als recht. Die Gesellschaft ist durchbürokratisiert und automatisiert, der Staat sorgt für alles: amerikanischer Kommunismus, wie er nicht im Buche steht. Dieser Staat jedoch, fühlt Joe täglich, ist darauf aus, seine Bürger zu demütigen. Einmal geht Joe zu langsam, weil unmotiviert, und wird prompt von einem Polizisten angeschnauzt, gefälligst schneller zu gehen, wie alle anderen auch. Seine Ex-Frau, von der er seit Jahren geschieden, ist ihm auch keine große Hilfe.

Joe hat den Job seines Vaters übernommen: Topfheiler. Doch die Aufträge lassen seit Monaten auf sich warten, dabei lief es nach dem letzten Krieg doch recht gut – Joe konnte viel kaputt gegangenes Porzellan reparieren. Auf die Idee, selbst Töpfe und dergleichen zu produzieren, ist Joe jedoch noch nicht gekommen. Bis dahin ist es ein weiter Weg. Er führt auf eine andere Welt.

Eines Tages erhält Joe per Rohrpost rätselhafte Anfragen. Jemand möchte ihn als Topfheiler engagieren und wäre bereit, ihm 35.000 Crumbles dafür zu zahlen. Nachdem er sich durch die Bürokratie hat gehörig demütigen lassen, stellt sich heraus, dass 35.000 Crumbles so viel in amerikanischem Geld wären, dass sie das Finanzsystem zusammenbrechen lassen würden. Kein Wunder, dass schon Minuten nach dieser Nachricht die Staatspolizei bei ihm auf der Matte steht! Selbstverständlich werden alle Telefongespräche abgehört. Für seine paar gehorteten Dollars aus alten Zeiten interessiert sich die Polizei weniger.

Allmählich geht es Joe auf, dass Werte ziemlich relativ sein können. Aber wem ist sein Knowhow so viel Geld wert? Es ist ein Wesen namens Glimmung, das auf dem Planeten Plowman im System Sirius lebt. Glimmung ist, wie Joe bald feststellt, ein halb göttliches, halb außerirdisches Wesen, dessen wahre Gestalt und Absicht er erst auf Plowman herausfindet. Glimmung schickt seine Botschaften beispielsweise auf alten Grammophonplatten, in der Toilettenspülung und vielen anderen Kanälen. Zudem wechselt er ständig die Erscheinungsform.

Auf dem erstbesten Raumschiff Richtung Plowman trifft er eine ganze Reihe anderer Handwerker und Spezialisten. Am faszinierendsten ist eine dunkelhaarige junge Frau namens Mali Yojez, die nicht von Terra stammt. Sie ist mit einem kritischen, aber keineswegs demütigenden Verstand ausgestattet und wird noch eine wichtige Rolle in Joes Leben spielen.

Bald ist klar, worin die Mission besteht: Glimmung will eine versunkene antike Kathedrale heben und die entsprechende Religion wieder zum Leben erwecken. Um die Kathedrale zu heben und zu restaurieren, sind Experten wie ein Telekinet, die Taucherin Mali und der Topfheiler Joe nötig. Doch wird Glimmung auch zahlen? Diesem extraterrestrischen „Faust“ traut man nicht. Die Handwerker bilden vorsichtshalber eine Gewerkschaft.

Kaum sind sie am Raumhafen von Plowman eingetroffen, beginnen die Schwierigkeiten. Ein seltsames Buch prophezeit, dass Joe den Glimmung töten werde. Und zu Joes Überraschung gibt es a) zwei Glimmungs und b) auch zwei Kathedralen. Aber welche/r ist jeweils der oder die richtige?

_Mein Eindruck_

Dieses Buch repräsentiert laut Verlag erstmals die ungekürzte und vollständig überarbeitete Fassung des Romans von anno 1969, der früher den biederen Titel „Joe von der Milchstraße“ trug. Der Roman basiert auf dem 1966 geschriebenen Kinderbuch „The Glimmung of Plowman’s Planet“ (deutsch bei Edition Phantasia, Bellheim). Die Vorlage wurde 1968 grundlegend überarbeitet und ausgeweitet, so dass praktisch nur das Konzept des Kollektivwesens, zu dem Glimmung und seine Handwerker werden, übernommen wurde.

Die scheinbar banal erscheinende Handlung hat es dennoch „Faust-Dick“ in sich. Der Ozean, an dessen Grund die Kathedralen im Modder versinken, beherrscht den Planeten Plowman wie eine riesige Kraft, die alles in sich hineinzieht und in Chaos versinken lässt. Der Endzustand ist abzusehen: Entropie, der Ausgleich aller Unterschiede, der Stillstand aller Prozesse. Es ist ziemlich unübersehbar, dass die Wasserwelt Plowman viel Ähnlichkeit mit unserem eigenen Universum besitzt.

Und nun kommt dieser Glimmung daher und will ein antikes Artefakt ans Tageslicht heben. Wird dieser prometheische oder faustische Akt den Niedergang in die Entropie aufhalten können? |“Dort unten“|, erklärt ein ziemlich melancholischer Roboter (nein, er heißt nicht „Marvin“!) dem Topfheiler, |“ist der Verfall die einzige Kraft, die existiert. Aber hier oben – wenn die Kathedrale gehoben ist – wird es Kräfte geben, die nicht der Zerstörung, dem Verfall dienen, sondern entgegengesetzt wirken. Kräfte des Bejahens und des Wiederrichtens, Kräfte des Auftauens und des Schaffens sind, wie in Ihrem Fall, Kräfte des Heilens. Darum werden Sie so sehr gebraucht. Sie und die anderen werden durch Ihre Arbeit, durch Ihre Fähigkeiten dem Prozess der Zerstörung Einhalt gebieten.“|

Doch die Hoffnung, die Joe wie einst König Sisyphos im Angesicht des Verfalls und des unausweichlichen Nichts trotzig hoffen lässt, ist sinnlos, wenn sie alleine steht (im „idios kosmos“). Deshalb liefert die Chance, in das Kollektivwesen des Glimmungs aufgenommen zu werden, eine Chance, eine gemeinsame Erfahrungswelt (koinos kosmos) erschließen zu können, die von mehreren Wesen – nicht nur Menschen – gemeinsam wahrgenommen wird. |“Wir hörten auf, zum Scheitern verurteilte Individuen zu sein.“|

Und doch lehnt Joe diese Existenzform nach vollbrachtem Werk schließlich ab. Er verlässt das Kollektivwesen. Täte er das nicht, verlöre er sein Ich, seine kritische Distanz, die ihn zu dem macht, was er ist und fühlt und denkt. Er existiert in beständigem, angespanntem Konflikt mit dem Universum und in dem Bewusstsein, das daraus resultiert.

Endlich ist Joe auch in der Lage, eigenständig Töpfe zu formen, fachmännisch zu dekorieren und zu brennen – und das Ergebnis mit Kennerblick zu beurteilen: „Der Topf war scheußlich.“ Dies kann nur jemand sagen, der sich des Wertes der eigenen Arbeit mit kritischem Blick bewusst geworden ist. Doch Joe gibt bestimmt nicht auf, er wird weitere Töpfe fertigen und so Erfüllung finden. Denn endlich hat er etwas ganz Wesentliches gefunden: die Liebe zu Mali und eine Zukunft für sich selbst.

In diesem Erfolg und dieser Zuversicht hat Joe Fernwright viele Dinge den anderen gebrochenen Helden von Philip K. Dick voraus, so etwa Jack Bohlen aus „Marsianischer Zeitsturz“ oder Joe Chip aus [„Ubik“.]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=652 Der Schluss ist versöhnlich und somit ein Hinweis darauf, dass Dick seine zweite Schaffensphase, Mitte/Ende der 1960er, bald abschließen würde.

Es sollte aber noch ein fürchterlicher Roman folgen: [„Irrgarten des Todes“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1428 (1968/70), der ebenfalls in der Heyne’schen Dick-Edition erschienen ist. Darin finden fast alle Protagonisten den Tod – nur um in der nächsten Simulation zu erwachen und zu sterben – und in noch einer und noch einer …

|Meine Leseerfahrung|

Zunächst liest sich der „Topfheiler“ wie ein beschwingte Parodie oder gar Satire auf sämtliche Utopien des sozialistischen Gemeinwesens, doch lässt sich unterschwellig ein gewisses Grauen vor dieser Existenzform nicht verhehlen. Charakteristisch ist beispielsweise das „Spiel“. Dabei tauscht Joe mit seinen Spielpartnern irgendwo auf der Welt absurde Übersetzungen aus, die ein japanischer Computer von englischen Vorlagen angefertigt hat. Aus dem absurden Ergebnis muss man das Original erraten. Niemand kann gewinnen und höchstens in der Platzierung nach Punkten aufsteigen, aber dafür gibt es keinen Blumentopf zu gewinnen. Hier hat Dick eine teils komische, teils traurige Variante von sinnlosen Spielen geschaffen, wie sie bei ihm des Öfteren vorkommen, z. B. in „Solar Lottery“.

Als der Ruf des Glimmung Joe erreicht, kommt ihm daher dieses Spiel reichlich dämlich vor. Endlich kann er wieder hoffen. Und ist das Heben einer Kathedrale nicht ein hehres Unterfangen? Heldscalla heißt sie, welch ein glorreicher Name! Könnte glatt aus dem „Beowulf“ stammen. Doch so heroisch wird’s dann auf Plowman doch nicht. Im Gegenteil: Joe könnte glatt zum Negativhelden werden, wenn er den Gott Glimmung tötet, wie man ihm prophezeit.

Da erweist sich Joes Yankee-Pragmatismus als die bessere Hälfte der Weisheit: Er schaut erst mal nach, was Sache ist. Seine Starrköpfigkeit treibt Mali schier zur Verzweiflung. Sie, die rationale Frau, kann nicht verstehen, dass Joe wider besseres Wissen, gegen jede Wahrscheinlichkeit an diesem offensichtlich sinnlosen Unterfangen festhält. Doch als der falsche, der schwarze Glimmung Malis Raumschiff angreift, kann er sie genau deshalb rechtzeitig warnen. Niemand sonst als Joe hätte wohl auf die seltsamen Flaschenpostbotschaften des „guten“ Glimmung geachtet oder vertraut. Joes Glaube an Glimmung rettet die gesamte Mission.

_Unterm Strich_

Im Vergleich zu den schwierigen Romanen wie „Ubik“ oder „Irrgarten des Todes“ ist „Der galaktische Topfheiler“ ein täuschend leichtfüßiges Garn. Das verwundert aber nicht, wenn man weiß, dass das Buch aus einem Kinderbuch heraus entstanden ist. Dementsprechend leicht ist das Buch zu lesen, doch man wird in der zweiten Hälfte auf recht philosophische Dialoge stoßen, die es durchaus ernst zu nehmen gilt, sonst erscheint der Rest entweder sinnlos oder verspielt. Von der vordergründig heiteren, aber hintergründig ernsten Stimmung her gleicht der Roman Dicks erstem Hardcover-Roman [„Zeit aus den Fugen“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=199 (ca. 1958), doch ebenso wenig wie dieser ist Joes Geschichte ein Fliegengewicht.

Für den Einstieg in Dicks Werk ist „Der galaktische Topfheiler“ nur bedingt geeignet, weil es in seiner heiteren Tonart relativ untypisch ist. Dafür seien schon eher „Zeit aus den Fugen“, „Das Orakel vom Berge“ und „Marsianischer Zeitsturz“ empfohlen. Wer ein paar harte Nüsse knacken will, greife zu „Ubik“, „Der dunkle Schirm“ (Verfilmung mit Keanu Reeves, Robert Downey Jr., Woody Harrelson, Winona Ryder; produziert u.a. von George Clooney und Steven Soderbergh) und vor allem zur VALIS-Trilogie.

|Originaltitel: Galactic pot-healer, 1969
Aus dem US-Englischen übersetzt von Joachim Pente, überarbeitet von Alexander Martin|

|Philip K. Dick bei Buchwurm.info:|
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Philip K. Dick – Das Orakel vom Berge (The Man in the High Castle)

Fälschung oder Wirklichkeit: die Lehre der Parallelwelt

Was wäre, wenn Deutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg gewonnen und die USA unter sich aufgeteilt hätten? Und wenn es einen Roman gäbe, der eine Welt beschriebe, in der die Achsenmächte den Krieg verloren hätten? – Mit dieser Neuausgabe liegt der SF-Klassiker erstmals in ungekürzter Neuübersetzung vor. Außerdem stößt der Dick-Fan auf zwei Kapitel einer 1974 geschriebenen Fortsetzung, die man im Nachlass des Autors fand.

Der Autor

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er in fast 30 Jahren 40 Romane und über 100 Kurzgeschichten veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung außerhalb der SF zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als [„Eine andere Welt“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=198 bei |Heyne|) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon.

Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstresses durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967. Ab 1977 erlebte er einen ungeheuren Kreativitätsschub, der sich in der VALIS-Trilogie (1981, dt. bei |Heyne|) sowie umfangreichen Notizen (deutsch als „Auf der Suche nach VALIS“ in der Edition Phantasia) niederschlug.

Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu [„Blade Runner“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1663 umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Storys, die Hollywood verfilmt hat. Ben Affleck spielte in einem Thriller namens „Paycheck“ die Hauptfigur, der auf einer gleichnamigen Dick-Story beruht. Als nächste Verfilmung kommt „A scanner darkly“ (Der dunkle Schirm) im September in die Kinos, mit Keanu Reeves in der Hauptrolle.

Handlung

In San Francisco arbeitet Mr Nobusuke Tagomi als Chef der japanischen Handelsmission. Es ist ein verantwortungsvoller Posten, denn San Francisco ist der wichtigste Hafen der Pazifischen Staaten von Amerika, die von Japan 1947 erobert wurden. Es gibt zwar in Sacramento eine einheimische Regierung, aber die hat wenig zu sagen. Japan kontrolliert auch die weiter östlich liegenden Rocky-Mountain-Staaten (RMS), und dahinter erst kommen die Vereinigten Staaten (USA), die von den Deutschen beherrscht werden. In New York City regiert ein Nazi-Statthalter von Reichskanzler Martin Bormann. Adolf Hitler vegetiert, von der Syphilis zerfressen, in einem Heim vor sich hin.

Tagomi mag amerikanische Antiquitäten, denn er benötigt sie, um seinen zahlreichen Gästen ehrenvolle Geschenke machen zu können. Sein wertvollster Besitz ist ein einwandfrei funktionsfähiger Armee-Colt aus dem Jahr 1860. (Er wird ihn brauchen.) Tagomis bevorzugter Lieferant solcher antiken Schätze ist Robert Childan, ein Amerikaner, dem American Artistic Handicraft gehört. Childan bemüht sich sehr, es seinen wichtigsten Kunden, den Japanern, recht zu machen, aber er scheitert regelmäßig an seinem überholten Stolz und seinem Jähzorn.

Die Fälscher

Childan wiederum bezieht seine wichtigsten Artefakte von einer einheimischen Fabrik, bei der Frank Frink als Kopist von Vorlagen arbeitet. Frank ist ein in Deutschland unter dem Namen Fink geborener Jude. Sollte man ihn entdecken, droht ihm die Abschiebung ins Reich und dort die Vergasung. Immerhin gehören den Deutschen fast alle europäischen und asiatischen Länder, wo sie die Juden und anderen „Randgruppen“ vernichtet haben. Nun haben sie nach der Trockenlegung des Mittelmeers auch Afrika angegriffen – und stoßen dort wider Erwarten auf größte Schwierigkeiten.

Die Exterminierung der Schwarzen in KZs wird von den Japanern als äußerst unmoralisch angesehen, doch können ihre einstigen Kampfgenossen nicht mit Sanktionen drohen. Die Tatsache, dass deutsche Raumschiffe Mond, Mars und Venus ansteuern, nötigt ihnen Respekt ab. Die Deutschen sind den Japanern in technischer Hinsicht um etwa zehn Jahre voraus. Childan bewundert sie ein wenig, und das bringt Frank Frink, seinen Lieferanten, in Gefahr. Childan bewundert unwissentlich Frinks Werkstück einer Brosche und versucht, dieses echte Original – im Gegensatz zu den sonst von Frink gelieferten Fälschungen – an den Japaner zu bringen. Mit unterschiedlichem Erfolg.

Das Orakel

Frank Frinks Frau Juliana lebt in den Rocky-Mountain-Staaten, genauer gesagt: in Canyon City, Colorado. Dort arbeitet sie als Judolehrerin und lässt sich ab und zu mit Männern ein. Sie ist das typische Dick’sche „dunkelhaarige Mädchen“, dem nicht ganz zu trauen ist. Aber sie vertraut wie Frank, Childan und Tagomi (und der Autor) auf die Weissagungen des 5000 Jahre alten chinesischen Orakels „I Ging“. Man wirft Münzen und legt Schafgarbestängel, die dann ein Zeichen ergeben, welches mit Hilfe von zwei Büchern interpretiert wird. Es gibt natürlich förderliche und ungünstige Orakel. An diesem Morgen liest Mr. Tagomi zu seinem Schrecken, dass eine umwälzende Änderung in seinem Leben eintreten wird …

Der Spion

Ein gewisser Mr. Baynes hat sich angemeldet. Er kommt aus Berlin und gibt sich als schwedischer Spritzgussfabrikant aus. Doch die japanische Abwehr informiert Tagomi, dass er in Wahrheit ein gewisser Rudolf Wegener von der deutschen Abwehr unter Admiral Canaris sei. Mit der Lufthansa-Rakete ist Baynes in weniger als einer Stunde in San Francisco. Er ahnt nicht, dass ihm die SS Reinhard Heydrichs bereits auf den Fersen ist. Auch die deutsche Polizei in San Francisco wird von dem potenziellen Überläufer informiert, und der Konsul Reiss sieht sich binnen vierzehn Tagen gezwungen, der SS freie Hand zu geben.

Doch vorerst ist es nicht soweit: Reichskanzler Martin Bormann ist gestorben und ein Machtkampf um die Nachfolge beginnt. Heydrich kämpft gegen Goebbels, Feldmarschall Göring und den schwachen Baldur von Schirach. Schon bald bringt Goebbels mit einer fulminanten Rede die Volksmeinung auf seine Seite und verhaftet Schirach, während Göring und Heydrich sich bei ihrer jeweiligen Hausmacht verstecken.

Diese Übergangszeit will Baynes ausnutzen, doch der Kontakt mit General Tedeki von den japanischen Heimatinseln kommt lange nicht zustande. Mr. Tagomi, der den Kontakt in seinem Haus ermöglichen soll, wird zunehmend ungehaltener, während Baynes’ Lage allmählich gefährdeter wird. Schon hat die deutsche Polizei Frank Frink verhaften lassen, und seine Frau Juliana lernt in dem angeblichen Fernfahrer Joe Cinadella einen verkappten Attentäter des deutschen Sicherheitsdienstes (SD) kennen.

Der Alte vom Berge

Juliana ist völlig fasziniert von dem Roman „Die Plage der Heuschrecke“ (O-Titel: The Grasshopper Lies Heavy“), den Joe in seinem Gepäck hat. Allein dieser Umstand ist sonderbar: Das Buch ist aufgrund seines subversiven Inhalts in den deutschen USA verboten, und von dort kommt Joe. Nur in den japanisch kontrollierten Gebieten, den PSA und den RMS, ist es frei erhältlich.

Der Roman wurde von einem Amerikaner namens Hawthorne Abendsen geschrieben, der in Cheyenne, Wyoming lebt. Er ist deshalb in den USA verboten, weil er eine Gegenwart schildert, in der die Achsenmächte Deutschland, Japan und Italien den 2. Weltkrieg verloren und die Briten, Russen und Amerikaner die Welt unter sich aufgeteilt haben.

Doch in Julianas Welt haben die deutschen Truppen unter Rommel die Briten bei Kairo geschlagen und auch auf der Insel die britische Luftwaffe bezwungen. Infolgedessen mussten die Briten kapitulieren. Die Amis kamen ihnen überhaupt nicht zu Hilfe, weil zuvor Franklin D. Roosevelt gestorben und ihm ein wachsweicher Präsident gefolgt war. Dieser hatte den deutschen Ansprüchen nichts entgegenzusetzen, denn der Westen des Kontinents wurde bereits von den Japanern erobert.

Juliana ist von dem Buch nicht nur fasziniert, sie ist absolut begeistert, schildert es doch eine Welt, in der es für sie und die Juden, wie Frank, noch Hoffnung gibt. Sie bewegt Joe dazu, mit ihr nach Denver zu fahren, um sich fein einzukleiden. Doch als er darauf besteht, noch am gleichen Abend von Denver nach Cheyenne zu fahren, wird sie misstrauisch. Sie soll für Joe die Doppelagentin spielen, damit er sich dem Autor Abendsen nähern kann. Denn Abendsen, so heißt es, stehe auf „dunkelhaarige Mädchen mit einer gewissen Aura“. Als Juliana endlich merkt, was Joe in Wahrheit vorhat, handelt sie schnell, impulsiv und tödlich.

Showdown 1: In San Francisco

… spitzt sich die Lage zu. Frank Frink sitzt bereits in deutscher Haft, und ein Killertrupp sucht Baynes. Endlich meldet sich General Tedeki, und Mr. Tagomi lässt Mr. Baynes alias Wegener kommen. Die Unterredung ist für ihn sehr überraschend: Wegener behauptet, die deutsche Regierung wolle zunächst einen Grenzstreit in den Rocky-Mountain-Staaten inszenieren, um die Japaner vom Hauptstoß abzulenken. Währenddessen richte sie ihre Atomraketen mit den H-Bomben bereits auf die japanischen Heimatinseln. Die Beweise dafür hat Wegener dabei. Tedeki weiß schon, wen er in Wahrheit vor sich hat und ist geneigt, Wegener Glauben zu schenken.

Da dringen die Attentäter der deutschen Geheimpolizei in die Kaiserliche Handelsmission ein. Mr. Tagomi ist vorgewarnt und zielt mit seinem von Frank Frink gefälschten amerikanischen Armee-Colt „anno 1860“ auf die Tür…

Mein Eindruck

Es gibt viele bemerkenswerte Figuren in Dicks vierundvierzig Romanen und über hundert Kurzgeschichten, doch keine ist so sympathisch, tief und „gerundet“ (im Foster’schen Sinne) wie Mr. Nobusuke Tagomi. Er steht vor bemerkenswerten moralischen Entscheidungen, nicht nur wegen „Mr. Baynes“/Wegener, sondern an einer Stelle auch wegen Frank Frink, den er an die Deutschen ausliefern soll. Er weigert sich kurzerhand. Und was mit Baynes/Wegener geschieht, darf hier nicht verraten werden.

Wie alle vier Hauptfiguren scheint er sein eigenes Leben ganz separat zu führen, aber das stimmt nicht. Es gibt, mehr oder weniger zufällig, viele Berührungspunkte mit den drei anderen. Childan ist ein direkter Kontakt, Frink ein indirekter und über Frink zu dessen Frau Juliana. Zwei verbinden sie: wie gesagt das „Buch der Wandlungen, I Ching“ und zweitens der Roman des „Mannes in der Festung“: „Die Plage der Heuschrecke“. Also weiß auch Mr. Tagomi, dass es eine Parallelwelt geben könnte und dass es eine Alternative zu dem gibt, was wir vorfinden. Wir müssten nur unsere Augen öffnen, auch im moralischen Sinne.

Und als einer der Wenigen tut Mr. Tagomi dies. An einer eindrucksvollen Stelle hat er, als er schon recht übermüdet ist, eine Vision von einem riesigen Freeway, der sich ÜBER den Hochhäusern und Straßen San Franciscos erhebt. Jemand erklärt ihm, um was es sich handelt: angeblich um den „Embarcadero-Freeway“. Tagomi ist so erschrocken über diese architektonische Ungeheuerlichkeit, dass er schnell nach Hause eilt. Sein Schrecken hat eine Parallele in seinem Horror und Widerwillen vor den Aktionen der Nazis in seinem Herrschaftsbereich. Folglich wählt er die Alternative, die Baynes/Wegener und Frink das Leben retten wird. Wir können nicht anders, als ihn zu bewundern. Ganz besonders dann, wenn wir Amerikaner wären.

Das große Vorbild für seinen Roman fand Dick in Ward Moores Alternativweltroman „Der große Süden“ (Bring the Jubilee) von 1953. Darin haben die Südstaaten den Bürgerkrieg für sich entschieden, mit bemerkenswerten Folgen, die ein Schlaglicht auf unsere eigene Welt werfen. Genauso geht Dick auch in „Das Orakel vom Berge“ vor. Allerdings dringt hier kein Forscher zu einem Geheimnis vor, sondern alles ist bereits fix und fertig beschrieben: Es ist die Fiktion in der Fiktion, die als „Die Plage der Heuschrecke“ von fast allen Figuren gelesen wird.

Die darin geschilderte Parallelwelt unterscheidet sich von unserer in vielfältiger Hinsicht, so dass auch wir die Lektüre interessant finden würden. Wir bekommen immer nur Auszüge daraus vorgelesen, meist von Juliana. Diese Perspektive ist wichtig: Nur so wird die Fiktion in der Fiktion als notwendig und folgenreich erkennbar. (Norman Spinrad ist in seinem satirischen Parallelweltroman „Der stählerne Traum“ anders vorgegangen: Er präsentierte die Fiktion in der Fiktion en bloc – und wurde dafür fünf Jahre lang auf den deutschen Index gesetzt!)

Der Schluss

Es gibt zahlreiche bewegende Momente im Roman. So hat beispielsweise auch Robert Childan eine Art kulturelle Erleuchtung, die ich äußerst spannend zu lesen fand. Aber es gibt eine Schwäche des Buches, die umso bedauerlicher ist, als sie den Schluss betrifft.

VORSICHT, SPOILER!

Juliana ist in Howard Abendsens Schriftsteller-Party geplatzt, um ihm diejenige Frage zu stellen, die sie am dringendsten beschäftigt: Gibt es die Parallelwelt, die er in seinem Buch beschreibt, wirklich? Wie immer an einem Knotenpunkt in der Handlung, wird auch diesmal das Orakel befragt. Statt aber nun ein reizvolles Spiel von Spiegeln und Widerspiegeln zwischen Fiktion und historischer Realität zu erschaffen, mündet der Orakelspruch in einen unaufgelösten (weiteren) Konflikt.

Das Zeichen Dschung Fu bedeutet „Innere Wahrheit“ und Abendsens bestätigt, dass sein Buch tatsächlich eine Welt beschreibt, in der Deutschland und Japan den Krieg verloren haben. Aber ist er auch bereit, daran zu glauben? Nein, er weigert sich, das zuzugeben. Und Juliana muss unverrichteter Dinge wieder nach Hause, in eine Welt, die hoffentlich „hell und lebendig“ ist.

Der Abschied von Abendsen und seiner Frau ist eine krampfhafte Übung in Höflichkeit. Ein Sieg der Banalität des Alltags. Vielleicht war es Dick wichtiger, an die Realität zu erinnern, in der wir uns alle wie Gefangene aufhalten und zurechtfinden müssen, als wie der große Zampano eine ewige Wahrheit zu verkünden.

SPOILER ENDE

Die Fortsetzung von 1974

1956 fliegt Hermann Göring ins „Gau Virginia“ und erfährt durch Abwehrchef Admiral Canaris von der Parallelwelt, die in Hawthorne Abendsens Roman beschrieben wird. Den Deutschen ist es gelungen, einen Erkundungstrupp hinüberzuschicken. Doch Göring scheut sich, deswegen etwas zu unternehmen. Unterdessen ist Reinhard Heydrich stark an der Mitarbeit von Wegener interessiert, den er direkt vom Flugplatz hat herschaffen lassen: in die Zentrale des allmächtigen SD. Wegener weigert sich, aber wer weiß, wie lange er das noch durchhalten kann.

Dick las in den fünfziger Jahren SS-Unterlagen im deutschen Original. Diese wurden an der Universität von Berkeley aufbewahrt. Er wusste über die Nazis sehr gut Bescheid, so dass deren Vertreter in seinem Roman völlig glaubwürdig wirken – wenn auch genauso durchgeknallt wie im wirklichen Leben. Der Grund dafür ist der (wie Sutin ausführt), dass sie die Beweger der Geschichte zu sein glauben und nicht deren Opfer. Dadurch erheben sie sich in eine gottähnliche Position, ohne allerdings unterscheiden zu können, wo der Mensch aufhört und die Gottheit beginnt. „Der Gott hat den Menschen verschlungen“, schreibt Sutin, nicht umgekehrt. Infolgedessen erscheinen sie ihren Zeitgenossen als größenwahnsinnig: Ihre Sünde ist die Hybris.

Dick wollte oder konnte 1974 nur diese zwei (erhaltenen) Kapitel schreiben. Seine auf Band aufgenommenen Skizzen hat er nicht umgesetzt. Wahrscheinlich hat ihm der Nazi-Horror vollauf gereicht. So plante er beispielsweise, Abendsen von den Nazis foltern zu lassen. Dies müssen wir nun nicht mehr ertragen. Das Vorwort von Wolfgang Jeschke bestätigt, dass die Fortsetzung den Roman nur entwertet hätte.

Das Vorwort von Kim Stanley Robinson

Robinson, selbst ein profilierter und vielfach ausgezeichneter SF-Schriftsteller, zeichnet in seinem Vorwort, das seinem Buch über Dicks Romane entstammt, ein kluges und kenntnisreiches Porträt der Entstehung des Romans und seiner inneren Architektur. Unter den Romanen Dicks ist es wohl das sympathischste und gelungenste Buch. Jenes, das dem Mainstream als Science-Fiction am nächsten kommt. Leider wurde es vom zeitgenössischen Mainstream fast komplett ignoriert. Dafür erhielt Dick aber von der SF-Gemeinde eine der höchsten Ehrungen überreicht: den Hugo Gernsback Award 1962.

Unterm Strich

Es gibt nur eine Hand voll Science-Fiction-Romane, die für einen Leser von Mainstream-Literatur – also alles von Joyce bis Kafka – so zufrieden stellend zu lesen sind wie „Das Orakel vom Berge“. In der gleichen Liga aus dieser Zeit spielen noch Ward Moores „Der große Süden“ und vor allem „Lobgesang auf Leibowitz“ von Walter M. Miller jr.

Die geschilderte Welt mit alternativem Geschichtsverlauf wird vom Autor ernst genommen und in ihren zahlreichen Facetten ausgespielt, was leider auch die Auswirkungen der Naziherrschaft mit einschließt. Hier wird das Böse geradezu greifbar. Noch wichtiger ist das Auftreten der vier Hauptfiguren, die alle mit einem eigenen Schicksal versehen sind, das uns zunehmend interessiert. Juliana Frink und Mr. Tagomi sind die komplexesten Charaktere, denn sie müssen wichtige moralische Entscheidungen fällen. Die Folgen ihrer Entscheidungen können den Lauf der Geschichte betreffen, doch das wissen sie nicht, jedenfalls nicht allzu bewusst.

Faszinierend wird das Buch zunehmend durch die scheinbare Zufälligkeit der direkten und indirekten Begegnungen in einem wahren Spinnennetz von Beziehungen. Der Autor kannte das Netzwerk von Beziehungen aus seinem eigenen Leben. Für die Entscheidungen, die seine Figuren ausführten, befragte er selbst das I-Ching-Orakel. Für den Leser ist es von entscheidender Bedeutung, das Orakel ernst zu nehmen. Tut er dies nicht, fällt alles auseinander. Denn dann erscheinen alle Begegnungen, als wären sie vom Zufall herbeigeführt und hätten keine innere Logik oder Berechtigung. Könnte es auch in unserem Leben so sein, dass es eine verborgene Notwendigkeit gibt, selbst wenn wir kein Orakel befragen?

Bis auf den misslungenen Schluss ist der Roman nicht nur eine zufriedenstellende Lektüre, sondern auch eine menschlich wertvolle Erfahrung, die ein Leser wenigstens einmal in seinem Leben haben sollte.

Taschenbuch: 348 Seiten
Originaltitel: The man in the High Castle, 1962
Aus dem US-Englischen von Norbert Stöbe.
ISBN-13: 9783453164116

www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Philip K. Dick – Der unmögliche Planet. SF-Erzählungen

Best-of-Sammlung von Dicks Erzählungen

Philip K. Dick (1928-82) ist in Hollywood angesagt: Der letzte Höhepunkt der Verfilmungen seiner Werke besteht in Steven Spielbergs Actionkrimi „Minority Report“ und nun auch „Paycheck“. Aber die Verfilmungen begannen schon 1980 mit Ridley Scotts „Blade Runner“, und das ist nun ein wahrer Kultfilm geworden. Andere Filme wie „Matrix“, „eXistenZ“, „Vanilla Sky“ und „Die Truman Show“ verdanken Dicks Ideen ebenfalls sehr viel, ohne ihm allerdings dafür nachträglich zu danken.

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Philip K. Dick – Die besten Stories von Philip K. Dick

Über diesem himmelblau gefärbten Titelbild steht in breiten Lettern PLAYBOY. Was soll uns das sagen? Handelt es sich um erotische Storys, in Hugh Hefners Auftrag geschrieben? Oder wurden hier nur PLAYBOY-Autoren beauftragt, Einschlägiges über Häschen und damit verbundene Freuden zu Papier zu bringen?

Leider wird auch der Häschen-Liebhaber enttäuscht, denn die Storys dieses Bandes stammen aus der Schreibfabrik eines einzigen, wenn auch bekannten Science-Fiction-Autors. Und der schrieb zwar ab und zu mal für Hefners Häschen-Blatt (denn es zahlte gut), aber leider in den seltensten Fällen über Einschlägiges. Vielmehr waren die zwei Fragen „Was ist menschlich?“ und „Was ist die Wirklichkeit?“ seine Hauptanliegen.

Das Vorwort schrieb 1976 John Brunner. Er war zu dieser Zeit selbst einer der renommiertesten britischen Science-Fiction-Autoren.

Der Autor

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Dick, Philip K. – heimliche Rebell, Der

_Skurril: Denkmalschändung durch Schlafwandler_

Im Jahr 2114 sind Kriege und Hungersnöte vom Antlitz der Erde verschwunden, Frieden und Wohlstand sind die Regel – mehr noch: Sie sind Pflicht. Es gibt Mittel, dafür zu sorgen, dass jedermann zufrieden ist. Allen Purcell hat besonderen Grund, zufrieden zu sein, ist glücklich und erfolgreich.

Doch eines Tages wird die Statue von Major Jules Streiter, dem Vater dieses Wohlstands, geschändet. Die Jagd auf den Systemfeind beginnt. Allen Purcell macht sich Sorgen. Könnte sein Unterbewusstsein dafür gesorgt haben, dass er, Purcell, diese abscheuliche Tat beging? Doch warum und wozu?

_Der Autor_

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er fast 30 Jahre lang veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als [„Eine andere Welt“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=198 bei |Heyne|) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon.

Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstresses durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967. Ab 1977 erlebte einen ungeheuren Kreativitätsschub, der sich in der VALIS-Trilogie (1981, dt. bei |Heyne|) sowie umfangreichen Notizen (deutsch als „Auf der Suche nach VALIS“ in der |Edition Phantasia|) niederschlug.

Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu [„Blade Runner“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1663 umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Storys, die Hollywood verfilmt hat. Ben Affleck spielte in einem Thriller namens „Paycheck“ die Hauptfigur, der auf einer gleichnamigen Dick-Story beruht. Als nächste Verfilmung kommt „A scanner darkly“ (Der dunkle Schirm) in unsere Kinos, möglicherweise noch in diesem Jahr.

_Handlung_

Im Jahr 1972 hat der Atomkrieg mit Japan stattgefunden. Dabei wurde das Kaiserreich radioaktiv verseucht, aber auch die USA mussten schwere Verluste hinnehmen: Noch 130 Jahre später fahren die Autos mit Dampf. Deshalb organisierte Major Jules Streiter 1985 die Moralische Restauration, kurz MoRes genannt (im Original MoRec, von Moral Reclamation). Sie schaltete alle Volksgenossen gleich, stellte eine militärische Organisation auf – die „Kohorten“ – , schuf mechanische Spitzel (die „Pimpfe“) und errichtete als Propagandaministerium die Telemedia, kurz T-M genannt. Alle Unangepassten und geistig Verwirrten landeten in der „Zuflucht“, wo man sie psychiatrisch behandelt: einer anderen Welt weit weg von der Erde.

Myron Mavis ist im Jahr 2114 der Chef der T-M, und für Agenturchef Alan Purcell ist er der wichtigste Kunde. Purcells kreative Forschungsagentur erarbeitet Konzepte für Sendungen und Kampagnen seit zwei Jahren, und bislang konnte sich die T-M auf die Qualität verlassen. Beim neuesten Konzept kommen jedoch Zweifel auf, ob es mit den strikten ideologischen Vorgaben der MoRes in Einklang steht. Doch Sue Frost, eine führende Angestellte der T-M, sieht das Potenzial und schlägt sogar Purcell als Nachfolger des gesundheitlichen angeschlagenen Mavis vor. Purcell erbittet sich Bedenkzeit, denn etwas Wichtiges ist passiert.

Am 8. Oktober erscheint nämlich ein Zeitungsartikel, der berichtet, dass die bekannte Statue von Major Jules Streiter, die im Park von Newer York steht, geschändet wurde. Seiner Frau Janet beichtet Alan, dass er der Täter war. Aber er könne sich einfach nicht daran erinnern, was er mit der Statue angestellt habe, geschweige denn, aus welchem Grund er so etwas Systemfeindliches getan haben könnte. Janet hat die roten Farbspritzer und das Gras auf seinen Schuhen gesehen und weiß bereits Bescheid. Die Sache bringt sie seelisch aus dem Gleichgewicht, aber ein paar Beruhigungspillen schaffen da Abhilfe.

Purcell geht in den Park, um herauszufinden, was passiert ist. Dort trifft er eine junge Frau, die es ihm erklärt: Jemand hat der Statue den Kopf abgesägt und alles rot angestrichen, dann hat derjenige das Bein so erhitzt, dass das Plastik schmolz und das Bein einknickte. Nachdem er den Kopf in die ausgestreckte Hand des Visionärs gelegt hatte, sah es so aus, als wolle Streiter seinen eigenen Kopf wegkicken. Kein Wunder, dass die ersten Zuschauer über diesen Anblick gelacht haben, aber jetzt verstellt eine Verschalung den Blick auf die Statue.

Sie fragt Purcell, ob er Hilfe benötige. Als er bejaht, gibt sie ihm einen Zettel mit ihrem Namen: Gretchen Malparto. Aber ihre Adresse ist der brisante Teil: Sie kommt aus dem weggesperrten Teil des Systems. Sie kommt aus „Zuflucht“, der Anderen Welt, wo Psychiater sich um die Bewohner kümmern. Der Psychiater, den er auf der Erde besucht, stellt sich als ihr Bruder heraus. Er ist ganz versessen darauf, bei Purcell eine verborgene parapsychische Fähigkeit festzustellen. Doch wie ihm Gretchen sehr viel später erklärt, verfügt Purcell als einzige „psionische“ Fähigkeit über etwas Außergewöhnliches: einen Sinn für Humor.

Wie außergewöhnlich gut entwickelt Purcells Sinn für Humor, erweist sich, als er der bereits am ersten Tag in Ungnade gefallene Direktor der Telemedia wird. Er holt aus Hokkaido zwei alte Freunde, gräbt ein paar Fakten über Major Streiter aus und fabriziert eine Satiresendung, die es in sich hat. Was mag wohl „Aktive Assimilation“ sein, fragen sich die braven Bürger der MoRes-Kultur.

_Mein Eindruck_

Es ist schon interessant, dass ich zuerst dachte, dieser Roman stamme aus Dicks schlechtester Schaffensphase Mitte der sechziger Jahre. Der Grund dafür ist der, dass die Story die gleiche typische Zweiteilung wie jene Romane aufweist (z. B. in „Die rebellischen Roboter“). Auf den ersten hundert Seiten langweilte mich der Autor mit einer schrecklich drögen Story über einen Mann, der bislang brav die Arbeit des Propagandaministeriums unterstützt hat, aber nur eine schier unglaubliche Tat aus seinem Unterbewusstsein heraus begeht, für die er keine Erklärung hat.

|Der radikale Bruch|

Erst um die Seite 100 herum ereignet sich der für Dick so typische Bruch mit der bisherigen Realität, und der Held findet sich in einem Traumland wieder, das eine fatale Ähnlichkeit mit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat. Und potztausend: Die Bewohnerin seines Traumhauses behauptet, sie sei seine, Johnnys, Frau – es ist Gretchen Malparto! Von nun an geht es in der Handlung drunter und drüber. Ich hatte den Eindruck, mich in einer von A.E. van Vogts Abenteuergeschichten zu befinden, in der sich die Handlung quasi im Zickzackkurs vorwärtsbewegt. Dass Dick seinen Kollegen van Vogt kannte, ist belegt und auch, dass der ältere Meister aus dem Stall von John W. Campbell seinem jüngeren Azubi ein paar Tricks beibrachte.

Daher weist die zweite Hälfte des Romans eine wesentlich höhere Spannung als die erste auf. Und auch jede Menge Ironie schimmert hindurch. Die verlogenen Exponenten der MoRes nämlich bekommen ihr Fett ebenso weg wie die braven Bürger im Allgemeinen. Eine der spannendsten Szenen ist jene, die wie einer jener Volksprozesse unter Stalin in den dreißiger Jahren abläuft.

|Schauprozesse|

Auch an die Nazis erinnert die Szene, in der der weibliche Blockwart Mrs. Birmingham Berichte der Schnüffler vorliest und Anklage gegen den Bürger Alan Purcell erhebt: wegen „anstößigen Treibens“ mit einer Frau, die nicht seine eigene sei (gemeint ist Gretchen, die Alan in seinem Telemedia-Büro geküsst hat). Die Inquisition hatte wenigstens den Vorteil physischer Folter, aber die Strafe, die Purcell verpasst bekommt, ist auch nicht von Pappe: Sein Mietvertrag wird für ungültig erklärt. Das kommt einer Exkommunikation gleich.

Am Schluss hätte er die Chance, mit Mavis auf eine andere Welt auszuwandern. Aber etwas bringt ihn dazu, seinen Entschluss zu überdenken. Er will nicht davonlaufen, sondern für seine Taten einstehen. Ob er damit das Regime der MoRes stürzen kann, ist zu bezweifeln, aber wenigstens stellt er sich seiner Verantwortung.

|Ein gemeiner Vorschlag|

Die Satiresendung, die er über den Sender von Telemedia verbreitet hat, bevor man ihm den Saft abdrehte, erinnert einerseits an Kubricks „Dr. Seltsam“, andererseits ist die Idee aber von Jonathan Swift geklaut. In Swifts Satire „A modest proposal“ aus dem Jahr 1729 schlug Swift vor, die Probleme der Armut, des Hungers und der Überbevölkerung in Irland (wo er Prediger war) auf einen Schlag dadurch zu beheben, dass man die Kinder als Essen für die Armen verwendet.

Purcell unterstellt, dass Major Streiter nach dem Atomkrieg seine Anhänger nur ernähren konnte, weil er die Feinde gefangen nahm und sie an seine Freunde und seine Familie verfütterte. Purcell (also Dick) verfährt bei dieser Darstellung exakt nach Swifts Vorbild. Er nimmt eine absurde Vorstellung und präsentiert sie auf absolut ernst zu nehmende Weise. Dazu hat er seine Angestellten und die Freunde aus Hokkaido ins Sendestudio eingeladen und gibt sie als Kapazitäten auf dem Gebiet der Geschichtsforschung usw. aus.

Die Vorstellung, Major Streiter, der Vater des Vaterlandes, könne Menschen gegessen haben, untergräbt natürlich dessen moralische Autorität aufs Schärfste. Dass dies nur bildlich zu verstehen ist, braucht Purcell nicht klar zu machen: Es würde sowieso niemand außer seinen Freunden verstehen, die immerhin James Joyces „Ulysses“ gelesen haben.

Dass Dick Swifts Idee geklaut und seinem Zweck angewandelt hat, sollte man ihm allerdings nur bedingt vorwerfen. Viele andere Autoren sind ähnlich verfahren. Die Frage ist, ob es funktioniert. Und es funktioniert ganz hervorragend, solange man die Ironie versteht, die dahintersteckt. Nähme man die Sendung – wie Mrs. Birmingham – für bare Münze, erlitte man wohl den Schock seines Lebens.

|Der sinnliche Mr. Dick|

Gretchen Malparto (= der schlechte Teil?) ist das verführerische „dunkelhaarige Mädchen“, das zu Phil Dicks lebenslanger Obsession wurde. Meist erscheint diese Verkörperung der Großen Mutter als ein aktives Frauenzimmer, das den männlichen Helden verführt und ihn dann mehr oder weniger verrät. Selbstredend lässt sie ihre beträchtlichen weiblichen Reize spielen, und so verwundert es nicht, dass Purcell, der Held, ständig von Brüsten und Busen umgeben zu sein scheint.

Ja, an einer Stelle stößt er im Chicago der fünfziger Jahre – also in der Anderen Welt – sogar auf eine junge Frau, die splitternackt in ihrem Garten sonnenbadet, aber Purcell gerne den Weg zeigt. Er muss sich vorkommen wie im Garten Eden vor dem Sündenfall, und definitiv geht Mr. Dick hier die sinnliche Phantasie durch.

_Unterm Strich_

Ein zweigeteilter Roman – wie ist der wohl zu bewerten? Soll man als Maßstab die besten Romane Dicks heranziehen, wie Lawrence Sutin es tut? Dann erhielte dieser Roman nur zwei von zehn möglichen Punkten. Oder sollte man ihn an den besten SF-Romanen jener Zeit messen? Das waren nämlich äußerst wenige, so etwa „Lobgesang auf Leibowitz“ (1959) von Walter M. Miller. Dann erhielte „Der heimliche Rebell“ gerade mal noch fünf von zehn Punkten und zwar vor allem für die einfallsreiche Darstellung des moralisch-totalitären Regimes der heiligen MoRes. Und dafür, dass ich mich im zweiten Teil köstlich amüsiert habe.

|Originaltitel: The Man Who Japed, 1956
Aus dem US-Englischen übertragen von Karl-Ulrich Burgdorf|

Dick, Philip K. – Nach der Bombe

(Relativ) optimistischer Neuanfang nach dem Weltuntergang

Was geschieht, wenn die Bombe fällt, wenn ein weltweiter Nuklearkrieg unsere Städte dem Erdboden gleichmacht? Bedeutet dies das Ende – oder geht es danach weiter, anders, vielleicht sogar besser? Nur Philip K. Dick weiß es. Und erzählt es in dieser ungekürzten Neuübersetzung.
Dick, Philip K. – Nach der Bombe weiterlesen

Dick, Philip K. – rebellischen Roboter, Die

_Abraham Lincoln und das dunkelhaarige Mädchen_

Sie begannen mit elektronischen Heimorgeln und automatischen Klavieren. Dann verbesserten sie ihre Technik und stellten Menschen her: keine Roboter, sondern genau programmierte Nachbildungen berühmter Zeitgenossen. Aber da war ein entscheidender Denkfehler: Denn die genaue Nachbildung eines berühmten Menschen kann keine lenkbare Marionette sein … (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er in fast 30 Jahren 40 Romane und über 100 Kurzgeschichten veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung außerhalb der SF zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als [„Eine andere Welt“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=198 bei |Heyne|) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon.

Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstresses durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967. Ab 1977 erlebte er einen ungeheuren Kreativitätsschub, die sich in der VALIS-Trilogie (1981, dt. bei |Heyne|) sowie umfangreichen Notizen (deutsch als „Auf der Suche nach VALIS“ in der Edition Phantasia) niederschlug.

Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu [„Blade Runner“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1663 umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Storys, die Hollywood verfilmt hat. Ben Affleck spielte in einem Thriller namens „Paycheck“ die Hauptfigur, der auf einer gleichnamigen Dick-Story beruht. Als nächste Verfilmung kommt „A scanner darkly“ (Der dunkle Schirm).

_Handlung_

Louis Rosen, der Ich-Erzähler, und Maury Rock sind Teilhaber in einer kleinen Firma, die sowohl elektronische Stimmungs-Heimorgeln als auch automatische Klaviere (Spinette) herstellt und im Nordwesten der Vereinigten Staaten vertreibt. Weil aber die Heimorgeln, für die Louis zuständig ist, sich nicht verkaufen, erhält Maury die Oberhand in der Firma. Und Maury sagt: Wir bauen Simulacra!

So ein Simulacrum ist nicht bloß eine mechanische Puppe mit ein paar Klamotten dran, nein, darin verbergen sich auch ein Gedächtnis und ein Verhaltensprozessor, der über ein Magnetband Befehle entgegennehmen kann: ein Android wie in „Blade Runner“. Das erste Simulacrum, das Maury auspackt, ist Edwin Stanton, dem Kriegsminister Abraham Lincolns, nachgebildet. Ein paar Knöpfe gedrückt, und schon kann der Stanton drauflos plaudern.

Louis Rosen kommen schwere Zweifel. Nicht, dass er seinem Partner diese Erfindung neiden würde. Es liegt vielmehr an dem Umstand, dass der Android von Maurys geisteskranker junger Tochter Priscilla Frauenzimmer erfunden und entworfen wurden. Wer weiß, wozu dieser Android fähig ist? Pris wurde aus einer staatlichen Heilanstalt auf Bewährung entlassen und ihr Verhalten grenzt ans Monomanische: Sie zerschneidet mit Vorliebe Badezimmerkacheln.

Pris’ Wahnsinn jagt Louis kalte Schauer über den Rücken: Sie ist gefühlskalt, berechnend, ehrgeizig und skrupellos. Auf seine Gefühle oder gar sein Selbstwertgefühl nimmt sie keinerlei Rücksicht, so dass er am liebsten im Boden versinken würde. (Merke: Louis ist nicht sonderlich selbstbewusst.) Sie behandelt ihn, als wäre er ebenfalls ein Automat, so wie ihr Stanton. Als sich Louis deswegen bei Dr. Horstowski psychotherapeutisch behandeln lassen will, kommt ihm der Arzt wie ein Automat vor. Scherzeshalber gibt er vor, selbst ein Automat zu sein. Den Arzt wundert das überhaupt nicht, was Louis ins Grübeln versetzt. Fortan gibt er überall vor, ein Simulacrum zu sein.

Und jetzt auch das noch: Pris will einen Job beim Milliardär Sam Barrows, der selbst im Nordwesten zu den skrupellosesten Immobilienhaien zählt und seinen Einfluss auch auf Mars, Venus und Luna ausweiten konnte. Maury erhält von Barrows einen Brief, in dem Barrows den geschäftlichen Vorschlag, Simulacra für die Neuinszenierung des amerikanischen Bürgerkrieges zu benutzen, für die Idee einer privaten Bürgerinitiative hält. Wie peinlich! Nix war’s mit dem Massenabsatz von Stantons.

Aber Maury, ein hartnäckiger Yankee, gibt nicht auf. Er will Barrows mit einem Meisterwerk überzeugen: einem Simulacrum von Abraham Lincoln! Auch hier hat Pris ihre Finger im Spiel: Sie hat alles über Lincoln gelesen und den neuen Automaten entsprechend programmieren lassen. Louis schwant dabei nichts Gutes, wie immer, wenn Pris beteiligt ist.

Der große Augenblick kommt einen Tag, bevor Sam Barrows seinen Besuch ankündigt, denn er hat Stanton in Seattle kennen gelernt und ist vom Wert der Simulacra für seine zukünftige Mondkolonie überzeugt. Man legt am Lincoln den Schalter um, und er erwacht zum Leben. Er öffnet die Augen. Er redet rückwärts – upps!

_Mein Eindruck_

Der Autor hat den Roman anlässlich der Hundertjahrfeier des amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865) geschrieben und das Manuskript 1962 fertig gestellt. Durch verschiedene Umstände wurde es aber erst zehn Jahre später als Roman veröffentlicht. Daher sieht es nun so aus, als wäre der Roman „Simulacra“ von 1966 zuerst geschrieben worden. In Wahrheit hat sich der Autor die Verkäufer der Simulacren, Maury Frauenzimmer und Louis Rosen, aus dem früheren Roman „Die rebellischen Roboter“ ausgeliehen.

Für das Lincoln-Simulacrum gab es bereits ein Vorbild: in Disneyland, Anaheim. Dort war Dick zu Besuch und schwer (ironisch) beeindruckt. Er erkundigte sich offenbar auch nach allen Automaten, die wie Menschen auftreten, zum Beispiel indem sie schreiben oder Klavier spielen. Aber wie so oft, sind bei ihm die Maschinen schlauer und menschlicher als die Menschen selbst. Und so verwundert es nicht, dass der Lincoln-Sim mit Sam Barrows einen Disput darüber führt, was menschlich sei. Dabei ist es nicht der Automat, der leugnet, dass es so etwas wie die Seele gebe, sondern es ist Sam Barrows, der skrupellose Milliardär.

Die zwei Unternehmer Rock und Rosen sehen sich bei Barrows’ Ankunft einer unerwarteten Gefahr ausgesetzt: Barrows will ihr Unternehmen mit Haut und Haar schlucken. Natürlich fallen ihm dann die Patente für die zwei Androiden zu und er kann sie in Massen fertigen lassen. Louis wird übel, als er Barrows’ Plan hört, Simulacra als Abbilder einer irdischen Familie in die neuen Mondkolonien verfrachten zu lassen, nur um mit diesem Bild familiärer Idylle beweisen zu können, dass es auf dem Mond so schön ist, dass auch normale Sterbliche dort wohnen wollen. Ist das nicht Betrug?

Als es Rock und Rosen mit Hilfe von Stanton und Lincoln (dieser war ja schließlich Anwalt) gelingt, ihre Firma vor Barrows zu bewahren, erweist sich Pris als Verräterin. Sie betrachtet ihren Vater und seinen Partner Louis als Nieten, die es nie zu etwas bringen werden. Und es ist ihr nicht gelungen, Louis zu verführen. Kein Wunder, ist sie doch völlig kopfgesteuert und verströmt so viel Wärme wie eine Eisscholle.

An Pris erweist sich Dicks Obsession mit dem „dark-haired girl“ seiner Fantasien. Sie ist zickig, dickköpfig und falsch wie eine Schlange. Aber auch ungemein anziehend in ihrer Kreativität, Lebhaftigkeit und Energie. In Begriffen des Psychoanalytikers C. G. Jung verkörpert sie die Große Mutter. Die Szenen zwischen Louis und Pris sind von einer erstaunlichen Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit – kein Wunder, denn der Autor hat darin seine Konversationen mit seiner damaligen Frau Anne verewigt. Es ist, als würde man einem Ehestreit zuhören, bei dem die Frau bizarre Argumente ins Feld führt, denen die Logik des Mannes kaum etwas entgegenzusetzen hat. Kein Wunder, dass sich Louis Rosen allmählich wie ein Simulacrum vorkommt …

Pris hat anfangs nur eine untergeordnete Rolle inne und die geschäftlichen Beziehungen Rock & Rosens zu Barrows stehen im Vordergrund. Doch als der Streit um die beiden Simulacra losgeht, erweist sich Pris als Joker im Spiel: Ohne sie (und einen Ingenieur) können die beiden Unternehmer keine gleichwertigen Simulacra mehr entwickeln und bauen. Im Konflikt zwischen den beiden „kleinen Protagonisten“ und dem „großen Protagonisten“ Barrows stellt Pris einen Katalysator dar, der für Louis erst zur Obsession wird und ihn dann veranlasst, psychotisch und gewalttätig zu werden: Er will Pris zurückhaben, koste es, was es wolle.

Der Höhepunkt des Romans ist eine ausgezeichnet realisierte Szene in der Bar eines Konzerthauses, wo ein farbiger Bluessänger auftritt. Der Gag bei dieser Auseinandersetzung besteht darin, dass Louis zwar Lincoln auf seiner Seite hat, aber Barrows das Simulacrum von Lincolns Mörder John Wilkes Booth mitbringt! Dieses Patt der Drohungen wird erst durch Pris’ Eingreifen aufgelöst.

Danach schwenkt die Handlung des Romans – wie in mehreren Büchern aus dieser Zeit nach 1962 – um und wendet sich der psychologischen Auseinandersetzung zwischen der – schizophren eingebildeten – Pris und Louis zu, der in eine staatliche Heilanstalt eingewiesen wird. Dort hofft er, von seiner Obsession geheilt zu werden. Doch stattdessen findet er die reale Pris ebenfalls in der Anstalt (sie war schon früher dort). Wieder kommt es zu einem Aufkeimen von Hoffnung, Pris endlich zu gewinnen. Doch so, wie wir sie kennen gelernt haben, ahnen wir bereits, dass sie Louis auch diesmal im Stich lassen wird.

Nach dem zu urteilen, was ich in den diversen Sachbüchern über dieses Buch und den Autor im Jahr 1961/62, als es entstand, gelesen habe, war Dick sehr gut mit den Behandlungsmethoden von Schizophrenie vertraut. Tatsächlich ließ er seine eigene Frau Anne daraufhin untersuchen und sogar behandeln. Dass dies nicht gerade Vertrauen aufbaute, liegt auf der Hand. Aber sie enttäuschte ihn sehr, indem sie eine Abtreibung vornehmen ließ, ohne ihn zu fragen. Im Buch greift er dieses Thema auf, indem er Louis von einer Pris fantasieren lässt, die einem kleinen Jungen namens Charles das Leben geschenkt hat, worüber Louis unendlich glücklich ist. Diese Wunscherfüllung findet in Louis’ Realität allerdings keine Entsprechung, wie ich oben erwähnt habe.

Dass die Handlung nicht mehr zu den faszinierenden Simulacra zurückkehrt, hat mehrere Kritiker, die Kim Stanley Robinson in seinem Buch „Die Romane des Philip K. Dick“ aufführt, verärgert und die Leser enttäuscht. Wenn es einem ebenso ergeht, so sollte man einfach zu demjenigen Roman Dicks greifen, in dem es fast ausschließlich um diese Automaten geht – natürlich zu „Simulacra“, das nur ein Jahr später geschrieben und 1964 veröffentlicht wurde.

_Unterm Strich_

Obwohl der Roman in inhaltlicher wie künstlerischer Hinsicht Schwächen hat, so besitzt er doch eine ganz starke, überzeugende Handlungslinie, die es in kaum einem anderen Dick-Roman gibt: die zum Scheitern verurteilte Liebe Louis Rosens zu Pris Frauenzimmer (die sich nach ihrem Weggang „Pristine Womankind“ nennt). Louis ist 33, während Pris erst 18 und damit nach dem (fiktionalen) Gesetz noch minderjährig ist. Das ist eine also heikle Sache. Aber diese einseitige Liebesbeziehung wird so realistisch und anrührend geschildert, dass sie keinen Leser kalt lässt. Diese emotionale Ehrlichkeit und Stärke habe ich erst wieder in dem Roman „Valis“ wiedergefunden (aber das ist rein subjektiv) und am Ende von „Eine andere Welt“.

Das SF-Element der künstlichen Menschen, die menschlicher sind als ihre Schöpfer, findet nicht nur hier eine ironische Behandlung, sondern natürlich in vielen weiteren Romanen Dicks, so etwa in „Simulacra“ und in dem allseits bekannten Roman „Blade Runner“.

|Originaltitel: We can build you, 1972
160 Seiten
Aus dem US-Englischen von Tony Westermayr|

Philip K. Dick – Paycheck – Die Abrechnung. Erzählungen

Mittelmäßige Story-Auswahl

Der vorliegende Band enthält einige der besten Storys von Philip K. Dick (1928-82), darunter die literarische Vorlage zu John Woos Actionkrimi „Paycheck – Die Abrechnung“ (mit Ben Affleck und Uma Thurman). Etliche andere Storys erschienen bereits in der Mammutstorysammlung „Der unmögliche Planet“. Einige sind dort aber nicht enthalten, so auch „Paycheck“. Ich bespreche diese „neuen“ Storys eingehender.

Philip K. Dick ist in Hollywood angesagt: Der letzte Höhepunkt der Verfilmungen seiner Werke besteht in „Paycheck – Die Abrechnung“. Aber die Verfilmungen begannen schon 1980 mit Ridley Scotts „Blade Runner“, und das ist nun ein wahrer Kultfilm geworden. Weiter ging’s mit „Total Recall“, „Screamers“, „Impostor“ und „Minority Report“. Andere Filme wie „Matrix“, „eXistenZ“, „Vanilla Sky“ und „Die Truman Show“ verdanken Dicks Ideen ebenfalls sehr viel, ohne ihm allerdings dafür nachträglich zu danken. Warum Dick ziemlich genau 50 Jahre nach Erscheinen der jeweiligen Storys aktuell wird, könnte etwas mit den Lizenzrechten zu tun haben. Das ist aber nur eine Vermutung.

Aber auch die Filme befassen sich zwangsläufig mit den Grundthemen in Dicks Werk: Was ist menschlich? Und was ist die Wirklichkeit? Früher oder später dürfte wohl jeder Leser ebenfalls auf diese zwei Fragen stoßen. Dick liefert dazu eine Menge Anregungen und unterhaltsame Ideen.

Der Autor

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er fast 30 Jahre lang veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als „Die andere Welt“ bei Heyne) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon. Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstresses durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967.
Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu „Blade Runner“ umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn).

Vorwort – von Sascha Mamczak

Sascha Mamczak ist bei Heyne der verantwortliche Lektor für die Science-Fiction-Titel. In seinem Vorwort geht er auf die Frage ein, wie sich Science-Fiction und Film/Fernsehen zueinander verhalten, genauer: Wie gut könnten Verfilmungen von Science-Fiction-Stoffen sein, wenn sich Film & Fernsehen Mühe gäben? Es gibt ja so unterschiedliche Werke wie „Blade Runner“ und „Total Recall“ – der eine ein Kultfilm, der andere ein Starvehikel im Gewand eines Actionfilms. Aus seinen Antworten muss man allerdings selbst ableiten, was Mamczak von John Woos Film „Paycheck“ halten würde, wenn man ihn fragte.

Wichtiger noch sind seine Anmerkungen zur Bedeutung der Science-Fiction als literarisches bzw. multimediales Mittel, um sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen: Sie ist das einzige Genre, das die angemessenen Mittel bereitstellt. Wie sonst sollte man die Tatsache umsetzen, dass die USA & Co. einen permanenten Präventivkrieg gegen „den Terror“ führen? Wer schuldig und wer unschuldig ist – wer bestimmt das?

Die Folgen dieses neuen Kalten Krieges werden zunehmend bizarrer, je mehr deutlich erkennbar wird, wie skrupellos sich die USA und Großbritannien eine Entschuldigung für ihren Angriff auf den Irak zusammengedichtet haben. Dass die angegriffenen „Terroristen“ nun weltweit den Spieß umdrehen, wird noch zu einigem Kopfzerbrechen und leider auch zu vielen Opfern führen. Wir bekommen es bereits jetzt durch gestiegene Sicherheitsausgaben zu spüren.

Die Erzählungen

Paycheck – Die Abrechnung (1953)

Die Titelstory schildert uns die Abenteuer des Mechanikers Michael Jennings. Er ist gerade von einer zweijährigen Anstellung bei der Firma Rethrick Construction zurückgekehrt. Da man ihm aber sein Gedächtnis gelöscht hat (eine Operationsnarbe beweist das), erinnert er sich nicht daran, was er in dieser Zeit getan hat. Man kann sich seine Überraschung vorstellen, als er als Lohn für zwei Jahre Lebenszeit nicht die erwarteten 50.000 Verrechnungseinheiten, sondern lediglich eine Tüte mit sieben rätselhaften Gegenständen erhält. Doch es ist alles rechtens, wie Kelly, die Empfangsdame, beweist: Er hatte die Umwandlung des Geldes in „Naturalien“ selbst genehmigt.

In den zwei Jahren ist es zu einem Regierungsumsturz gekommen. Mittlerweile schnüffelt so etwas wie Gestapo hinter allem her – natürlich auch hinter Jennings. Man will wissen, was Rethrick baut und was Jennings dabei zu tun hatte. „Wo ist die Rethrick-Fabrik?“ Jennings hat keine Ahnung. Doch mit Hilfe der „geerbten“ Objekte kann er a) entkommen und b) sogar diese ominöse Fabrik ausfindig machen: Sie liegt in Iowa, ein grauer Betonklotz auf einem schwer bewachten, kahlgebrannten Hügel.

Da kommt Jennings ein verwegener Gedanke: Wenn er Rethrick mit dem erpressen könnte, was er in der Fabrik zu finden hofft, dann könnte er Teilhaber werden. Leider kommt es ganz anders, denn Kelly, der er sich anvertraut und auf die er baut, ist nicht die, für die sie sich ausgibt…

Nanny (1955)

„Nanny“ (Kindermädchen) ist eine beißende Satire auf das amerikanische Konsumverhalten. – In einer Welt der nahen Zukunft gibt es Robotkindermädchen (ähnlich wie „Asimo“), die zwar ihre Schützlinge behüten wie ihren künstlichen Augapfel, aber dafür gegeneinander kämpfen bis zum Letzten. Nach wenigen Jahren sind die Modelle so veraltet, dass sie die Schlachten untereinander verlieren und durch neue ersetzt werden müssen. Das wiederum hält die Wirtschaftsmaschine am Laufen, ist aber auch ein Spiegelbild des Rüstungswettlaufs zwischen beiden großen Machtblöcken während des Kalten Krieges . Geschildert durch die Augen zweier Kinder und zweier Elternpaare ist diese Erzählung zwar sehr geradlinig, aber auch sehr einfühlsam.

Jons Welt (1954)

Caleb Ryan lebt in einem verwüsteten Nachkriegsamerika, das sich so langsam wieder berappelt. Immerhin verfügt er als Ingenieur inzwischen über eine richtige Zeitmaschine. Damit will er in die Vergangenheit reisen, an jenen Zeitpunkt, da der Militärforscher Schonerman den Grundstein legte für jene Killerroboter à la „Terminator“, die zunächst von der UNO gegen die Sowjets eingesetzt wurden, die sich dann aber verselbständigten und Krieg gegen alle Menschen führten – und dabei fast Erfolg gehabt hätten.

Der einzige Umstand, der Ryans perfekt geordnetes Leben stört, ist das abnorme Verhalten seines Sohnes Jon. Jon hat, wie er erzählt, lebhafte „Visionen“ von einer alternativen Wirklichkeit, in der die Erde von gelben Weizenfeldern und grünen Parks bedeckt ist und weiß gewandete Menschen über das Universum diskutieren. Jons Vater lässt ihn umgehend am Gehirn operieren, um diese Hirngespinste abzustellen.

In der Vergangenheit gelingt es Ryan und seinem Begleiter Kastner, Schonermans wissenschaftliche Unterlagen zu stehlen und zu entkommen. Auf einem der Zwischenstopps zurück in die Zukunft erfährt Ryan, dass der Krieg vorüber ist. Von den Killerrobotern, den „Greifern“, haben die Soldaten nie etwas gehört, auch nicht von einem gewissen Schonerman.

Als die Zeitreisenden in ihrer eigenen Zeit ankommen, sehen sie Jons Visionen verwirklicht. Jon gibt es nicht mehr. Doch anhand der Schonerman-Papiere könnten sie in der Vergangenheit noch einmal die Wiederholung des Krieges herbeiführen…

Die Story erinnert stark an „Die Sieger“, in der Soldaten, die lange im Bunker ihre Welt errichtet hatten, plötzlich in eine grüne Welt an der Oberfläche dringen, wo Roboter herrschen. Die Pointe ist sowohl ironisch als auch tragisch, wenn man Jons Schicksal bedenkt.

Frühstück im Zwielicht (1954)

Eine bitterböse, fesselnde Story mit einer überdeutlichen Warnung vor einem Atomkrieg.- Die fünfköpfige amerikanische Musterfamilie der McLeans frühstückt wie jeden Werktagmorgen, doch als Sohn Tommy zur Schule gehen will, ist da keine Schule mehr. Auch keine Straße, keine Häuser, nicht einmal eine Stadt. Da ist nur ein diffuser Nebel und wehende Asche vor der Haustür…

Die Soldaten, die mit Gasmasken in das Haus der McLeans eindringen, sind völlig von den Socken: ein gesunder Mann, der nicht beim Militär ist, eine Frau, die „nicht verschnürt“ ist, und Kinder, die nicht in Kanada im Lager indoktriniert werden. Und kiloweise Lebensmittel! Nachdem das gegenseitige Entsetzen und Erstaunen etwas abgeklungen ist, erklärt der herbeigerufene Politische Kommissar die Lage: 1977 – also in der Zukunft der McLeans – begannen die Sowjets, die USA mit robotergesteuerten Raketen zu beschießen. Er herrscht permanenter Weltkrieg zwischen den Machtblöcken. Die Raketen haben Amerika in eine radioaktive Wüste aus Schutt und Asche verwandelt.

Die einzige Möglichkeit, wie die McLeans in dieses Horrorszenario gekommen sein können, ist eine Zeitanomalie. Nachdem sie sich dafür entschieden haben, hier nicht leben zu wollen – man hätte sie alle getrennt -, verschlägt sie ein schwerer Raketenangriff wieder in ihre angestammte Gegenwart. Erschüttert, doch unfähig, die Wahrheit über die erlebte Zukunft zu erzählen, beginnt Tim McLean zu berichten: „Es muss an dem Heißwasserboiler gelegen haben“…

Kleine Stadt (1954)

Verne Haskel ist ein frustrierter Arbeiter in Woodland, Kalifornien. Er arbeitet in der Fabrik für Pumpen und Ventile. Seine Frau Madge ist ebenfalls frustriert und hat deshalb einen Liebhaber, Dr. Paul Tyler, aber das merkt Verne nicht. Denn Verne beschäftigt sich seit seiner Kindheit privat nur mit seiner riesigen Modelleisenbahn, die er im Keller aufgebaut hat. Madge findet sie monströs und Vernes Verhalten infantil. Dr. Tyler hingegen schwant Übles, sieht aber in Vernes Obsession zunächst eine Möglichkeit, ihn unmündig erklären zu lassen und sodann Madge zu bekommen.

Dummerweise verfällt Verne eines Nachts auf den verwegenen Gedanken, die Modelleisenbahn und das Abbild von Woodland, das sie reflektiert, abzuändern. Alles wird ersetzt und umgemodelt. Dann passiert etwas, das typisch ist für Dick: Die Vorstellung wird zur Wirklichkeit. Motto: Du kannst die Welt verändern, wenn du es willst. Und also geschah es, und Verne sah, dass es gut war.

Das Vater-Ding (1954)

Der achtjährige Charles Walton ist entsetzt: Er hat seinen Vater doppelt gesehen. Doch das Wesen, das sich nun an den Tisch zum Abendessen setzt, kann nicht sein richtiger Vater sein. Es sieht nicht echt aus. Und es droht ihm mit Prügel, sollte er nicht zur Vernunft kommen. Doch Charlie weiß sich zu helfen. Er geht zu Tony Peretti, dem 14-jährigen Schulrabauken, der bereits ein Luftgewehr besitzt. Peretti glaubt Charlie erst, als er die abgestreifte Haut von Charlies echtem Vater in einer Tonne in der Garage gezeigt bekommt. Peretti fällt an dem lebenden Vater-Ding auf, dass es irgendwie ferngesteuert wirkt. Doch wodurch und woher? Der beste Sucher ist Bobby Daniels, und tatsächlich: Unter einem Betondeckel im Garten findet sich ein riesiger Käfer. Leider nützt das Luftgewehr nichts gegen das Viech, und das Vater-Ding greift das Trio an. Charlie flieht in ein Bambusgebüsch und erstarrt: Dort wächst bleich wie ein Pilz – ein Mutter-Ding. Und einen Meter ist ein Charlie-Ding schon fast herangereift. Und dahinter warten noch andere Dinger. Da packt ihn das Vater-Ding…

Der gute (gütige) Vater verschwindet und wird durch den schlechten (strafenden) Vater ersetzt: eine der verbreiteten Kindheitsängste. Offenbar auch die von Philip K. Dick. Obwohl die Story von 1954 sehr gut in das paranoide politische Klima der McCarthy-Ära passen würde, die in jedem linken Amerikaner ein kommunistisches Monster vermutete.- Die Story ist sehr lebendig, spannend und einfühlsam erzählt. Sie erinnert am Schluss stark an Jack Finneys Roman „Invasion of the body-snatchers“, der nur ein Jahr später veröffentlicht wurde. Dieser sah bislang zwei Verfilmungen, 1956 von Don Siegel und 1978 durch Philip Kaufman.

Zwischen den Stühlen (The Chromium Fence, 1955)

In den USA haben zwei politische Parteien das Sagen: Die Naturalisten bestehen auf dem Recht des Menschen, Schweiß abzusondern und keine gepflegten Zähne zu haben. Die Puristen sind das Gegenteil: Die Schweißdrüsen sind zu entfernen und die Zähne penibel zu reinigen etc.

Don Walsh jedoch, ein braver Arbeiter mit Familie, weigert sich, einer dieser Parteien am Tag der Wahl sein Votum zu geben. Streit gibt es schon genug in seiner Familie: In der winzigen Wohnung kabbelt sich sein Schwager als Naturalist mit Dons Sohn Jimmy, einem Fähnrich der Puristenliga.

Am Tag, als die von der Industrie gestützten Puristen siegen, wird auch das sogenannte Horney-Gesetz verabschiedet, das Nazi-mäßige Verhältnisse einführt: Es gibt eine Konformitätskontrolle, und Don soll zur Umerziehung ins Lager. Als er allerdings erkennt, dass der Psychiater-Robot ihn falsch im Sinne der Regierung beraten hat, trifft er eine fatale Entscheidung. Dons Ende kommt unvermittelt und wirkt schockierend.

Autofab (1955)

Nach fünf Jahren Atomkrieg kriechen die Menschen (d.h. die Amerikaner) wieder aus ihren Löchern und bauen sich ärmliche Siedlungen. Aber sie haben es im Vergleich zu anderen Völkern noch gut: Automatische Fabriken, die sie zuvor unterirdisch angelegt hatten, versorgen sie mit allem, was sie brauchen: Medikamente, Lebensmittel, Kleidung, you name it.

Doch „der Mensch ist Mensch, weil er begehrt“ – und das gilt besonders für die Freiheit. Eines Tages beschließen die Oberen von dem, was einst Kansas City war, sich einen Autofab-Experten zu holen, um endlich selbst die Leitung der Automatischen Fabriken – kurz „Autofab“ – zu übernehmen. Denn die Autofab lässt sich nicht abschalten. O’Neill hat ein paar geniale Ideen, und nachdem die anderen ihre Wut an unschuldigen Androiden abreagiert haben, kommt er auch zum Zuge: Er legt einen Köder aus dem seltenen Metalls Wolfram aus, um den sich garantiert zwei Autofabs streiten müssen. Tatsächlich scheint sich die Autofab von Pittsburgh über den Haufen raren Rohstoffs zu freuen, da fallen die Jäger und Roboter aus Detroit über ihre Maschinen her. Pittsburgh sucht sich Verbündete, Detroit natürlich ebenfalls – schon bald ist der schönste Krieg im Gange.

Leider haben die Menschen jetzt zwar Freiheit, aber nichts mehr von den Autofab-Annehmlichkeiten. Mehrere Monate später geht O’Neill der halb zerstörten Autofab von Kansas auf den Grund und hört ein Rumoren, Surren und Grummeln. Tut sich da was? Und was, um Himmels willen, wird da unten produziert?

Man hat diese Story als Vision einer außer Kontrolle geratenen Ökologie gedeutet, als eine „grüne“ Warnung. Das scheint mir zu weit hergeholt. Denn die Autofab ist die Verkörperung einer Technologie, die sich aufgrund der Survival-Ideologie des Militärs, inzwischen der Kontrolle des Menschen entzieht. Die Autofab-Kultur kann denn auch nur mit einer militärischen List außer Gefecht gesetzt werden, jedoch nicht mit einem Frontalangriff. Richtig fies wird die Story dann am Schluss, als aus der Wiederauferstehung der Fabrik ihre Ausbreitung auf den Rest des Universums folgt.

Zur Zeit der Perky Pat (1963)

Ähnlich wie in „Autofab“ leben auch hier die Überlebenden eines Atomkrieges in unterirdischen Anlagen, die sie „Launengruben“ nennen“, und bekommen alles Lebensnotwendige von Flugzeugen, die Care-Pakete abwerfen. Aus den mechanischen Teilen bauen die Erwachsenen aber nicht etwa besonders nützliche Dinge, sondern eine Art Puppenhaus, über das jede Familie verfügt. Das Spiel heißt „Perky Pat“ und funktioniert genau wie Monopoly, nur dass die Hauptfigur eine Barbiepuppe namens Perky Pat ist: 17, blond und unschuldig. So geben die Überlebenden ihrem Bedürfnis nach, in der Scheinwelt der Vergangenheit zu leben, einer Welt des Konsums. Währenddessen lernt die junge Generation, mutierte Tiere, sogenannte Hutzen (Hunde + Katzen) zu jagen und zu essen.

Eines Tages kommt es zu einem Wettstreit zwischen Perky-Pat-Spielern und Spielern von „Companion Connie“ aus Oakland. Die Bedrohung ihrer jeweiligen Scheinwelten ist enorm: Companion Connie ist – oh Schock! – nicht nur verheiratet und intim mit ihrem Mann, sondern erwartet auch noch ein Baby! Als die Gewinner in ihre Perky-Pat-Kolonie zurückkehren, werden sie dort mit Steinwürfen bedroht und ausgestoßen: Companion Connie ist ihnen ein Gräuel.

Zwei Jahre später (1965) weitete Dick dieses Thema zu seinem Roman „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ aus: Die Scheinwelt von Überlebenden auf dem Mars wird durch Halluzinogene noch zementiert und plausibler.

Allzeit-bereit (1963)

In einem Amerika der nahen Zukunft haben es die Beamtengewerkschaften geschafft, dass sie einen Stellvertreter des Präsidenten stellen können. Dieser steht auf Abruf bereit, falls das präsidiale Supergehirn Unicephalon (= Ein-Kopf) 40-D ausfallen sollte. Bei einer Alien-Invasion tritt dieser Ernstfall ein: die KI fällt für Wochen aus. Nun muss Max Fischer ran, ein behäbiger Bürokrat, der plötzlich die Rolle des Obersten Befehlshabers der Streitkräfte ausfüllen soll.

Kein Wunder, dass er Opposition hervorruft, allerdings aus einem unwahrscheinlichen Lager: von den Medien. Die Nachrichtensprecher dieser Zeit sind Clowns und sehen auch so aus: mit roter Perücke und Knollennase. Jim-Jam Briskin bestreitet, dass Max Fischer legitimer Präsident der USA ist und stellt sich selbst Gegenkandidaten auf. Es sieht nicht gut aus für Fischers gerade erst begonnene Laufbahn als Präsi und er will schon auf den Knopf zur Vernichtung von Briskin drücken, da meldet sich die KI Unicephalon zurück und bringt alle zur Räson. Na, dann vielleicht beim nächsten Mal, Max?

Ein kleines Trostpflaster für uns Temponauten (1974)

„Ich will sterben“, fleht Addison Doug, doch dieser Wunsch bleibt ihm verwehrt. Genauso wie seine Mit-Temponauten Benz und Crayne ist er in einer Zeitschleife gefangen: Er ist dazu verdammt, immer wieder seinen eigenen Tod, seine Rückkehr und die nationale Trauerfeier wiederzuerleben. Seine Merry Lou ist ihm nur eine kleine psychologische Stütze bei seiner Bürde, aber immerhin: Benz und Crayne haben überhaupt niemanden, der ihnen hilft.

Nach und nach erfahren wir aus Gesprächen, wie es zu der misslichen Lage kam. Die Russen hatten schon ein Team 50 Jahre voraus in die Zukunft geschickt. Die Amerikaner mussten natürlich nachziehen, mit einem doppelt so weiten „Flug“. Leider ging beim „Wiedereintritt“ in die Gegenwart etwas schief, und damit begann die Zeitschleife. Als einzigen Ausweg sieht Doug die Selbstvernichtung beim „nächsten“ Flug: Er nimmt 50 Pfund Zusatzgewicht mit, so dass es beim Rückeintritt zu einer Implosion kommen müsste, bei der die Temponauten sterben sollten….

Das ist eine psychologisch tiefgründige, aber logisch gesehen anstrengende Story. Kein Wunder angesichts der zu bewältigenden Zeitparadoxa. Am wichtigsten ist aber die Psychologie, und auch bei dieser hapert es, besonders bei Merry Lou: Wenn sie Doug liebt, warum hilft sie ihm dann zu sterben? Sie sagt nie, dass sie ihn von seiner Bürde – nämlich die Hölle des ewigen Lebens – befreien will. Auch wird erst beim wiederholten Lesen klar, warum Doug seinen zwei Kollegen etwas vormacht: Sein letztes Gespräch mit dem Militärkommando der Mission verläuft ganz anders als er es ihnen erzählt. Fazit: In dieser Story, die zuerst in „Final Stage“ (GB) erschien, steckt mehr, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Daher hat sie andere Autoren stark beeinflusst.

Die Präpersonen (1974)

Diese provokante Erzählung schildert die Welt des kleinen Jungen Walter Best, in der die Abtreibung bis zum zwölften Lebensjahr des Kindes legalisiert ist. Walter lebt daher in ständiger Furcht vor den „Männern im weißen Lieferwagen“: Von ihren Eltern für unerwünscht erklärte Kinder können noch lange nach ihrer Geburt durch Euthanasie getötet werden. Die Parallelen zu den Maßgaben für eine Abtreibung sind unübersehbar – der Autor hat lediglich die Frist vom 5. Monat auf das 12. Jahr verschoben, genau wie das die US-Regierung in seiner Story-Welt tut.

Kein Wunder, dass diese Geschichte in den USA die vehemente Kritik feministischer Autorinnen hervorrief, und sogar Professor Joanna Russ, selbst progressive Science-Fiction-Autorin („Planet der Frauen“), wurde ausfallend gegenüber dem Autor! Man sollte aber berücksichtigen, dass Dick seine Ansicht zur Abtreibung hier nicht unreflektiert und pauschal formuliert hat, sondern mit Vorbedacht. Und dass es nicht unbedingt seine eigene Meinung sein muss – ähnlich wie bei „Glaube unserer Väter“. Es trifft aber zu, dass er hier Walter Bests Vater Ian, einen Abtreibungsgegner, einige sehr unschöne Dinge über Frauen sagen lässt, die sich keine Kinder wünschen. Auch ansonsten hält Dick hier starken Tobak bereit.

Mein Eindruck

Meine Eindrücke habe ich zu fast jeder Story geschrieben. Unter den „neuen“ Storys ragen sicherlich „Paycheck“ (1953) und „Frühstück im Zwielicht“ (1954) heraus. In „Paycheck“ entwickeln unscheinbare Gegenstände wie etwa ein Busfahrschein oder ein Poker-Chip lebenswichtige Bedeutung. In den Augen des Zeitreisenden ändert sich ihre Bedeutung für sein Leben grundlegend, weil sie sich genau dann als passend erweisen, wenn ihr Nutzen am größten ist. Hier erhebt sich die Frage, ob nicht Ursache und Wirkung vertauscht werden. Der Witz ist aber, dass bei Zeitreisen mit höchster Wahrscheinlichkeit Ursache und Wirkung vertauscht werden. Davon abgesehen, erweist sich „Paycheck“ als durchaus robuste Basis für einen Thriller. John Woo hat dann nur noch die Action hinzufügen müssen – mit den erkennbar traurigen Ergebnissen.

„Frühstück im Zwielicht“ ist eine laute und eindeutige Warnung vor dem kommenden Weltkrieg. Die Anfangsszene ist ein echter Schocker: man sitzt friedlich und nichts ahnend beim Frühstück, als ein paar Soldaten brüllend die Tür eintreten und fragen, was der Unsinn soll, schließlich herrsche Krieg! Hier erlaubt sich Dick natürlich auch einen Spaß mit Zeit, Raum und Chaos. Am besten ist aber der ironische Schluss: Die Betroffenen betrachten es als ihre Pflicht, ihren nichts ahnenden Nachbarn nichts von dem Horror, der möglicherweise auf sie zukommt, zu verraten, sondern behelfen sich lieber mit dem defekten Heißwasserboiler, der all die Verwüstung an ihrem Haus angerichtet haben muss. Mögen die Nachbarn noch lange friedlich schlafen.

Dagegen fallen die Storys „Allzeit-bereit“, „Zwischen den Stühlen“, „Jons Welt“ und „Kleine Stadt“ ein ganz klein wenig ab. Da sie aber in gleicher Weise auf eine Pointe hin geschrieben sind, verfehlen sie ihre Wirkung auf den Leser nicht. Sie sind ironisch, zuweilen tragisch oder komisch. Die Botschaft ist häufig eine Warnung oder zumindest das Anprangern eines realen oder möglichen Missstandes, selbst wenn dies die (austauschbare?) Position des US-Präsidenten betrifft.

Unterm Strich

„Paycheck“ ist bietet eine ähnlich gute Auswahl an Storys wie „Minority Report“ – ebenfalls ein Film-Tie-in, wie die Amerikaner sagen. Die Überschneidungen sind geringer, als man zunächst befürchten würde – so fehlt etwa die harte Story „Glaube unserer Väter“. Diese Storys hier sind wahlweise provokativ („Präpersonen“), kritisch („Nanny“, Vater-Ding“, „Zwischen den Stühlen“), ironisch („Paycheck“), tragisch („Jons Welt“, „Temponauten“) und komisch („Kleine Stadt“, „Perky Pat“), aber stets mit einer Pointe versehen, die den Leser mit einer klaren Aussage des Autors zurücklässt.

Diese Auswahl – mit sechs Filmfotos illustriert – bietet dem deutschen Leser, der vielleicht nicht mehr auf die Haffmans-Story-Gesamtausgabe zurückgreifen kann, eine Menge weiterer Storys, die in den letzten Jahren nicht mehr zugänglich waren – auch nicht in „Der unmögliche Planet“ mit seinen 832 Seiten.

Die einzige Geschichte, die in Philip K. Dicks persönlicher Auswahl seiner besten Storys („Best of PKD“, 1977, vgl. die Moewig-Ausgabe) noch nicht in diesen späten Auswahlbänden vorliegt, ist „If there were no Benny Cemoli“ aus dem Jahr 1963. Die genannte PKD-Ausgabe von 1977 enthält übrigens ein gutes Vorwort von Dicks englischem Kollegen John Brunner sowie ein Nachwort und Anmerkungen vom Meister selbst.

Michael Matzer ©2004ff

[Nachtrag des Lektors: Die Seitenangabe bei amazon weicht ab, es sind 381 Seiten.]

Philip K. Dick – Zeit aus den Fugen

Paranoia-Klassiker

Zeit aus den Fugen“ (ein Zitat aus „Hamlet“), 1959 erschienen, kommt als unscheinbare Prosaerzählung daher, genauso wie das Geschehen in einem unscheinbaren Ort spielt, der nicht einmal einen richtigen Namen hat: „Old Town“. Doch das Ganze ist eine gigantische Truman-Show, eine Matrix, die nur einen Zweck zu haben scheint: ihren wichtigsten Bewohner, Ragle Gumm, über die Natur der Wirklichkeit zu täuschen.

Der Autor

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er fast 30 Jahre lang veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als „Die andere Welt“ bei Heyne) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon. Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstresses durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967.

Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu „Blade Runner“ umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Stories, die Hollywood verfilmt hat. Ben Affleck soll in naher Zukunft in einem John-Woo-Film namens „Paycheck“ auftreten, der auf einer Dick-Story beruht. Nachtra: Inzwischen verarbeitet eine ganze TV-Serie die wichtigsten von Dicks Kurzgeschichten.

Begraben ist der Autor neben seiner Schwester, die er nie kennenlernte. Es wird immer noch einem seiner frühen Manuskripte gefahndet, das bis heute verschollen ist…

Handlung

Ragle Gumm ist mit seinen 46 Jahren so etwas wie ein amerikanischer Nationalheld: Er ist derjenige, der am längsten durchgehend den landesweiten Wettbewerb „Wo wird das grüne Männchen als nächstes auftauchen?“ gewonnen hat. Zumindest glaubt das jeder in seinem idyllischen Heimatstädtchen Old Town, wo ihn natürlich jeder kennt. Schließlich ist das hier tiefste Provinz, und das auch noch im Jahr 1959, in der Eisenhower-Ära. Und niemand hat ein Radiogerät.

Ragle ist sympathisch, aber auch außergewöhnlich. Als einziger Mann in der Stadt arbeitet er nicht in irgendeinem Job, sondern werkelt stets zu Hause an seinem Wettbewerb herum. Das Ausarbeiten der richtigen Einsendung ist nämlich wirklich kompliziert. Schon ein paarmal lag er mit seiner Vorhersage, wo das kleine grüne Männchen auftauchen wird, daneben und hätte eigentlich disqualifiziert werden müssen, doch die Wettbewerbsleitung hat immer wieder ein oder zwei Augen zugedrückt, um ihn weiterhin dabei zu haben. So eine Erfolgsstory wie die von Ragle Gumm ist nämlich kostenlose Werbung.

Er lebt bei seiner Schwester Margo, deren Mann Victor Nielson und ihrem Sohn Sammy, einem Bastler. Die Nachbarn sind Junie Black und ihr Mann Bill. Als Ragle versucht, mit der attraktiven Junie eine Affäre zu beginnen, geraten die Dinge in Bewegung. Das ist das eine, aber gleichzeitig häufen sich merkwürdige Erlebnisse, die nicht nur Ragle, sondern auch Victor haben.

Als Ragle mit Junie ins Freibad geht, um sie anzubaggern, will er sich beim Getränkekiosk ein Bier kaufen. Doch das, was er beim Getränkekiosk findet, ist merkwürdig: einen Zettel mit der Aufschrift „Getränkekiosk“. Der so bezeichnete Stand hat sich in Luft aufgelöst. Und es ist bereits Ragles sechster Zettel.

Wenig später kehrt der zehnjährige Sammie von einer Expedition zu den Ruinen am Stadtrand zurück. Auch Ragle findet dort etwas: Zeitschriften und ein Telefonbuch. In den Magazinen ist die Rede von einer Schauspielerin, von der Ragle noch nie gehört hat: Marilyn Monroe. Und als er die Nummern im Telefonbuch über die Vermittlung erreichen will, sind alle außer Betrieb. Über das von Sammy gebaute primitive Radiogerät empfangen Ragle, Sammy und Margo merkwürdige Funkmeldungen. Sie haben unter anderem mit Ragles Aufenthaltsort zu tun.

Inzwischen ist Nachbar Bill Black durch die Telefonvermittlung alarmiert worden: Mit Ragle stimmt etwas nicht. Aha, die Magazine und das Telefonbuch. Leider verplappert er sich sich, als er bekennt, den Namen Marilyn Monroe schon einmal gehört zu haben. Der Grund dafür wird nur dem Leser klar: Bill Black ist Teil der groß angelegten Verschwörung, die dazu dient, Ragle Gumms Voraussagefähigkeit dienstbar zu machen. Damit werden die Raketenangriffe auf die Erde eingeschätzt, die die abtrünnigen Mondkolonisten abfeuern. Ragles Welt ist eine Lüge: Illusion, Täuschung, ein Truman-Show von A bis Z.

Ragle hat das unbestimmte Gefühl, dass etwas mit seiner Welt nicht stimmt. Um herauszufinden, ob dies überall so ist, versucht er, die Stadt zu verlassen. Der erste Versuch scheitert und er wird einer Gedächtnisunterdrückung unterzogen. Doch dann kontaktiert ihn eine Frau, die ihn einlädt, einen Vortrag über Zivilschutz zu halten. Und man zeigt ihm ein Modell jener Fabriken, die künftig unterirdisch arbeiten sollen. Das hilft Ragles Erinnerung auf die Sprünge: Das Modell zeigt nämlich seine eigene Aluminiumfabrik, die er mal besessen hat.

Nun ist der Fall klar: Er muss Old Town verlassen, koste es, was es wolle. Und diesmal klappt es. Was er draußen vor der Stadt im Jahr 1998 vorfindet, übertrifft seine schlimmsten Befürchtungen…

Mein Eindruck

Dick schreibt durchweg verständlich und benutzt alltägliche Ausdrücke, ganz im Gegensatz zur Hard-Science-Fiction à la Benford und Niven, die mit technischem Jargon um sich wirft. Im Gegenteil: Old Town sieht aus wie der Anfang von „Pleasantville“, der Eisenhower-Traum vom idyllischen, wohl geordneten Vorortleben. Oder wie Trumans Kulissenstadt, die bis zum Wasser reicht, das er nicht überqueren kann, ohne Riesenängste durchzustehen.

Gesellschaftliche Relevanz

Doch während Trumans Leben als Show zum privaten Vergnügen jedes Einzelnen inszeniert ist, so betrifft Ragles Leben in Old Town die gesamte Nation: Er ist es, der die Flugbahnen der Mondraketen vorhersagt und somit den Schutz von Leib und Leben ermöglicht. Er ist ein Nationalheld, aber in beiden Welten, die er betritt. Alles andere an Old Town stellt sich als Kulisse heraus, aber mehr oder minder zu seinem psychischen Schutz: Es ist sein privater Rückzug ins Goldene Zeitalter der Sorglosigkeit. Er kann den Gedanken, für so viele Menschenleben verantwortlich zu sein und auf jeden Fall schuldig zu werden, nicht ertragen und hat sich seine eigene Rückzugspsychose herangezogen. Die Regierung musste nur noch die Kulissen und Statisten besorgen. Aber wird der Krieg mit dem Mond ewig dauern?

Die schrecklichen Fünfziger

Die Parallelen zum Kalten Krieg, den das Eisenhower-Amerika mit den „bösen Russen“ führte, sind unübersehbar. Dick diagnostiziert die kulturelle Erstarrung dieser Ära als Psychose des Rückzugs. Die war vielleicht hilfreich, um den Horror des Zweiten Weltkriegs zu verarbeiten, ist aber Mitte der 50er in eine Starrheit und Stagnation verfallen, aus der nur wenige Bewegungen herausführten, und auch das nur am äußersten Rand: Der Rock’n’Roll entstand in den Kneipen und Klubs der Schwarzen, wurde dann von dem Weißen Elvis Presley gesellschaftsfähig gemacht, vor allem durch Filme. Und die Stimmen der Beat-Lyriker der Westküste, insbesondere Allen Ginsberg mit dem ergreifenden Langgedicht „Howl“, wurde nur in Künstler- und akademischen Kreisen vernommen. Das alles änderte sich erst im Jahr 1960 mit Kennedy (wenn auch nicht unbedingt zum Besseren).

Prosaisch in jeder Hinsicht

Wie gesagt, ist „Zeit aus den Fugen“ sehr einfach zu lesen. Ich war aber erstaunt, dass wir kaum jemals Einblick in Ragle Gumms Gedankenwelt erhalten. Erst am Schluss tauchen Rückblenden auf. Daher wird Ragles Reaktion auf bestimmte Ereignisse mit Spannung erwartet. Zunächst kommen solche Ereignisse sehr unscheinbar und alltäglich daher: Der Autor gibt sich keinerlei Mühe, rätselhafte Hinweise fallen zu lassen oder Cliffhanger-Schlüsse zu verwenden. Daher heißt es: Augen auf und aufpassen, was als Nächstes passiert!

„Blade Runner“

Im Unterschied zu den Erzählungen, die mitunter von bitterer Ironie triefen, ist in „Zeit aus den Fugen“ keinerlei Verzweiflung, aber auch kaum Humor festzustellen. Es gibt keine Ausbrüche sinnloser Gewalt. Selbst wer heute angesichts der Kindlichkeit einer Frau wie Junie Black am liebsten durchdrehen möchte, dem wird nicht der Gefallen erwiesen, dass Junie zurechtgewiesen wird. Der Grund: Junie kann nichts dafür. Sie wurde auf dieses Verhalten per Tiefenhypnose und Medikamenten „programmiert“. Und wer würde einem Androiden einen Vorwurf über sein Verhalten machen? (Insofern verweist Junie auf die Androidin Rachel in „Blade Runner“ voraus.)

Unterm Strich

Ragle Gumms „echte“ Realität hat große Ähnlichkeit mit den realen Fünfzigern, der Eisenhower-Ära des Kalten Krieges und der Vorstadtidyllen. Die bedeutende Autorin Ursula K. Le Guin hält daher Dicks Buch für den „besten Roman über das Amerika der fünfziger Jahre, den ich je gelesen habe“. Dick als moderner Kafka des späten 20. Jahrhunderts? Mit jedem weiteren Jahr, das wir uns mit der Natur der „Matrix“ auseinandersetzen, erscheint uns Dicks Werk an Bedeutung zu wachsen.

Dieser leicht zu lesende Roman eignet sich als guter Einstieg in Dicks Science-Fiction-Welt. Manche Szenen fanden später vielseitige Verwendung: „Pleasantville“, „Truman Show“, das Ende der Autobahn in „The 13th Floor“, die endlose virtuelle Autobahn in Michael Marraks „Lord Gamma“ usw. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Michael Matzer ©2003ff
www.heyne.de

Dick, Philip K. – Minority Report. SF-Erzählungen

Philip K. Dick (1928-82) ist in Hollywood angesagt: Der letzte Höhepunkt der Verfilmungen seiner Werke besteht in Steven Spielbergs Actionkrimi „Minority Report“ – daher auch der Titel dieser Sammlung. Aber die Verfilmungen begannen schon 1980 mit Ridley Scotts „Blade Runner“, und das ist nun ein wahrer Kultfilm geworden. Aber auch die Filme befassen sich zwangsläufig mit den Grundthemen in Dicks Werk: Was ist menschlich? Und was ist die Wirklichkeit? Früher oder später dürfte wohl jeder Leser ebenfalls auf diese zwei Fragen stoßen. Dick liefert dazu eine Menge Anregungen und unterhaltsame Ideen.

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er fast 30 Jahre lang veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als „Die andere Welt“ bei Heyne) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon. Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstresses durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967.

Er erlebte noch, wie Ridley Scott 1980 seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu „Blade Runner“ umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Storys, die Hollywood neben der „Matrix“-Idee verfilmt hat. Ben Affleck soll in naher Zukunft in einem Film namens „Paycheck“ auftreten, der auf der gleichnamigen Dick-Story aus dem Jahr 1953 beruht. An einem Skript zu Dicks Roman „Der dunkle Schirm“ wird seit Jahren gebastelt. Und vom Roman „UBIK“ hat Dick selbst ein Skript erstellt (das in der Heyne-Ausgabe vom 11/2003 enthalten ist), das aber noch keine Umsetzung gefunden hat.

Die Storys (* = verfilmt):

1) *Der Minderheiten-Bericht („Minority Report“)

Man stelle sich die Handlung von Steven Spielbergs Film etliche Nummern kleiner vor und wird sich so ungefähr der Dimension der Story annähern. John Anderton, der Polizist beim Projekt „Pre-Crime“, verhindert Verbrechen, noch bevor sie begangen werden. Der Grund: Die drei Präkognitiven (Pre-Cogs) von Pre-Crime haben das Verbrechen vorausgesehen. Doch eines Tages treffen zwei merkwürdige Umstände ein: Es wird eine Verbrechenswarnung über Anderton selbst ausgegeben – dieser kennt sein angebliches Opfer noch gar nicht. Und es gibt dazu einen Minderheitenbericht: Einer der Pre-Cogs äußerte eine davon abweichende „Meinung“. Es wird eng für John Anderton, als ihn seine früheren Kollegen zu verfolgen beginnen…
Wer soll die Wächter bewachen? Diese alte römische Frage stellt Dick auch diesmal wieder. Die Folgen bei Spielberg: Drama & Action, bei Dick einige interessante Dialoge und Gedankenspiele. Auf jeden Fall lesenswert.

2) Kriegsspiel (War game)

Generäle spielen Kriegsspiele, das weiß jeder. Aber in einer von Krieg und Militarismus beherrschten Nation (wie etwa der amerikanischen) spielen auch Kinder Kriegsspiele. Buchstäblich. Und diese muss ja jemand testen. Die Tester von der Importkontrolle erhalten Spielprototypen von einem mysteriösen Hersteller, der auf dem Jupitermond Ganymed herstellen lässt. Und die Ganymedianer sind ja bekanntlich ziemlich hinterlistige Burschen. Den Testern ist nicht ganz klar, um wen es sich bei den Ganymedianern genau handelt, aber das Spiel ist interessant, geradezu realistisch – und didaktisch. Die Tester werden trainiert, ohne es zu merken. Aber wenn die Hersteller nun Aliens wären, die die Abwehrbereitschaft der Erde prüfen wollten?
„Kriegsspiel“ ist eine unterhaltsame und augenzwinkernde Satire auf Militär und Geheimdienst, die es in sich hat.

3) Was die Toten sagen (What the dead men say)

Diese Erzählung von 1964 bildet eine Vorstufe zu Dicks Roman „UBIK“ (1969). Im Kälteschlaf-Institut von Herbert Schönheit von Vogelsang können Menschen im Kältepack dennoch für gewisse Zeit – das „Halbleben“ – mit ihrer Umwelt kommunizieren, etwa um Ratschläge zu erteilen und Anteil an bestimmten Entwicklungen zu nehmen. Doch Louis Sarapis, der mächtigste Industriemagnat des Sonnensystems, reagiert nicht auf Versuche, ihn im Halbleben zu reaktivieren. Statt dessen meldet er sich plötzlich aus einer Lichtwoche Entfernung aus dem Weltall. Hintergrund dieses Phänomens ist wohl, dass Sarapis‘ Erbin die Stimme aus dem All vorgetäuscht hat. Der Protagonist der Story, Gordon Barefood, bricht auf, um die Frau auszuschalten, wiewohl er sich in sie verliebt hat.
Wenngleich der Autor eine logische Erklärung für die Vorgänge findet, haftet der Geschichte über weite Strecken ein starkes Gefühl der Verfremdung und des Unbehagens an. Motto: Die Welt ist aus den Fugen geraten, doch Dicks Helden geben niemals den Versuch auf, die Rätsel aufzuklären. Dick hat hier das Potenzial verschenkt, die Aspekte des Halblebens im Kältepack auszuloten. Das hat er 1969 in „UBIK“ nachgeholt.

4) Ach, als Blobel hat man’s schwer! (Oh, to be a blobel!)

Auch in dieser Farce wird wieder der Geheimdienst auf die Schippe genommen. – George Munster geht zu einem Automaten-Psychiater, denn er hat ein Problem. Dr. Jones, der mit oberbayerischem Dialekt zu sprechen anhebt, verfällt sogleich in Hochdeutsch. Munsters Problem besteht darin, dass er als Militäragent bei den Blobels leben muss und, um sie zu infiltrieren, deren wabbelige Gestalt annehmen musste. Das tut seinem Geschlechtsleben überhaupt nicht gut, und so heiratet er eine von den Blobels. Er hat sogar Kinder, die teils gänzlich Mensch oder Blobel, zum Teil aber auch gemischt sind. Dr. Jones tut sich schwer mit seinem Rat…

5) *Erinnerungen en gros („Total Recall“)

Die Handlung verläuft ein wenig anders als in der von Paul Verhoeven inszenierten Action-Brutalo-Oper „Total Recall“ mit Arnold Schwarzenegger als Douglas Quail. Quail wünschte sich in der reglementierten Realität der Erde schon immer, einen aufregenden Job zu haben, zum Beispiel auf dem Mars. Seine bodenständige Frau Kirsten spottet ihn aus.
Und so geht Dougie zur Endsinn AG (von ‚entsinnen‘, sich erinnern; im Original „We can remember it for you wholesale“). Dort erhebt sich die Frage: Verfügt Douglas Quail über vom Militärgeheimdienst implantierte Erinnerungen, ein Agent auf dem Mars zu sein, oder ist er wirklich einer? In jedem Fall ist die Antwort sowohl interessant als auch verblüffend. Das Ersatzprogramm erweist sich als Desaster…
Die Story ist eine Extrapolation der Gehirnwäsche, die das Militär und dessen Geheimdienst an seinen Mitgliedern vornehmen könnte. (Nix Genaues weiß man nich.) In die gleiche Kerbe schlug übrigens 1968 John Brunner mit seinem Mega-SF-Roman „Morgenwelt“ („Stand On Zanzibar“), in dem ein harmloser Knowledge Worker, Donald Hogan, vom Militär zu einem paranoiden Superkiller umgekrempelt wird.

6) Glaube unserer Väter (Faith of our fathers, 1967)

Dick verknüpft in einer seiner anstoßerregendsten Visionen den Sieg des Kommunismus über die westlichen USA, halluzinogene Drogen, Sex und Theologie. Dennoch ist die Story von A bis Z völlig verständlich geschrieben und wirkt keineswegs abgehoben. Sie erschien zuerst 1967 in der berühmten SF-Anthologie „Dangerous Visions“.

Hauptfigur ist der kleine Parteifunktionär Tung Chien, der in einem Schmalspurministerium in Hanoi (Nord-Vietnam) Dienst tut. Von einem Straßenhändler bekommt er ein Anti-Halluzinogen, das, wie ihm eine hübsche junge Frau namens Tanya Lee mitteilt, die Realität, wie sie wirklich ist, zeigt. Die Partei füge nämlich dem Leitungswasser täglich und überall Halluzinogene bei.
Und so kommt es, dass Tung Chien die persönliche Fernsehansprache, die der Unumschränkte Wohltäter als oberster Parteivorsitzender an ihn richtet, auf völlig andere Weise wahrnimmt als gedacht: nämlich als einen rasselnden Mechanismus, aus dem Scheinfüßchen hervorwachsen. Tanya Lee vom Untergrund hat etwas ähnlich Furchterregendes gesehen.

Nachdem Tanya ihm geholfen hat, eine dogmatische Prüfung durch Parteibonzen zu bestehen, wird Tung zur dekadenten Villa des Unumschränkten Wohltäters eingeladen, der sich vor Ort „Thomas Fletcher“ nennen lässt. Doch Tung sieht sein Erscheinen unter dem Einfluss des Anti-Halluzinogens ganz anders: als gottähnlichen, substanzlosen, aber kannibalischen Alien. Und dieser hat ein Wörtchen mit Tung zu reden…

Allein schon die Vorstellung, die Chinesen könnten einen Krieg gegen die USA gewinnen und diese zur Hälfte (der Rest leistet noch Widerstand) unter ihr kommunistisches „Joch“ gezwungen haben, muss so manche Leser des Jahres 1967, während der Vietnamkrieg tobte, in Weißglut versetzt haben. Vaterlandsverrat
Dass Dick obendrein auch noch die Natur (eines/des) Gottes erörterte und den christlichen Glauben in Zweifel zog, war geradezu Blasphemie. Außerdem gab es in seiner Story noch Drogenkonsum und Sex, also all das, was die Hippies praktizierten und ihre Eltern schockierte. Für uns heute ist die Story v.a. hinsichtlich der theologischen Erörterung interessant, da sich alle anderen Streitpunkte inzwischen erledigt oder relativiert haben.

In seiner Original-Nachbemerkung zu seiner eigenen Story (ein seltener Fall!) dementierte der Autor 1967, irgendeine der vorgebrachten Ansichten oder Thesen selbst zu vertreten. Aber er findet den Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und theologischer Erkenntnis interessant. Herausgeber Harlan Ellison bemerkte dazu in seiner Story-Einleitung, dass sich auch dieser Aspekt inzwischen sehr relativiert habe: Nichts als heiße Luft. Wie auch immer: Dick schrieb Ende der 70er Jahre seine VALIS-Trilogie, inder er ein gottähnliches Wesen, eben VALIS, auftreten lässt.

7) Die elektrische Ameise (The electric ant, 1969)

Garson Poole, Geschäftsführer von Tri-Plant im New York des Jahres 1992, hält sich für einen Menschen, findet aber nach einem Unfall die Wahrheit heraus: Er ist ein Roboter. Doch was lässt ihn ticken? Es ist ein Lochstreifen mit einem Programm darauf. Durch einen Supercomputer erfährt er, worin das Programm besteht: Es steuert seine gesamte Realitätswahrnehmung.

Poole manipuliert in mehreren Tests den durchlaufenden Lochstreifen und somit seine eigene Programmierung: „Wenn ich den Streifen [des Programms] kontrolliere, dann kontrolliere ich die Realität. Zumindest soweit sie mich betrifft. Meine subjektive Realität… aber eine andere gibt es ohnehin nicht. Objektive Realität ist ein synthetisches Konstrukt, das Resultat einer hypothetischen Universalisierung einer Vielzahl subjektiver Realitäten.“ (s. 687)

Doch der Roboter Poole täuscht sich ebenso wie seine menschliche Umgebung: Der „idios kosmos“, seine eigene Wirklichkeit, die mit seinem Tode – nach dem Kappen des Lochstreifens – erlöschen wird, entpuppt sich als der „koinos kosmos“, die geteilte Wirklichkeit allen Seins. Als die elektrische Ameise ihre vermeintliche ureigene Realität vernichtet, annihiliert sie zugleich das gesamte Universum. Für jeden Menschen gibt es letzten Endes nur eine Wirklichkeit: die eigene. Aber sie ist Teil eines größeren Ganzen. Dieser Schluss ist metaphysisch und sogar solipsistisch: Das Ich ist das Universum, folglich muss der Tod des Ichs auch den des Universums nach sich ziehen.

8) *Variante zwei (Second Variety; „Screamers“)

Diese grimmige Geschichte von 1953 wurde unter dem Titel „Screamers“ mit Rutger Hauer in einer der Hauptrollen verfilmt.

Im 3. Weltkrieg setzen die verfeindeten Parteien statt Menschen Androiden ein, die feindliche Soldaten liquidieren sollen und zu diesem Zweck als kleine, hilflose Kinder oder verletzte Kameraden getarnt sind. Gesteigert wird diese Perversion der Verhältnisse, als diese Androiden außer Kontrolle geraten und nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden.

Der amerikanische Major Hendricks begegnet einer Gruppe russischer Überlebender, die ihm von den verschiedenen Androidenvarianten berichten. Doch inzwischen gibt es eine „zweite Variante“. Hendricks hat mit einer jungen Frau geschlafen, bei der es sich um eine Androidin der zweiten Variante handelt. Er verhilft ihr nichtsahnend zur Flucht auf den Mond, dem letzten Rückzugsgebiet der Menschheit. Die Folgen sind furchtbar: Schlussendlich werden die Androiden auch die letzten menschlichen Überlebenden auslöschen.

Wie der Autor die Kriegsverhältnisse beschreibt, ist eindrucksvoll, aber hart (genau wie im Film). Die Pointe der Geschichte ist nur als grausam zu bezeichnen und somit sehr wirkungsvoll. Wieder einmal hat Dick die Unterschiede zwischen Mensch und (Androiden-)Maschine ausgelotet. Die Intelligenz des Menschen kommt dabei nicht besonders gut weg.

9) *Hochstapler („Impostor“)

Diese Story wurde mit Gary Sinise („Forrest Gump“) in der Hauptrolle verfilmt, allerdings nicht sonderlich erfolgreich: Der Streifen kam nie in unsere Kinos.

Spence Olham arbeitet seit Jahr und Tag unbescholten an einem geheimen Projekt der Regierung mit, das eine Waffe entwickelt, mit der sich die feindlichen Aliens vernichten lassen, die die Erde belagern. Die Erde wird nur durch eine Blase geschützt, deren Natur nicht weiter beschrieben wird. Eines Tages wird Spence auf der Fahrt zur Arbeit vom Sicherheitsdienst verhaftet und sofort zum Mond geflogen. Die Anklage: Er sei ein Hochstapler, ein Alien-Agent, der sich als Spence Olham ausgebe, mit dessen Aussehen und Erinnerungen, doch mit einer Bombe in seinem Roboterkörper, um das Projekt zu vernichten.

Olham kann dem Sicherheitspolizisten Peters und seinem Tod in letzter Sekunde entkommen und rast zur Erde, um seine Unschuld zu beweisen, denn er kann sich nicht erinnern, jemals etwas anders gewesen zu sein als eben der Mensch Spence Olham, verheiratet mit Mary Olham. Marys Gesichtsausdruck verrät ihm zu Hause rechtzeitig, dass die Polizei ihn bereits erwartet, und er kann entkommen. Da fällt ihm ein, wo das Raumschiff seines Doppelgängers abgestürzt sein könnte. Dort entscheidet sich sein Schicksal. Leider erleben er und seine Verfolger eine böse Überraschung, „die man noch bis zum Alpha Centauri sehen kann“…

Dick beschreibt hier auf brillante Weise eine vermeintliche Paranoia, die sich zur Realitätssuche auswächst: Kurze Zeit gibt es Hoffnung für Spence Olham, denn er kann immer neue Beweise für seine Identität aufbieten. Doch die harte Pointe enthüllt die Wahrheit.

Mein Eindruck

Diese Sammlung enthält in der Tat, wie es der Original-Untertitel „Classic Stories“ verspricht, eine Reihe „klassischer Storys“ Philip K. Dicks. Sie veranschaulichen demjenigen, der sich Dicks Werk erschließen möchte, Zugang zu einigen zentralen Themen darin: Die Auslotung der Unterschiede zwischen Mensch und Maschine (= Android) sowie die Untersuchung der Natur der Wirklichkeit. Zu letzterer gehören etliche Paranoia-Stories, von denen hier nur wenige gesammelt sind. In Geschichten wie „Impostor“ finden beide Themen zueinander.

Wem die Ideen Dicks durchaus interessant und verdaubar erscheinen, sollte sich eine Stufe weiter wagen und sich den einen oder anderen der Romane vornehmen. Sie wurden bei Heyne in einer kommentierten und sprachlich überarbeiteten Form herausgegeben. Natürlich ist auch ein so bekannter Roman wie „Blade Runner“ darunter. Aber auch „Marsianischer Zeitsturz“ und „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ verdienen Aufmerksamkeit. Sie gehören zum Besten, was Dick je geschrieben hat. Und das war eine ganze Menge.

Hinweis:

Von Dick-Experte Uwe Anton, einem bekannten Übersetzer und Autor, ist 1993 im Thomas-Tilsner-Verlag, Bad Tölz, eine sehr gute und hilfreiche Monografie erschienen: „Philip K. Dick – Entropie und Hoffnung“ (ISBN 3-910079-01-6, ca. 17,40 €). Allein die Bibliografie ist mit rund 50 engbedruckten Seiten eine der umfangreichsten zu Philip K. Dick im deutschen Sprachraum.

Michael Matzer (c) 2003ff

www.heyne.de

Philip K. Dick – Irrgarten des Todes (Lesung)

Der Mörder-Club von Delmak-O

Vierzehn Menschen haben sich freiwillig nach Delmak-O gemeldet, einen unbesiedelten Planeten. Sie sind zivilisationsmüde, sehen sich danach, eine jungfräuliche Welt zu erschließen. Dort angekommen, bricht die Verbindung mit der Außenwelt ab. Sabotage?

Die Verunsicherung wächst, als mechanische Insekten entdeckt werden, die mit winzigen Kameras ausgerüstet sind. Befinden sich die Gestrandeten in einem gnadenlosen psychologischen Experiment, in einem Irrgarten des Todes? Als es den Überlebenden gelingt, die Phantomwelt zu zerschlagen, kommt eine Wirklichkeit zum Vorschein, die noch weit schrecklicher ist. (Verlagsinfo von Heyne)
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Uwe Anton (Hg.) – Kosmische Puppen und andere Lebensformen. Ein Philip K. Dick Reader

Wieder-Entdeckung eines Klassikers

Philip K. Dick, dem wohl kontroversesten amerikanischen Science Fiction-Autor („Blade Runner“, „Total Recall“, „Minority Report“), ist dieser umfangreiche Reader gewidmet. Solche Reader sind hierzulande absolute Mangelware und daher umso mehr zu begrüßen.

Für den Dick-Fan bietet der Reader bislang in Deutschland großteils unveröffentlichte Storys und einige wichtige Vorträge des SF-Meisters. Ein in Deutschland geführtes Interview aus dem Jahr 1977 und der einzige Fantasyroman Dicks runden das Paket ab. Mal sehn, was davon zu halten ist.
Uwe Anton (Hg.) – Kosmische Puppen und andere Lebensformen. Ein Philip K. Dick Reader weiterlesen